Kriegsgedanken, Kriegsbedenken
Themen: Neues |Ich habe bisher nichts über den Krieg in der Ukraine geschrieben. Das hat mit dem einzigen Kommentar zu tun, den ich gleich zu Beginn auf Facebook absetzte und der ungefähr lautete:
"Ich weiß nicht, was da passiert. Ich weiß nicht, was zu tun ist."
Das hat sich nicht geändert. Im Gegensatz zu den 80 Millionen Fußballtrainern in diesem Land, die vor zwei Jahren auf Virologe umgeschult haben und sich nun als Experten in Sachen Außenpolitik entpuppen, täusche ich keine Kompetenz vor. Ich verachte Menschen, die so lange wissen, was zu tun ist, so lange sie nichts zu sagen haben. Oder die, die immer hinterher alles schon vorher gewusst haben.
Mich stört an den Diskussionen auch das Lagerdenken: man darf ja eine klare Meinung haben, man darf diese auch für richtig halten. Aber das schließt doch nicht aus, dass man einen anderen Standpunkt zumindest für möglich und auch für legitim hält. Das scheint ein auslaufendes Modell zu sein. Ich habe Recht – mein Gegenüber hat Unrecht. Und deshalb darf ich ihn beleidigen, diskreditieren, verhöhnen und ächten.
Der Diskurs ist vergiftet, das Ziel ist nicht mehr die Einigung, sondern der Sieg, der ohne Einigung kein Sieg sein kann.
Trotzdem habe ich ein paar Gedanken, die ich teilen möchte – ein erstes Resümee der vergangenen drei Monate, wenn ihr so wollt.
Ich bin stolz auf die Welt
Hätte man mir Anfang des Jahres gesagt "Russland wird die Ukraine massiv militärisch angreifen", hätte ich es für unwahrscheinlich erklärt. Dann hätte ich frustriert zugegeben, dass man die Ukraine vermutlich überrennen würde, bevor die Weltgemeinschaft es auch nur zu einer ersten Resolution bringt, die das verurteilt. Ich bin sehr froh, damit falsch gelegen zu haben. Nicht nur der Westen, sondern der Großteil der gesamten zivilisierten Welt hat sehr konsequent und sehr eindeutig reagiert. Es stehen Partner zusammen, die sich seit einigen Jahren immer wieder angegiftet haben. Die EU und Großbritannien, Deutschland und Polen – alles erstmal vergessen. Wie das arabische Sprichwort sagt: der Feind meines Feindes ist mein Freund. Wir haben uns von der Abhängigkeit in Sachen Rohstoffe weder blenden noch nötigen lassen, wir haben weitgehend auf strategische Spielchen verzichtet. Ich weiß nicht, was in Putins Hirn vor sich geht, aber er kann nicht geglaubt haben, dass das so laufen würde.
Natürlich scheren mittlerweile die ersten Opportunisten aus, natürlich sind es die machtgeilen Populisten, die sich zu Kriegsgewinnlern nötigen wollen: Türkei, Ungarn, etc. Aber die sind ein kleineres Problem im größeren Kontext.
Deutschland macht es richtig – und falsch
Die Sache mit den Waffenlieferungen. Ich verstehe niemanden, der dazu eine glasklare und unerschütterliche Meinung hat. Wenn ich den Befürwortern und den Gegnern zuhöre, dann haben beide gute Argumente.
Sollte man der Ukraine so umfänglich helfen, wie es geht? Natürlich. Das Land wird von einer Supermacht angegriffen und es gilt, Leben, Souveränität und die Stabilität der Region zu erhalten. Wir haben die Mittel und damit auch die moralische Pflicht.
