12
Jan 2022

Kino Kritik: SCREAM (5) (spoilerfrei)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

USA 2022. Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett. Darsteller: Neve Campbell, Courteney Cox, David Arquette, Marley Shelton, Melissa Barrera, Jenna Ortega, Jack Quaid, Dylan Minnette, Jasmin Savoy-Brown, Mason Gooding u.a.

Story: Es ist mal wieder soweit – eine neue Generation von Teenagern in Woodsboro hat vergessen, dass die mittlerweile achtteilige STAB-Slasherfilmreihe auf wahren Ereignissen in der eigenen Nachbarschaft basiert. Als die junge Tara ganz klassisch allein daheim am Telefon terrorisiert und dann von “Ghostface” mit einem Messer attackiert wird, kehrt ihre Schwester Sam zurück, um sich dem Killer zu stellen. Doch sie trägt selber ein Geheimnis in sich – und es dauert nicht lange, bis auch der “original cast” Gayle, Sydney und Dewey in den neuen Blutreigen gezogen wird.

Kritik: Ich bin entweder der beste oder der schlechteste Reviewer für den neuen SCREAM-Film. Das ist eine Frage der Perspektive. Denn: ich habe keinen der bisherigen vier Filme gesehen. Und die TV-Serie auch nicht. Genau genommen habe ich mehr über SCREAM von den diversen Parodien gelernt als von den tatsächlichen Filmen.

Wobei ich nicht mal dafür bürgen kann: Mag sein, dass ich in den letzten 26 (!) Jahren mal den ersten Teil gesehen und mittlerweile wieder vergessen habe. SCREAM war eine Horror-Franchise der 90er, als ich andere Interessen hatte. Ich bin mit Freddy, Michael Myers und Jason aufgewachsen, nicht mit Ghostface, Chucky und dem Candyman.

Demnach bringe ich nur angelesenes Vorwissen mit. Ich weiß, was die Kulturgeschichte über die Reihe von Wes Craven und Kevin Williamson festgehalten hat: clever konstruierter Meta-Slasher, der als Meditation über das Genre ebenso funktioniert wie als “reiner” Thriller. Ein Destillat aus Tropen und Klischees, das aufgrund seiner sprichwörtlichen Selbst-Bewußtheit nicht funktionieren dürfte, aber dennoch funktioniert – deutlich besser noch als z.B. Wes Cravens erster Versuch des Meta-Horrors FREDDY’S NEW NIGHTMARE.

Andererseits: ich haben den Vorteil, weitgehend unbelastet zu sein und kann SCREAM daher unvoreingenommen und nur basierend auf den eigenen Meriten besprechen. Als Zugeständnis habe ich allerdings bei WIKIPEDIA alle Inhaltsangaben nachgelesen, um die Figuren und ihre Konstellationen zu kennen.

Und so stürze ich mich mit angemessener Verspätung in mein erstes SCREAM-Abenteuer. Das “5” im Titel hat man wohl weggelassen, um eine neue Generation von Fans nicht zu verschrecken. Teil 4 ist ja auch schon wieder 11 Jahre her. Ich bin froh, dass wir mittlerweile über den trendigen Nummerierungswahn hinaus sind, der zwangsläufig den Titel SCR5AM zur Folge gehabt hätte.

Wie üblich macht der neue SCREAM genau das, was die Vorgänger auch schon getan haben – er artikuliert alle Fragen, die man als Zuschauer über so ein spätes Sequel haben kann, und drechselt aus ihnen sein Narrativ: braucht es überhaupt frisches Blut? Ist es ein Sequel, ein Prequel, ein Requel? Spielt die “next generation” nach neuen Regeln oder funktioniert der Slasher heute genau so wie in den späten 70ern? Ist der Mörder immer noch der Gärtner?

Das ist so clever wie riskant – in dem man die eigene Absurdität anerkennt und die eigenen Regeln als bekannt voraussetzt, schreibt man sich präventiv in eine Ecke. Wie kann man ein Genre bedienen und das Publikum immer noch begeistern, ohne letztlich die Vorgaben doch zu brechen? Kann man pokern, wenn die Karten mit den Bildern nach oben auf dem Tisch liegen?

SCREAM 2022 ist von der ersten Sekunde an gezwungen, sich treu zu bleiben und sich neu zu erfinden – und das diesmal ohne die geistigen Väter der Franchise Craven und Williamson. Und so fangen wir natürlich mit dem einsamen Haus und dem einsamen Girl an – und der ewigen Frage “do you like scary movies?”.

