Fantasy Filmfest 2022, Tag 8, Film 2: NOTHING
Themen: Fantasy Filmf. 22, Film, TV & Presse, Neues |Dänemark 2022. Regie: Trine Piil Christensen, Seamus McNally. Darsteller: Vivelill Søgaard Holm, Harald Kaiser Hermann, Mia Lerdam, Shahbaz Sarwar u.a.
Offizielle Synopsis: Weil nichts mehr eine Bedeutung zu haben scheint, verweigert der Teenager Pierre-Anthon fortan die Teilnahme am Alltag und zieht sich in eine Baumkrone zurück. Dort thront er über den restlichen Mitschüler:innen, die ihn unbedingt widerlegen wollen: Natürlich gibt es Dinge, die Sinn und Wert haben. Zum Beispiel die Lieblingssandalen oder das Rennrad. Zuerst sind es solche Objekte, die auf dem heimlich errichteten „Berg der Bedeutung“ landen. Doch weil persönliche Opfer eigentlich richtig weh tun müssen, überbietet sich die Klasse bald an grausamen Ideen, wer hier was für den Altar beisteuern muss.
Kritik: Vor mittlerweile neun Jahren lief auf dem FFF die unsägliche Schmonzette THE PHILOSOPHERS, den ich dergestalt aburteilte:
Schöne Bilder und schöne Menschen in einem prätentiosen und schlecht konstruierten Film, der glaubt, etwas Profundes zu sagen zu haben, aber über die Weisheit von Glückskeksen nicht hinaus kommt.
Vieles trifft deckungsgleich auf NOTHING zu, ein Film, in dem gut gewachsene Kinder der Wohlstandsgesellschaft vor lauter Langeweile die mit der Pubertät einsetzenden Zweifel am Leben für relevante philosophische Betrachtungen halten, mit denen sie das Weltbild der Erwachsenen erschüttern können.
Das ist so unfassbar… albern. Schon die provokante Frage des klugscheissernden Pierre-Anthon “Wenn nichts einen Sinn ergibt, was sollen wir dann überhaupt machen?” wäre mit einem simplen “Es geht nicht um Sinn ergeben, sondern um Sinn machen” auszuhebeln. Dass zwei, drei Kalendersprüche eine ganze Schulklasse dazu bringen können, sich an immer fragwürdigeren amoralischen Herausforderungen zu ergötzen, ist geradezu hanebüchen und hängt dem Film wie ein Klotz am Bein, auch als er dann durchaus besser und spannender wird.
Ich kenne HERR DER FLIEGEN, ich weiß um die Grausamkeit von Kindern und die dünne Schicht der bürgerlichen Moral. Und vielleicht würde ich eine Story wie NOTHING plausibel finden, wenn sie von Jugendlichen in schwierigen sozialen Umständen handeln würde, für die eine Suche nach Sinn tatsächlich überlebenswichtig ist. Aber das hier ist der satte dänische Mittelstand, der plötzlich die Notwendigkeit der Rebellion für sich entdeckt.
Ich habe im Saal gesessen und mir eher so Fragen gestellt wie: “Wenn Pierre-Anthon tagelang auf dem Baum sitzt – wie kackt der dann?”
Wie gesagt: In der zweiten Hälfte zieht NOTHING deutlich an und es ist offensichtlich, dass die “wichtigen Dinge” der Kids jedes Puzzleteil der Gesellschaft repräsentieren: Sex, Religion, Staat, Gesundheit, Tod, etc. Als Gedankenexperiment funktioniert NOTHING im Gegensatz zu THE PHILOSOPHERS tatsächlich – aber an keiner Stelle konnte ich auch nur ansatzweise glauben, dass satte Kids aus der dänischen Mittelschicht so eine Nummer abziehen.
Der Film stellt sich dann zum Ende hin auch gewaltig ein Bein, wenn Pierre-Anthon die ganze Aktion mit einer simplen Gegenfrage, die sich jeder Zuschauer gestellt haben dürfte, aushebelt.
Ich habe nichts gegen Film als Gedankenspiel ohne direkten Anspruch an ein plausibles Szenario. Man kann eine Story auch mal auf eine Frage reduzieren und die Figuren damit konfrontieren. Aber das sollte in einer Form geschehen, die den Zuschauer weiter bringt, die ihm die Erkenntnisse ermöglicht, die auch die Charaktere haben. Das ist bei NOTHING deutlich zu unterentwickelt. Um klar auszudrücken: die meisten Zuschauer dürften dem Film intellektuell erheblich überlegen sein. Hoffentlich.
Fazit: Ein sehr theoretischer Film über eine harmlose Sinnsuche, die in einer Gewaltspirale endet. Eher was für die Schulklasse zum “hinterher diskutieren” als für das Fantasy Filmfest. 5 von 10 Punkten.
Der Frankster meint hingegen: “Für mich war “Nothing” ein ähnlich verstörender Film wie 2021 THE INNOCENTS.”
Basiert übrigens auf der Buchvorlage von Janne Teller, die für einigen Wirbel damals sorgte: https://orf.at/v2/stories/2016915/2016914/
In Schulen heutzutage eine gern gelesene Lektüre im Deutsch- oder Philosophieunterricht.
Das wundert mich nicht.