Muss Deutschland bei solchen Aktionen vorsichtig agieren? Natürlich. Wir haben zwei Weltkriege auf dem Buckel, beide Male auch gegen Russland. "Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen", remember? Wir waren in den letzten 70 Jahren immer die Mahner, die Warner. "I am not convinced", remember? Und das war gut so. Da waren wir stolz drauf. Wir haben eine historische Verpflichtung auch zur Vorsicht. Man kann das nicht mit einem "aber hier ist es für eine gute Sache" wegwischen. Vielleicht ist das Zögern Deutschlands auch das Zögern der Vernunft, die ja gerne das erste Opfer des Krieges ist.
Das Ende der Friedensbewegung?
Ich höre in diesen Tagen viel Kritik an der Friedensbewegung und den Ostermärschen, sogar aus den Kreisen der Grünen, die aus dieser Bewegung mit entstanden sind. Man schüttet Jauche über die, die immer noch "Die Waffen nieder!" fordern. Es zeigt auf der einen Seite die Impotenz der Friedensbewegung, die davon ausgehen muss, dass die Gegenseite die gleichen Ziele verfolgt (I hope the Russians love their children, too). Die Friedensbewegung endet, wenn der Krieg beginnt. Weil "Die Waffen nieder!" eben nur Frieden fordert, wo Sieg nötig ist. Der Sieg ist in diesen Tagen ein Kind des Krieges, nicht des Friedens.
Das ist aber nicht das Problem der Friedensbewegung in Deutschland, sondern das Versagen der Friedensbewegung in Russland. Wir gehen seit 50 Jahren für Völkerverständigung und Frieden auf die Straße – dass der Russe sich immer noch für jede Demütigung des Mutterlandes mit Waffengewalt rächen will, macht das nicht falsch, naiv oder gefährlich. Der Traum war eine Welt, in der auch die Russen, die Nordkoreaner, die Chinesen und meinetwegen die Amerikaner kapieren, dass militärische Gewalt keine Lösung darstellt. Daran sind nicht wir gescheitert. Der Traum lebt. Und ich werde niemandem vorwerfen, dass er ihn träumt. Ob man ihm politische Potenz einräumt, steht auf einem anderen Blatt.
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
Ich glaube daran, dass wir eine neue Weltordnung brauchen. Wir können Politik nicht mit Partnern verhandeln, die lieber Krieg spielen wollen, wenn ihnen die Regeln nicht passen. Russland und China haben uns lange genug mit Kapitalismus, Welthandel und bunten Sportveranstaltungen getäuscht. Sie haben uns glauben lassen, dass ein faires Miteinander zwischen Autokratien und Demokratien möglich ist, weil der freie Markt uns so sehr verzahnt, dass wir einander gar nichts mehr antun können.
Das ist ein Irrtum.
Wir dürfen Diktatoren nicht auf Augenhöhe begegnen, dürfen sie nicht glauben lassen, dass sie im Club der Freien Welt mitspielen. Weil ihnen nicht zu trauen ist. Putin ist das beste Beispiel. "Ein lupenreiner Demokrat", sagte der Ex-Kanzler, der endgültig aus seiner Partei geworfen gehört. Lupenreine Demokraten kann es nur in sauberen Demokratien geben. Aber auch das ist ein Punkt, an dem ich nicht hämisch darauf verweise, dass man das früher hätte wissen können, vielleicht sogar müssen. Die Hintertür zum Amt auf Lebenszeit? Das Verbot der NGOs? Die Annexion der Krim? Alles Warnsignale. Aber ich habe sie auch nicht sehen wollen, weil ich dachte, dass die Partnerschaft Europas mit Russland am Ende Russland zähmen würde.
Die Lektion, die wir gerade schmerzhaft lernen, dürfen wir bei China nicht ignorieren, bei den arabischen Emiraten, im Iran.
