Die Popcharts 1989: Eine letzte Ehrenrunde der 80er
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Francis hat sich ein wenig mehr Zeit als üblich mit der neusten Compilation gelassen. Es sei ihm vergönnt. Hier war ja auch viel los.
Im Grunde genommen kann ich für 1989 alles wiederholen, was ich über 1988 geschrieben habe: viel gesichtsloser Radiopop, eine brutale Dominanz von Stock, Aitken & Waterman, ein tapferes Durchhalten von Pop-Größen der frühen 80er. Die Pet Shop Boys produzieren Hits für fast so viele andere Künstler wie Dieter Bohlen. Marianne Rosenberg singt deutsch und englisch. Weder Kool & The Gang noch Marillion können mit frischen Sängern punkten. Neu dabei: Neneh Cherry, Fine Young Cannibals, Roxette, Texas, David Hasselhoff, Paula Abdul, Richard Marx. Aber man merkt deutlich: die 80er gehen dem Ende entgegen. Acid House nervt nun auch Leute, die die Musik nicht zugedröhnt beim Rave hören. "Pump up the jam" legt die ersten musikalischen Fundamente für die 90er. Deutsche Musik ist mal wieder out und die Reste peinlich. Die Italiener sind auf dem Rückzug. Das Angebot ist insgesamt breit, aber nicht sehr tief, die wirklich prägenden Trends fehlen.
Hier meine erwähnenswerten High/Lowlights.
Die "Revolution" von 1989 in 3 Minuten und 48 Sekunden – örks:
Es gibt ausreichend Grund, sich zu schämen:
Geht nicht schlimmer? Geht doch schlimmer: ALF-Stimme Tommi Piper versucht den Erfolg der TV-Serie in den Charts zu prostituieren:
Es ist das Jahr der großen Balladen – und das süße "rebel girl" Kim Wilde ist erwachsen geworden und trägt seinen Teil dazu bei:
Das vielleicht beste Beispiel für den oben erwähnten Radiopop – gesichtslose "Band", vergessenswertes Video, aber unbestreitbar catchy und mitsingtauglich:
Es gibt Songs, von denen ich nicht weiß, warum ich sie unangemessen inbrünstig hasse – das hier ist genau genommen keinen Deut schlechter als "Waiting for a star to fall", aber ich muss den Sender wechseln, wenn es im Radio gespielt wird:
Wenn es in dem Jahr ein tatsächlich wertiges One Hit Wonder gibt, ist es das hier:
Natürlich gibt es auch Novelty-Songs, die wir peinlich finden, deren trashiger Charme sich aber rückwirkend durchaus erschließt:
Ladies and Gentlemen – the original Britney Spears!
Vielleicht einer der besten Popsongs der 80er:
Es ist heute unfassbar, dass man zum ersten großen BATMAN-Film von Tim Burton tatsächlich ein paar Pop-Nummern von Prince produzieren lässt, die zwar für sich genommen super funky sind, aber so gar nicht zum Genre passen:
Mit seiner Stimme und seinem Aussehen hätte Robert Palmer locker eine Karriere als Crooner im Sophistipop machen können – und darum bewundere ich umso mehr, was für schräge Sachen der teilweise aufnimmt:
Wir wissen, dass Den Harrow seine gesamte Karriere im Italo-Pop auf fremden Federn aufgebaut hat – aber wahrlich, man muss ihm zugute halten, dass er sich für nix schämt. Wie Milli Vanilli mag er vielleicht nicht selber singen, aber er liefert die Performance:
Ich habe oft genug erwähnt, dass Daniel Blythe in der Encyclopedia of classic 80s pop das Jahr 1989 als das Jahr ausmacht, in dem die Popmusik einen elenden Tod stirb. Alle kreativen Säfte versiegen, Sequencer und Fließband-Produktionen aus gesichtslosen Studios übernehmen die Kontrolle, die Performer werden zweitrangig. Ein gutes Beispiel ist die überschaubare Karriere des Trios Big Fun, das komplett aus geklonten Model-Schönlingen besteht. Ich mag allerdings den Teil der Choreographie, wenn sie zu "don’t blame it on the good times" deutliche Bumsbewegungen simulieren:
Aber damit wollen wir nicht enden. Erinnern wir uns final lieber an diese wunderbare Coverversion des Francoise Hardy-Songs "Comment te dire adieu":
Ich würde wehmütig "bye bye 80er!" schreiben, aber die 80er sind ja nie von uns gegangen. Sie sind allgegenwärtig. Und das ist (meistens) gut so.
Eine Bemerkung zu Boy meets Girl: die zwei sind recht bekannte Songschreiber, haben einige Whitney-Houston-Hits geschrieben (z.B. I wanna dance with somebody oder How will I know). Den Song hier hat Whitneys Management abgelehnt, er wurde dann Belinda Carlisle angeboten, die ihn auch aufgenommen aber zunächst nicht veröffentlich hat. Weil die zwei von dem Song aber überzeugt waren, haben sie ihne selbst veröffentlich als "Boy meets girl".
Sehr spannende Zusatzinfo, danke!
Boy meets Girl erlebten bei mir mit bewußtem Song ein Revival, als dieses Youtubevideo, ein 80s-Tribute, in meinem Bekanntenkreis quasi viral ging. Da wurde gemeinsam ganz groß in Nostalgie gebadet.
https://www.youtube.com/watch?v=Z0eflYLkI4A
Ja, das ist ganz großartig.
"Neu dabei: … Bangles"
Hatten die nicht schon ein paar Jahre davor mit "Manic Monday" und "Walk Like an Egyptian" Hits oder verwechsle ich da die Band?
PS:
Ich finde es ein bißchen schockierend, daß die vermutlich bestbesetzte Superband aller Zeiten "The Traveling Wilburys" ihre Single "End of The Line" im deutschen Sprachraum nicht in die Charts bringen konnte…
Mein Fehler beim Schnelldurchlauf. Ist raus.
Das Stock/Aitken/Waterman immer noch die Charts dominieren hatte ich erwartet. Das ihr Sound inzwischen so austauschbar geworden ist, dagegen nicht. Sinita, Kylie, Jason Donovan und sogar Disco-Urgestein Donna Summer bekommen die selbe Sauce serviert mit der sie hausieren gehen dürfen. Von der Frische von "Never gonna give you up" oder "I should be so lucky" sind kaum noch Reste zu hören.
Für "Soulsister" habe ich einen nostalgischen Fleck in meinem Herzen, denn ich hatte ein paar Monate eine Brieffreundschaft mit einem belgischen Mädchen aufrecht erhalten, die ein großer Fan dieser Band war. Deren nächster Hit "Through before we even started" war leider programmatisch für die Entwicklung dieser Romanze.
Weitere Erwähnungen wert wären für mich diese "Drehung in der Nüchternheit", die für kurze Zeit die Charts toppte:
https://www.youtube.com/watch?v=7s8glZ-efMg
Die Beach Boys haben durch einen vergessenswertes Tom-Cruise-Vehikel noch mal einen Top-Ten-Hit:
https://www.youtube.com/watch?v=fJWmbLS2_ec
Und dann wäre da noch dieser aufstrebende Künstler aus Frankfurt:
https://www.youtube.com/watch?v=rGalkTAlpqM
Phillip Boa war in den Charts?!?
Augenscheinlich.
[…] Jahren von 0 bis 9 festmachen lässt, so lässt sich schwer bestreiten, dass nach einem bereits schwer verdaulichen 1989 irgendwas kippte. 1990 ist – wenn man es im Spiegel der deutschen Single-Charts betrachtet […]