Wir müssen über SHE-HULK sprechen… (spoiler)
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Das ging schneller, als ihr gedacht habt, oder?
Ich habe heute morgen die zweite Folge der neuen Marvel-Serie gesehen. Und auch wenn sie relativ unterhaltsam ist und dank knapp 22 Minuten Laufzeit (!) wahrlich keine Längen aufweist, kann ich nur noch den Kopf schütteln.
Zur ersten Folge hatte ich geschrieben, dass die Serie gut aus den Startlöchern kommt, aber immer diesen Unterton hat "Frauen sind permanente Opfer in einer Welt aus toxischen Männern". Das wirft eine Sackladung Fragen auf: Sind Frauen wirklich erst stark, wenn sie (dank eines Mannes!) Superkräfte haben und zwei Meter groß sind? Reicht "Frau sein" als das inhärente Trauma, das die auch moralische Überlegenheit des Superhelden zementiert? Ist ein solches Weltbild überhaupt Gleichberechtigung oder Gleichstellung und nicht einfach nur die Umkehrung der geschlechtlichen Vorzeichen?
Nun war das alles in der ersten Episode eine Art unterschwelliger Grundton, nicht Kern der erzählten Geschichte. Darum konstatierte ich final:
"Ich hadere mit der Frage, ob mich das doppelt ärgert, weil SHE-HULK so unterhaltsam ist – oder ob ich damit leben kann, weil SHE-HULK so unterhaltsam ist. Die nächsten Folgen werden es zeigen."
Die zweite Folge macht es mir nicht so schwer: SHE-HULK geht in Sachen Feminismus nun "all in". Die "Frauen gut/Männer blöd"-Nummer ist nicht mehr Hintergrund, sondern gleich Thema der Episode, die ansonsten keinen eigenen Plot zu bauen beabsichtigt – es fühlt sich nicht an wie eine Episode, sondern wie ein knapp halbstündiger Ausschnitt aus dem zweiten Akt einer Miniserie.
Jede Szene, jeder Beat der Folge ist nur dafür da, Jennifer Walters als kluge Frau in einer Welt aus geilen, dummen und oder skrupellosen Männern zu verkaufen. Und nebenbei biegt man sich das gesamte moralische Verständnis des MCU auf dieses Konzept zurecht. Dass es dabei knirscht, dürfte niemanden wundern.
Gehen wir es mal durch.
She-Hulk hat am Ende der ersten Episode ja "Titania" kräftig eine gesemmelt:
Wer Titania ist? Was sie will? Weshalb sie vor Ort war? Blieb im Dunkeln.
Folge 2 gibt etwas mehr Kontext – setzt euch besser hin: Titania ist eine "Super-Influencerin". I shit you not:
Ehrlich? Noch lamer, noch mehr an den Zeitgeist rangekuschelt ging’s nicht? Was soll das überhaupt sein?!
Und weil WONDER WOMAN 1984 und THOR: LOVE & THUNDER es vorgemacht haben – böse Supervillains sind out. Die sind alle nur missverstanden, wie eine Texteinblendung mit einem Statement von Titanias Anwalt verdeutlicht:
Eine Heldin, die angeblich klüger, beherrschter und womöglich stärker ist als der Hulk, der einen Chitauri-Leviathan mit einem Faustschlag stoppen konnte, kämpft gegen eine "Super-Influencerin" mit einem bissigen Anwalt?!
Nun wäre der She-Hulk für jede Anwaltskanzlei ein Traum – bessere PR KANN man sich nicht wünschen! Wer möchte nicht die "Super-Anwältin" auf seiner Seite haben?! Solche Werbung ist unbezahlbar!
Aber nicht in der Welt von She-Hulk, in der grundsätzlich alte weiße Männer die Entscheidungen treffen – deshalb wird sie von ihrem Boss entlassen. Arschloch.
Ihr Kollege, der sie sowieso als Konkurrenz um den Platz in der Kanzlei sah, wirft ihr vor, rein egoistisch gehandelt zu haben. Arschloch.
Die arme Jennifer Walters muss nun einen neuen Arbeitsplatz suchen – aber überall wird sie abgelehnt – wie gesagt, aus irgendeinem Grund ist in dieser Welt die Chance, eine Superheldin im Team zu haben, etwas Schlechtes. Arme Jennifer:
Sie kassiert von mehrheitlich männlichen Kanzleichefs nur Absagen: Arschlöcher.
Jennifer besucht ein Familienfest in der Heimat und weil der Feminismus auch die "nuclear family" demontieren will, sind sämtliche Männer dort was? Genau, Arschlöcher. Onkel, Bruder, Cousin, allesamt.
