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Nov 2022

Einer der letzten echten B-Filmer: (K)ein Nachruf auf Albert Pyun

Themen: Film, TV & Presse |

Vor über 10 Jahren habe ich – wenig freundlich – über das Oeuvre von Albert Pyun geschrieben, der neben Jim Wynorski, Fred Olen Ray, Andy Sidaris und anderen zu den fleißigsten Lieferanten der Videotheken-Ära der 80er und 90er gehörte.

Nun ist Pyun nach langer und schleppender Krankheit verstorben.

Es liegt in unserer Natur, den Menschen nach seinem Tode deutlich milder zu sehen (nil nisi bene und so), aber im Fall von Pyun fällt mir das schwer. Ich kann seine besseren Filme benennen – aber vermutlich keinen wirklich guten. Und sein wachsender Kultstatus der letzten Jahre scheint mir massiv auf nostalgischer Verklärung einiger Alt-Nerds zu basieren, die irgendwann beschlossen haben, dass wirklich jeder Scheiß ihrer Jugend vergoldet gehört.

Ich ging ja noch mit, als man auf einmal anfing, Jess Franco für einen weitgehend unterschätzten “auteur” zu halten – aber mittlerweile beschäftigen sich semi-professionelle Schreiberlinge intensiver mit den Filmen von Joe D’Amato und Cirio H. Santiago, als es die Regisseure selbst je getan haben.

Dennoch: Die Tatsache, dass ich mit der speziellen Weltsicht Pyuns nie etwas anfangen konnte, ändert nichts daran, dass ich sie als genuinen Style anerkenne. Während Pyun im Auftrag von anerkannten Produktionsfirmen und mit frugalen, aber wenigstens existenten Budgets solide B-Ware abliefern konnte, so drehte er bei den oft auf eigene Kappe finanzierten späteren Werken frei und warf sich vollends in seine fiebrige trostlose Traumwelt aus Mensch/Maschine-Wesen im ewigen Zweikampf. Die Tatsache, dass Pyun manisch wiederkehrende Themen und Konzepte bediente, unterscheidet ihn von schnöden B-Handwerkern wie Jim Wynorski und Fred Olen Ray, die immer nur Dienst nach Vorschrift liefern. Man muss ihn eher in der Nähe von Jess Franco verorten oder – der Blitz möge mich treffen! – bei David Cronenbergs “neuem Fleisch”.

Da ich mich mangels Begeisterung nicht kompetent sehe, die Weltsicht von Albert Pyun posthum zu analysieren (und das auch für eine Überschätzung ihres Wertes halte), nehme ich euch heute einfach noch mal auf eine fast repräsentative Reise durch seine Filmographie. Strap in – it’s gonna be a wild ride!

Schon Pyuns Debüt 1982 schlug ziemliche Wellen – TALON IM KAMPF GEGEN DAS IMPERIUM war der erste CONAN-Ripoff. Teilweise etwas fußlahm erzählt, lässt es der Film wahrlich nicht an den Schauwerten fehlen:

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Natürlich fand die krude Fantasy-Action keine Gnade in den Augen der notorisch missmutigen Autoren des Lexikons des Fantasy-Films:

Wir merken uns an dieser Stelle eine Einblendung im Nachspann:

Pyuns zweiter Film ist deutlich persönlicher und bereits mit Verweisen auf die Philosophie ihres Machers angefüllt – war aber ein nur sporadisch veröffentlichter Flop mit erneut sehr gemächlichem Tempo und einem damals noch weitgehend unbekannten Michael “American Fighter” Dudikoff:

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RADIOACTIVE DREAMS und der für Charles Band gedrehte VICIOUS LIPS gelten echten Pyun-Fans als frühe Highlights, die in den letzten 20 Jahren auch durch neue HD-Releases späte Würdigung erfahren haben:

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Ich gestehe, dass ich da schon abwinke. Besonders VICIOUS LIPS fängt zwar nett an und hat einen großartigen 80er Neonpunk-Stil, zerfällt aber nach dem ersten Akt völlig, weil Pyun kein Interesse an Story und Figuren hat.

In den 80er wurde Pyun so etwas wie das Mittlere Management bei Cannon Films – er durfte nie die großen Franchises umsetzen oder die echten Top-Stars inszenieren, aber er war auch nicht der schundige Programmfüller vom Schlage Harry Alan Towers. Als Beispiel für seine Arbeit sei hier ALIEN FROM LA genannt, ein total undurchschaubares Fantasy-Abenteuer, das im Original allein schon an der Kieksstimme der Hauptdarstellerin scheitert (Supermodel Kathy Ireland):

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1989 erreichte Pyuns Karriere so etwas wie einen Höhepunkt – er sollte aus den Resten des abgesagten MASTERS OF THE UNIVERSE II einen flotten Klopperfilm drehen, um die investierten Gelder zu amortisieren. Pyun mühte sich redlich und hatte das Glück, Jean-Claude van Damme auf dem Weg nach oben zu begegnen:

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Aus dem “Abfallprodukt” wurde ein Actionklassiker der Video-Ära und Pyun konnte erstmals “sein” Universum aus Postapokalypse und Cyborgs vollumfänglich skizzieren. Im Cast finden sich Darsteller, die später zu Pyns Stammbesetzung gehören sollten und ihn bis in seine schrabbeligsten No Budget-Werke begleiteten.

