06
Mai 2022

BRAVO! Der Sorgen-Sommer 1970

Themen: BRAVO!, Film, TV & Presse |

Ich hatte ja angedroht, die Dr. Sommer-Ratschläge aus den Jahresübersichten auszulagern. So blasen sie die Chronik nicht auf – und wahrlich, sie verdienen ihre eigene Rubrik. Meine Hoffnung war, Schräges und Lustiges, Doofes und Überraschendes zu präsentieren. Aber leider stellt sich heraus, dass “jung sein” vor 50 Jahren ein verdammt hartes Brot war und besonders die Mädchen teilweise aus einer Not heraus schrieben (so die Briefe authentisch sind, was ich einfach mal annehmen muss), dass dem Leser jede Häme schnell im Hals stecken bleibt.

Böse Zungen könnten behaupten, dieses Mädchen wäre Opfer UND Täter – mit 15 vom Stiefvater schwanger? Das ginge noch. Aber ein Mischlingskind?!

Die Zeile “… da alle Briefe an mich (…) geöffnet werden” liest man erschütternd häufig. Das wäre bei uns Zuhause absolut undenkbar gewesen.

Wenn man die ca. 260 Briefe durchliest, die von der Sommer-Redaktion damals pro Jahr beantwortet wurden, dann nimmt man schnell wiederkehrende Merkmale wahr. Hier: “Nun ist es passiert”. Der erste Geschlechtsverkehr, der Verlust der Jungfernschaft auch unter widrigsten Umständen, die Schwangerschaft – “ist passiert”. Man hat mitunter das Gefühl, dahinter versteckt sich neben Scham und Unwissenheit auch eine gewisse verdrängte Eigenverantwortung. In diesem Fall erwähnt das Mädchen  an keiner Stelle, dass der Geschlechtsverkehr irgendwie erzwungen worden war oder dass sie keine Ahnung hatte, auf was sie sich einlässt. Der Sex mit dem Stiefvater, die Schwangerschaft – das scheint verkraftbar. Aber ein Mischlingskind? Das würde ja jeder sehen können! Was sollen denn die Leute denken?

Die Furcht vor dem mehr oder weniger “schwarzen Mann” war damals noch weit verbreitet – und wurde von vielen geschmacklosen Vorurteilen begleitet:

Ein ähnlich gelagerter Fall, der wieder viele Fragen offen lässt:

Sie hat “aus Spaß” vorgeschlagen, in seinem Bett zu schlafen? Ihre Eltern hatten nichts dagegen? Sie wurde mit ihm intim, zum “richtigen” Verkehr kam es allerdings nicht? Sie fühlt sich sexuell gebunden? Und mit 14 (!) lässt sie seine Zärtlichkeiten zu, wenn sie Alkohol getrunken hat? Klingt nach viel Arbeit für zuerst den Scheidungsanwalt und dann den Familientherapeuten.

Die Vorstellung, dass klar minderjährige Mädchen den Launen, der Lust oder der Lebensplanung älterer Männer zur Verfügung stehen, war 1970 ebenfalls erschreckend weit verbreitet, wie dieser Brief zeigt:

Meine ersten Gedanken: Ein 40jähriger erwartet, eine 15jährige zu heiraten? Und er macht ihr Vorwürfe, weil sie das ablehnt? Wieso muss sie das überhaupt ablehnen? Wo sind ihre Eltern bei der ganzen Geschichte? Natürlich muss man immer zwischen den Zeilen lesen, und da scheint hier einiges fischig zu sein: woher weiß der Mann, dass sie sich mit anderen Jungen trifft? Was soll die letzte Zeile “Und empfindlich ist er auch”? Ist die Verbindung zwischen den beiden doch enger, als hier zugegeben wird?

