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Mrz 2022

Historische Legasthenie: THE IPCRESS FILE

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich wollte eigentlich nur eine Kritik zur sechsteiligen Neuverfilmung des Len Deighton-Romans THE IPCRESS FILE schreiben, der in den 60ern schon mal den Durchbruch von Michael Caine brachte und Beginn der Harry Palmer-Reihe war:

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Bei der neuen Version hat man sich wahrlich nicht lumpen lassen – das hier ist ein Style-Orgasmus, eine Designer-Agentenserie, die teilweise an MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE erinnert und die Welt, die bei der ersten Adaption Gegenwart war, im Rückblick zu einem gelackten Swinging Sixties-Comic umdeutet. Offensichtlich hat man sich von QUEEN’S GAMBIT inspirieren lassen:

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Uns hat es sehr gut gefallen – die Aufteilung in sechs Teile gibt dem komplexen Plot des Romans mehr Raum, die Darsteller sind hervorragend und Joe Cole empfiehlt sich für weitere Adaptionen der Deighton-Schinken. Gerade nach vielen schwachen britischen Krimiserien der letzten Wochen (WOLF, MURDER IN PROVENCE) war das hier ein echtes und benötigtes Highlight.

Ich komme aber nicht umhin, einen technischen Aspekt zu monieren, der mir aufgestoßen ist. Und damit meine ich nicht die permanenten “dutch angles”, die eine durchaus nachvollziehbare Stilentscheidung sind. Nein, ich ärgere mich über die Ausstatter der Serie. Gedreht wurde ein Teil von IPCRESS FILE in Kroatien mit Zagreb als Double für das geteilte Berlin der frühen 60er.

Das ist in Ordnung. Üblicherweise ist Prag die erste Wahl, wenn man die Zeit des Kalten Krieges (oder die Nazizeit) aufleben lassen will. Aber Zagreb geht auch. Man hat sich sichtlich Mühe gegeben, bei den Fahrzeugen, Möbeln und Kostümen authentisch zu sein.

Aber hätte nicht EINER mal über die deutschen Beschriftungen lesen können?!

Hier ist wirklich alles falsch, von der Grammatik über die historische Plausibilität bis zur Recherche. Es lohnt sich, ab und an mal die Pausetaste zu drücken.

Die nachfolgenden Beispiele stammen alle aus der ersten Folge.

Das hier ist vergleichsweise banal, wenn auch vermeidbar:

Es gibt keine Krusestraße in Berlin.

Ein wahres Füllhorn ist Harrys Besuch eines Berliner Restaurants:

Ich lasse mal außen vor, dass diese Art türkisches Restaurant in den frühen 60ern praktisch nicht existent war. Aber es ist nicht zu rechtfertigen, dass die Bühnenbauer “türkisch” UND “Spezialitäten” falsch geschrieben haben (zweimal). Dass die Speisekarte eine wilde Mischung aus Baklava, Kaffee mit Milch und Weizenbier anpreist. Und dass ein Bier in Westberlin damals angeblich vier Mark gekostet hat. Da stimmt wirklich gar nichts und man fragt sich, ob kein Muttersprachler vor Ort war.

Dagegen ist “Max’s Club” ein vergleichsweise kleineres Kaliber:

Harry Palmer vor dem “Europaplatz Hotel”.

Abgesehen davon, dass man eher “Hotel Europaplatz” schreiben würde, gibt es den Europaplatz in Berlin erst seit der Neuerschließung des Hauptbahnhof-Areals in den 90er Jahren. Und ein Hotel dieses Namens gab es auch nie.

Klar kann man einwerfen, dass IPCRESS FILE eine fiktive Geschichte erzählt und neben den fiktiven Figuren auch legitim fiktive Schauplätze präsentieren kann. Aber die Deighton-Romane suhlen sich (wie viele Bücher dieses Genres) in einer Pseudo-Authentizität, bei der reale Orte und Ereignisse die Glaubwürdigkeit der Handlung stützen. Es wäre ja wahrlich kein Problem gewesen, sich mal in der Wikipedia schlau zu machen.