Bei CYBORG zeigte sich auch schon Pyuns Renitenz, seine Vision zugunsten des Mainstreams zu kastrieren. Er bestand immer darauf, dass der Film nicht seinen Vorstellungen entspräche – und ja, mittlerweile gibt es unter dem Titel SLINGER so etwas wie einen sehr kruden Director’s Cut.

Man kann durchaus unterstellen, dass Pyun nach CYBORG eine größere Karriere offen gestanden hätte, aber der Zusammenbruch Cannons führte dazu, dass sein nächster Film CAPTAIN AMERICA (bereits für die Nachfolgefirma 21st Century) trotz einer beeindruckenden Besetzung nicht mehr das Budget hatte, den Anforderungen des Stoffes gerecht zu werden:

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Nach dem Ende von Cannon musste sich Pyun neu orientieren, neue Geldgeber finden. Anfang der 90er drehte er ein paar seiner schlechtesten, mickrigsten Filme. So sprang er eher widerwillig auf den Zug der Martial Arts-Filme auf:

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Er drehte auch wieder für Charles Band – die Original-Artwork dieses Films habe ich in meinem Arbeitszimmer an der Wand hängen:

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Pyun und Band sollten noch ARCADE zusammen stemmen, aber es ist auffällig, dass hier zwei inkompatible Weltsichten kollidieren: Pyun pflegt ein nihilistisches, düsteres Universum, während Band comic-buntes Spektakel bevorzugt.

Das zweite Highlight von Pyuns CYBORG-Universum ist der Produktionsfirma Imperial zu verdanken, die mehr Geld in NEMESIS steckte, als solchen Projekten üblicherweise gegönnt wird. Starker Cast, starke Action, starke Effekte:

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In meinen Augen der beste “typische” Pyun-Film.

Auch von NEMESIS gibt es einen Director’s Cut mit teilweise neuen Effekten, die der Vision Pyuns näher kommen, ohne sie jemals zu erfüllen.

Ebenfalls recht gut versorgt war Pyun bei Trimark, wo man ihn mit augenzwinkernder  Action für den weltweiten Videomarkt beauftragte:

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Den soliden Actioner RAVENHAWK hatte ich damals bei Pro7 auf dem Tisch und empfahl meiner Chefin, das als Grundlage einer weiblichen Version der TV-Serie RENEGADE mit Lorenzo Lamas anzudenken:

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Echte Pyun-Fans versichern, dass MEAN GUNS einer seiner besten Filme sei, was den Mainstream-Anspruch an Story, Action und Drehbuch angeht:

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Aber Pyun hat in Interviews immer wieder geäußert, dass sein Herz nicht in hohlen Actionfilmen steckt. Wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, kehrte er ins CYBORG-Universum zurück und drehte Fortsetzung nach Fortsetzung – in abnehmender Qualität und Erträglichkeit. Es illustriert vielleicht die Crux von Pyuns “Karriere”, dass er lieber so etwas statt MEAN GUNS drehte:

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Dennoch blieb er ein gefragter Auftragsregisseur, weil er “on time and on budget” lieferte und so manche seiner Filme konnten mit Stars aufwarten, auch wenn diese zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nicht gerade ihre beste Zeit hatten:

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Den wertigsten Cast hatte Pyun im relativ unbekannten Actionthriller TICKER: Dennis Hopper, Steven Seagal, Tom Sizemore, Jaime Pressly und Rapper Nas.

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Aber damit sind wir schon am Ende der 90er angelangt und beim Tod des klassischen Videomarktes. Die Auftraggeber brachen Pyun weg und die Gelder.

MAX HAVOC: CURSE OF THE DRAGON kann man durchaus als den letzten Pyun-Film bezeichnen, der so etwas wie einen “name cast” und ein sichtbares Budget hatte – aber dafür war es notwendig, die US-Insel Guam massiv abzuzocken:

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Es kam schnell zur rechtlicheren Streitereien und die zwei MAX HAVOC-Filme (die den Start einer Franchise bilden sollten) wurden von Isaac Florentine in LA fertig gestellt, der mittlerweile so eine Art Hausregisseur von Scott Adkins ist.

