08
Sep 2022

Fantasy Filmfest 2022 Tag 1, Film 1: DON’T WORRY, DARLING

Themen: Fantasy Filmf. 22, Film, TV & Presse, Neues |

USA 2022. Regie: Olivia Wilde. Darsteller: Florence Pugh, Harry Styles, Olivia Wilde, Gemma Chan , KiKi Layne, Chris Pine u.v.m.

Offizielle Synopsis: Alice und Jack leben in einer idyllischen Gemeinde mit dem bezeichnenden Namen Victory. Die isolierte Firmenstadt mitten in der Wüste ist für die Mitarbeiter des streng geheimen Victory-Projekts und ihren Familien vorbehalten. Es sind die 1950er Jahre und CEO Frank versprüht den Aufbruchsgeist und Optimismus dieser Zeit als Unternehmensvisionär und motivierender Life-Coach in Personalunion. Während die Ehemänner ihre Tage in der Zentrale verbringen und an der „Entwicklung progressiver Materialien“ arbeiten, vertreiben sich die Frauen die Zeit mit dem Luxus, den das Unternehmen zu bieten hat. Jeder Wunsch wird ihnen von den Augen abgelesen, Voraussetzung ist einzig Diskretion und die bedingungslose Hingabe an die Ziele von Victory. Allmählich beginnt sich Alice zu fragen, was da eigentlich vor sich geht. Sie spürt immer stärker, dass etwas Bedrohliches hinter der verführerischen Fassade zu lauern scheint. Doch ist sie wirklich bereit, für die Wahrheit ihr perfektes Leben und Paradies aufzugeben?

Kritik: Als Opener ein “crowdpleaser” für ein möglichst breites Publikum – wie im vorletzten Jahr mit Palm Springs als offensichtlichem visuellen Background. DON’T WORRY DARLING hatte vor gerade mal drei Tagen Premiere in Venedig und hat mächtig “buzz” kreiert, nicht zuletzt wegen der augenscheinlich problematischen Umstände am Set: Verschiebungen wegen Covid, Shia LaBeouf als Hauptdarsteller zugunsten von Harry Styles gefeuert (der mit der Regisseurin liiert ist), Stress zwischen Styles, Pine und vor allem Pugh. Einfach scheint’s nicht gewesen zu sein.

Das macht es umso erstaunlicher, was für ein homogenes, bildstarkes und fokussiertes Drama DWD am Ende geworden ist. Mit einem fantastischen Stilgefühl wird die dynamische Welt der amerikanischen 50er neu erschaffen, perfekt repräsentiert durch den hippen Spießer-Wohlstand in Palm Springs. Und dann wird dekonstruiert. Stück für Stück, Stein für Stein. Unsere Heldin Alice, die sich wie in einem Sandkasten fühlt, buddelt nach den Geheimnissen unter der Oberfläche. Was sie findet, ist mehr als beunruhigend.

Das ist DIE FRAUEN VON STEPFORD, ein wenig auch TRUMAN SHOW und PLEASANTVILLE. Schönheit und Perfektion können keine Freiheit ersetzen, Sicherheit ist kein Substitut für Wahrheit oder Wahrhaftigkeit. Um es auf Adorno zu reduzieren: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Man kann auch Parallelen zu VIVARIUM von 2019 ziehen, der ähnliche Ideen deutlich artifizieller und reduzierter (und letztlich schwächer) präsentiert.

DON’T WORRY DARLING ist ein feministischer Film, der die nukleare Familie als eine auf Formeln basierende Schablone reduziert, die keine freien Entscheidungen zulässt, sondern nur eine Auswahl im “multiple choice”-Verfahren. Die Frauen sind den Männern untertan, die Männer ihren Vorgesetzten, und die Vorgesetzten vagen Ideen und Projekten, die niemand wirklich versteht.

Die Konsequenz der hier präsentierten Vision und die gnadenlose Haltung bis zur Abblende lassen auch darüber hinweg sehen, dass im zweiten Akt der Antrieb ein wenig nachlässt und das Konzept nur deshalb plausibel erscheint, weil es extrem vage erklärt wird. DWD ist ein Film, dessen Wirkung sämtliche Defizite platt bügelt.

