Wortvogels Weisheiten (1)
Themen: Neues |Ich hab’s ja angedroht; zum 15. Geburtstag teile ich die Erkenntnisse, die ich in 52 Jahren auf diesem Planeten so angesammelt habe. Mein ganz persönliches "Wear Suncreen" – ein Song, der mit zunehmendem Alter an Wahrheit und Wert gewinnt:
Was in diesem Beitrag und den weiteren auf euch wartet, sind Belanglosigkeiten, Faustregeln, Kalenderweisheiten, unauflösbare Paradoxe, Fragen ohne Antworten und Antworten, die kein Mensch braucht. Es sind Einsichten, deren Beherzigung mir selber oft genug misslingt und Anleitungen für ein Glück, das vermutlich sehr individuell nur meins ist – your mileage may vary.
Fangen wir einfach mal mit den ersten 10 Stichworten an, die ich mir in willkürlicher Reihenfolge notiert habe.
Der Mensch ändert sich nicht
Man möchte das nicht glauben, weil es auch bedeutet, dass man sich selber nicht ändert. Aber es ist nicht nur ein Klassentreffen vor ein paar Jahren, das mich überzeugt hat: unser Charakter wird sehr früh geprägt. Er kann reifen, er kann sich abschwächen und verstärken, aber der Kern dessen, was wir sind, ist unveränderlich. Im Idealfall wachsen wir so in unsere Haut, dass sie passt und dass wir sie selber mögen. Mehr können wir nicht wollen. Und wir müssen respektieren, dass andere Menschen sind, wie sie sind. "Hinbiegen" ist eine Illusion. Der Skorpion muss stechen.
Du willst mich nicht verstehen!
Kommunikation ist Werkzeug und Waffe und ich habe mehr Gespräche daran scheitern sehen, dass die Menschen einander nicht verstanden haben, als dass sie gegensätzlicher Meinung gewesen wären. Die Fähigkeit, Meinungen und Wünsche präzise zu formulieren, ist ein Muskel, der ständig trainiert werden muss. Manchmal kann etwas klar formuliert sein – aber man weist Worten andere Definitionen zu als der Gegenüber. Und das muss man umgekehrt auch in Betracht ziehen. Vermeidet um des Sozialfriedens willen Konstrukte wie "Du weißt genau, was ich meine!". Wer oft denkt "keiner versteht mich", ist vermutlich selber das Problem.
Die Wahrheit ist einfacher zu merken als die Lüge
Ich lüge nie. Das mag eine Lüge sein. Aber für das Argument ist es wichtig, dass ihr mir glaubt. Ich bin zu faul für die Lüge. Lüge verlangt präzise Konzentration und Buchführung. Die Lüge muss plausibel sein und ich muss mich morgen noch dran erinnern können, was ich heute gelogen habe. Die Wahrheit ist ungleich bequemer: sie ist per Definition plausibel und man muss sie sich nicht merken – weil man sie einfach immer wieder erneut herleiten kann.
Dein Modestil ist egal, aber passen müssen die Klamotten
Ich bin wahrlich keine Stilikone und habe viel zu lange gebraucht, um so etwas wie einen eigenen Stil zu finden. Genau genommen habe ich keinen – ich habe nur gelernt, was NICHT geht. Ich kann keine Muster, keine bunten Farben, keine Motive, keine extravaganten Schnitte. Basics sind meins. Uni. Jeans. T-Shirt. Hemd. Halbschuhe aus Leder und Unterhosen von Schiesser. Das sind meine Standards, es müssen nicht eure sein. Aber der Rat, den ich euch geben kann: Was immer ihr kauft, es muss passen. Auch wenn’s geil ist oder billig – wenn es nicht perfekt sitzt, lasst es hängen. Ihr werdet in Hochwasser-Hosen so wenig glücklich wie in Hemden, die unter den Achseln kneifen. Passform schlägt jeden Modetrend. Und ja, man kann auch eine einfache Jeans zur Änderungsschneiderei bringen.
