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Sep 2022

Fantasy Filmfest 2022, Tag 7, Film 2: FREAKS OUT

Themen: Fantasy Filmf. 22, Film, TV & Presse, Neues |

Italien, Belgien 2021. Regie: Gabriele Mainetti. Darsteller: Claudio Santamaria, Aurora Giovinazzo, Pietro Castellitto, Franz Rogowski, Giancarlo Martini, Giorgio Tirabassi, Max Mazzotta

Offizielle Synopsis: Sie sind Ausgestoßene der Gesellschaft und der Zirkus ist ihre Heimat. Doch es ist 1943, die Deutschen marschieren in Italien ein und bald beginnt für Cencio, Mario, Fulvio und Matilde eine bizarre Odyssee durch das besetzte Rom. In einer Welt, die von mörderischem Wahnsinn regiert wird, müssen ein magisch begabter Albino, ein magnetischer Zwerg, ein Wolfsmensch mit Superkräften und eine elektrische Tänzerin gemeinsam ums Überleben kämpfen. Und als wäre die Feuerkraft der Wehrmacht nicht genug, gibt es da noch einen sechsfingrigen Nazi-Psychopathen, der groteske Menschenexperimente betreibt. Dem kommt die schräge Truppe gerade recht.

Kritik: DAS, genau DAS! DAS ist die Sorte Film, die alles wieder raus reißt, die mich glauben lässt, dass das Fantasy Filmfest mehr zu bieten haben muss als dröge skandinavische Ehedramen und kanadische Coming of Age-Schnarcher. Dass noch Saft im Genre steckt, wenn die Geldgeber und die Macher dran glauben.

FREAKS OUT ist gerade mal der zweite Film von Gabriele Mainetti, dem ich nach dem großartigen JEEG ROBOT vor sechs Jahren bereits eine große Karriere prophezeit habe. Jetzt ist er wieder da – seinen Themen treu, aber mit einem erheblich größeren Pinsel auf einer erheblich breiteren Leinwand malend.

Es geht wieder um die Einsamkeit der Helden, die oft als Außenseiter verlacht werden, um unmögliche Liebe und die Sehnsucht nach Gemeinschaft. Ein Online-Kritiker hat das wohl als eine Mischung Federico Fellini und Marvel beschrieben – und das ist nicht annähernd so abstrus, wie es klingt.

FREAKS OUT wirkt wie eine lebendig gewordene Graphic Novel der 90er Jahre, ein Elseworld-Universum, in dem die Not Superhelden hervorgebracht hat, die es mit den bösen Nazis aufnehmen. Ein Märchen, sicherlich – aber so prall und lebensbejahend erzählt, dass man das eigene Herz wieder schlagen spürt.

Darüber hinaus schämt sich FREAKS OUT an keiner Stelle, den Hunger nach Entertainment zu stillen – er ist extrem schnell und straff inszeniert, mit großartigen Actionsequenzen, überzeugenden Effekten und einem üppigen Production Design, bei dem man den Film anhalten und die Details bewundern möchte. Und trotz des grausamen Themas gibt es sehr viel zu lachen.

Müsste ich Fehler finden, würde ich darauf verweisen, dass dem Film im zweiten Akt eine klare Mission abgeht, ein direkter Konflikt von Prota- und Antagonist, und dass die Schlacht im Finale ein wenig zu überdreht und lang ist. Aber ich muss keine Fehler finden.

Franz Rogowski, schon großartig im April in LUZIFER, zeigt auch seine Stärke als Darsteller monströser, aber letztlich tragischer Figuren. A performance for the ages. Rogowski ist “unser” Joaquin Phoenix, nicht nur wegen der Hasenscharte (darf man noch “Hasenscharte” sagen?). Und Mainetti ist “unser” Guillermo del Toro. There, I said it. Sue me.

Wenn ich mir FREAKS OUT und JOJO RABBIT so anschaue – vielleicht läutet das eine Zeitenwende ein. Vielleicht wird es wichtig, die Nazi-Zeit für die neuen Generationen nicht mehr als unerträgliches dokumentarisches Drama zu erzählen, sondern als Fabel, die ihre Moral in den Figuren versteckt und dabei keinen Anspruch mehr auf historische Authentizität erhebt. Weil für die neuen Generationen der Horror des Zweiten Weltkriegs irgendwann die Realität und Gegenwärtigkeit der römischen Besatzung aus Asterix-Comics haben wird.

Fazit: Der Gewinner des Festivals – ein bezauberndes Märchen, berstend vor Ideen und Bildern, das sanfte Kidnapping in eine bessere Kinowelt. Minimale Schwächen im zweiten Akt sorgen dafür, dass es “nur” 9 von 10 Punkten gibt.

