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Jul 2022

BRAVO! Das Jahr 1971

Themen: BRAVO!, Film, TV & Presse |

Letztes Mal hatten wir die launigen späten 80er, nun sind wir wieder in den beigen frühen 70ern unterwegs. Falls jemand sich nicht erinnert:

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Die BILD macht mit einem der ersten großen Fernsehskandale auf:

Auch das kann man wunderbar auf YouTube “nachschlagen”:

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Der SPIEGEL entdeckt die Landflucht der Jugend, die auch kein anhaltender Lifestyle-Wechsel werden sollte – sind heute alles Banker, Bullen und Berater:

Deutlich relevanter in diesem Jahr ist allerdings dieses Cover des STERN, das eine breite politische und gesellschaftliche Diskussion auslöst:

Und sonst so? Es geht voran:

  • In der Schweiz bekommen die Frauen das Wahlrecht
  • Bei der Bundeswehr dürfen lange Haare getragen werden
  • Die “Sendung mit der Maus” startet
  • Erich Honecker wird Erster Sekretär des Zentralkomitees der SED
  • In München kommt es zum ersten Banküberfall mit Geiselnahme
  • Ärzte ohne Grenzen und Greenpeace werden gegründet

Aber das sind alles keine Themen für die BRAVO. Das hier sind die Themen der BRAVO – in epischer Breite. Nehmt euch Zeit.

Stars! Stars! Stars!

Nach zwei Jahren sind die Bee Gees endlich wieder zusammen – NIE, NIE wieder werden sie sich trennen. Denkt man. Und liegt grundfalsch. Ich möchte in dem Zusammenhang gerne explizit auf Robins Frisur (r.o.) hinweisen:

Ich unterstelle, dass viele der besten Geschichten in der BRAVO von ausländischen Magazinen eingekauft und lediglich übersetzt wurden. Es ist derart auffällig, wenn die BRAVO tatsächlich mal exklusive und journalistisch interessante Inhalte aufweisen kann, dass mein Skepsis-Detektor sofort anspringt. So glaube ich nicht, dass die Redaktion diese aufwändigen Homestorys selber konzipiert und produziert hat:

Schöner werden die Gesichter des Rock und Pop 1971 (noch) nicht – klickt euch auf eigene Gefahr durch die Galerie:

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Ich habe aus dieser Aufzählung ein Beispiel bewusst heraus gelassen. Sozusagen die perfekte Rock-Raupe zum Pop-Schmetterling. 1971 berichtet die BRAVO nämlich auch gerne von der noch ganz frischen Band Chicago, deren Bassist (nicht Sänger!) Peter Cetera aussieht, als hätte kein Mädchen auf dem “willst du mit mir gehen?”-Zettel jemals “ja” angekreuzt:

Zehn Jahre später ist er Lead-Sänger der Band, Mega-Star und kann sich offensichtlich ein paar Termine beim Beauty-Doc buchen:

Der Film-“Lümmel” Hansi Kraus ist die 70er-Ausgabe von Tommi Ohrner – er gibt bei den “lustigen” Filmen der LISA den Frechdachs, den (nur angeblichen) Rebellen gegen die Spießigkeit der Erwachsenen. Verlogenes, an der Zeit vorbei gedrehtes Opa-Kino, und darum passt auch diese Geschichte ganz prima, in der Kraus sich an der (vorgetäuschten) Verschwendung von Deutschmark versucht:

Es liegt in der Natur der Sache, dass Stars ihr Haltbarkeitsdatum überschätzen und sich nach einem One Hit-Wonder schon als Legende für die Hall of Fame sehen. Seltener ist, dass ein Star sein eigenes Potenzial massiv unterschätzt:

Ivan Rebroff lässt sich nicht gerne in die Karten schauen:

Pssst… PSST….! Hans Rolf Rippert!

Miguel Rios war kurzzeitig ein Star mit “Song of Joy”, einer Pop-Version der Ode an die Freude. Warum die BRAVO ihn ihm Rahmen eines so perversen Picknicks inszenieren musste, entzieht sich meiner Kenntnis. In Afrika hungern die Leut’!