Die Neuordnung der Splitterfraktionen
Thematisch ist dieser Gedanke dem vorherigen verwandt. So, wie wir uns auf globaler Ebene neu ordnen müssen und die Freund & Feind-Karten neu gemischt werden, so müssen sich auch die Kräfte innerhalb unseres Landes kritische Fragen stellen und gefallen lassen. Links wie rechts haben sie Putin verteidigt, haben den kranken Führerkult mitgemacht und sich nach dem "starken Mann" gesehnt, der nun Tausende in den Tod schickt und Zehntausende töten lässt. Ich gönne mir dieses eine Mal ein "ich wusste es vorher", denn ich war in den letzten Jahren so oft froh, mit Angela Merkel eine "schwache" Kanzlerin zu haben. Eine, die sich den internationalen Verträgen, dem politischen Kompromiss und der Zusammenarbeit verpflichtet fühlte. Was musste sie sich anfeinden lassen vom Stammtisch, der als "Querdenker" in die Straßen strömte und in mir tiefe Scham auslöste.
Auch McDonald’s ist ein Kriegsteilnehmer
Ich kann mich kurioserweise noch gut daran erinnern, wie in Moskau die erste McDonald’s-Filiale Russlands eröffnet wurde. Das war 1990. Damals hätte ein Konflikt wie der Ukraine-Krieg zu rein politisch-wirtschaftlichen Konsequenten geführt: geschlossene Grenzen, eingefrorene Bankgeschäfte, Streit um Weizenlieferungen und Ölimporte. 2022 sieht das ganz anders aus und ich war wirklich verblüfft, weil es so gar keine Präzedenz dafür gab: IKEA, OBI, McDonald’s – alle machten ihre russischen Filialen dicht. Die westlichen "Errungenschaften" wurden den Russen von heute auf morgen wieder genommen. Ich glaube, dass das die Bevölkerung empfindlicher, weil direkter trifft, als vage Sanktionen auf Staatsebene. Es ist ein von der Propaganda nicht wegzulügender Hinweis, dass die Weltgemeinschaft nicht bereit ist, den Krieg als "internes russisches Problem" hinzunehmen.
Ich weiß, wie naiv es ist, aber ich hoffe auf einen "are we the baddies?"-Moment:
Krieg ist der brutale Vater des Wandels
Not macht erfinderisch und ich bin nicht wenig entgeistert, dass das immer noch so zu sein scheint. Krisen beschleunigen, was oft aufgeschoben wird, solange es gut läuft. Die Pandemie hat uns gelehrt, dass wir gar nicht alle zur Arbeit fahren müssen, wenn die Arbeit nach Hause kommt. Dass Arbeitsmodelle flexibler sind, als gerade viele Chefs das glauben möchten. Dass mittelfristig Bildung gut am Bildschirm vermittelt werden kann. Dass die Service-Gesellschaft viele Probleme des Lockdowns auffangen kann. Ich schätze, dass wir in Sachen Homeoffice und dezentralisierten Strukturen zehn Jahren nach vorne gesprungen sind.
Ähnlich der Ukraine-Krieg: Auf einmal geht alles schneller, weil alles schneller gehen muss. Ausbau alternativer Energien, Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Konfliktstaaten – und man darf auf einmal wieder laut vom allgemeinen Tempolimit träumen. Vielleicht ist die Bequemlichkeit der größte Feind des Fortschritts – und Pandemie wie Ukraine-Krieg haben uns aus unserer Lethargie gerissen. Wir haben eine neue Regierung, eine neue Weltlage, und dazu eine starke Wirtschaft, die Umwälzungen und Reformen stemmen kann. Machen wir das Beste aus einer beschissenen Situation.
Alles ist relativ – besonders Empathie
Ihr merkt, dass ich versuche, auch der schlechtesten Situation das Beste abzugewinnen. Das ist nicht immer leicht. In einem einzigen Fall drehe ich das um und mache aus einer bemerkenswerten Leistung ein verdammenswertes Versäumnis. Es macht mich wütend, dass wir Hunderttausende Ukrainer aufnehmen können, mal eben so, mit unbürokratischer Hilfe auf allen Ebenen – aber lauthals geplärrt haben, als wir ein paar Tausende Syrer aufnehmen sollten. Was ging damals nicht, was heute so einfach ist? Sind uns die Ukrainer als "Blutseuropäer" näher als der etwas dunklere Araber? Ist uns der Arsch mal wieder näher als die Hose? Wenn wir zwischen "guten" und "schlechten" Flüchtlingen unterschieden, zwischen "richtigen" und "falschen" Flüchtlingen, dann haben wir zumindest eine wichtige Lektion noch nicht gelernt.
