05
Feb 2023

Fantasy Filmfest White Nights 2023 München (5): PRISON 77

Themen: FF White Nights 2023, Film, TV & Presse, Neues |

Spanien 2022. Regie: Alberto Rodriguez. Darsteller: Miguel Herrán, Javier Gutiérrez, Jesús Carroza, Catalina Sopelana, Fernando Tejero, Xavi Sáez

Story: Francisco Franco ist tot, seine Diktatur am Ende. Die Insassen des Modelo-Gefängnisses Barcelona sind von den gesellschaftlichen Umwälzungen der Jahre 1976-78 abgeschottet. Draußen bricht sich die neue Demokratie Bahn, drinnen herrschen die alten Wärter mit Willkür und Gewalt. Hier harrt Manuel seines Prozesses, der niemals angesetzt wird. Immer wieder erlebt er, wie unbequeme Zellengenossen verschwinden. Denn die Häftlinge beginnen sich für ihre Rechte zu organisieren. Und während im Land die Farbfernseher Einzug halten, schallen die Schreie nach „Libertad!“ zusehends lauter durch die unbarmherzigen Mauern.

Kritik: Bei den Fantasy Filmfest Nights 2015 lief MARSHLAND von Regisseur Alberto Rodriguez, den ich sehr gut bewertete:

“Langsamer, drückender Krimi vor der Kulisse des nach dem Tode Francos neu demokratisierten Spaniens. Ein Film, der von seinem Zeitkolorit und seinen gut beobachteten Figuren lebt, die sich mit einer gänzlich neuen Kultur arrangieren müssen.”

Wichtiger scheint mir retrospektiv aber dieser Absatz:

“Hat man allerdings rudimentäre Ahnung von den historischen Zusammenhängen, dann wird schnell klar, dass “Marshland” unterschwellig vibriert, dass jede Szene aufgeladen ist mit schmerzhafter Geschichte und gerade bei uns Deutschen die entsprechenden Knöpfe drücken kann. Hier wird eine Mordserie erzählt, die weit zurück greift in einen über Jahrzehnte tumb hingenommenen Unrechtsstaat, der immer noch lautstarke Verteidiger hat und dessen schmierigste Vertreter weiterhin an den Schnittstellen der Macht sitzen. Wo aus folternden “Sicherheitskräften” brave Polizisten werden und aus Diktatoren Demokraten, als müsse dafür nur das Hemd gewechselt werden, als habe das System nicht unter der Erde noch seine Wurzeln erhalten. “

Kein Wunder, dass Christian Alvart 2019 unter dem Titel FREIES LAND eine hochgelobte deutsche Adaption des Stoffes drehte.

Was ich über MARSHLAND schrieb, kann man zudem auch weitgehend für PRISON 77 stehen lassen – ein Krimidrama, das vom perfekten Zeitkolorit lebt und seine Spannungen nicht nur aus der Story und den Figuren, sondern aus dem kulturellen und politischen Wandel in Spanien 1976/77 zieht.

Es ist unbestreitbar, dass PRISON 77 exzellent geschrieben und inszeniert ist. Seine Darstellung der embryonalen Demokratie “post Franco” ist makellos und die klar gezeichneten und interessanten Figuren tragen uns mühelos über eine üppige Laufzeit. Inhaltlich ist Stoff für eine ganze Miniserie vorhanden, nichts wirkt gestreckt oder redundant.

Aber habt ihr’s gemerkt? “ein Krimidrama, das vom perfekten Zeitkolorit lebt” – das ist keine Fantasy, keine Science Fiction, kein Horror, nicht mal nennenswerte Action oder Thrill. Es ist ein Film, der auf die Festivals in Berlin, Wien, Toronto, Cannes und Venedig gehört, aber nach keinem Maßstab für eine Veranstaltung geeignet ist, die sich immer noch den Genre-Button ans Revers heftet. Und es spricht wieder mal nicht für die Auswahl der Veranstalter (oder die aktuelle Qualität des Genres?), dass dieser Streifen hier zwar nicht her gehört, dennoch aber ein frühes Highlight darstellt. Siehe PROFESSOR AND THE MADMAN, HUNT FOR THE WILDERPEOPLE, etc.

Fazit: Ein authentisches und packendes Gefängnisdrama, dessen historischer Background spannender ist als das, was sich ein Drehbuchautor ausdenken könnte. 9 von 10 Punkten. Wer allerdings Genre sucht, zieht zwei Punkte ab.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

1 Kommentar
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Thies
Thies
20. August, 2023 18:40

Ein Film der nachwirkt. Das wäre der einzige des Wochenendes den ich blind empfehlen würde.