Es wird zumindest impliziert, dass wenigstens Jennifers Vater (der in dieser Funktion weder beruflich noch sexuell ein Konkurrent ist) ein wenig Verständnis hat. Aber auch das wird nicht lange halten.
Dann die… Wende? Jennifer bekommt einen neuen Job in einer großen Kanzlei angeboten – von einem Arschloch:
Die Vorbedingungen: Jennifer muss als She-Hulk arbeiten und eine Abteilung für die rechtlichen Belange von Superhelden-Fällen leiten. Die "böse" Kanzlei sieht das als genau die großartige PR, die es natürlich ist. Hier ist es bloß Ausbeutung.
Wer bei der Kanzlei arbeitet: jede Menge weiße alte Männer, die sich hinter verschlossenen Türen über die Nöte der Mandanten lustig machen – Arschlöcher:
Aber da – ein netter neuer Kollege reicht einen Präsentkorb rein…
… mit einem "floor plan" zum Klo, wo man ungestört scheißen kann. Idiot.
Jennifers erster Fall? Sie soll Emil Blonsky beim Antrag auf Begnadigung helfen, aka Abomination, der in THE INCREDIBLE HULK 2008 noch gegen Edward Nortons Hulk angetreten war. Ein echtes Arschloch.
Nun ist eine Sache, dass Blonsky allen Ernstes argumentiert, er habe nur Befehle ausgeführt und sei ja auch nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen – eine andere, dass Jennifer allen Ernstes so doof ist, ihm das abzukaufen, zumal Tim Roth in dieser Szene wirklich nur noch der Schnurrbart zum Zwirbeln fehlt.
Es geht aber noch besser: auch Bruce vergibt Blonsky alle Sünden, weil dieser sich entschuldigt und ein nettes Haiku geschrieben hat (!).
Darüber hinaus kann Bruce Jennifer gerade auch nicht helfen. Idiot.
SHE-HULK hat sich hier in die Ecke geschrieben: Als Anwältin MUSS Jennifer Walters Blonsky verteidigen. Er ist aber offensichtlich immer noch "evil". Die Lösung wäre, dass Jennifer ihn zwar verteidigt, aber wachsam bleibt und hinter den Kulissen gegen ihn arbeitet. Das geht aber nicht, weil Jennifer offensichtlich als Anwältin reineren Charakters dargestellt wird, die niemanden verteidigen würde, an dessen Unschuld sie nicht glaubt. Ergo MUSS sie Blonsky glauben, was sie extrem naiv wirken lässt und genau das Gegenteil von dem transportiert, was SHE-HULK gerne sagen will.
Ich spoilere mal die Punchline der Episode nicht, falls ihr selber reinschauen wollt.
Während der Credits wird dann noch der gute Eindruck, den der Vater gemacht hat, komplett demontiert – er lässt She-Hulk schwere Hausarbeiten erledigen.
Arschloch.
Man sieht: SHE-HULK setzt voll auf die "mausige Frau in der bösen Männerwelt"-Nummer, die wir schon bei ALLY MCBEAL ziemlich abgestanden fanden. Allerdings waren bei ALLY MCBEAL die Männer wenigstens differenziert gezeichnet und meist mehr schräg als böse. Ich erinnere mich, dass Ally in der Pilotepisode ihren Job dadurch bekommt, dass sie sich sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht gefallen lässt.
Die Message von SHE-HULK bleibt dabei komplett nebulös, denn Jennifer Walters braucht She-Hulk, um sich durchzusetzen. Was sagt das über sie aus? Und wenn sie in die Lage versetzt wird, als Jennifer Walters für sich selber einzustehen – macht das She-Hulk dann nicht komplett überflüssig?
Wie gesagt: locker weg gucken lässt sich SHE-HULK immer noch. Aber wenn man einmal die Blutspur aufgenommen hat, die diese Serie sehr offensichtlich legt, dann findet man die Kopfpatscher in wirklich jeder bemühten Szene.
Die Serie ist okay – ihr Weltbild ist zum Kotzen.
Ich bin sicher, ich sehe das nur wieder total überzogen, um euch zu provozieren. Was stimmt. Bis zu einem gewissen Grad. Dafür bin ich da.
P.S.: Im Kontext anderer Recherchen bin ich noch auf etwas gestoßen, das ich zu meinem ersten Review als Ergänzung beisteuern möchte.
Ich hatte ja geschrieben, dass Jennifer Walters/She-Hulk bereits für den TV-Film DEATH OF THE INCREDIBLE HULK vorgesehen war. Es stellt sich raus – mehr noch: Ein weiterer Hulk/She-Hulk-Crossover-TV-Film war Anfang der 90er konkret in Arbeit (es gibt Hinweise auf ein paar geleistete Drehtage). Ähnlich wie bei der HULK-Serie sollten die Rollen von Jennifer Walters und She-Hulk von zwei Darstellerinnen gestemmt werden, die ich rückblickend als ziemlich perfektes Casting bezeichnen möchte.