Es geht uns noch viel zu gut
Natürlich ist das in dieser Pauschalität eine falsche Aussage, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass überall auf sehr hohem Niveau gejammert wird. Es gibt eine globale Pandemie und in der Ukraine herrscht Krieg – was bedeutet das für uns? Lebensmittel und Benzin werden teurer, man muss sich impfen lassen und Masken tragen. Big fucking whoop. Manche Leute spielen sich auf, als würden den ganzen Tag die Luftsirenen heulen und man müsste Schuhsohlen essen, um nicht zu verhungern. Als wäre der Heimunterricht für Kinder eine unzumutbare Belastung und der Benzinpreis die Knechtung des Proletariats. Ich glaube vielmehr, dass die aktuellen Probleme momentan lediglich die Speckschicht der Wirtschaft abtragen und dass wir weit von "echten" Sorgen entfernt sind. Niemand schnallt ernsthaft den Gürtel enger. Die letzten Wochen haben bewiesen, dass man weiterhin mit dem Wagen zum Zigarettenautomaten fährt und hofft, eine Playstation 5 abgreifen zu können.
Es hat sich ja auch keiner beschwert, als das Benzin im ersten Pandemie-Jahr weniger als ein Euro gekostet hat.
Was ist zu tun?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob Putin sterben muss, damit der Krieg aufhört. Ich weiß nicht, ob mit einem erzwungenen Sieg mittelfristig wirklich Frieden erreicht werden kann. Ich weiß nicht, ob Russland in die Ecke gedrängt wirklich Atomwaffen einsetzen würde. Ich weiß nicht, ob das hier eine hässliche Episode bleibt oder ob die Nachkriegsordnung gerade auf Jahrzehnte in die Brüche gegangen ist. Ich bin froh, kein Kanzler zu sein, kein Soldat, kein Ukrainer – überhaupt keiner, der was entscheiden oder auch nur tun muss.
Ich weiß nicht, was zu tun ist. Ich hoffe nur, dass es getan wird.
Guter Text zu einer merkwürdigen Zeit, in der plötzlich vieles bröckelt, was auch für mich als in Stein gemeißelt galt.
Ich denke wir müssen uns deutlich mehr für das Thema Geopolitik interessieren, genauer zuhören, wenn große, mittlere und kleinere Mächte ihre Ansprüche mit aller Gewalt durchsetzen. Dramatische Folgen "irgendwo" sind in einer globalen Welt immer auch Folgen für uns. Schwarz-Weiß-Denken hilft dabei nicht weiter, vieles ist sehr grau und sehr unschön.
Ich weiß auch nicht genau, was die am wenigsten beschissene "Lösung" in der Ukraine-Krise ist, eine gute sehe ich auch nicht. Dazu müsste man wahrscheinlich auch viele Geheimdienstinfos haben, die Struktur und den Zustand der politischen Führung in Moskau kennen u.v.m.
Am Ende scheint es unumgänglich zu sein, dass Frieden das zentrale Ziel ist (und das heißt Kriegen vorzubeugen!). Es muss der Grundsatz politischen Handelns sein, an dem sich alles weitere orientiert. Und das heißt auch, keine Waffen in autoritäre Systeme zu liefern, sich nicht massiv abhängig von antidemokratischen Staaten/Systemen zu machen (sei es nun Russland, China oder Katar) und sich nicht auf dem bequemen Wohlstand auszuruhen, den man gerade erreicht hat und den notwenigen Wandel auf morgen zu verschieben.