Aktrice Olivia Wilde inszeniert ihren gerade mal zweiten Film mit erstaunlich sicherer Hand und während Florence Pugh erwartungsgemäß großartig ist, verdankt der Film die größte Überraschung dem gender-fluiden Popstar Harry Styles, der Alice’ Ehemann Jack mit erstaunlicher Präzision und einer großen Menge an natürlichem Charisma spielt. Chris Pine ist mal wieder im vollen eierschaukelnden Kirk-Modus, auch wenn er immer mehr nach dem jungen Jeff Fahey aussieht.

Ein in jeder Beziehung fantastischer Einstieg in das Festival. Aber ehrlich: ein noch langweiligeres Poster ging wohl nicht, oder?

Fazit: DIE FRAUEN VON STEPFORD für das 21. Jahrhundert – Konzept-SF zum Thema weibliche Selbstbestimmung, eine Dekonstruktion der “nuclear family”. Überlegen inszeniert, gespielt und visualisiert. Nur kleinere Schwächen in Konstruktion und dem zweitem Akt verhindern die Höchstwertung. 9 von 10 Punkten.

Der Frankster meint: “Eine sehr stylische und interessante Neuinterpretation des “Die Frauen von Stepford”-Themas, die aber etwas zu lange braucht um ihr Geheimnis zu enthüllen. Florence Pugh ist wie immer großartig.”

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P.S.: Als großer Fan von Palm Springs habe ich mich an den Bungalows und deren Inneneinrichtung im Film regelrecht besoffen. Ich war mit der LvA 2018 ja selber dort. Es würde mich nicht wundern, wenn man sich für die historischen Autos bei diesem Händler vor Ort bedient hätte:



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Nummer Neun
8. September, 2022 12:49

Vielleicht könntest du nochmal dein KI-erzeugtes Bild von vor einigen Wochen hervorkramen… das würde prima zu diesem Film passen. Der Film hat mich gut unterhalten, einer der besseren Eröffnungsfilme des Festivals. Auch wenn er gerne noch etwas mehr über die Aufklärung hätte erzählen können.

Olivia Wildes erster Film Booksmart fand ich dagegen ja eher lahm und konvetionell. Umso erstaunlicher, wie gut und flott sie diesen deutlich anspruchsvolleren Film hinbekommen hat.

Sven
Sven
8. September, 2022 12:57

Psst: Venedig und nicht Cannes🤫

Thies
Thies
15. September, 2022 02:49

Fesselnd ist das Szenario auf jeden Fall und die Darsteller verkörpern ihre Rollen tadellos. Irgendwann fühlte ich, dass meine Geduld überstrapaziert wurde, da einerseits ziemlich schnell klar war, dass der Ort nicht wirklich real sein kann, andererseits es aber nur wenige Andeutungen gibt, was sich hinter den Kulissen abspielt. Trotzdem ein sehr guter Start ins Festival.

Etwas befremdend war für mich die Security um den Film herum. Es wurde darauf hingewiesen, dass man alle elektronischen Geräte in der Tasche lassen sollte und während der Vorstellung standen mehrere Wächter mit Nachtsichtgeräten im Saal um jeden Versuch des Mitschnitts zu unterbinden. Glaubt Warner wirklich hier einen potentiellen Blockbuster in der Hand zu haben, dem eine schlechte mit dem Handy erstellte Raubkopie schaden könnte?

Matts
Matts
22. September, 2022 10:08

Klar, die letztendliche Auflösung ist keine neue Idee – der Wortvogel hat die Inspirationen schon genannt. Aber die Umsetzung hat mir gut gefallen. Ich muss aber auch dem Frankster und Thies zustimmen: Da mir auch schon spätestens nach der Hälfte klar war, worauf das höchstwahrscheinlich hinaus wollte, hat sich der Film ein kleines bisschen gezogen. Ich finde, er hätte nicht über zwei Stunden lang sein müssen. Am Ende haben mich auch ein oder zwei Punkte etwas ratlos zurück gelassen.
Trotzdem ein sehr schöner Einstieg fürs Festival. Harry Styles als Male Lead scheint auch gut zu ziehen: In Saal waren erheblich mehr junge Frauen als im nachfolgenden Film.

P.S: Ein interessanter (lustiger? trauriger?) Teil der Kontroverse hinter den Kulissen war auch, dass Olivia Wilde offen gesagt hat, dass Jordan Peterson Inspiration für Chris Pines Figur war – worauf natürlich dessen Jünger gegen den Film Sturm gelaufen sind.

Matts
Matts
23. September, 2022 10:55
Reply to  Torsten Dewi

Sehe ich ähnlich