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Sep 2022

Fantasy Filmfest 2022, Tag 4, Film 2: SICK OF MYSELF

Themen: Fantasy Filmf. 22, Film, TV & Presse, Neues |

Norwegen/Schweden 2022. Regie: Kristoffer Borgli. Darsteller: Kristine Kujath Thorp, Eirik Sæther, Anders Danielsen Lie, Fredrik Stenberg Ditlev-Simonsen, Sarah Francesca Brænne

Offizielle Synopsis: Signe und Thomas sind ein attraktives Paar, tatsächlich aber verbunden in innigem Narzissmus und erbitterter Konkurrenz, wer von den beiden der noch schlimmere Mensch ist. Als Thomas mit seiner bizarren Kunst tatsächlich von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, legt Signe nach mit einem Akt der Selbstzerstörung, auf den Extrempunker GG Allin stolz sein würde.

Kritik: “auf den Extrempunker GG Allin stolz sein würde” – das ist so falsch, dass nicht mal das Gegenteil richtig wäre. Ich muss unterstellen, dass der Autor dieser Zeile keine Ahnung hat, wofür Allin stand und starb.

Davon ab: geil. SICK OF ME ist trotz der Abwesenheit “echter” Horror-Elemente ein Trip durch eine wohlhabende Designer-Hölle, in der die Menschen den Mangel an tatsächlichen Problemen durch Egozentrik und Arroganz ausgleichen. Sie sind sich selber und einander Feind, weil ihr Leben sonst nur aus Altbauwohnungen, Restaurantbesuchen und gepflegter kultureller Teilhabe bestünde – und das kann es ja wohl nicht sein.

Signe ist eine unfassbare und dennoch absolut glaubwürdige Figur: eine junge Frau, die eigentlich alles hat – außer Ruhm, Aufmerksamkeit und die bedingungslose Bewunderung anderer Menschen. Ihre Bereitschaft zur Selbstverstümmelung kennt keine Grenze, jedes Geständnis gebiert neue Lügen, jede Konfrontation mit der eigenen Täterschaft deutet sie kongenial zur Opferpose um. Sie ist ein Monster ohne Fell und Klauen – und umso potenter, weil vermutlich jeder von uns schon mal eine Signe getroffen hat.

Ihr Freund Thomas ist keinen Deut besser – er hat nur das Glück, dass seine auf Diebstahl aufgebaute Karriere tatsächlich Fahrt aufnimmt und er es sich leisten kann, aus der Position der Macht heraus Signe subtil zu demütigen.

Das ist gleichermaßen schockierend wie humorvoll, spannend wie gruselig – ein filmischer Autounfall, bei dem man zuschaut, obwohl man weiß, dass man weggucken sollte. Und es gehört dazu, dass Regisseur Borgli uns nicht den Gefallen eines bequemen Endes tut.

Ach so, Borgli: Der begrüßte uns in einer Videobotschaft vorab und wir sind schwer verunsichert. Entweder ist der Typ ein Narziss ganz im Sinne von Signe und hat im Grunde genommen sein eigenes charakterliches Vakuum verfilmt – oder das war auch nur wieder “performance art” und er hat sich mit dem Clip ans Publikum quasi als Teil des Films inszeniert. Wer SICK OF ME gesehen hat, möge seine Meinung kund tun.

Fazit: Der destruktive Narzissmus der Wohlstandsgesellschaft mit ihrer Aufmerksamkeitsökonomie, eingefangen als eskalierendes Duell zweier unsäglicher Arschlöcher, deren Zerstörung wir mit großem Genuss zuschauen. 8 von 10 Punkten.

Der Frankster meint: “Eine böse Komödie über den krankhaften Drang zur Selbstdarstellung, bei der einem das Lachen oft im Halse stecken bleibt.”

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Thies
Thies
17. September, 2022 01:23

Fremdscham – der Film! Bis zum Schluss habe ich mich im Sitz gewunden, da die Protagonistin nicht nachließ um Aufmerksamkeit und Mitgefühl und 15 Minuten Ruhm zu betteln – die sich in den noch schneller drehenden Online-Medien inzwischen auf 15 Sekunden reduziert haben – und das für eine selbst herbeigeführte Hautkrankheit!

Der Film holt einige hübsche böse Pointen aus seinem Szenario, die Darstellerin kann auch unter mehreren Schichten von Make-up noch überzeugen und wirkliche Längen sind in den 90 Minuten auch nicht vorhanden. Trotzdem blieb da für mich aber auch immer eine zu große Distanz zu den handelnden Personen und ihrem Umfeld. Sick of myself? I was sick of them from the beginning!

Zu der Video-Begrüßung: die hatte ich als gespielten Witz verstanden, der im Gegensatz zu der Begrüßung zu “Megalomaniac” auch komisch war – wenigstens ein bisschen. Im nach dem Film zu sehenden Interview-Clip kam der Regisseur wesentlich weniger abgehoben rüber.

Matts
Matts
24. September, 2022 16:34

Es ist wirklich ein Film, bei dem am liebsten nicht hinsehen will. Und zwar nicht, weil er so brutal oder gruselig ist, sondern weil man Angst haben muss (wie schon Thies erwähnt hat) an einer Überdosis Fremdscham einzugehen – oder sich K.O. zu facepalmen. Einem Film, der sowas hinkriegt, muss ich einfach Achtung zollen.
Wegen dem Video von Borgli: Ich hab das auch eher augenzwickernd verstanden. Andererseits: Bei jedem Regisseur, der sich einen Cameo-Auftritt in seinem eigenen Film gönnt (er war doch der Regisseur bei dem Shooting gegen Ende, oder?), ist vermutlich ein gewisser Grund-Narzissmus vorhanden…