Ich zähle mich auch nicht zu den über 80 Mio tatsächlichen oder vermeintlichen Experten und freue mich über Ihre erfrischenden Betrachtungen. Ein paar Anmerkungen dazu:
1. Nein, wir (= DE) haben nicht die Mittel.
2. Ob man, wenn man die Mittel hätte, all diese sofort der Ukraine z.Vfgg. stellen sollte/müsste, das weiß ich auch nicht (bin kein Experte).
3. Auch wenn die "wirtschaftliche " Verzahnung mit Autokratien etc. sich an diesem Beispiel als (bisher) nicht (hinreichend) tragfähig erwies, der Putin verkauft sein Öl Gas sonstwas halt nach China Afrika oder sonstwohin und wird ggf. (wie gesagt, ich weiß es nicht, es wäre aber mal wirklich ernsthaft zu prüfen, was mE. bisher nicht gescshah) kaum unter Importstopps leiden, wohingegen jedenfalls ich selbst unter den immensen Preissteigerungen jetzt schon erheblich leide (z.B. Gaspreis verdreifacht! – Lohnerhöhung = Nullrunde), von von tatsächlichen oder vermeintlichen Experten befürchteten Rationierungen etc. noch gar nicht zu reden – das kann es mE. nicht sein.
4. Die bisherige Herangehensweise einer mE. teilweise realitätsentlehnten öffentlichen Hand gilt es ebenfalls zu überprüfen (und mE. zu korrigieren). Ich biete Privatvermietungszimmer an, die für Monteuere, Sachverständige, Touristen immer gut genug waren – für Ukraine-Flüchtlinge, denen ich gern helfen und entgegenkommen wollte, sind sie lt. (mE.) völlig überzogenen städtischen Vrogaben nicht gut genug. Ich kann es eigentlich gar nicht fassen.
Danke, du hast sehr gut beschrieben wie ich mich fühle und die aktuelle Situation empfinde.
Mein Vermieter fragte mich neulich ob ich wüsste wo man Geigerzähler bestellen kann, da die "guten" alle ausverkauft seien. Ich wusste darauf nichts zu sagen.
Danke für diesen Beitrag. Ich würde in praktisch allen genannten Punkten zustimmen. In Ergänzung zu "Stolz auf die Welt" möchte ich nochmal die Ukrainer selbst nennen: Mit ihrer Hartnäckigkeit und Willen zum Widerstand haben sie wirklich alle Erwartungen himmelweit übertroffen – besonders die von Putin.
Was die Furcht vor einer schlimmstmöglichen Eskalation (inklusive Nuklearwaffen) angeht: Die ist bei mir irgendwie überhaupt nicht vorhanden. Ich weiss nicht, ob ich damit die Lage realistisch einschätze, oder innerlich so abgestumpft bin, dass mir alles schnurzegal ist. Im Gegensatz zu meiner Mutter, die sehr, sehr besorgt war, dass in in Tschechien 400 km näher an der Ukraine lebe als sie. Als ob das in der nuklearen Apokalypse irgendeinen Unterschied machen würde…
Ja, die Ukrainer hätte ich erwähnen können. Beeindruckend. Und nein, ich habe auch keine Angst vor einem Nuklearschlag – weil das schlicht meine Vorstellungskraft sprengt.
Ich stimme dir in allen Punkten zu 100% zu und möchte nur noch 2 Dinge anmerken:
Persönlich finde ich es übrigens witzig wie sich in beiden politischen Spektren manche Leute auf "weise" Greise wie Chomsky und Kissinger beziehen, die Beide sagen "Gebt den Russen doch ihr Ukrainekuchenstück, damit sie Ruhe geben und wieder "Frieden" herrscht."
Tja, als die Beiden noch jung waren, hat man schon etwas ähnliches versucht. Ging krachend gescheitert als Appeasement Politik in die Geschichte ein…..