Die Anwältin hätte in der neuen Serie, die aus dem TV-Film hervorgehen sollte, Mitzi Kapture gespielt, die später in der sehr erfolgreichen Kabelserie SILK STALKINGS ihr Zuhause fand:
Die Rolle von She-Hulk sollte an die statueske Volleyballerin Gabrielle Reece gehen, die auch mehrfach als Wonder Woman im Gespräch war:
Leider gibt es von dieser abgebrochenen Produktion keinerlei Bildmaterial. Gabrielle Reece zog sich aber ein paar Jahre später für den Playboy aus, immerhin.
OK, 22min kann ich heut abend im Bett weggucken, aber ernsthaft: die spielen wieder die "Superhelden kriegen keine Jobs/Studienplätze/Geld"-Nummer? War doch schon bei Cpt America und Spiderman unglaubwürdiger Unsinn.
Das wird sogar explizit von Jennifer als Argument angebracht, warum sie nicht zu den Avengers gehen will: "Haben die Krankenversicherung? Werden die bezahlt?"
"Ehrlich? Noch lamer, noch mehr an den Zeitgeist rangekuschelt ging’s nicht? Was soll das überhaupt sein?!"
Kurz gesagt: Etwas, das mehr in "The Boys" reinpaßt als ins MCU.
"wie gesagt, aus irgendeinem Grund ist in dieser Welt die Chance, eine Superheldin im Team zu haben, etwas Schlechtes."
Welchen Benefit haben Jennifers Superkräfte für eine Anwaltskanzlei? Das eine Mal, wo sie ihre Kräfte öffentlich eingesetzt hat, nutzte das der Gegenseite im Prozeß. Noch dazu kennt der Rest der Welt nur den Hulk, der erst nach Jahren einer der Guten wurde – also diesen Teil der Geschichte konnte ich noch nachvollziehen. Und man kann es zumindest so sehen, daß Jennifer ihr Handeln eben nicht durchdacht und Bruce im Endeffekt recht hatte.
Zu Abomination: Bis zu einem gewissen Grad (ich glaub bis zur Mitte des Norton-Hulk-Films) hat er ja recht. Blonsky wurde von der Regierung mit dem Superserum abgefüllt (dessen Auswirkungen auf die Psyche ja bekannt sind).
Ist er "evil"? Die Vorkommnisse in Shang Chi lassen mich daran zweifeln. Ich denke eher, man wird ihn auf einen Loki-artigen Charakter umpolen.
Insgesamt: Nach Folge eins und selbst nach Ansehen der Folge heute, fand ich es nicht so schlimm. Nach Durchlesen des obigen Textes muß ich aber gestehen, daß ich überzeugt bin…
PS: Speziell darf es keine weiblichen Bösewichte mehr geben – das beste Beispiel ist für mich Scarlet Witch in Wandavision und Multiverse of Madness…
"Welchen Benefit haben Jennifers Superkräfte für eine Anwaltskanzlei? " – wenn ich es doch extra reinschreibe:
"Nun wäre der She-Hulk für jede Anwaltskanzlei ein Traum – bessere PR KANN man sich nicht wünschen! Wer möchte nicht die “Super-Anwältin” auf seiner Seite haben?! Solche Werbung ist unbezahlbar!"
Naja, kenne mich mit US Kanzleien nicht aus, aber von seriösen Anwaltsfirmen würde ich schon erwarten, dass sie She-Hulk bewusst absagen. Aber sicherlich gibt es dennoch genug Kanzleien in den USA, denen das gut stehen würde. Die Welt von Avengers ist echt komisch, das Falcon solche Probleme hat, war ja schon äußerst unglaubwürdig. Wäre aber witzig, wenn She-Hulk am Ende einen potentiellen Arbeitgeber wegen Rassismus verklagen würde, immerhin ist sie ja ein Supermensch 😀
"Naja, kenne mich mit US Kanzleien nicht aus, aber von seriösen Anwaltsfirmen" – da liegt der Denkfehler. In den USA dürfen Kanzleien auf breiter Front für sich werben, sie buhlen um Kundschaft wie Fastfood-Ketten. Ein "high profile celebrity lawyer" wäre deren feuchter Traum.