Es gibt keine Entschuldigung für mangelnde Hygiene
Wenn alle eure Klamotten (zu euch) passen, seid ihr schon mal auf einem guten Weg. Ich sollte es nicht sagen müssen, habe aber gelernt, dass ich es doch sagen muss: wascht euch. Putzt euch die Zähne. Benutzt ein Deo. Weder Marke noch Duft sind wirklich relevant. Ob Kernseife oder Kölnisch Wasser – Sauberkeit ist keine Option, sondern eine Bürgerpflicht. Wer erst zum Spray greift, wenn er ein Date hat, bekommt kein Date.
Schmerz ertragen ist keine Tugend
In dieser Sache bin ich nicht sehr konservativ. Niemand mag Schmerzen und ich sehe keinen Grund, ihn unnötig aushalten zu müssen. Kopfschmerzen? Aspirin. Magengrummeln? Bullrichsalz. Handgelenk entzündet? Voltaren. "Geht auch ohne Tabletten" ist eine Märtyrer-Attitüde ohne Mehrwert. Man muss auf Pommes auch kein Salz schütten – schmeckt aber besser. Eine gut gefüllte Hausapotheke ist jeder Nacht über der Kloschüssel überlegen.
Du bist dir selbst der Nächste
Klingt egoistisch, ist aber das Gegenteil. Nur wer selber halbwegs alle Murmeln beieinander hat, kann anderen Menschen helfen. Sorg erstmal dafür, dass es DIR gut geht, das ist die Basis von wirklich allem. Dann hat man den Kopf frei und ausreichend Stärke, um anderen zu helfen. Daran bindet sich natürlich auch die Erkenntnis: lasse niemanden an deinem Wesenskern fressen. Hilfe darf niemals bedeuten, dass dich der andere aussaugt oder schädigt. Abstand ist ein Werkzeug, auf das man nicht leichtfertig verzichten sollte. Beware of vampires.
Je weniger Abhängigkeiten, desto besser
Es ist gut, Menschen, Dinge und Möglichkeiten zu haben – aber sie zu brauchen ist der erste Schritt zum Debakel. Man sollte Zigaretten, Pistazieneis, die neue Staffel STRANGER THINGS oder seine Mama mögen und schätzen – aber nicht brauchen. Das gehört zu den Dingen, die ich im Leben tatsächlich relativ gut in den Griff bekommen habe. Man muss essen, trinken, schlafen, arbeiten, aufs Klo – alles andere ist optional. Und diese Liste sollte man so kurz wie möglich halten.
Fleisch: weniger is(s)t mehr
Ich habe mich sehr lange sehr schlecht ernährt und tue es teilweise heute noch. Und ich bin mir bewusst, dass eine gute Ernährung auch eine Preisfrage ist. Ich will niemanden bekehren, Vegetarier zu werden oder eigene Hühner zu halten. Aber die Erkenntnis, dass hinter jedem Stück "günstigem" Fleisch millionenfaches Tierleid steckt und dass jedes Stück "gutes" Fleisch auch einen Genuss-Mehrwert bringt, ist so unbestreitbar, dass ich sie als Allgemeingut auch nicht zur Debatte stelle. Unsere Supermärkte bersten vor vielfältigen Angeboten, an denen man sich fünfmal auch ohne Fleisch satt essen kann – um dann das Steak umso mehr zu genießen. Dieser Konsens sollte möglich sein.
Beziehungen müssen mehr bringen, als sie kosten
Das heißt nicht, dass der andere draufzahlt. Beziehungen sind ein gar komisch Ding: wenn sie funktionieren, bekommen beide Seiten mehr, als sie investieren. Win-Win. Aber auch wenn es funktionierende Modelle auf der Win-Lose-Basis gibt, muss ich von ganzem Herzen abraten, wenn ihr keine Egoisten oder Masochisten seid. Wenn euch eine Person immer nur Kraft kostet, ihr nach den Treffen immer schlechter gelaunt seid als vorher – cut the cord. Falls ihr glaubt, dass das nur eine temporäre Unausgeglichenheit ist, dass die andere Person zu einer anderen Zeit die Vorzeichen ändert, dann habt ihr Punkt 1 nicht verstanden.