Ich bin kein Experte für KFZ-Kennzeichen, aber es scheint, als würden in IPCRESS FILE auch alle Westberliner Autos mit Ostberliner Nummerschildern fahren.

Ein “nest of spies”, ein konspirativer Treffpunkt – der “Liebeskellar”.

Für die Beschriftung dieser Tür gibt es gleich doppelten Punktabzug:

Eine unschöne Verquickung von deutsch und englisch – und dann auch noch falsch geschrieben. Es müsste “personnel” lauten.

Manchmal schleichen sich die Fehler auch in die Untertitel. Haltet mich für einen Korinthenkacker, aber es sollte kein Problem sein, mal kurz bei Google Maps nachzuschauen, dass das “Neue Jakobstraße” heißt:

Harry behauptet übrigens frech, dass man an drei U-Bahn-Stationen über die Tunnel von Ost nach West und zurück schleichen kann. Das war 1963 definitiv nicht mehr so – und die digitale Darstellung des verfallenen Bahnhofs möchte ich auch mal in Frage stellen.

Zum Abschluss noch ein Detail. Ich gehe davon aus, dass die Amerikanische Botschaft in Berlin 1963 ein etwas aussagekräftigeres Türschild hatte. Hier steht allen Ernstes nur “Die Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin”:

Nun habe ich solche Schlampereien schon in sehr vielen Filmen gesehen. Aber hier ist es so auffällig, gerade weil der Rest der Produktion so makellos und gelackt ist. Wenn die Herstellung von Schildern und Neonreklamen mehrere tausend Euro kostet – sollte man dann nicht wenigstens die Beschriftungen mal durch Google Translate laufen lassen? Ist DAS der Punkt, an dem man sparen kann?

Wie seht ihr das? Versenden sich solche Fehler oder reißen sie euch aus der Wirklichkeit der Serie raus? Lässlicher Lapsus oder schändliche Schludrigkeit?

P.S.: Ich habe mir gerade die Mühe gemacht, in einer Ebook-Version von Deightons Roman nachzuschlagen. Da gibt es kein türkisches Restaurant und keinen “Liebeskellar”. Darauf kann man sich also nicht berufen.



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Noyse
Noyse
28. März, 2022 10:39

Oftmals hapert es an Fenstern Klinken und Mülltonnen. Der Film wo die Mossad Agenten in Ostberlin rumlungern war zum Beispiel top – als in Ostberlin aufgewachsener dachte ich wirklich das die in Berlin gedreht hatten. Der versagt dann allerdings beim Krankenwagen.

Sebastian
Sebastian
28. März, 2022 11:16

Mich nervt so etwas auch massiv!
Ich erinnere mich da an einen Beitrag, wo Du das mal haarklein an verschiedenen Marvel-Filmen und DC-Serien durchexerziert hast. Das ist wirklich störend und reisst gerne aus der Immersion heraus – willingful Suspension of Disbelive hin oder her.

flippah
flippah
28. März, 2022 11:34

Bei Sachen wie Fenstern, Klinken und Mülltonnen sehe ich das ein, dass man das Geld für einen Umbau spart (auch wenn das Budget es vielleicht hergeben würde), aber es gibt nun wirklich genug deutsche Muttersprachler, dass man für kleines Geld jemanden rüberschauen lassen kann.
Ein Straßenname, den es nicht gibt, aber problemlos geben könnte, reißt mich nicht aus dem Film, wenn ich nicht enormes Wissen über die berliner Straßen habe. Da hab ich nur ein Schulterzucken.
Aber die meisten Dinge, die du hier aufzeigst, dürften die meisten deutschen Muttersprachler (oder auch nur leidliche Kenner der deutschen Sprache) aus dem Film reißen und ließen sich mit minimalem Aufwand beheben.
Und das ist eine Kombination, die echt ärgerlich ist.

Torsten G.
Torsten G.
28. März, 2022 12:24

Ja, das reißt mich raus – in dieser Häufung sogar so sehr, dass ich jetzt gar keine Lust mehr habe, die Serie zu schauen. Der Film steht aber weit oben auf meiner Watschlist.

S-Man
S-Man
28. März, 2022 12:36

Ich bin da auch bei dir und allen Vorkommentatoren. Ich finde das wirklich ärgerlich, gerade WEIL es so einfach und billig ist, das zu korrigieren. Das Berlin und Stuttgart des MCU reißt mich immer wieder ein Stück weit aus dem Spaß.

Btw… “Neue Jakobstaße” 😉

sven
sven
28. März, 2022 12:47

Wenn schon, denn schon: Ich bezweifle, dass es “Neue Jabokstraße” heißen muss, wie von dir geschrieben.

Zur Beschriftung der Botschaft:
Von 1941 bis 1977 gab es überhaupt keine Botschaft der USA in Berlin, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Botschaft_der_Vereinigten_Staaten_in_Berlin

Whatamess
Whatamess
28. März, 2022 21:24

Vielleicht läuft das da so, wie bei unseren englischen Partnern: man nimmt eine – in UK ansässige – Übersetzungsagentur mit „Native German Speakern“ (im Leben nicht) und vertraut blind auf deren Übersetzungen, die wundersamerweise auch gerne ohne Umlaute auskommen und sprachlich/grammatikalisch oft eher verstörend sind.

Da wir mit den Ergebnissen hier arbeiten sollen, wird das natürlich von uns gerne wiederholt in Zweifel gezogen und deren Übersetzungen werden von uns und denen dann im Nachgang langwierig korrigiert.

Da auch der Country Manager Germany Deutsch nur als Zweitsprache beherrscht und das alles so im ersten Anlauf sprachlich ganz hervorragend findet, kann man gar nicht verstehen, warum wir die wunderschön günstigen Prozesse immer so unnötig mit unserer Sprachpedanterie aufblähen. 😂

Was mir auch in den letzten 10 Jahren bei englischen Partnern auffällt… Sie sind sehr oft erstaunt, wie nahe und unterschiedlich sich Englisch und Deutsch gleichzeitig sind. Das war vor den Pro-Brexit Kampagnen irgendwie anders, bzw. das Verständnis für ein gemeinsames kontinentales (Sprach-)Erbe und den Feinheiten war ein anderes. Das kann aber auch an der eigenen Filterblase liegen.

DSFARGEH
DSFARGEH
29. März, 2022 01:44

“Harry behauptet übrigens frech, dass man an drei U-Bahn-Stationen über die Tunnel von Ost nach West und zurück schleichen kann. Das war 1963 definitiv nicht mehr so“ – ich bin kein Berlin-Experte, kenne aber jemanden, der in den 70ern in einem Westberliner Gebäude gearbeitet hat (irgendein Archiv, meine ich) und ab und an seine Pause im Keller gemacht hat. Das Haus stand direkt an der Mauer, und irgendwo dort unten gab es einen direkten Durchgang in den Osten, gesichert durch ein Eisengitter und einen Ost-Wachposten. Mit den Jungs hat besagter Bekannter dann in seiner Pause durch die Gitterstäbe Karten gekloppt. Wenn es so etwas gab, ohne dass es an die große Glocke gehängt wurde, dann bin ich durchaus gewillt zu glauben, dass es ein paar wenige Schlupflöcher zwischen Ost und West gab, die kaum bis gar nicht dokumentiert waren.

Dinozeros
Dinozeros
29. März, 2022 01:57
Reply to  DSFARGEH

In der Tat. Es gab inoffizielle Wege, die auch Jungvolk nutzte, um drüben für kleines Geld groß zu feiern. Da können einem diverse Berliner recht amüsante, teils spannende Geschichten erzählen. Null Grund, an denen zu zweifeln.

