Endlich wieder Sommer: BRAVO und die Sorgen der Teenager (1)
Themen: BRAVO!, Film, TV & Presse, Neues |Wir hatten ja neulich bereits eine bunte Bilderschau von BRAVO-Covern – jetzt geht es ans Eingemachte. Wir besuchen die Praxis von Dr. Jochen Sommer, dem praktizierenden Pseudonym der BRAVO-Psychologen, der seit den 60er Jahren bei Pickeln und Petting, bei Notenöten und Discodebakeln berät. Ihm ist nichts fremd, ihm ist nichts peinlich. Besser als Papa oder Pornohefte um Rat bitten war die Lektüre der Leserbriefe allemal.
Vor Dr. Jochen Sommer war übrigens Dr. Christoph Vollmer der Sorgenonkel der BRAVO-Leserschaft – etwas gestrenger, etwas biederer:
Aber Ende 1968 war es Zeit für einen frischen Wind in der feingerippten deutschen Teenager-Unterwäsche – a star was born:
"Dr. Sommer" (also der ursprünglich dem Team vorstehende Psychologe) hieß übrigens in Wirklichkeit Martin Goldstein. Ich werde Verdacht nicht los, dass der Name einigen Eltern, die die BRAVO sowieso mit kritischen Augen betrachteten, ein wenig zu jüdisch klang.
Ich würde ja gerne sagen, dass DAMIT niemand rechnen konnte – aber damit hätte man einfach rechnen müssen. Großes Tennis:
1980 wurde die Beraterseite modernisiert. Aus "Was Dich bewegt" wurde "Dr. Jochen Sommer antwortet" – im dynamischeren Layout:
Bevor wir uns an das erste Best Of geben, möchte ich ein paar Sachen klarstellen.
Diese Frage wurde oft nicht nur von BRAVO-Lesern gestellt:
Kann man glauben oder nicht. Ich habe mich auf die Spurensuche begeben. So hatte Diana (15, Hannover) 1985 ein nicht seltenes Pubertäts-Problem:
Eine Woche später war es wohl immer noch akut:
Vielleicht sollte sich Diana mit Wilfried zusammen tun, der sich vier Jahre später in einer ganz anderen Rubrik namens "Liebe, Sex & Zärtlichkeit" zu Wort meldete:
Die Behauptung, die Briefe seien absolut authentisch, bekommt Brüche…
MEINE Antwort auf die Frage ist demnach ein entschiedenes "jein". Von Anfang an war "Dr. Jochen Sommer" ein Team und man hat die Antworten an die vermeintlich kompetenten Kollegen delegiert. Es wurden Briefe gekürzt, verräterische Details weggelassen, und manchmal wurden sicher auch ein paar Briefe zum gleichen Thema exemplarisch zusammengefasst. Nach Tagen der Lektüre glaube ich aber durchaus, dass die Briefe im Kern meist echt sind, weshalb sie auch so sehr von absurd bis bieder schwanken.
Generell gilt: In den 60er Jahren waren die Probleme weitgehend analog zu denen der 80er. Es mag sein sein, dass der Teenager auch heute noch mit den gleichen Problemen hadert wie seine Eltern und Großeltern (eine furchtbare Vorstellung):
- Wie kann ich IHN/SIE ansprechen/kennenlernen/rumkriegen?
- Warum bin ich nicht so schön/beliebt/erfahren wie alle anderen?
- Warum ist mein Penis/Busen zu klein/groß und sieht komisch aus?
- Warum habe ich so wenig Freunde?
- Wie geht Zungenkuss/Analsex/Petting/Zauberwürfel?
- Er haut mich – soll ich ihn verlassen?
- Sie betrügt mich – soll ich sie verlassen?
- Ich muss ständig an Sex denken
- Hilfe, meine Periode ist ausgeblieben!
- Meine Eltern sind scheiße (Subthemen Taschengeld, Stubenarrest, Fernsehen)
- Ich nehme Drogen, ich haue ab, ich bringe mich um
- Ich liebe Jürgen Drews, David Cassidy, Tommi Ohrner und/oder Morten Harket (weshalb ich Drogen nehme, abhaue, oder mich umbringe)
Mit diesem Dutzend Standardfragen sind 60% der Sommer-Briefe abgedeckt. Es ist das generische "best of" der Teenager-Sorgen von 11 bis 18. Jeder von uns hat irgendwann mal eins oder mehrere dieser Probleme gehabt. Das ist Pubertät.