Nur gelegentlich macht sich die BRAVO die Mühe, Zahlen und Fakten zu präsentieren – vermutlich ist der Aufwand zu groß und die blanke Zahl zu langweilig. Aber hier hat eventuell die Pressestelle des ZDF selber die Vorarbeit übernommen und die BRAVO hat die Statistiken lediglich in Szene gesetzt. Spannend ist es auf jeden Fall – Chris Roberts ist der König der HITPARADE:

Die Dominanz von Roberts ist umso erstaunlicher, da die Sendung 1971 erst seit knapp drei Jahren einmal monatlich läuft.

Der hier erwähnte Song “Barfuss im Regen” von Michael Holm ist es wert, immer wieder mal gespielt zu werden. Mehr Zeitkolorit geht nicht:

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Ich weise auch noch einmal darauf hin, dass Holm im Jahr davor den Soundtrack zu HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT geschrieben hat.

Sein junger Kollege Peter Maffay träumt hingegen vom Wechsel aus der Hitparade in den Rockpalast:

Bekannt aus Film, Funk und Fernsehen!

Besondern schön finde ich es, wenn man in der BRAVO auf Sendungen stößt, von denen man noch nie gehört hat. Ich werde beizeiten mal über das Oeuvre von KLIMBIM-Erfinder Michael Pfleghar schreiben. 1971 strahlt das ZDF eine von ihm produzierte Slapstick-Show aus, in der Eddie Constantine (“Lemmy Caution”) im Blackface auftritt. Das würde SO heute auch kein Unterhaltungschef mehr durchwinken:

Im Archiv der Bayerischen Staatsbibliothek findet man noch ein Foto von den Dreharbeiten – und Elisabeth Volkmann ist auch schon dabei.

Da Sean Connery gerade mit DIAMANTENFIEBER beschäftigt ist, wird er gleich mehrfach erwähnt. Bei den Details ist die BRAVO noch etwas unsicher:

Später interviewt man Connery auch noch und der gefeierte Mime entpuppt sich als sexistischer Macho – eine Einstellung, für die er sich erst im neuen Jahrtausend kritisieren lassen musste:

Natürlich sagt er das, was alle Bond-Darsteller nach jedem Film sagen: nie wieder Bond. Deshalb hieß sein nächster Bond ja auch SAG NIEMALS NIE:

Von einem Fußmarsch von London nach München wissen die Geschichtsbücher übrigens nichts zu berichten. Was geht ihn sein Geschwätz von gestern an?

Die Prophezeiung von Tom Hunter (den ich auch erst mal googeln musste) schwächelt ebenfalls – er starb bereits 2017:

Die absolute Modeikone der frühen 70er (fragt eure Eltern) ist übrigens der Schauspieler Peter Wyngarde, dessen Figur “Jason King” aus der englischen Serie DEPARTMENT S in einen Spinoff verlegt wird. Einerseits bewundere ich die Eier, so rumzulaufen – andererseits macht es mich fassungslos:

In ihren Telegramm-News hat die BRAVO nachgezählt:

Ein weiterer britischer Import, der bei uns vor ENTERPRISE und MONDBASIS ALPHA Furore macht, ist die Science Fiction-Serie UFO (genau genommen der Vorläufer von ALPHA) – die BRAVO besäuft sich förmlich an der Futuristik:

So einen “Interceptor” hatte ich damals sogar als Spielzeug:

In einem kleinen Schnipsel über die junge Hannelore Elsner wird über die Fertigstellung einer neuen deutschen SF-Produktion berichtet:

Wortvogel-Leser wissen mehr. Der Zweiteiler spielt natürlich nicht im Jahr 2000. Und es heißt “einem Ausblick” und nicht “einen Ausblick”.