S-Man
S-Man
29. März, 2022 08:48
Reply to  Dinozeros

a) Ich glaube ging es eher um die “U-Bahn-Stationen”. Und ich bin auch ziemlich sicher, dass die zumindest alle dicht waren.
b) Ich habe in dem Zusammenhang noch NIE davon gehört, dass es irgendwo Schlupflöcher gegeben haben soll, die nur zum Spaß an der Party genutzt wurden. Die mittlerweile sehr sehr imposant gestaltete Bernauer Straße (also nicht nur das Mauerdenkmal, sondern die gesamte Länge der Straße vom Nordbahnhof bis hinter den Mauerpark) ist ein Zeugnis zahlreicher Tunnel. Und ihrer meist tragischen Geschichten. Dort wurden alle bekannten Tunnelwege mit Stein- oder Metallplatten oberirdisch nachgelegt und an den meisten steht dann auch ein Gedenkstein für einen Mauertoten. Dass es b.1) solche Schlupfwinkel gegeben haben soll und irgendjemand nur zum Spaß mal eben Republiksflucht auch nur versucht haben soll, erscheint mir schon sehr unglaubwürdig, aber, dass dann auch noch b.2) irgendein noch so kleines Rädchen des Apparats dabei tatenlos zugesehen hat, das halte ich für ausgemachten Blödsinn. Es mag sein, dass ich da tatsächlich etwas nicht weiß, aber als Berliner und ehemaliger “Ossi” mit historischem Interesse habe ich so ziemlich jede Ausstellung und zahlreiche Führungen zu dem Thema gesehen und auch mit unzähligen Berlinern und Ex-DDR-Bürgern geredet. Das habe ich nie gehört und passt auch nicht dazu, dass zum Teil Fluchten jahrelang vorbereitet wurden.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
30. März, 2022 11:19
Reply to  DSFARGEH

Bis Winter 1961 waren quasi alle größeren Tunnel abgesichert oder zumindest bewacht. Man kann stark bezweifeln, dass da noch 1963 größere Schlupflöcher waren. Die U-Bahntunnel waren alle begehbar vom Osten, aber halt auch nur für Grenzschutzsoldaten, die normalerweise immer zu Zweit waren (mit Befehl zu schießen, wenn der andere rübermachen möchte). Das heißt natürlich nicht, dass man die nicht auch bestechen konnte, aber einfach war das nicht.
Und das rübermachen für Parties ist wohl eher eine Geschichte aus der Prä-Mauerzeit. Damals konnte man zwar rübermachen, aber es gab halt mehrere Kontrollen und besoffene Jungmenschen haben besseres zu tun als sich mit einem Grenzer anzulegen, da passen dann solche Stories gut rein. Zudem gabs vor dem Mauerbau auch regen Schmuggel, auch von Menschen (als Nicht-Berliner war ein Grenzgang nochmal schwieriger). Selbst die DDR bevorzugte es, Türen in die Mauer zu bauen, durch die ihre MfS Agenten rübermachen konnten. Das war aber auch erst in der zweiten Ausbauphase wie man die Mauer heute in Erinnerung hat, die erste Mauer war da teilweise noch einfacher.
Allerdings gabs doch eher selten Fälle wo Westleute nicht einfach öffentlich über die normale Grenze hätten ausreisen können. Ein Agent war ja ausgebildet in Verhören und auch die DDR konnte Westleute nicht ohne Grund für längere Zeit an der Ausreise abhalten. Zur Not wurde man in Fahrzeugen versteckt transportiert, was nach dem Mauerbau sicherlich sicherer war als die Gefahr bei ner Tunneldurchquerung einem DDR-Soldaten zu begegnen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit scharf schießen würde.

Die “US Botschaft” geht von der Nahaufnahme her imo sogar OK, damals war die komplette US Vertretung in nem Komplex in Dahlem (aka Außenbereich von Berlin). War vor Öffnung der neuen Botschaft noch im Konsulat und das sieht schon ähnlich genug aus. Aber wie gesagt, das ist recht weit vom Zentrum entfernt, kein Vergleich zum Standort der heutigen Botschaft.