Fantasy Filmfest 2021 Tag 7, Film 1: AFTER BLUE
Themen: Fantasy Filmf. 21, Film, TV & Presse, Neues |Frankreich 2021. Regie: Bertrand Mandico. Darsteller: Elina Löwensohn, Paula Luna, Vimala Pons, Agata Buzek
Offizielle Synopsis: Die Erde ist gestorben und die Menschheit hat mit dem Planeten After Blue ein neues Paradies gefunden. Der männlichen Bevölkerung ist die Atmosphäre dort allerdings weniger gut bekommen, sie ist inzwischen vollständig ausgelöscht. Im dank künstlicher Befruchtung trotzdem weiter prosperierenden Frauenstaat werden Verbrechen streng geahndet und alles Böse sofort im Keim erstickt. Als Außenseiterin Roxy einen folgenschweren Fehler begeht, muss sie sich zur Strafe gemeinsam mit ihrer armen Mutter zu den Minen aufmachen, ihre Sünde zu büßen. Ob polnische Kriminelle, Wesen mit einem dritten Auge anstelle der Vagina oder eine Schurkin, die Kate Bush heißt.
Kritik: Dies ist nun die vollständige Kritik und ersetzt den Platzhalter, den ich in Berlin einschieben musste, weil die Untertitel fehlten.
Man ahnt es bei der Inhaltsangabe schon – das hier ist mal wieder Kunst der ganz sperrigen Sorte und in der Tat präsentiert sich AFTER BLUE als Dialogdrama irgendwo zwischen Ulrike Ottinger und Schwermetall. Eine triste und lebensfeindliche Welt, die über den Voiceover hinaus kaum erklärt wird, depressive Frauen, Waffen mit den Namen von Modemarken, Schleim, Dreck, viele Unschärfen und ein wiederkehrendes musikalisches Thema, das an die Softsex-Filme der 70er erinnert.
Der Plot? Ein Non-Plot, denn weder gibt es einen konkreten Einstieg noch einen konkreten Ausstieg. Dinge passieren. So etwas wie ein Roadmovie mit Pferd. Anflüge von BARBARELLA und EL TOPO. Eine penetrant eingefärbte Künstlichkeit, die selbst reale Locations wie Bühnenbauten aussehen lässt. Gestelzte Theaterdialoge, vage Andeutungen von Philosophie, ein komplettes Fehlen jeglicher Ordnung, sei sie privat oder öffentlich.
Ein Film, der seine Arroganz ("wenn’s dir nicht gefällt, hast du’s nicht verstanden – und wenn du’s nicht verstanden hast, bist du halt zu dumm") vor sich her trägt.
Alles da. was von mir üblicherweise gehasst wird. Kunst-Kacke.
Aber dennoch, dennoch, dennoch… ich kann mit AFTER BLUE nicht so streng ins Gericht gehen. Ja, das hier wäre als Regionaltheater der feminstischen Frauengruppe Recklinghausen sicher passender gewesen und die Verweigerung einer nachvollziehbaren Handlung oder plausibler Charaktere wiegt schwer. Dennoch kann man dem Film eins nicht absprechen: dass er eine ganz eigene Sprache spricht und eine Welt erschafft, die tatsächlich "alien" erscheint, fremd und verstörend. Dieser "Planet der Frauen" hat die Menschen um alles betrogen, was das Leben auf der Erde sinnvoll gemacht hat: Schönheit, Liebe, Überfluss. Die Unfähigkeit, hier eine funktionierende Gesellschaft aufzubauen, ist nur folgerichtig – die bizarre Empathielosigkeit der Figuren ist es ebenso.
Hinzu kommt, dass AFTER BLUE (wie schon THE SPINE OF NIGHT) nicht nur die sperrigeren Genre-Filme der 60er und 70er emuliert, sondern auch ihre filmischen Techniken: hier ist alles noch handgemacht, Schleim, Latex und Filter bauen diese Welt, nicht der Computer. Das verstärkt die Authentizität des "world buildings".
Und schließlich: Ich bewundere die Darstellung der weiblichen Sexualität in AFTER BLUE. Kaum eine Szene kommt ohne nackte Brüste aus, es gibt Masturbation und sogar Tentakelsex. Trotzdem hat nichts davon eine erotisierende Wirkung, weil diese Elemente eine beiläufige Selbstverständlichkeit besitzen und der Welt von AFTER BLUE sowohl der männliche Voyeurismus als auch der weibliche Exhibitionismus abgeht. Nacktheit hat hier jeglichen Reiz verloren (auch das ähnlich in THE SPINE OF NIGHT).
So kann ich den Film zwar nicht wirklich empfehlen, ich muss vor seiner Trägheit und seiner zu stolz vorgetragenen "Kunst-heit" sogar warnen, aber dass es sich bei AFTER BLUE um eine tatsächliche Leistung handelt und nicht um die tausendste Kopie etablierter Kino-Tropen, lässt sich eben auch nicht bestreiten. Wenn Kino von der Individualität des Produkts mehr profitiert als von der Nachäffung bekannter Muster, dann ist er eben doch nicht so schlecht.
Fazit: Verquaste feministische Psychedelic-SF, dialoglastig und unterhaltungsarm. Wegen der absolut einzigartigen Vision und der Konsequent der Produktion dennoch 4 von 10 Punkten.
Ich habs auch nicht komplett durchgehalten, bin aber auch nicht sicher ob Untertitel den Film wesentlich besser gemacht hätten.
Ich war aber stolz darauf, tatsächlich einzelne Sätze verstanden zu haben. Inkl. "Die Toten sprechen zu dir." 😀
Nach der Sichtung des Films gestern abend: Wird es noch ein Update zu After Blue geben?
Ja. Komme ich vermutlich heute Abend zu.
4 von 5 punkten ist ja ne recht gute Wertung, das ist doch sicher ein typo? 🙂
Typo. Korrigiert. Danke.
Aber was hat denn nun Kate Bush mit dem Film zu tun? (außer eben der Kurzform dieses polnischen Namens…)
Wie bei Kunst üblich – nix.
Ein feministischer Film. der eine rein weibliche Gesellschaft nicht wie das Paradies darstellt? Das klingt für mich schon irgendwie interessant.
Was hat dir das arme Recklinghausen getan? Das richtet immerhin die Ruhrfestspiele aus
Und ich hab da gewohnt. Sollte dich Strafe genug sein? ^^
Ich hab’s genossen. Ein bunter Trip in eine schräge und femde Welt, der mit den gängigen Sehgewohnheiten bricht. Eine tiefere Aussage des Künstlers konnte ich nicht ausmachen, dafür bin ich vielleicht selbst nicht schräg genug drauf, aber ich mochte die verspielte Kreativität besonders im Szenenbild. Solche merkwürdigen Streifen sind mir allemal lieber als der x-te "Hauptsache das Blut spritzt" Gewaltexzess. Erfrischend!