24
Jun 2022

Sturm auf die Festung Wortvogel

Themen: Neues |

Das Leben des Bloggers ist amüsant, aber nicht ungefährlich. Das gilt besonders, wenn man die Angewohnheit hat, unangenehme Wahrheiten auszusprechen.

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Irgendwer fühlt sich immer auf die Füße getreten, die Floskel “das übergebe ich meinem Anwalt!” höre ich immer wieder – und zucke mit den Schultern. 90 Prozent der Leute, die ihren Anwalt einschalten wollen, haben keinen Anwalt. Und 90 Prozent der Leute, die ihren Anwalt einschalten, bekommen von ihm den guten Rat, sich nicht mit dem Versuch einer Klage zum Deppen zu machen.

Fakt ist ja: Ich kenne die rechtlichen Rahmenbedingungen ziemlich gut und bleibe üblicherweise in ihren Grenzen. Was ich schreibe, mag dich empören, beleidigen, entlarven – aber das macht es nicht justiziabel.

Das heißt nicht, dass Leute es nicht versuchen – und manchmal damit durchkommen. Mehrere Kollegen habe ihre langjährigen Blogs dicht gemacht, weil auf einmal Kanzleischreiben oder andere Drohgebärden ins Haus flatterten. Nicht der Rechtsstreit hat sie in die Knie gezwungen, sondern der Widerwille, sich mit einer solchen Scheiße auseinander zu setzen. Es war ihnen den Ärger nicht wert.

Mir ist es den Ärger wert. Wer mein Blog angreift, greift mich an. Und er sollte wissen, dass ich das nicht als Kavaliersdelikt sehe.

Wenn ich die letzten 16 Jahre rekapituliere, dann wurde mir ca. 20 mal mit dem Anwalt gedroht. Sechs mal habe ich tatsächlich Post von Anwälten bekommen. Vier der Schreiben bezogen sich auf angebliche Verstöße gegen Copyrights, Persönlichkeitsrechte, Lizenzen. Meistens abstruser Kleinkram von Kanzleien, die auf Massenabmahnungen spezialisiert sind. Hier reichte eine klar formulierte Widerrede meines Anwalts und es war Ruhe im Karton – denn ja, ICH habe einen Anwalt. Und der ist auf diesem Gebiet Experte.

Genau einmal habe ich tatsächlich gezahlt – eine geringe dreistellige Summe. Obwohl ich im Recht und der Kläger sogar mittlerweile verstorben war. Es ging um ein Bild, an dem ich keine Rechte hatte. Der Witz daran: Ich hatte das Bild gar nicht gepostet. Ich hatte es nur in meine WordPress-Medienbibliothek hochgeladen, um es eventuell in einen Artikel zu nehmen. Irgendwie war die Gegenseite über die Exif-Daten an den internen Link zur Datenbank gekommen und hat mir das als “Veröffentlichung” ausgelegt. Natürlich kompletter Unsinn.

Warum ich trotzdem gezahlt habe? Weil sich ab einem gewissen Punkt der Aufwand des Widerstands nicht mehr lohnte, weil Reisen zu Gerichtsterminen nach Hamburg hätten organisiert werden müssen, weil meine Zeit eben auch Geld kostet. Ich habe das mit meinem Anwalt durchgerechnet und wir haben entschieden: abhaken. Auch dafür sind gute Anwälte da.

Damit bleibt genau EIN Fall – und mit dem möchte ich euch den Tag versüßen.

Es geht um diesen sarkastischen und satirischen Beitrag von 2016 über wahnwitzige Webseiten, die wild gegen die Welt wüten. Da ist kein Vorwurf zu abstrus, kein Vergleich zu schrill, keine Behauptung zu abwegig.

Man beachte: Ich nenne keinen Namen, oute keinen Urheber.