Das ist eine Rubrik nach meinem Geschmack.
Drei kleine Anmerkungen:
2) siehe zwei Punkte später
3) Deshalb der Konjunktiv. Darauf kommen wir auch noch.
Mittlerweile empfinde ich die schiere Menge an Fleisch in den Theken schon als obszön statt appetitlich.
Das kommt drauf an – Billigfleisch in den Supermärkten ja. Aber wenn ich zu einem großen, größtenteils regionalen Metzger gehe (Boneberger, Vinzenz Murr), dann genieße ich die Auswahl. Ich bin bei der Fleischqualität aber sowieso sehr pingelig.
An der verheerenden Ökobilanz eines Stücks Fleisch ändert aber dessen Herkunft und die Art der Tierhaltung nur ein ganz klein wenig.
Absolut. Aber die Ökobilanz ist für mich ein minderer Faktor, das Tierleid ist entscheidend. Darum habe ich ja auch schon mal geschrieben, dass ich nichts dagegen hätte, wenn man z.B. in den Fastfood-Ketten komplett auf Fake Meat umsteigen würde.
Das halte ich für eine sympathische Idee. Die große Mehrheit der Fleischesser lehnt ja jede Form von Fleischimitat schon aus Prinzip ab, auch wenn da mittlerweile ein wenig Bewegung reinzukommen scheint bei einigen.
Ein Steak ist ein Steak ist ein Steak. Aber bei z.B. Burgern und Köttbullar oder selbst im asiatischen Wok-Gericht dominieren eh die Gewürze und die Soßen, da nehm ich mittlerweile immer was ohne Fleisch.
Ich fand Fleischimitat früher auch lächerlich. Ist jetzt fester Bestandteil meiner Ernährung: Ich verstehe, was "gemeint" ist, welchen Geschmack und welche Konsistenz ich erwarten darf. Das ist nichts Schlechtes, finde ich. "Hack"-Bällchen aus Erbsen und sonstigem Gemüse z. B. schlagen als Fertiggericht die "echten" um Längen!
Wow, ich möchte bei allen Punkten zustimmen. Klassentreffen sind wahrlich grausig, wenn man sieht, wie wenig sich viele Menschen verändert haben in einer Dekade (manche mehr, manche weniger, manche leider exakt gar nicht).
Was den Schmerz angeht: es muss im Rahmen bleiben. Ich bin relativ anfällig für Magenschleimhautentzündungen, Ibuprofen ist dabei ein großer Faktor. Ich spare mir also bei milden Schmerzen lieber die Tablette und erspare mir damit deutlich lästigere Probleme. Auch würde ich vorerst eher die Quelle des Symptoms suchen, als nur das Symptom zu bekämpfen (ich habe manchmal Nackenschmerzen – zwei Minuten ein paar Übungen gemacht und der Schmerz ist deutlich schneller und nachhaltiger gelindert als es eine Tablette je könnte).
Beim Zahnarzt hatte ich 30 Jahre lang die Idee, dass das auch ohne Betäubung geht, da es bisher auch immer ohne Betäubung ging. Als ich ein paar Füllungen ersetzen hab lassen, wurde mir bewusst, dass ich darauf einfach keine Lust mehr habe. Klar, der Schmerz ist in ein paar Minuten eh rum, aber davon hatte ich in meinem Leben genug. Seitdem ist die Betäubung fester Bestandteil einer solchen Prozedur.
Aber ja, tl;dr: generell stimme ich dir zu, dass es nichts bringt, grundlos unter Schmerzen zu leiden.
Da kann und will ich bei keinem Punkt widersprechen. Zu Punkt 1 lässt sich höchstens ergänzen, dass Mensch durch gesammelte Erfahrungen in der Lage ist, sein Verhalten anzupassen, aber den Grundcharakter kann niemand ändern.
Was bin ich froh, dass ich nicht mehr bin, der ich war…Bin ich schon lange nicht mehr, aber den "alten" habe ich noch im Kopf, und es gruselt mir vor ihm.
*händereib* Geil! 🙂
Mein Senf: