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Apr 2022

Fantasy Filmfest Nights XL 2022: DARK GLASSES

Themen: FF Nights XL 2022, Neues |

Italien/Frankreich 2022. Regie: Dario Argento. Darsteller: Ilenia Pastorelli, Asia Argento, Andrea Zhang, Andrea Gherpelli

Offizielle Synopsis: In Rom geht ein Mörder um, der es auf Prostituierte abgesehen hat. Blutüberströmt werden sie erdrosselt oder erstochen aufgefunden. Als nächstes Opfer wurde die Sexworkerin Diana auserkoren. Bei einer Verfolgungsjagd gerät sie in einen Unfall, der ihr das Augenlicht raubt und den kleinen Chin zum Waisen macht. Aus Schuldgefühlen nimmt Diana den Jungen bei sich auf. Doch der Killer ist ihr nach wie vor auf den Fersen. Es beginnt eine erbarmungslose Hatz durch dunkle Gassen und nebelverhangene Wälder, bei denen Diana auf die Augen ihres Schützlings angewiesen ist, während ihr Verfolger eine immer länger werdende Blutspur hinter sich herzieht.

Kritik: Es schmerzt, aber es ist wahr: Dario Argento hat länger schlechte als gute Filme gedreht. Auf dem FFF lief Anfang der 90er schon eine Retrospektive, für die er sogar eine Woche lang in Hamburg weilte – Veranstalter Rainer Stefan erzählte gestern durchaus melancholisch, dass der große Giallo-Gottvater damals eine echte Diva gewesen sei, die sich u.a. weigerte, Filme aus seinem Oeuvre vorzustellen, die er selber nicht (mehr) leiden konnte.

Wie viele Argento-Filme habe ich in meinen über 30 Jahren auf dem FFF gesehen? Gar nicht so viele, der Meister entschied sich ja in den 90ern, nur noch verquasten Kappes zu drehen (was die Jungs von Basteis Horrorfilm-Lexikon, die ihn mal “Hirnzwerg” nannten, vermutlich gefreut hat). Er wurde ein Regisseur, dem das Genre weggestorben war und der keine Alternative fand. GIALLO war schon ein ziemlich übler Versuch, zu alten Stärken zurück zu finden und über DRACULA 3D kann man nur den Mantel des Schweigens decken, um die Reputation Argentos nicht endgültig in den Schmutz zu ziehen.

Ich hatte eigentlich erwartet, dass Argento in Rente geht und bleibt. Er ist 80 Jahre alt, hat seit zehn Jahren keinen Film mehr gedreht und es gab immer wieder Gerüchte von körperlichem wie geistigem Verfall.

Aber da isser wieder – mit einer sehr deutlichen Hommage an sich selbst und das Giallo-Genre, die bisher von Kritik und Publikum weitgehend positiv aufgenommen wurde, meist im Kontext “Dario Argento is back!”. Flüchtende Frauen, menschenleere Straßen, überforderte Kommissare, blitzende Klingen, spritzendes Blut.

In der Tat scheint DARK GLASSES geradezu manisch nochmal die Klischees, Tropen und “visual keys” des Genres sammeln zu wollen. Das geht weit über die Story und Elemente wie Blindheit hinaus. Es ist ein prototypischer italienischer Slasher dabei herausgekommen, der so auch 1978 hätte gedreht werden können. Ein absolutes Plus ist der Synthie-Score von Arnaud Rebotini, der perfekt den Goblin-Stil imitiert.

Aber leider muss ich damit auch die Katze aus dem Sack lassen, dass ich der generell positiven Kritik nicht vollumfänglich zustimmen kann. Vielleicht muss man ein sehr leidenschaftlicher Giallo-Geek sein, um die Schwächen als Stärken zu interpretieren, aber in seiner perfekten Mimikry vereint DARK GLASSES auch alle Defizite des Genres. Gehen wir sie mal kurz durch: Die Identität des Killers ist letztlich wurscht, wird zu früh enthüllt und bleibt überraschungsfrei. Sein Motiv ebenso. Es gibt keinerlei plausible Beziehung zwischen Täter und Opfer. Die Mordserie gibt ihre Giallo-Elemente (schwarze Handschuhe, Strangulierdraht) bereits nach dem Prolog auf. Der Kommissar wird zwar eingeführt, aber seine Ermittlungen geschehen offscreen und folgenlos. Am Ende ist der Triumph über den Bösewicht mit keiner nennenswerten Katharsis verbunden. Und der Titel? Ergibt letztlich auch keinen Sinn – wie schon THE BIRD WITH THE CRYSTAL PLUMAGE oder FOUR FLIES ON GREY VELVET.