Im Januar 2020, also vier Jahre später, bekomme ich ein Schreiben des Landgerichts Bielefeld zu folgendem Sachverhalt:

Tatsächlich befindet sich im Anhang ein “Klageentwurf”, der gleich mal Urteil und Strafmaß festsetzt und eine Reihe wilder Behauptungen aufstellt:

Es geht noch ganze drei Seiten so weiter.

Nun ist das natürlich ausgemachter Unfug. Weder habe ich den Kläger genannt, noch eine Verbindung zu anderen Verschwörungs-Webseiten auch nur impliziert. Mehr noch: Zum Zeitpunkt dieses Schreiben gibt es die von mir genannte Webseite bereits nicht mehr und selbst wenn ein Leser das recherchieren wollte, könnte er die Verbindung nicht herstellen.

Was soll das also? Das wird in der letzten Zeile des Entwurfs deutlich:

PKH heißt Prozesskostenhilfe. Und wie ich schnell feststelle, als ich den Schreiber genauer recherchiere, geht es darum, erstmal Staatsknete zu beantragen, um dann ohne eigenes finanzielles Risiko die empfundene Empörung vor Gericht durchzufechten – in der Hoffnung, dass am Ende vielleicht ein wenig Schmerzensgeld oder wenigstens die Schließung der Webseite dabei raus springt.

Die ganze Angelegenheit ist derart hanebüchen, dass ich für meine erste Replik nicht mal meinen Anwalt ins Boot hole. Ich schreibe (verkürzt):

Ein Blick in den beanstandeten Beitrag auf meinem seit 2006 bestehenden Blog WORTVOGEL.DE macht unmissverständlich klar, dass ich Herrn XY als notorischen Verschwörungstheoretiker sehe, der zwanghaft versucht, Personen und Institutionen zu verklagen, um eine angeblich systemische (und vor allem gegen ihn persönlich arbeitende) korrupte Justiz zu verfolgen. In Ihrem Haus sollten ja auch genügend Vorgänge mit seinem Namen vorliegen.

Es ist aber sehr offensichtlich, dass ich von ihm ausgehend auf andere Webseiten und andere Inhalte verweise, die aus dem gleichen mentalen Dunstkreis stammen.

An keiner Stelle wird auch nur impliziert, diese würden Herrn XY gehören, repräsentieren oder seine Meinung spiegeln. Es handelt sich lediglich um eine freie Sammlung fragwürdiger Thesen und Aussagen auf ebensolchen Webseiten. Selbst der Begriff „Polit-Spinner“ aus dem Titel des Beitrags bezieht sich klar und allgemein auf die Sphäre der Verschwörungstheoretiker, die aktuell auch im Corona-Kontext wieder von sich reden machen.

Mehr sollte es nicht brauchen – die Justiz hat den Fall noch nicht angenommen, sondern entscheidet nur darüber, ob Herr XY eine PKH zusteht oder ob sie wegen der offensichtlich mangelnden Erfolgsaussichten verweigert wird.

Und so sieht es dann auch das Gericht:

Man schließt sich in der Begründung vollumfänglich meinen Einlassungen an.

Damit sollte die Sache erledigt sein. Aber wenn so ein Verschwörungs-Hamster erstmal sein Laufrad auf 180 Umdrehungen gebracht hat, kann er so schnell nicht wieder abspringen. Überraschung – Herr XY legt Widerspruch ein!

Schon klar, dass Herr XY meine Einlassungen zur Sache als “nicht substantiiert” sieht. Er möchte ja nicht Recht – er möchte Geld.

Wüsstest ihr, wer Herr XY ist, dann hättet ihr eine Ahnung, warum der mit einer so hanebüchenen Geschichte ein Gericht beschäftigt, das er selber für eine Verbrecherorganisation hält. Eine Ahnung gibt euch vielleicht diese Zeile aus dem Widerspruch:

Er hat über 100 “Rechtssachen” gleichzeitig laufen. Und der Mann ist kein Anwalt.