Komplett daneben ist bei der BRAVO die Berichterstattung über die sehr populären “Django”-Western. Dazu muss man wissen: Es gab nur EINEN “echten” DJANGO-Film. Ein zweiter Franco Nero-Western wurde im Nachhinein dazu umgetextet (DJANGO – SEIN GESANGBUCH WAR DER COLT). Erst 1987 spielte er die Rolle wieder in DJANGOS RÜCKKEHR. Alle anderen um die 70 “Django”-Filme sind nicht offiziell und verwenden den Namen der Figur oft nur im Titel oder der deutschen Synchro. Zugegeben, das ist nicht leicht auseinander zu halten, zumal man 1971 weder in der IMDB noch der Wikipedia nachschlagen kann. Dennoch ist das hier falsch:

Und noch falscher wird es im Interview mit Franco Nero – angesichts des hier präsentierten Unfugs frage ich mich wirklich, ob die Dame den Schauspieler überhaupt getroffen hat:

Und schließlich das hier – BRAVO stellt Djangos vor, die keine Djangos sind:

Die Begeisterung der BRAVO für Schusswaffen, die ich 1970 schon moniert hatte, hält weiterhin an:

Django braucht eben keine Monatskarte, sondern eine Knarre. Dazu passt, dass das hier auch kein breites Echo in den Medien fand:

Erinnert ihr euch noch an meine Fotostory über die obskure Bond-Parodie BONDITIS? Da habe ich einen anderen Film des Regisseurs erwähnt, dessen Titel mich begeisterte. Bis heute konnte ich keine Kopie auftreiben, aber die BRAVO erwähnt zumindest eine TV-Ausstrahlung:

Fast schon leid kann einem George Nader tun – er kündigt hier neue Jerry Cotton-Filme an, die es nie geben wird. Nader kehrt in die USA zurück, spielt noch ein paar Nebenrollen und verlässt das Filmbusiness dann ganz:

Der deutsche Zuschauer, der nach handfesten Krimihelden sucht, ist dennoch nicht allein gelassen – der Schimanski der 70er heißt Kressin:

Auffällig ist übrigens, dass die BRAVO im Jahr zuvor noch dutzendfach über DER KOMMISSAR berichtet hat und sich dieses Jahr gerade mal zu einem Verweis auf einen Beitrag in einem anderen Blatt des Verlages hinreissen lassen kann:

Christian Anders arbeitet derweil auch schon an seiner Filmkarriere – aber aus dem Westernprojekt GOBBO wird nichts:

Entweder hat die BRAVO hier etwas missverstanden oder Anders hat seinen “Roman” in ein “Lied” umgedichtet:

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Erfolgreicher ist da Reiner Schöne, der mit dem Musical HAIR seinen Durchbruch hat und neben der Karriere als Countrysänger auch schauspielern will.

Tatsächlich ist er seit 50 Jahren gut beschäftigt und ich bin ihm zweimal persönlich begegnet: 1990 bei einem Pressetermin der Spielshow FORT BOYARD, bei der Schöne den Moderator gab, und um die Jahrtausendwende bei den Dreharbeiten zu ICE PLANET, über den auch zu schreiben sein wird.

Aus dem Filmbusiness aus- statt einsteigen will Blacky Fuchsberger. Er plant den Wechsel in den Job des Show-Moderators. Erfolgreich. Schade eigentlich.

Eine andere Show wird dicht gemacht – aber es gibt bereits einen Nachfolger. Jüngere Zuschauer könnten überrascht sein, dass DISCO anfangs nach einem etwas anderen Konzept funktionierte (Reportagen, Fremdeinspielungen).

Ilja Richter ist auch anderweitig präsent – nichts geht ohne die LISA-Film:

Aber es gibt auch Neuankömmlinge, die wir herzlich begrüßen:

Außen Tophits, innen Geschmack?

Es klingt im ersten Augenblick nach Quatsch, aber der BRAVO geht es nie um Musik. Es geht um die Musikstars, um den Ruhm, den Lifestyle. Ich hatte ja schon erwähnt, dass man konkrete Plattentipps oder gar Kritiken im Heft mit der Lupe suchen muss. Und wie bei meinen Einlassungen zum Jahr 1989 muss ich auch 1971 mal wieder feststellen, dass die Meinungen der Redaktion historisch falsch und nicht mal in sich konsistent sind.