Es geht aber noch schlimmer und ist auch wieder kein Einzelfall in der Sommer-Rubrik – sexueller Missbrauch, der zu einer kranken Form von Beziehung wird:

Partnersuche wie in der Steinzeit mit der Keule. Man fragt sich, ob junge Mädchen anno 1970 keine richtige Vorstellung davon hatten, was eine Vergewaltigung ist und den erzwungenen Sex nur als so eine Art unerwünschtes Kennenlernen interpretierten. Da war noch viel Aufklärung nötig – auf beiden Seiten.

Ein 14jähriges Pärchen bekommt ein Kind – ist wohl wieder mal “passiert”. Wie sie mit dem Kind zusammen leben wollen, ist mir schon als Konstrukt unerklärlich – und in diesem Fall kann ich die Eltern verstehen, die das “nie erlauben würden” (der Konjunktiv impliziert, dass den Eltern die böse Überraschung noch bevorsteht). Aber der echte Knaller versteckt sich im letzten Absatz:

Doch doch, Hasch hilft schon – kommt nur drauf an, gegen was. Haben die Kids ernsthaft gedacht, ein Joint sei zur Abtreibung tauglich?!

Sonja (15) ist von ihrem 30jährigen (!) Freund in seiner Wohnung “aufgeklärt” worden – aber wohl nicht in Sachen Verhütung. Nun hat sie den Salat:

Mich fasziniert, dass Sonja keinen besonderen Leidensdruck zu verspüren scheint. Da ist kein Entsetzen, keine Panik, keine Verzweiflung. Ist halt dumm gelaufen und nun weiß sie nicht weiter. Das größte Problem sind wohl die DM 1,20 Taschengeld.

Auch bei Bärbel scheinen die ungewollte Schwangerschaft und der Abflug des Erzeugers nur sekundäre Probleme zu sein – beim Klauen ist sie erwischt worden und möchte gerne wissen, wie ihre Chancen im Prozess sind:

Ich gestehe, dass ich Bärbel nicht glaube. Weder, dass ihr Freund die einzige Motivation zum Diebstahl war, noch dass sie mit den anderen Diebstählen nichts zu tun hat. Sie will sich lediglich versichern, dass man sie nur drankriegt für das, was man ihr nachweisen kann.

Bei der 12jährigen (!) Cordula liegt der Fall etwas anders – was ihren Altersgenossinnen angetan wird, davon träumt sie lediglich:

Würde ich das auf die leichte Schulter nehmen, würde ich ihr ein Praktikum bei der LISA-Film empfehlen – da wäre auch das Alter kein Problem.

Gabriele aus Köln ist deutlich gschamiger, wie man in Bayern sagt:

Die einzige Frage, die sich mir hier stellt: Warum hasst sie ihre Familie, seit sie den Filmstar liebt? Ich konnte anno 1983 auch Nena und meine Mama lieb haben.

Sich in Stars zu verlieben ist ja sowieso eine zweischneidige Sache – wie schnell kommt es zu eingebildeten Sehnsuchtsdramen! Bei Christa und Anni verstehe ich das Problem aber nicht ganz:

“Kusinen” – großartig. Schreibt ja heute keiner mehr so. Aber ich bin sicher, Ricky kann mit Christa glücklich werden, während Rex Gildo… also… also zumindest kann Ricky mit Christa glücklich werden und Anni muss es ihr nicht neiden.

Da lobe ich mir Daniela und Claudia, die “nur” von Bullying betroffen sind:

Der Küchenpsychologe meint dazu: Die Jungs wollen die Aufmerksamkeit der Mädels, weil sie an ihnen interessiert sind. Ich möchte das bezweifeln. Manchmal verhalten sich Jungs wie Arschlöcher, weil sie Arschlöcher sind. Keine Pointe.

Die wirklich coole Sau des Jahrgangs ist aber der 14jährige (!) Werner – ich müsste mich empören, bin fast aber ein wenig neidisch auf seinen Lifestyle:

Ich wüsste zu gerne, was aus Werner geworden ist.

