Aygo no go: Begrabt meinen Kolben an der Biegung des Flusses
Themen: Neues |Vor knapp zwei Wochen habe ich von dem Unfall berichtet, bei dem mein Aygo schuldlos beschädigt worden war. Das hier ist die Fortsetzung ohne Happy End.
Ich mache mir eigentlich keine großen Sorgen. Die Schäden sind weitgehend kosmetischer Art – Plastikverschalungen gebrochen, Blech an der Heckklappe minimal eingedrückt, Glas eines Rücklichts kaputt. Nichts, was mein Schrauber S. nicht an einem lässigen Wochenende wieder hinbiegen könnte. Darum bin ich auch relativ guter Dinge, als ich den Wagen zu dem Toyota-Händler fahre, bei dem ich ihn 2008 gekauft habe. Ich brauche für die Versicherung der Unfallverursacherin ja ein Gutachten über die “offiziellen” Instandsetzungskosten.
Der junge Mann von der DEKRA schaut sich den Wagen kurz an und sagt dann genau das, was ich als Laie eigentlich ausgeschlossen habe:
“Ne, das lohnt sich nicht, das ist ein Totalschaden.”
Ich neige nicht dazu, Gegenstände zu vermenschlichen, aber das tut doch einen Stich. Der Aygo ist zwar seit geraumer Zeit (eigentlich schon immer) nur unser Zweitwagen, aber ich hänge an ihm. Wir haben einiges zusammen erlebt. Der ist so schön klein, praktisch und zuverlässig. Ich bin mit ihm nach Sylt und zurück gefahren. Er hat knapp 90.000 Kilometer auf dem Tacho. In 14 Jahren war er exakt einmal wegen einer Reparatur in der Werkstatt. Selbst der Lack zeigt keinerlei Alterserscheinungen.
Totalschaden.
Ich gestehe, dass ich unterstelle, dass weder die Sachverständigen noch die Autohändler ein Interesse an einer Reparatur haben – es ist einfacher und lukrativer, Autos aus dem Verkehr zu ziehen. Fakt ist: Der Wagen fährt, Motor und Karosserie sind in Ordnung. Wenn man nicht auf Schönheit, sondern auf Fahrtauglichkeit achtet, sollte die Instandsetzung keine 1000 Euro kosten.
Das Gutachten sagt etwas anderes: 7.543,54 Euro.
Ich lerne jetzt, wie so etwas vor sich geht. Die Reparaturkosten übersteigen den Wiederbeschaffungswert meines Wagens – also das, was ich zahlen müsste, um einen Wagen gleichen Modells im vergleichbaren Zustand zu kaufen. Das ist sicher richtig. So wird die Versicherung der Gegenseite nur den Wiederbeschaffungswert zahlen müssen – abzüglich des Restwertes im unreparierten Zustand, denn der Wagen wird nun automatisch über eine Online-Börse angeboten.
Das Gutachten liefert harte Zahlen: Der Wagen hat einen Wiederbeschaffungswert von 4.500 Euro. Das beinhaltet einen Restwert von 850 Euro. Demnach muss mir die Versicherung der Gegenseite voraussichtlich 3.650 Euro auszahlen.
An dieser Stelle könnte ich noch einhaken, die 3.650 Euro nehmen und meinen Wagen behalten. Ich würde quasi 850 Euro “bezahlen”, bzw. auf diese verzichten. Dann könnte ich den Aygo zu S. bringen und wieder flott machen lassen.
Aber das sind diese Momente, in denen man sich einfach mal die Sinnfrage stellen muss. Seit Jahren spreche ich mit meiner Frau immer wieder darüber, dass wir eigentlich keinen Zweitwagen brauchen. Wir arbeiten beide im Homeoffice. In den seltenen Fällen, in denen der BMW nicht vor der Tür steht, kann ich mit meiner Vespa fahren.
Ist das hier nicht ein Wink des Schicksals? Ich bekomme vermutlich mehr Geld raus, als ich bei einem Verkauf des Wagens hätte erzielen können. Weg mit Schaden (im wahrsten Sinne des Wortes). Es wird erledigt, was zu erledigen ich selber zu träge war.