@Es geht uns noch viel zu gut:
Jammern diverse wirtschartsliberale Chefredakteurinnen bei euch etwa ebenfalls herum? (Nein, das ist kein Binnen-I, hab erst vor wenigen Minuten eine Dame jammern gelesen…)
Um es vorweg zu sagen: Ich habe mich in der letzten Zeit bewusst rar gemacht. Einerseits habe ich Schwierigkeiten damit zu verkraften, was aus meinem beruflichen Selbstverständnis geworden ist. Nämlich, dass meine Qualifikationen keinerlei Wert in dem dafür qualifizierenden Beruf haben, dieser somit nicht mehr existiert und von Idioten mit aufgeblasenem Ego eingenommen worden ist. Es war alles für die Katz. Und das ist bitter. Dann hätte ich nach den gesundheitlichen Zusammenbrüchen eine Kur machen oder zumindest deutlich kürzer treten müssen statt Gas zu geben und mich neu zu qualifizieren. Aber der Existenzdruck kennt solche Befindlichkeiten nicht. So dauerte die Erholung quasi neben dem Berufsalltag länger und ich bin jetzt erst wieder so richtig fit. Und schließlich muss ich heutzutage nahezu täglich so viele Auseinandersetzungen managen und führen, dass ich das in meiner Freizeit nicht auch noch gebrauchen kann und auch nicht möchte, dass ich hier missverstanden werde und/oder als Streithansel gelte.
Ich stimme mit Deiner Darstellung überein, hätte sie auch in der Bandbreite nicht besser auf den Punkt bringen können. Deshalb kein Widerspruch im Kern, aber ein paar Anmerkungen.
Na gut, ein deutlicher Widerspruch doch:
Das ist nicht so. Ich bin jetzt seit 2018 Lehrer an öffentlichen Schulen. Ein Jahr an verschiedenen Grundschulen (Abordnungen) und seit drei Jahren an einer Oberschule mit gymnasialen Zweig. Ich kann also aus erster Hand sagen, dass Homeschooling in mehrfacher Hinsicht katastrophal ist. Es gibt an unserer Schule besondere Herausforderungen, die, das muss man so sagen, auch mit dem Zusammenprall verschiedener kultureller Vorstellungen zusammenhängen. Es ist einfach problematisch, wenn auf der einen Seite 16-jährige Mädchen im luftigen Sommerkleid oder trägerlosen Top zur Schule kommen, während andere nur die Hände und das Gesicht zeigen. Der Konflikt besteht nicht nur in den Jungen, die die in ihren Augen unzüchtig gekleideten Mädchen als bereitwillig ansehen, sondern auch unter den Mädchen selbst, wenn die Mädchen mit Hidschab die anderen als Huren sehen und bezeichnen, während sie von diesen wiederum als "Kopftuch" beschimpft werden. Jetzt sitzen diese Kinder und Jugendlichen vor dem Bildschirm, um sich ihre Dosis "Schule" abzuholen ohne die tatsächlichen Begegnungen, ohne die regulierenden Eingriffe durch uns Lehrer: Das ist nicht gut. Und das ging auch nicht gut. Seit der Homeschooling-Zeit sind die Probleme im Sozialverhalten deutlich schärfer geworden. Gerade letzte Woche war ich an einer Konferenz beteiligt, bei der es darum ging, dass ein Schüler im Zuge solcher Auseinandersetzungen zu Boden gerissen, geschlagen und gegen den Kopf getreten wurde. Im Vorgespräch äußerten die Täter Unverständnis darüber, dass der überwältigte Schüler am Boden liegend weiter beleidigt hätte: "Man muss doch einsehen, wenn man verloren hat!" Jetzt die Pointe: Alle beteiligten Schüler sind Mädchen von sechzehn Jahren. Instagram-Schönheiten. Es gab einen ernsthaften Mordkomplott gegen einen Kollegen, der nur daran scheiterte, dass der emotional-sozial auffällige Junge, der damit beauftragt war den Kollegen vor den einfahrenden Zug zu stoßen, davor doch zurückschreckte. Die Landesschulbehörde meint, damit muss der Kollege als Pädagoge zurecht kommen, deshalb kommen die Jungen ohne jede Konsequenz davon. Mir wurde auf der letzten Hamburg-Fahrt von einem Schüler, der etwa 90 Kilo wiegt und einen guten Kopf größer ist als ich, "angeboten" mich von der Aussichtsplattform der Elbphilharmonie zu werfen, als ich oben an der Brüstung stand. Ich habe keine Studien, nur die eigene Erfahrung und die Berichte von Kollegen und Kolleginnen. Darauf basierend sage ich, das ist deutlich mehr geworden!
