05
Sep 2021

Lahmarsch auf dem Löwenmarsch

Themen: Neues |

Ich hatte es ja angedroht – des Vogels neuster Vogel ist der Todesmarsch. Quatsch natürlich, der Löwenmarsch. Laufen, bis es weh tut. Alles für den guten Zweck.

100 Kilometer in 24 Stunden. Vom Schloss Kaltenberg (Schauplatz der alljährlichen Ritterspiele) bis zum Schloss Neuschwanstein (Schauplatz der alljährlichen Touristeninvasion).

Ich bin froh, dass ich von vorne herein keinerlei Anspruch hatte, auch nur die Hälfte des Marsches zu schaffen. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist wabbelig. Nichtsdestotrotz ist auch eine Schnapsidee etwas, dem sich der Vogel verpflichtet fühlt, und das Wetter bot gestern keine Chance, mit einer bequemen Ausrede abzuspringen.

Also habe ich die alten Sportklamotten aus dem Keller geholt und mich reingepresst wie die Wurst in die Pelle. Die LvA ist so nett, mich und meinen Uralt-Kumpel Frank (siehe Spider-Man) zum Startpunkt zu fahren:

Im Rucksack dabei: Ersatz-Socken, Energie-Riegel, Wasserflasche, Banane, leichte Jacke, Erdnussbutter-Sandwiches. Auf dem Handy die Strecke als GPX-Datei.

Vor Ort ist ein bisschen Rummel für die über 600 Läufer (Geher? Marschierer?), aber immer noch corona-bedingt gedämpft. Dank Sponsoren gibt es prima Getränke, Obst, belegte Brote. Man registriert sich, bzw. seine Gruppe. Wir sind zu viert und laufen als "Frankie und seine Spießgesellen", was sich praktischerweise FUSS abkürzen lässt. Ich schlage allerdings für 2022 die etwas pfiffigere Bezeichnung "Frankie und seine Spaßgesellen" vor.

Ein paar Helfer sind als Ritter verkleidet, man sich mit ihnen fotografieren lassen wie mit Storm Troopers auf den Science Fiction-Conventions. Das ist total albern, weshalb ich natürlich mit Feuer und Flamme dabei bin:

Da Frank von der Sorte nervös-überpünktlich ist, sind wir mehr als eine Stunde zu früh dran und müssen das gesamte Rahmenprogramm über uns ergehen lassen. Der veranstaltende Adelige hält eine Rede, die zuständige Landesministerin hält eine Rede, der gute Zweck wird ausgiebig vorgestellt und die Tuba bläst der Huber:

Wegen der Pandemie dürfen nicht alle gleichzeitig los, die Gruppen werden nacheinander aufgerufen – und in der Tat hat es was, zur Blasmusik aus der Arena auszuziehen:

Morituri te salutant!

Tatsächlich kann man sich von einem Geistlichen den "Wandersegen" geben lassen, aber da winke ich als gottloser Atheist freundlich ab.

Noch bin ich frisch und sehr guter Dinge.

Tatsächlich ist so ein Marsch eine sehr feine Sache. Es geht mal aufwärts, mal abwärts, die Landschaft ist schön, die Bauwerke sind weltberühmt. Man läuft stramm – Frank möchte nicht unter 5km/h fallen, ein paar Hunde sind auch dabei. Asphalt, Feldweg, Trampelpfad – der Untergrund ist wechselnd.

Insgesamt kann man bei dem Tempo auch prima quatschen und Frank und ich plaudern über so ziemlich alles, was uns Alt-Nerds am Herzen liegt: Bananas, die alten Pastewka-Folgen, Oliver Kalkofe, Shakin' Stevens und die gemeinsame Heimatstadt.

Nach knapp 7 Kilometern gibt es eine kurze Zwischenstation (keine offizielle Etappe) mit Toiletten und einer Nachfüllanlage leckeren Sprudelwassers. Ich habe dank meiner Konstitution das Glück, nichts davon zu brauchen. Stahlblase und Wasserspeicher wie ein Kamel. Kann also gleich weitergehen. Ich dokumentiere meinen Zustand für die LvA:

Frank erzählt immer wieder, was man bei dem Lauf beachten muss, wenn es Nacht wird. Ich winke in einem Anfall von untypischem Realismus ab: das werde ich sowieso nicht schaffen. Trotzdem habe ich eine Stirnlampe im Rucksack.

Es geht weiter, auch durch Dörfer, unter Autobahnbrücken, am Acker entlang. Die Veranstalter haben durch kleine Aufkleber mit grünen Pfeilen dafür gesorgt, dass man nicht vom rechten Weg abkommt.