So sahnt der unsägliche Christian Anders drei Sterne (“muss ein Hit werden”) mit seiner heute vergessenen Schnulze “Ich lass dich nicht geh’n” ab:

Carole Kings Klassiker “It’s too late” wird zwar als hervorragender Song identifiziert, aber mit einem Stern abgespeist (Platzmangel?):

Bei Bill Withers legendärem “Ain’t no sunshine” fragen sich die BRAVO-Auguren allen Ernstes, ob das nicht einen Tacken zu schwarz sei – und geben wieder nur die Niedrigwertung von einem Stern:

Mit zwei Sternen im Mittelmaß landet Neil Diamonds Monsterhit “I am… I said” – wieder nicht wirklich vom Text gedeckt:

Schmierig finde ich die Anbiederung bei John Lennon, dessen “Imagine” in der Tat eine Hymne ist – aber der Mann hat nicht eigenhändig des Kalten Krieg beendet:

Das erinnert mich an das großartige Album ARSCHLOCH IN ÖL von Walters Moers, in dem der Zeichner postuliert, dass die erschütternde Wirkung von Picassos “Guernica” zur sofortigen Einstellung aller weltweiten Kriegshandlungen führte.

Wild, wilder, BRAVO

Es gibt Sachen, die verweigern sich jeder Kategorie. Da ist zum Beispiel der hippe Fortsetzungsroman EVI JAGT DIE HEISSE LIEBE mit dem Folgentitel “Tanze, weil du Pfeffer hast”:

Vielleicht waren die 70er ja so – was weiß denn ich? Dann habe ich was verpasst:

1971 startet die BRAVO eine Reihe mit “wahren Geschichten”. Ich habe keine Möglichkeit, das zu prüfen. Aber eine harte, von der Gesellschaft geächtete Rocker-Gang hatte ich mir immer irgendwie… na ja… härter vorgestellt:

Das sieht mir eher nach Klassenfahrt mit Mofa aus.

Tatsächlich ein wenig berührt hat mich diese “true story”:

Die Idee, eine Ex-Haschraucherin mit einer Fluppe in der Hand als “drogenfrei” zu feiern, betrachte ich als eher so mittelgute Idee:

Mein Favorit ist aber zweifellos diese Geschichte – aus Gründen:

Nie und nimmer hat der Peter Suizid begangen. Die Renate war’s! Ich habe genug Filme gesehen, um SO einen Gesichtsausdruck einordnen zu können:

Eine ziemlich coole Brieffreunde-Aktion startet die BRAVO zusammen mit dem US-Magazin Teen – wer möchte nicht einen “Freund in Amerika” haben?

Und tatsächlich – die Resonanz auf die Aktion ist monströs:

30.000 Anfragen – und man muss bedenken, dass die Teenager damals viel seltener ordentlich Englisch konnten. Man kann spüren, dass hier der Traum von Amerika noch deutlich sehnsüchtiger gelebt wird.

In einer mehrseitigen Geschichte möchte die BRAVO Grenzen ziehen: zwischen schmutzigem Witz und Zote, zwischen anzüglicher Bemerkung und Belästigung. Ich versage schon beim Verständnis des Aufmachers:

Die Starschnitte der BRAVO sind ja immer so eine Sache: wenn man in der Lage ist, sie unfallfrei zusammen zu setzen, bilden sie einen echten Hingucker im Jugendzimmer. Aber ein Fehler mit dem Tesa, ein Missgeschick mit der Schere, und alles ist im Eimer. Hinzu kommt, dass die Bild- und Druckqualität in der prä-digitalen Ära sehr mau ist. Da sieht das ersehnte Schienbein von Tarzan Ron Ely gerne mal aus wie ein schmutziger Flokati:

Es ist fast schon schade: wäre die BRAVO 2022 noch so populär wie 1971, könnte sie knackig scharfe, hoch aufgelöste Starschnitte anbieten.