Der Frankster meint: “Ich hatte nach den vergangenen Tagen nicht mehr erwartet so einen phantastischen, kreativen und mitreißenden Film auf dem FFF zu erleben. Mein (bisher) persönliches Highlight und eine uneingeschränkte Empfehlung. Und natürlich der klare Favorit für den “fresh blood”-Award.”

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Gunnar Sadlowski
Gunnar Sadlowski
15. September, 2022 11:27

“Weil für die neuen Generationen der Horror des Zweiten Weltkriegs irgendwann die Realität und Gegenwärtigkeit der römischen Besatzung aus Asterix-Comics haben wird.”

Dazu ist der Vorwurf, irgendjemand sei ein Nazi, derzeit noch viel zu effektiv und effizient. Auch wenn der Begriff selbst natürlich längst jeglichen Inhalt verloren hat und nur noch willkürlich den rechts von Lenin bezeichnet, der nicht meiner Meinung ist. Oder, zu Ende gedacht: vielleicht ist genau diese Entfremdung das, was all diese Begriffe irgendwann Sinn entleeren wird. Vielleicht ist der Vorwurf irgendwann entkräftet, einfach nur weil das Wort keiner macht mehr hat. Oder es wird weiterhin zur Legitimation von allem hergezogen, weil das dritte Reich ein mega Horrorfilm war, was alles irgendwie gleich macht. Bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt.

Last edited 1 Jahr zuvor by Gunnar Sadlowski
S-Man
15. September, 2022 11:37

Ich hatte dieses FFF leider nur einen einzigen Tag Zeit. Und ich bin so glücklich, dass es dieser Tag wurde. Ja, Employee of the Month war “naja, so ok… für den Einstieg”, aber mit Freaks Out… Wow!

Der Film hatte mich durch seine großartige Optik schon in den ersten Minuten. Das Setting, die Charaktere, die Story, die Kostüme und Schauplätze und -spieler, die Optik und der Sound(-track) (man achte mal darauf, was “Franz” auf seinem Klavier spielt!). Alles, einfach alles daran ist toll. Ich liebe einfach alles an dem Film und ich bin ersthaft besorgt, warum dieser Film es nicht in die Mainstream-Kinos schafft, wenn man dort nebenher mit <setze hier drögen RomCom Kitsch aus deinem dazu gehörigen Blogpost vor einigen Tag ein> abgestraft wird. Das hier ist großes Kino und ich möchte jedem entgegenschreien: Gucken!

Dieser Film wird bei mir hängen bleiben und ich bin glücklich, endlich mal am richtigen Tag beim FFF gewesen zu sein. 12/10

PS: Der Film kam mir gleich irgendwie bekannt vor. Irgendwann viel mir ein, dass beim FFF letztes Jahr in der Galerie des Kinos in Berlin ein paar Setfotos ausgestellt waren von italienischen Filmen – unter anderem auch von Freaks Out, wie mir dann einfiel. Insofern finde ich spannend, dass es davon schon vor einem Jahr eine Ausstellung gab, er aber erst jetzt gezeigt wurde.

Toll, einfach nur toll. Und die Tage wird noch Jegg Robot nachgeholt.

Nummer Neun
15. September, 2022 12:03

Na herzlichen Glückwunsch. Den Film hatte ich bis kurz vor Schluß auch auf dem Zettel. Aber dann habe ich mich bei der Frage, für welchen Film ich meinen Feierabend eine Stunde nach vorne schiebe, für Huesara entschieden.

Dann hoffe ich mal, dass es Freaks Out doch noch zu einem Kinoreleas schafft. Oder er bald zumindest bei einem der (von mir besuchten) Streamer auftaucht.

Goran
Goran
15. September, 2022 16:19

Volle Zustimmung, das hier ist Fantasy!

AlphaOrange
AlphaOrange
17. September, 2022 23:11

Absolute Zustimmung! Das war großes Kino und ich war ganz erstaunt, als ich am Ende feststellte, dass der Film satte 140 Minuten gelaufen war.

Thies
Thies
17. September, 2022 23:13

Ich könnte hier nur wiederholen was der Hausherr und die ersten Kommentare bereits ausformuliert haben. Kino von seiner prallsten Sorte – man verlässt den Saal mit roten Wangen und einem breiten Grinsen.

Matts
Matts
24. September, 2022 16:23

Ich war auch absolut begeistert! Und bei dem Vergleich mit Guillermo del Torro gehe ich voll mit. Was für eine wunderbare Mischung aus Fantasy, Drama und Humor!
Auch wenn hier in Nürnberg erst die Hälfte vorbei ist, lehne ich mich aus dem Fenster und sage: Definitiv schon das Highlight des Festivals. Wenn der den Fresh Blood Award nicht gewinnt, dann läuft aber was ganz gehörig falsch.