Hinzu kommt das, was ich mittlerweile das “alte Männer”-Problem nenne. Dario Argento bedient das voyeuristische Auge mit zwei Topless-Szenen von Ilenia Pastorelli, die geradezu lachhaft erzwungen wirken. Da ist so gar kein Gefühl für Erotik, Spannung oder Inszenierung drin. Man hat eher das Gefühl, bei einem Drehbuch-Meeting wäre irgendwann der Punkt “Titten?” in der Checkliste abgehakt worden.

Kann das gewollt gewesen sein? Kann Argento ernsthaft das, was vor 40 Jahren schon knarzte, ernsthaft als “stilbildend notwendig” erachtet haben? Müsste man nicht erwarten dürfen, dass ein Giallo 2022 wenigstens dort einen Fortschritt darstellt, wo er sich der früheren Missstände gewahr ist? Weiterentwicklung statt Wiederholung? Vielleicht habe ich da zu viel erwartet.

So bleibt nur ein leidlich spannender Slasher, der aber keine wirkliche Existenzberechtigung hat und von AMER als Quintessenz des Genres deklassiert wird. Und ich kann mir nicht helfen, aber ein amerikanischer Altstar als “Anker” für die Ermittlungen hätte sicherlich geholfen. So wie früher halt.

Fazit: Keine “return to form” für den Altmeister, aber ein solider Slasher, mit dem er sich ohne Groll in die Rente verabschieden kann – was er auch tun sollte. 6 von 10 Punkten – einer davon ist der Sentimentalität geschuldet.

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P.S.: Ich habe Asia Argento nicht erkannt. Was für ein Image-Wechsel.

P.P.S.: Beim Poster hatte ich natürlich einen massiven Flashback:

 



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4 Kommentare
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Heino
Heino
2. April, 2022 12:13

Wer ist Daria Argento? Hast du da Vater und Tochter vermischt?

Heino
Heino
2. April, 2022 13:53
Reply to  Torsten Dewi

Make facts great again

Thies
Thies
3. April, 2022 01:20

Der Film wirkte wie ein Familientreffen, bei dem man einen Onkel trifft, den man seit 10 Jahren nicht mehr gesehen hat. Nach zwei Gläsern Wein fängt er an die alten Geschichten von anno dazumal vorzutragen. Und Du lächelst dabei und hörst im höflich zu, weil Du ihn im Grunde immer noch gern hast. Aber Du schaust trotzdem immer wieder verlegen auf die Uhr, während er anfängt leicht zu stammeln, Teile verschiedener Geschichten zu vertauschen oder die Pointen zu vermasseln. Und Du hoffst, dass Du dich bald verabschieden kannst, bevor er vollkommen die Haltung verliert oder sich einnässt.

Das mag jetzt ablehnender klingen, als es gemeint war, denn im Gegensatz zu seinen letzten Werken, konnte ich aus “Dark Glasses” zumindest Ansätze von Stil und handwerklichen Können bemerken, die lange Zeit weitgehend abwesend waren. Dafür schlägt die Handlung ein paar Haken, bei denen keine Achterbahn mitkommt. Der kleine Junge wirkt eher wie ein Klotz am Bein als eine Hilfe für die blinde Protagonistin. Zahlreiche Momente wie Personen die einem auf sie zurasenden Fahrzeug nicht mal versuchen auszuweichen sorgen für die Gelegenheit sich die Hand an die Stirn zu klatschen.

Ich hätte es Argento wirklich gegönnt, dass er noch mal die Kraft und die Unterstützung gefunden hätte um ein letztes Meisterwerk wie “Inferno” oder “Opera” zu drehen. Das Kino liebt schließlich Geschichten mit späten Comebacks längst abgeschriebener Aussenseiter. Auch wenn es nicht gereicht hat, habe ich versucht das beste aus der Erfahrung mitzunehmen. Alles andere wäre einem alt gewordenen Meister gegenüber unhöflich. Den Onkel auf der Feier lacht man schließlich auch nicht aus.

Last edited 2 Jahre zuvor by Thies