Was dann kommt, ist – SCREAM. In Reinkultur. Popkulturelle Verweise im Vorder- und Hintergrund, Figuren, die ihre eigene Funktion im Slasherfilm diskutieren, vorausgesagte Ereignisse, die genau wie vorausgesagt eintreten – und den Zuschauer dennoch im Stuhl aufquieken lassen. Dutzende “false scare” und “misdirections”, aber dann eben doch wieder die Erfüllung der genretypischen Vorgaben. Die permanente Spannung, ob der Film nun die Klischees unterläuft – oder anwendet. Ein frischer Cast aus Kanonenfutter und dann die Freude, als das “original trio” wieder zusammen kommt.

“I’m Sidney Prescott – of course I’m armed.”

Das vielleicht größte Lob, dass ich SCREAM 2022 machen kann: Ich war in Nullkommanix drin, als wäre ich immer schon ein Fan der Reihe gewesen. Und als alter Hase, der eigentlich alle Tricks in Sachen Suspense kennen sollte, habe ich mich immer wieder in die Irre führen lassen. Respekt.

Natürlich ist das stellenweise hanebüchen und lebt davon, dass zufällige und damit unplanbare Ereignisse genau so stattfinden, wie das Drehbuch sie braucht – und dass Menschen sich eben genau so verhalten, wie es für den Killer notwendig ist. Die Motivation des Killers ist ebenso fragwürdig wie eine Gimmick-Entscheidung, um das Original mit dem Sequel zu verknüpfen. SCREAM ist smart, aber nicht smart genug, um in einer echten Welt spielen zu können. Woodsboro ist ein Spiel-, kein Schauplatz. Der Realismus der SCREAM-Franchise ist ein an manchen Ecken knarzender Eigenbau. It’s part of the deal, it’s part of the charm.

SCREAM ist der PENN & TELLER des Horrorfilms – ein Magier, der seinen Trick erklärt, während er ihn vorführt, und das Publikum dennoch in seinen Bann zieht. Dass er das ohne stilistischen Schnickschnack ganz oldschool und ohne Anbiederung an den Zeitgeist durchzieht, macht mich fast ein bisschen neidisch, dass ich nicht von Anfang an dabei war.

Fazit: Immer noch die Quadratur des Kreises: eine exzellente Sezierung aller Slasher-Klischees, die in eine Parodie münden müsste, aber stattdessen eine Masterclass in Sachen Suspense darstellt. Für SCREAM-Fans und Neueinsteiger gleichermaßen geeignet.

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Tom
Tom
12. Januar, 2022 09:30

Ich kenne die Serie recht gut, aber ich habe mit einem Verriss gerechnet, weil weder Wes Craven (RIP) noch Kevin Williamson involviert waren. Klingt jetzt aber wider erwartet interessant!

Andererseits hätte ich nie gedacht, dass du nicht einmal den ersten Teil gesehen hast! Oder zumindest wieder vergessen hast …

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12. Januar, 2022 15:59
Reply to  Tom

Williamson ist wohl Executive Producer, aber das muss ja auch nichts bedeuten.

Marko
12. Januar, 2022 11:20

Sehr schön, da freu ich mich ja gleich noch mehr drauf. Ich hab Teil 1 damals im Kino gesehen und dessen Wirkung war Mitte der 90er erstaunlich – so viel Meta und Witz hatte man dem Genre bis dahin gar nicht zugetraut. Teil 2 bis 4 sind okaye Fortsetzungen, die dank des immer gutgelaunten Casts nie langweilen. Toll, dass das “Haupttrio” auch im fünften Teil wieder am Start ist.

Gottloser
Gottloser
12. Januar, 2022 22:56
Reply to  Marko

Ich hab ihn damals an Halloween gesehen in einer “Schreckensnacht”. Halloween, Freitag der 13., Scream. BAM!

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
12. Januar, 2022 13:25

Klingt ziemlich gut! Habe seinerzeit auch Scary Movie vor Scream gesehen, daher hab ich unterschwellig immer an den Wayans-Klamauk denken müssen. Inzwischen hat sich das aber gegeben und abseits des recht schwachen 3ers ist das eine ziemlich tolle Reihe. Also doch mal mit Maske (wie passend…) ins Kino.

Martzell
13. Januar, 2022 10:13

Scream habe ich bei meinem ersten (oder einem der ersten) Fantasyfilmfest-Besuche gesehen. War richtig fresh. Jetzt frage ich mich ob der Scream Reboot mehr Remake ist, wie bei Terminator, Star Wars, Ghostbusters, Matrix.