Aber es widerstrebt mir. Ich hänge an dem Wagen. Wir haben viel zusammen durch gemacht. Und angesichts der überschaubaren Reparaturen habe ich das Gefühl, einen Hund zu erschießen, weil er sich an einem Rosenbusch einen Kratzer geholt hat. Das hat mein Aygo nicht verdient.
Machen wir uns nichts vor: Ich kann hier nicht immer Vernunft und Klarheit predigen und dann einem Haufen Blech und Schrauben nachweinen. Das ist albern. Die Entscheidung fällt, wie sie fallen muss: weg damit.
Hätten wir noch ein Patenkind, das gerade ins Führerscheinalter kommt und einen Erstwagen braucht, bei dem ein Kratzer keine Katastrophe darstellt, dann wäre das vielleicht noch was anderes. Haben wir aber nicht.
Und so findet sich ein Händler aus dem Umland, der die von der DEKRA veranschlagten 850 Euro Restwert zu zahlen bereit ist. Ich fahre mit dem Roller und den Toyota-Papieren zur Filiale, es gibt einen formlosen Vertrag und eine Sofort-Überweisung per Handy. Binnen zwei Minuten bekommt der Aygo einen neuen, wenn auch nur temporären Besitzer. Ein letztes Foto:
Ich frage den Käufer nicht, was passieren wird. Ich will es gar nicht wissen.
Was bleibt? Diese Aufnahme bei Google Streetview:
Das Bild ist von 2010. Mein Haus ist noch unrenoviert (das Straßenschild liegt heute bei mir im Keller), der Aygo steht fast nagelneu neben meinem Aprilia-Roller, der seine eigene Geschichte hatte. Selbst den kleinen Kräuter- und Teeladen dahinter gibt es nicht mehr.
Das ist ausreichend Nostalgie für mich.
Das kommt mir sehr vertraut vor.
Nach Jahren des “Ich brauche den eigentlich nicht”, “Das Auto kostet einfach viel zu viel Geld”, “Ich will da nix mehr reinstecken” und “Wenn der nicht mehr über den TÜV kommt, dann erstmal kein Auto mehr” – und dann doch ständig Reparaturen knapp unterhalb der Schmerzgrenze – bin ich meinen letztens genau so losgeworden. Habe es auch als Wink des Schicksals genommen, den Worten endlich Taten folgen zu lassen. Wobei der deutlich mitgenommener aussah als deiner – da tut es einem ja wirklich weh, den als Totalschaden bezeichnen zu müssen.
Nur die Schadensregulierung zieht sich hier leider seit Monaten und es ist noch kein Ende in Sicht.
Da ich unbestreitbar schuldlos bin, habe ich das an einen Anwalt übergeben, der mit Toyota zusammen arbeitet. Da muss ich mich erfreulicherweise um nix kümmern.
Ich hatte letztes mal (2018) auch das Gefühl das die gegnerische Versicherung sich etwas hmmm “zurückhält”.
Ich hab dann die Schreiben des Anwalts einer ähnlichen” Situation (ca. 2009) ein bisschen als Inspiration genommen was ich so fordern sollte und wie ichs formulieren könnte.
Die Versicherung hat sich dann 1:1 meinen Forderungen angeschlossen, ohne das ich erneut einen Anwalt konsultieren musste.
Ich mag meine Autos auch sehr. Vor 3 Jahren ist mir jemand in meinen geliebten, damals 5 Jahre alten Dacia Dokker hinten reingefahren – totalschaden oder reparatur waren ungefähr gleich teuer.
Für nicht mal 4000 EUR mehr konnte ich mir das gleiche Auto “Nagelneu” kaufen. Mit Garantie etc.
Da war das für mich leider auch keine Frage – Nagelneues auto mit neuen Motor, Bremsen Reifen etc oder an “meinem” Gerät hängen.
Also etwas schweren herzens verkauft, absolut gute Entscheidung.
Der Käufer hat ihn ins Osteuropäische Ausland verkauft, ich tröste mich mit dem Gedanken das Villeicht eine Familie ihn jetzt ausgebeult und repariert fährt und mit “ihm” noch immer Glücklich ist.
Wer weiß, villeicht fährt dein Aygo jetzt ja auch so rum 😉
So wie es im Moment auf dem Gebrauchtwagenmarkt aussieht halte ich das auch für wahrscheinlich.
Der findet bestimmt noch einen neuen, glücklichen Besitzer.