First Look Failures: Brit-Boom-Bust
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Weil ich das britische Fernsehen so ausdauernd lobe, könnte man unterstellen, ich wäre in Sachen Inselkrimis zu unkritisch. Dem ist nicht so. Englische Krimiserien sind nicht grundsätzlich besser als deutsche oder amerikanische Ware. Ganz im Gegenteil: langlaufende Seichtware wie INSPECTOR LEWIS und MIDSOMER MURDERS hat für mich den Reiz von ROSENHEIM COPS und FALL FÜR ZWEI.
Die Tatsache, dass wir aber in den letzten zwei Wochen gleich fünf neue Serien nach der ersten Folge abgebrochen haben, ist schon erstaunlich, zumal fast immer das Potenzial für einen neuen Liebling gegeben war. Ich packe das mal in diese Sammeltüte.
Chelsea Detective
Läuft auf dem Krimi-Streamer ACORN, der mittlerweile diverse gute Serien einkauft oder produziert. Aktuell 4 Folgen in Spielfilmlänge, ausgelegt als "open end format". Max Arnold ist ein Ermittler im edlen Chelsea, der selber nach der Scheidung auf einem Hausboot lebt. Seine Partnerin Priya ist frisch aus dem Mutterschaftsurlaub zurück und hadert mit der neuen Rolle in der Familie.
Die Tatsache, dass CHELSEA DETECTIVE eine Koproduktion mit dem ZDF ist, sollte ausreichend die Alarmglocken klingeln lassen: das hier ist Hausmannskost ohne Eigengeschmack, geprägt von traniger Ermittlungsarbeit und uninteressanten Fällen. Die Versuche, den Polizisten ein wenig Tiefe zu geben, gehen beeindruckend nach hinten los, weil die persönlichen "quirks" völlig banal sind und nichts zum Verständnis der Figuren oder zur Lösung des Falles beitragen. Viele Außenaufnahmen in London beweisen, dass CD ein relativ solides Budget hat, aber der Look der Serie ist fast dokumentarisch bieder.
Sister Boniface Mysteries
10 Folgen à 50 Minuten, produziert für das Streaming-Angebot BritBox. Ein junger Polizist landet statt bei Scotland Yard versehentlich in der Provinz und stellt fest, dass die beste Ermittlerin vor Ort eine Nonne mit Vorliebe für Agatha Christie ist.
https://youtu.be/mhAV0Tcf-14
Das hat das Lokal- und Zeitkolorit sowie das Konzept, um wirklich drollig zu sein – zumal SISTER BONIFACE MYSTERIES ein Spinoff der erfolgreichen FATHER BROWN-Serie ist, die in England gerade die neunte (!) Staffel abgeschlossen hat. Aber es zeigt sich, dass sich manche Nebenfiguren nicht zum Protagonisten eignen: Boniface kommt in der ersten Folge kaum vor und wirkt primär besserwisserisch, auch die anderen Charaktere bleiben erschreckend blass, zumal der Fall keinen wirklichen Biss besitzt. Hier stimmen alle Rahmenbedingungen, aber es bleibt zu seichter Baukasten.
Hjerson
Bisher vier spielfilmlange Folgen. Hier haben wir es mit einem Sonderfall zu tun: HJERSON ist eine deutsch-schwedische Krimiserie, erneut unter Beteiligung des ZDF entstanden. Sie zählt für mich trotzdem, weil das Konzept gänzlich britisch ist. Sven Hjerson ist nämlich der erfolgreiche fiktionale Detektiv aus der Feder von Ariadne Oliver, die wiederum eine fiktionale Schriftstellerin aus den Hercule Poirot-Romanen von Agatha Christie ist. Als solche war sie auch schon in der David Suchet-Serie zu sehen (gespielt von Zoë Wanamaker).
https://youtu.be/S7Jn7LQIkiU
Das sind mir ehrlich gesagt "six degrees of separation" zu viel. Braucht es wirklich einen Detektiv-Serie über einen Detektiv aus Detektiv-Romanen einer Schriftstellerin aus Detektiv-Romanen – noch dazu verlegt in die Gegenwart, was HJERSON endgültig von Agatha Christie abkoppelt? Aber ich hätte mir das noch gefallen lassen, wäre die Serie nicht optisch so unfassbar banal und dramaturgisch so völlig generisch. Das hat wirklich gar keinen Stil, keine eigene Handschrift. Und die Autoren sind bestenfalls B-Klasse: schon die erste Szene im Piloten beweist, dass man keine Szenen bei Fernsehproduktionen spielen lassen sollte, wenn man keine Ahnung hat, wie es bei Fernsehproduktionen zugeht.
Beichtzeit: Wir haben nach einer halben Stunde das Handtuch geworfen. Wer uns übertreffen will, kann sich die Folgen in der ZDF-Mediathek anschauen.
Dalgliesh
Das ist sicher die größte Enttäuschung in diesem Beitrag. DALGLIESH (erneut von ACORN) basiert auf den extrem populären Romanen von P.D. James. Aktuell sind drei Romane spielfilmlang, aber jeweils in zwei Teilen verfilmt – übrigens nicht zum ersten Mal: Zwischen 1983 und 2005 wurden alle Romane erst für ITV mit Roy Marsden, dann für die BBC mit Martin Shaw verfilmt. Die neue Serie mit Bertie Carvel soll allerdings näher an den Vorlagen bleiben und die Arbeit von Adam Dalgliesh von den 70ern bis in die Gegenwart begleiten.
Schade, schade, schade. Da stimmt eigentlich alles. Carvil hat die typische englische Inspector-Souveränität, die Ausstattung ist exquisit. die Kameraarbeit ebenfalls. Die Fälle sind auch psychologisch komplex und präzise in ihrer Zeit verwoben. Aber die Inszenierung ist einfach zu langsam und Dalgliesh als Protagonist zu dünn und antriebslos. Die erste Doppelfolge entwickelt einfach nicht den Drive, den wir brauchen, um dranzubleiben.
Magpie Murders
Das hier ist genau genommen ein "unentschieden" im wahrsten Sinne des Wortes. Die LvA hat nach der ersten Folge abgebrochen, weil sie keine der Figuren mochte und der präsentierte Fall sie schlicht nicht interessiert. Ich werde aber dranbleiben, weil Anthony Horowitz einer der großartigen Krimiautoren der britischen Gegenwartsliteratur ist und MAGPIE MURDERS clever eine "reale" und eine fiktionale Geschichte ineinander schneidet und damit den klassischen Krimi mit dem modernen Thriller fusioniert.
Dennoch muss man die Frage stellen: what’s up, british crime? Schlechter Lauf?
Na ja, es mangelt nicht an Alternativen:
https://youtu.be/-zQuT3wP1x4
https://youtu.be/mZYc3l9BfPw
https://youtu.be/mIvxkzoMpfU
Keep calm and keep watching.