Dazu kommt, dass der Lernerfolg aus verschiedenen Gründen mäßig war. Ein großer Teil der Schüler hat die Aufgaben einfach nicht gemacht. Meine sechste Klasse in Deutsch ist von der Leistung her völlig auseinandergefallen: Die guten sind besser geworden, aber die schlechten sind mehr geworden und schreiben auf dem Niveau der dritten Klasse. Es gibt online keine Mittel direkt einzuwirken.
Insgesamt wird oft nicht gesehen, dass Lernen nicht einfach das Anhäufen von Faktenwissen ist, sondern auch stark von der persönlichen Interaktion abhängt. Es ist ein Unterschied, ob sich ein Mensch aus Fleisch und Blut direkt und unmittelbar Wissen kommuniziert oder man sich das irgendwo ansieht. Videos, Online-Lernen etc. sind nicht schlecht. Aber wir sind soziale Wesen. Ich schlichte einen Kampf auf dem Schulhof nicht dadurch, dass ich dazwischen gehe und alle umhaue, sondern dadurch, dass ich präsent bin. Das (!) ist alles! Mehr darf ich eigentlich auch gar nicht, aber mehr muss auch nicht sein. Wenn diese Hemmschwelle aber erst einmal gefallen ist, dann gute Nacht, Marie. Und das bewirkt unter anderem das Online-Unterrichten.
Und ganz abgesehen davon: Online-Unterricht ist ein Stachel im Arsch. Der ist so beknackt vorzubereiten und durchzuführen! Aber was soll´s: Dank Inklusion sind wir Lehrer jetzt auch Therapeuten, müssen sowieso alle Schulzweige gleichzeitig unterrichten (nennt man "Binnendifferenzierung". Wenn man einen schönen Begriff hat, ist es auch machbar. Oder so.), sind Verwaltungsexperten, weil die Verwaltungen eingespart werden müssen, sind Reinigungskräfte, weil die Klassen jetzt selbst sauber machen müssen, sind IT-Experten (mit einem Equipment, das oft genug nicht funktioniert, lahmt, von einem Schüler sabotiert oder von einem Kollegen verstellt worden ist). Nun werden wir eben auch Video-Entertainer. Nur nicht klagen.
Ich hatte noch mehrere Punkte, aber, weil ich schon so viel geschrieben habe, doch nur noch einen:
Wir haben in der Nähe unserer Schule ein Auffanglager, für das meine Kollegen und ich inzwischen ein Benefiz-Konzert gegeben haben. Heute hörte ich an einem Nebentisch im Café eine Frau darüber schwadronieren, dass "die Ukrainer auch nicht alle so nett" wären, wie "sie alle immer" sagen. Empörend! Das sind also Menschen, die nicht auch alle immer nett sind? Wie kann das bloß sein?! Wo das doch von allen behauptet wird! Ich sehe auch einen doppelten Standard, was den Umgang mit Flüchtlingen angeht. Aber auch aus meiner Familiengeschichte heraus weiß ich: Man kann sich auf die oberflächliche Scheinheiligkeit und Besserwisserei, auf die Empörungsfreude und Lästermäuligkeit der Menschen verlassen.
Ich stimme dir leider zu.
"Wissensvermittlung" online geht im Prinzip ja, genau wie man daheim ein Buch ließt.