Es fallen aber auch andere Dinge auf, die ich SO damals nicht wahrgenommen habe. Zuerst einmal findet sich in den 60er und 70er Jahren eine erschreckende Ballung an (nicht nur, aber auch) sexueller Gewalt gegen Mädchen – diese wird vom Umfeld und sogar den Mädchen selbst normalisiert und banalisiert. Die Antworten der BRAVO liegen mitunter derart neben der Spur, dass sie strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen sollten:
Der sexuelle Missbrauch durch den Patenonkel als sexuelles Erwachen, mit dem das Mädchen sich erstmal in Ruhe auseinander setzen soll. HABT IHR SIE NOCH ALLE? Das Kind ist 13! Ab zu den Eltern, ab zur Polizei, ab zum Vertrauenslehrer!
Nicht besser geht’s den seltenen Jungs, die sich anvertrauen:
Manchmal reicht schon die Überschrift der Sommer-Antwort, um dem verantwortlichen Psychologen eine semmeln zu wollen:
Diese Antworten machen mich rechtschaffen fassungslos. Aber sie zeigen auch einen anderen, durchaus diskussionswürdigen Aspekts des Umgangs mit Sorgen und Nöten in den früheren Jahrzehnten: Die BRAVO empfahl nur in extremen und strafrechtlich eindeutigen Fällen die Einschaltung externer Autoritäten. Man erwartete deutlich mehr als heute, dass Jugendliche in der Lage sind (oder in die Lage versetzt werden müssen), Probleme autonom zu lösen und sich mit den Widersprüchen und Widerständen des Lebens zu arrangieren.
DAS kann ich – mit Einschränkungen – nicht schlecht finden.
Allerdings sollte jede Eigenverantwortung ihre Grenzen haben, und wenn man die Briefe ernst nimmt, dann dürfen auf SOLCHE Anfragen keine SOLCHEN Antworten gegeben werden – von dem indiskutablen letzten Absatz mal ganz abgesehen:
14jährige Mädchen. 14! Waren die bei der BRAVO alle besoffen oder notgeil?!
Wirklich lustig wird es bei der BRAVO immer dann, wenn es um unbeholfene Backfisch-Schweinereien im "Eis am Stiel"-Stil geht. Sehr viele Erlebnisse sexueller Natur kann man nur dergestalt kommentieren:
Nehmen wir dieses Beispiel eines Teenagers, der eine Gelegenheit ergriff, zum Mann zu werden, nur um dann wie ein kleiner Junge wegzulaufen:
Die großen Liebesgeschichten, sie liegen oft zwischen den Zeilen versteckt:
Manchmal kommt man da auch einfach nicht mehr mit:
Häusliche Probleme gehen auch immer. Erziehung anno 1980:
Frömmelnde Heuchelei ist als Thema der Leserbriefe auch nicht selten – aber selten so lustig:
Davon habe ich gleich noch einen – Prügelstrafe im Namen des Herrn!
Die "andere Seite" ist da deutlich harmloser:
Manchmal muss man unterstellen, dass die BRAVO sich einen Spaß macht:
Manche drastisch klingenden Geschichten lösen sich zum Ende hin auch entschärfend auf – mit einem Twist wie bei SIXTH SENSE:
Ich selber wäre nicht zum BRAVO-Psychologen geeignet, denn meine Ratschläge wären vermutlich meist zu direkt und derb. Probieren wir es aus:
Dr. Dewi: "Mit Recht!"
Dr. Dewi: "Kommt drauf an, wie viele du davon futterst."
Dr. Dewi: "Kein Supercharakter ersetzt 20 Zentimeter."
Damit mache ich den Briefkasten heute zu. Als Rausschmeißer noch ein Highlight:
Manchmal sind Ursache und Wirkung kaum zu unterscheiden: "Wir haben schon Hasch und stärkere Drogen zu uns genommen. Wir sind absolute GENESIS-Fans."
Das wäre der perfekte erste Satz für einen Roman. Neugier weckend, spannungsverheißend und einfach nur wunderschön!
My thoughts exactly. 😀
Das "Eigentlich" ist der Schlüssel.
Pubertät ist die Hölle.
Wie geht denn nun der Zauberwürfel?
Das will ich jetzt auch wissen!
https://rubiks-cube-solver.com/de/
Ach soo, DER Zauberwürfel… Ich dachte, das wäre was schweinisches 😀
Ich dachte zugegebenermaßen auch eher an eine Stellung aus dem Kamasutra.
Ich glaube eine sexuelle Stellung die den Namen "Zauberwürfel" verdient wäre sehr schmerzhaft und würde die Anwesenheit von Zenobiten erfordern.
Ich hab tatsächlich nie die BRAVO gelesen. Nachdem ich diesen Post gelesen hab, glaube ich, dass das auch besser so war. Denn offensichtlich ist Dr. Sommer ein ausgemachter Psychopath:
"Ich wurde vergewaltigt." – "Passivität wirkt aufreizend." – WTF???
Dr. Sommer 1968: „ich hoffe, daß wir gute Freunde sein werden“
Dr. Sommer ein paar Jahre später: „von uns kriegst du keine Freundschaft“
Da kann man ja auch mal den Durchblick verlieren…