Kommen wir zu einem der (nicht) wenigen Leserbriefe, bei denen mich die Antwort mehr entgeistert als die Frage. Das geschilderte Problem wird klein geredet, dem Schreiber wird der Vorwurf gemacht, es wohl nicht ernst genug gemeint zu haben – und am Ende wird empfohlen, doch lieber in der Blase der eigenen Konfession zu bleiben. Unfassbar:

Man merkt sehr deutlich, dass die BRAVO sich immer gerne um eine klare Aussage drückte, sobald es um Religion ging. Nur keinen Ärger provozieren!

Zum Abschluss versöhnlich. Es gibt auch Probleme in der BRAVO, die lassen sich von der BRAVO lösen. Auftritt Inge (15)!

Damals gab es kein DEUTSCHLAND SUCHT DEN SUPERSTAR, nur den poofigen TALENTSCHUPPEN. Aber eine Ausgabe später konnte die BRAVO der Nachwuchs-Trällerbiene die Chance ihres Lebens bieten, samt Rex Gildo und Zahnpasta:

In diesem Sinne: Hossa!



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Mina Knallenfalls
Mina Knallenfalls
6. Mai, 2022 11:48

Ich werde sentimental. Christa und Anni aus… WATTENSCHEID.

Das ist einfach reizend.

Aber was ist so bemerkenswert daran, dass Cordula sich mit 12 gerne mal vor einem Jungen ausziehen möchte? Ich war in diesem Alter im örtlichen Fußballverein hier in Wuppertal, und wenn wir uns mit den wenigen Mädchen, die damals schon spielten, getroffen haben, dann wurde sich als “Mutprobe” voreinander ausgezogen. O.K., ich hab das ohne Ratschlag der BRAVO hinbekommen…

Mina Knallenfalls
Mina Knallenfalls
6. Mai, 2022 13:35
Reply to  Torsten Dewi

Ich bin kein Mädchen 😉 Aber es stimmt natürlich: So etwas ist kein “Wunschtraum”, sondern schlicht “Pubertät”.

Aber wenn man, wir nehmen mal an, das stimmt alles so, der BRAVO als 12-Jährige schreibt, dann ja vermutlich nicht im Duktus: “Es ist ja was völlig Normales für mich als Heranwachsende, aber ich wollte euch das trotzdem mal schreiben…”

Jake
Jake
6. Mai, 2022 14:12

Ich wüsste zu gerne, was aus Werner geworden ist.

Coole Socke, der Werner! Aber was war der Anlass seines Leserbriefs? Suchte er Rat, wie er seine “Live fast, die young”-Lebensweise wieder in geordnete Bahnen lenken kann?

Jake
Jake
6. Mai, 2022 14:44
Reply to  Torsten Dewi

Frechheit! Bei so viel Chuzpe bleibt mir doch glatt die Spucke weg.

trackback

[…] (13, aus dem Hunsrück) ist der Werner dieser Ausgabe – ein echter Player, dem das crazy Weibsvolk über den Kopf zu wachsen […]

Christa
Christa
29. August, 2022 21:44

Hallo,
an alle, die es interessiert. Ich bin Christa und heute fast 67 Jahre alt. Ich habe Ricky Shayne bedauerlicherweise nie kennengelernt. Ich kann nur sagen, dass weder Ricky Shayne noch Rex Gildo unsere Freundschaft entzweit haben. Wir verstehen uns nach wie vor blendend. Rückblickend bin ich froh, dass wir keine gravierenderen Probleme hatten. Unsere Oma, übrigens, ein Flüchtling aus Ostpreußen, hatte ihren Spaß mit uns Mädels. Insgesamt ist aus uns etwas geworden. Wir fahren immer mal wieder gern mit dem Fahrrad über die Erzbahntrasse nach Wattenscheid. Es ist einfach herrlich, in die Vergangenheit mit seiner Kindheit zu schlüpfen. Viele Erinnerungen werden wieder lebendig. Wir genießen es.

Christa
Christa
29. August, 2022 22:15
Reply to  Torsten Dewi

Haben Sie mal die komplette Antwort für uns? Mich würde mal interessieren, ob ich sie heute verstehen und nachvollziehen kann. Damals habe ich sie nicht verstanden. Lach…..