Wie bei Charles Band und Jim Wynorski wünscht man sich, Pyun hätte die Zeichen der Zeit erkannt und wäre in Rente gegangen. Die B-Film-Ära, deren Kind und Pate zugleich er war, zerbröselte in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends und was er noch finanzieren konnte, war zunehmend unguckbar. Dazu gehört auch der “Echtzeit-Film” INVASION/INFECTION, den ich vor 13 Jahren besprochen habe:

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Die nun beginnende Spätphase der Karriere von Albert Pyun war geprägt von Low Budget-Greenscreen-Debakeln und zunehmenden gesundheitlichen Problemen des Regisseurs, der mehrfach das Ende seiner Arbeit verkündete, aber irgendwie doch weiter machte, immer unterstützt von seiner Frau Cynthia Curnan, die so etwas wie sein eigenes Mini-Filmstudio darstellte. Sie schrieb, produzierte, vertrieb, und kümmerte sich um das letzte bisschen Marketing, das möglich war.

Es ist keine Übertreibung, wenn man die letzten 15 Jahre von Albert Pyun als eine Abfolge von Enttäuschungen bezeichnet – für den Regisseur und für sein Publikum. Diverse Projekte kamen nie über die Planungsphase hinaus, Überarbeitungen alter Filme scheiterten am Geld – und was doch noch irgendwie auf den Markt kam, rechtfertigt kaum mehr die Bezeichnung “Film”.

Wäre ich tiefer im Thema drin, könnte ich vermutlich ein Buch über die Travestie schreiben, die ROAD TO HELL darstellt – vorgeblich ein Sequel zu STRASSEN IN FLAMMEN, das vermutlich keinerlei rechtliche Grundlage besitzt und deswegen trotz Original-Besetzung auch nie nennenswert veröffentlicht wurde:

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Ich werde demnächst ausführlicher berichten.

Nicht minder armselig gedreht und dann im Schnitt mit digitalem Schnickschnack zugeschissen ist die 2012-Fortsetzung zu TALON, die Pyun 1982 versprochen hatte. Es blamieren sich Kevin Sorbo, Ralf Moeller, Olivier Gruner, Michael Paré, Scott Paulin, Sasha Mitchell und Original-TALON Lee Horsley:

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Nun besitzen ROAD und TALES noch einen morbiden Reiz, weil man sie in einen Kontext mit den vorausgegangenen Filmen und den früheren Leistungen von Pyun setzen kann. Für dürftige Kammerspiele wie THE INTERROGATION OF CHERYL COOPER gilt das allerdings nicht mehr:

 

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Endgültig auf dem Level eines (schlechten) STAR WARS-Fanfilm kam Pyun dann mit INTERSTELLAR CIVIL WAR an, der unter dem unfassbaren Arbeitstitel STAR WARFARE RANGERS AND THE CYBORG WITCH OF ENDOR gedreht wurde:

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Mittlerweile war bei Pyun auch früh einsetzende Demenz diagnostiziert worden.

Trotz aller Malaisen blieb der Regisseur entschlossen, in den letzten verbleibenden Jahren noch weiter an seinem CYBORG-Universum zu schrauben. Mit nachlassender Kraft und nachlassenden Finanzen konnte allerdings nur noch sporadisch gedreht werden.

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Am 26. November endete die “Ära Pyun” und nach dem aktuellen Stand werden die letzten Geschichten aus dem Cyborgverse wohl nicht mehr zu Ende erzählt.

Wenn ich mir das so anschaue, bleibe ich hin- und hergerissen. Die Filme von Albert Pyun, die mir am meisten gefallen, sind üblicherweise die, bei denen er die geringste kreative Kontrolle hatte, vom ersten NEMESIS vielleicht mal abgesehen. Und je mehr er seiner Vision frönen konnte, desto weniger scheren mich die Ergebnisse. Auf der anderen Seite muss man einen Regisseur respektieren, der neben soliden Auftragsarbeiten immer noch auch bedacht war, ein eigenes Universum zu kreieren, gegen alle Widerstände und mit viel persönlichem Einsatz.

Die Welt des postapokalyptischen Mensch/Maschine-Messias, sie trug seinen Stempel – und in meiner Phantasie ist Pyun nicht gestorben, er ist nur in sie übergetreten und wird auf ewig in ihr wandern…



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2 Kommentare
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Dinozeros
Dinozeros
28. November, 2022 19:38

“Auf der anderen Seite muss man einen Regisseur respektieren, der neben soliden Auftragsarbeiten immer noch auch bedacht war, ein eigenes Universum zu kreieren, gegen alle Widerstände und mit viel persönlichem Einsatz.”

Das.

Danke für diese Einordnung. Er war ein Name.

Pasolini
Pasolini
10. Dezember, 2022 10:40

Ein Nachruf, den ich voll unterschreiben kann. Das meiste war nur bedingt kuckbarer Schotter. Sein als Mega-Projekt geplanter Captain America ist vielleicht eine schöne Metapher für seine Karriere. Toller Anfang mit ordentlich Action und dann war das Geld weg. Es wurde runter gekürzt auf quasi nix.