Ich überlege eine Weile, ob ich den ganzen Kram doch an meinen Anwalt weitergeben soll, aber es hat ja bisher nicht mal eine rechtswirksame Anzeige gegeben, nur den Versuch, für eine solche PKH zu ergattern. Und das Gericht hat bei der Ablehnung schon klar gemacht, für wie abstrus es die Vorwürfe hält.

Weil das Gericht von Herrn XY ja als Verbrecherorganisation betrachtet wird, gibt man den Widerspruch lieber an die Kollegen in Hamm weiter. Die entscheiden:

Es wird noch einmal bestätigt, was offensichtlich ist:

Klappe zu, Affe tot. Mir der Verweigerung der PKH erlischt auch augenblicklich das Interesse des Herrn XY an der Strafverfolgung und den von ihm selber in Aussicht gestellten 20.000 Euro Schmerzensgeld.

Vielleicht hat er bei seinen über 100 anderen Rechtssachen mehr Erfolg.

Damit ist der Fall gegessen, wie man so schön sagt, und ich habe mir nicht mal die Mühe gemacht, den beanstandeten Blogbeitrag zu löschen. Weil ich mir nichts vorzuwerfen haben und das auch gerichtlich bestätigt wurde.

Aber es bleibt kurios, mit was für Leuten man sich mitunter auseinander setzen muss – und wie diese Leute das System anrufen, das sie selbst für verbrecherisch halten. Das erinnert mich an Reichsbürger, die nach der Polizei schreien, die laut ihrem Weltbild doch nur private Security einer illegalen GmbH ist.

P.S.: Wer es drauf anlegt, kann natürlich googeln, um wen es in diesem Beitrag geht. Ich rate ab. Eine Namensnennung oder entsprechende URLs werden von mir gelöscht. Irgendwann muss der Spaß auch mal ein Ende haben.



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Khaanara
Khaanara
24. Juni, 2022 14:50

Erinnert fast an den Typen, mit dem sich Anwalt Jun im Moment herumschlägt. Und sein Gegenüber ist noch “Anwalt” 🙂

Last edited 1 Jahr zuvor by Khaanara
comicfreak
comicfreak
24. Juni, 2022 18:47
Reply to  Khaanara

Ja, das rauscht mir gelegentlich auch in die timeline und macht mich fassungslos

Einsamer Schütze
Einsamer Schütze
24. Juni, 2022 19:52

Hättest du ihm die “20.000 Schmerzensgeld” nicht einfach zukommen lassen können? Da keine Währung angeben ist, hätte das ja irgendwas sein können (Papierschnipsel, faule Eier, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt).

Stephan
Stephan
25. Juni, 2022 07:05

Scheint ein gerichtsbekannter Querulant zu sein, davon gibt es erklecklich viele. Jeder Richter der noch nicht wegen Rechtsbeugung angezeigt wurde, macht seinen Job nicht richtig.

Dein Beitrag ist an ein paar Stellen aus juristischer Sicht falsch. Zum Beispiel ging es bei der ganzen Sache nie um “Strafverfolgung”, sondern um eine reine Zivilangelegenheit (deshalb ist es auch richtig und notwendig, dass im Klageantrag bereits das “Urteil vorweggenommen wird”).

Auch entscheidet das OLG immer über die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung des LG, das steht im Gesetz.

Aber eine amüsante Anekdote!

Nikolai
Nikolai
25. Juni, 2022 10:21

Ich habe von Amtswegen ab und an mit so Leuten zu tun.
Die legen gegen alles Widerspruch ein, auch gegen Schreiben gegen die ein Widerspruch nicht möglich ist.
Die werfen mit Paragrafen und Absätzen um sich und letztendlich ist das eine riesige Zeitverschwendung.
Mittlerweile prüfen wir bei so Leuten einfach den Sachverhalt, entscheiden dann und fertig.
Der nächste Schritt wäre dann halt das Sozialgericht.
Wir investieren da nicht mehr übermäßige Zeit rein.