Möglich, aber wie gesagt: In der Kernkompetenz einer (Staats)anwältin – nämlich Fälle gewinnen – hat sie ja gerade eine Schlappe erlitten. Aufgrund ihres Hulk-Daseins. Daß die Jobabsagen dann alle so passieren, ist vielleicht nicht wahrscheinlich, aber noch irgendwie plausibel. Was daran übrigens komplett unrealistisch ist: Derart direkte Absagen (anstatt vager Aussagen a la "Wir denken Sie passen nicht zu uns"), die eine Diskriminierungsklage mit nahezu 100%-iger Erfolgschance nach sich ziehen könnten.
Aber hier sind in meinen Augen die Autoren einfach nicht clever genug. Am Ende passiert alles nur, damit man von A (Jennifer Walters als Staatsanwältin) nach B (Jennifer Walters als Verteidigerin von Menschen mit Superkräften) kommt – egal wie wenig Sinn das macht.
Wenn man das mit David E Kelley vergleicht, der ja auch ausgebildeter Rechstanwalt war, sind da Welten dazwischen…
Nein, es ist nicht plausibel – weil Jennifer Walters She-Hulk kontrollieren kann. Sie kann jedem Arbeitgeber garantieren: "Kommt nicht wieder vor."
Meine "suspension of disbelief" hat diese Szene im Moment des Ansehens nicht gebrochen. Ich gebe aber zu, daß man wohl nicht allzuviel über das Geschehen in She Hulk nachdenken sollte, sonst fällt der Plot auseinander.
Was mich hingegen ein bißchen aus der Serie rausgeholt war, war das She Hulk CGI – genauer gesagt fand ich es etwas unnatürlich wie She Hulk sich bewegt. Aber das mag auch eine Frage des persönlichen Geschmacks sein.
Die kurze Laufzeit der Folge macht mich auch etwas stutzig. Irgendwie vermute ich, daß das so nicht geplant war, als die Drehbücher geschrieben wurden…
Dass sie sich etwas CGI-ungelenk bewegt, lässt sich kaum bestreiten. Da ist definitiv noch Luft nach oben. Ansonsten fällt mir auf, dass du sehr gerne Mutmaßungen anstellt. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass man die Laufzeit nicht pi mal Daumen auf "unter 30 Minuten" festgelegt hat.
Vom "Was bisher geschah" bis zu zum Abspann sind es in etwa 21 Minuten. Das ist sehr kurz und der Plot ist obendrein nicht wirklich straff. Klar, auf einem Streamingsender müssen Serien nicht mehr gleich lange Episoden haben.
Was meine Vermutung nährt sind Aussagen von Showrunnerin Jessica Gao, daß She Hulks Origin erst in einer späteren Folge abgehandelt worden wäre (aber Kevin Feige auf den Origin in Folge eins gedrängt hat). Das hieße dann, daß diese Folge (mit den 4-5 Minuten der letzten Folge, die nicht den Origin behandelten) irgendwann einmal die ursprüngliche Pilotfolge war. Hätte das mehr Sinn gemacht?
Ich beteilige mich nicht an Spekulationen – das ist ja das, was ich an dir kritisiere.
So, gestern abend geguckt und die Kopfpatscher dringen problemlos in Picardsche Dimensionen vor, wenn man die 22min hochrechnet:
Ja, alles sehr unterhaltsam erzählt und so, aber Sinn ergeben tut hier absolut nix mehr…
Kann ich alles so unterschreiben.
Zum letzten Punkt: Hast du Shang Chi gesehen?
Das am Ende ist offenbar der Cagefight zwischen Abomination und Wong, der in Shang Chi dargestellt wurde – eine abgekartete Sache (a la Wrestling), wo am Ende Wong Blonsky wieder zurück ins Gefängnis bringt.
Und wenn Wong (einer der "Guten" im MCU) mit Blonsky gemeinsame Sache macht – wie kann der dann einer der "Bösen" sein? Wie gesagt: Der wird wohl auf Antiheld umgepolt.
Ebenso wie die Storyline um Bruce irgendeine andere Serie anteasert.
Den großen Hype um diese MCU-Verbindungen sehe ich aber nicht (ganz anders noch, als die Post-Credits Szene im Norton-Hulk erstmals die Avengers ins Spiel gebracht hat).
Ich geb’s auf.
Gesehen ja, aber das meiste wieder verdrängt… vielen Dank für den Hinweis!
OK, nochmal den Cagefight von Shang-Chi geguckt, da wird aber auch nicht erklärt, warum Blonsky das macht. Aber gut, vllt kommt da was in Folge 3.
Klugscheiss-Modus: die Avengers wurden erstmals in der Post-Credit von Iron Man erwähnt, der war vorher.
Und Hulks Verschwinden ist erstmal alleine eine Plot-Convenience, alles andere pure Spekulation.