Reicht aber wie du sagtest leider nicht. (Zumindestens nicht bei leicht ablenkbaren Kindern oder Teenies.)
Um es, wie es modern ausgedrückt wird, TLDR auszudrücken:
Teenager sind Soziopathen. Und das fast ausnahmslos und nicht nur an "Brennpunktschulen". Sozialverhalten lernt man erst und das dauert halt. Und geht nur präsent.
(Nein, ich bin kein Lehrer. aber ich war auch mal Schüler.)
Danke für Deine Bestätigung!
Das Problem bei Heranwachsenden ist der Narzissmus. Der ist bei Kindern zu einem gewissen Grad normal, kann sich aber krankhaft verfestigen, wenn es keine soziale Korrekturen gibt.
Das Problem mit mir als Lehrer ist: ich weiß das, aber das wird mir nicht geglaubt, denn: "Du bist kein Psychologe! Hast Du denn Daten?!" Nach meiner Erfahrung, die natürlich persönlich unterschiedlich sein kann, haben Personen mit narzisstischen Zügen leider viel zu viel in ihrer Hand. In Musikvereinen und den Dachverbänden auf jeden Fall. In Sportvereinen scheint das ähnlich zu sein, wie ich durch Junior an drei Vereinen erleben durfte. Schulen sind da sozusagen der letzte Ort, wo man noch Sozialverhalten lernen und üben kann – und das wird zunehmend von narzisstischen, meist übergewichtigen (das hängt durchaus zusammen) Helikoptereltern unterlaufen. Der Vater des Mädchens, das diese Prügelei veranstaltet hatte, war da und hat seine liebe Tochter heftig verteidigt und wem die Schuld gegeben? Richtig: uns Lehrern, der Schule und dem Opfer.
Und da schließt sich der Kreis: Narzissten sind nicht diskursfähig, Diktatoren sind Narzissten, also kann man mit Diktaturen nicht verhandeln und Aufrichtigkeit erwarten.
Ja, das Kind ist halt nie schuld.
Und das Helicopterelternproblem hat in den vergangenen Jahren leider überhand genommen, speziell seit der Nachwuchs immer per Handy erreichbar ist.
Wir können im Prinzip noch froh sein bei uns noch keine amerikanische Verhältnisse zu haben. Dort wird ja antisoziales Verhalten defacto schon gepflegt.
Zuletzt hat der von mir äußerst geschätzte Robert Reich eine Liste der Schulmassaker in den USA von 1998 – heute gepostet und diese war gefühlt endlos.
Und das Traurige:
Das "Training", welches die Kinder dort erhalten haben, welches ihnen helfen soll solche Amokläufe zu überleben hat zuletzt fürs komplette Gegenteil gesorgt.
Der Amokläufer hatte nämlich genau dieses durchlaufen und wußte deshalb wie man es umgehen kann bzw. wo sich potentielle Opfer verstecken. Resultat, erst recht mehr Tote.
Noch ein Nachtrag von mir als Extrapost.
https://www.maniac.de/blogs/leserpost-mein-verhinderter-amoklauf/
Über ein Jahrzehnt alt, aber immer noch lesenswert.
Und als jemand dem Schulmobbing (wenn auch nicht annäherend so extrem, wie hier beschrieben) nicht fremd ist, frage ich mich seitdem
"Wieviel hätte bei mir gefehlt…?"
Mag vielleicht übertrieben sein, aber die Grenze ist denke ich dünner als so manche glauben…..
Ach ja Lehrer, ganz toll. Erinner mich noch gut daran, dass meine werte Frau Klassenlehrerin nur noch geseufzt hatte, als ich wieder mal melden wollte, dass ich massiv gemobbt wurde. War doch "alles laengst geklaert", immerhin hatten wir ja schon ein Intervenierungsgespraech beim Direx – das von den werten Mobbern aber auch nach paar Wochen wieder vergessen war. Als dank gabs bei der auch nur miese Noten, die ich in dem Fach auch komischerweise nur bei der Dame hatte.