Wo wir gerade bei der Bildqualität sind: die schwankt mitunter von Papierrolle zu Papierrolle. Ich dachte zuerst, in dieser Story über die TV-Schauspielerin Peggy Lipton gehe es um eine Jekyll & Hyde-Nummer. Dann wurde mir klar, dass nur die Druckqualität der beiden Einzelseiten komplett inkompatibel ist:

Für die Idee, ein Gesicht mittig in die Doppelseite zu legen, würde man 2022 auch von jedem Layouter einen hinter die Ohren kriegen.

Die Dr. Sommer-Seiten verarbeite ich wie immer in einem eigenen Artikel, aber diese Reportage scheint mir eine gesonderte Erwähnung wert:

Wir erfahren Erstaunliches:

Wahrlich, Aufklärung tut not, um DAS zu verhindern:

Es gibt Titelzeilen, die in den 90ern erheblich erotisierender sind als in den 70ern:

Und dann sind da noch die Flirtys – echte Anmach-Aufkleber:

Ich weiß vor Begeisterung gar nicht wohin mit mir:

Ich bin durchaus hartgesotten und habe keine Probleme damit, die Mode von vor 30 Jahren so scheiße zu finden wie die Leute in 30 Jahren unsere Mode von heute finden werden – aber das Superheldenkostüm rechts hat eine eigene Qualität:

Wann haben wir eigentlich aufgehört, Ringe an Reißverschlüsse zu machen?

Junge Damen! Es gibt keinen Grund zur Verzweiflung! Wenn Sie abends noch mal fix vor die Tür wollen, braucht es kaum eine Stunde zur Fassadensanierung:

Mein persönlicher Favorit aber in Sachen Nutzwert (und vermutlich erneut von einem US-Magazin eingekauft) – die WESTERNKARTE:

Und nun zur Werbung

Wenn man wissen möchte, wie die Jugend 1971 drauf ist, dann muss man einfach mal schauen, was sie sich an die Wand hängt:

Und was schenkt man sich so? Viel Plastik:

Unterm Weihnachtsbaum wollen viele Kids das Stylophone liegen haben, eine coole elektronische Mini-Orgel, die vom Australier Rolf Harris beworben wird:

Dass Harris später wegen massiven und mehrfachen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in den Knast wandern wird, hatten wir ja neulich schon. Ende der 70er, als ich alt genug war, wollte ich auch unbedingt ein Stylophone. In Deutschland hatte sich dann Bill Ramsay als Werbefigur dafür etabliert. Stattdessen bekam ich eine entsetzlich Billig-Plastikorgel:

Anfang der 70er setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass Rauchen vielleicht keine so gute Idee ist. Immerhin kostet die Schachtel schon unverschämte 1 Mark 75 Pfennig – wer kann sich das noch leisten? Also kommen erste Entwöhnungspräparate auf den Markt, deren Werbung allerdings wenig motiviert:

Den Begriff fremdschämen gibt es Anfang der 70er noch nicht – für diese Suppenwerbung und ihren verzweifelten Versuch, “Jugendsprech” zu simulieren, müsste man ihn aber erfinden:

Nicht weniger cringe – der Versuch, Milch als cooles Partygetränk zu etablieren:

Alle Mädchen fragen danach – scheinen aber wenig begeistert:

Ich hab’s gegoogelt – heute ist Miniperl eine Spanplatte.

Dass der Sprung unter die Dusche anno 1971 noch deutlich seltener unternommen wird, lässt sich aus dieser Shampoo-Werbung ablesen:

Ich kann mir nicht helfen – ich bin ein Fan “stereometrischer Dehnungszonen”:

Echte Geldmünzen aus fremden Länder – ich hätte meinen Vater genötigt, täglich zu tanken und notfalls das Benzin in den Gulli zu schütten, um an die Dinger ran zu kommen. Aber ich war erst zwei Jahre alt.

Wir werden immer wieder darauf zu sprechen kommen, dass ich Uschi Glas schon jung für sehr alt hielt und ihre spießige Grundeinstellung sich sogar in ihren Werbeaufträgen widerspiegelt:

Die Glas ist 1971 gerade mal Mitte 20 und lässt schon sowas raus:

Auch andere Stars verkaufen sich für schnöden Mammon an die Werbung und die BRAVO meldet es pflichtschuldig:

Erfreulicherweise kann man den coolen Werbespot auf YouTube finden:

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Abgesehen davon finde ich es bemerkenswert, wie viele Leckereien schon vor mehr als 50 Jahren auf dem Markt waren und sich kaum verändert haben:

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Hier bin hin- und hergerissen: Ich finde es lobenswert, dass man sich müht, junge Mädchen auf die erste Regel (prime directive?) vorzubereiten. Das wird auch angemessen behutsam angegangen. Aber die Bebilderung überschreitet die akzeptablen Grenzen derart, dass ich es nicht nur heute zensieren muss – ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das 1971 eine gute Idee ist:

Noch vor ein paar Jahren hätte ich konstatiert, dass man nur in den 70ern derartige Mengen Schminke normal finden kann:

Angesichts der Zukleisterei aktueller Influenzerinnen verkneife ich mir das lieber.

Ebenfalls eine Wandlung durchgemacht hat meine Meinung zum Technik-Style der 70er. Früher war mir das alles zu bunt und Plastik. Ich muss aber gestehen, dass ich mit solchen Designs langsam warm werde:

Und die Handtasche als Plattenspieler (oder umgekehrt?) ist einfach zu steil:

In Sachen Gestaltung sind viele der Werbeanzeigen noch den 60ern verbunden:

Andere verweisen eher auf die Kaiserzeit – Brokatvorhänge als Krawatten?

Manchmal frage ich mich, was der Art Director raucht, auch wenn mich das Ergebnis durchaus überzeugt:

Ich. Will. Diese. Rubbeltücher.

Ob diese Nachwuchswerbung der Deutschen Bahn Alpträume verursachen kann?

Ich bin sehr, sehr, SEHR unglücklich, dass ich bei ESSO nicht mehr die Broschüre für meine ganz eigene Jux-Rallye bestellen kann:

Nicht nur die Werbung, auch die Produkte kommen langsam in der Moderne an. So bringt Kienzle Uhren im “jungen Design” auf den Markt, die endlich nicht mehr nach Opa aussehen und mir besser gefallen als die Plastik-Swatch der 80er:

Ein Vorläufer von IKEA sind die Kombimöbel von 3K, die in Rahmen einer weiteren Vermischung von Werbung und redaktionellen Inhalten vorgestellt werden:

Bodenlos sind hingegen die Fetentipps von Knorr – ein Plastikfigürchen versteckt im Kartoffelknödel würde heute nicht Teenager, sondern Anwälte begeistern:

Es gibt immer mal wieder Modeanzeigen, die mich verwirren – hat Riedinger wirklich gedacht, in der BRAVO seine Zielgruppe zu finden?!

Nun habe ich schon häufiger angemerkt, dass die BRAVO es mit der Trennung von Redaktion und Werbung nicht so genau nimmt. Man hilft dem Anzeigenkunden gerne in den Sattel – in diesem Fall sogar wortwörtlich:

Satte fünf der sechs vorgestellten Mofas findet man in Werbeanzeigen auf den folgenden Seiten dieser Ausgabe – das muss man sich erstmal trauen:

Es geht durchaus noch frecher: diese große Reportage über einen Teenager-Sommerausflug ist dezent als “Anzeige” gekennzeichnet:

Und tatsächlich “gehört” jeder Absatz einem anderen Werbekunden:

Noch ein bisschen schä(n)dlicher ist die “Fan-Party” bei Chris Roberts – hier wird mit der Starpower kräftig hochprozentiger Alkohol angepriesen:

Wahrlich, geschämt haben sie sich bei der BRAVO nie – ob in Sachen Aufklärung oder in Sachen Product Placement.

Und damit mache ich für heute den Deckel drauf. Zum Abschied gibt es noch kräftig “Sound of  ’71” von YouTube-Compilation-Gott Francis Pelletier:

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