Immer mal wieder bietet sich die Gelegenheit für einen Lacher – ich hatte mir z.B. die Bordelle auf dem bayerischen Land etwas rustikaler vorgestellt:

Den Hunden, die hier mitlaufen, merkt man den Spaß an – und den Bedarf an Wasser, den sie bei jeder Gelegenheit ausleben:

Es ist auch sehr nett, wie viele Leute vom Wegesrand oder vom Balkon aus grüßen. Kleine Mädchen winken, Bauern zeigen vom Trekker aus den Daumen hoch.

Extra drollig: nach ca. 5 Kilometern sehen wir einen Vater und seine kleine Tochter, die auf Camping-Stühlen am Wegesrand sitzen. Ich vermute, sie warten auf die Gattin/Mama, um sie anzufeuern. Nach zehn Kilometern sehe ich sie wieder. Ich frage nach. Ja, jedes Mal, wenn die Familienheldin unter großem Jubel vorbei gezogen ist, packen sie zusammen und fahren eine Etappe weiter.

Wahrlich, das Wetter könnte nicht besser sein und es geht gut voran.

10 Kilometer, 12 Kilometer, 15 Kilometer – so langsam rückt der Ammersee ins Blickfeld und damit Utting, wo ich vor ein paar Jahren mal eine tolle Reportage produziert habe.

Im Vorfeld hatte ich mit deutlich besser trainierten Freunden gesprochen, was mich erwartet und was ich erwarten darf. Meine Ausrüstung mit den alten Jogging-Schuhen (und neuen Trekking-Socken) sorgte für hochgezogene Augenbrauen, aber sie sind nun mal die einzigen Schuhe, in denen ich mich richtig wohl fühle. Und in der Tat hat mich mein Gefühl nicht getäuscht: nichts drückt, nichts tut weh, Blasen bekomme ich sowieso nicht.

Auch meine Konstitution ist ausreichend, die Hitze macht mir nichts, Energie-Riegel und Wasser füllen meine Speicher sporadisch wieder auf. Läuft bei mir.

Einzige körperliche Malaise bis hierher – das Laufshirt reibt unter meinem rechten Oberarm etwas unangenehm:

Der Feind springt mich aus einer unerwarteten Ecke an: nach ca. 15 strammen Kilometern merke ich, wie meine Oberschenkel hart werden. Dann meine Waden. Es zuckt verdächtig und ich ahne, was mir bevorsteht: da melden sich Krämpfe an. Wirklich, wirklich ärgerlich, denn abgesehen davon habe ich keinerlei Probleme, die mich zum Abbruch zwingen könnten. Ich beschließe, zum Ende der ersten größeren Etappe in Utting bei der Rast mal zu schauen, wie ich das wieder fit bekomme. Aber schon bevor wir den Checkpoint erreichen ist klar: die Reise des Wortvogels endet hier. Meine Waden spielen nicht mit, die Muskulatur zuckt wie unter Stromstößen, nach weiteren 100 Metern wären die ersten Krämpfe unausweichlich gewesen.

Vielleicht hätte ich doch den Wandersegen mitnehmen sollen…

Ich ärgere mich nicht. Ich bin untrainiert, unvorbereitet und blauäugig in diese Sache eingestiegen – knapp 20 Kilometer mit über 5km/h sind vielleicht nichts vorauf man stolz, aber durchaus etwas, womit man zufrieden sein kann. Ich teile Frank und den anderen mit, dass aus dem Quartett nun ein Trio wird. No hard feelings.

Als ich mein Spezi getrunken habe und aufstehen will, merke ich, dass die Entscheidung richtig war: meine Beine rebellieren, es knirscht massiv im Gebälk. Old Man Dewi ist halt kein Hüpfer mehr. Aber es hat Spaß gemacht. Und es wird garantiert nicht mein letzter Marsch gewesen sein. Das Schöne an dieser Betätigung ist, dass man sich nicht quält, dass man sich unterhalten kann, dass man keine Ausbildung und keine spezielle Ausrüstung braucht, dass man die Probleme kommen sieht und zeitnah entsprechend handeln kann.

Außerdem kommt der Junge an die frische Luft.

Nächstes Mal auf jeden Fall dabei:

Nur, damit ihr den weiteren Ablauf versteht:

  • Um 17.40 Uhr bitte ich die LvA, mich in Utting abzuholen
  • Um 18.45 Uhr holt mich die LvA ab
  • Um 19.45 Uhr sind wir daheim
  • Um 20.00 Uhr sitze ich in der Badewanne
  • Um 21.15 Uhr esse ich noch einen Teller Suppe
  • Um 22.00 Uhr schauen wir "The Great Kenyan Bakeoff"
  • Um 23.00 Uhr gehen wir ins Bett
  • Um 9.30 Uhr stehe ich nach einer ruhigen Nacht wieder auf
  • Um 10.15 Uhr frühstücken wir auf der Terrasse
  • Um 11.30 Uhr beginne ich, digitale Daten zu sortieren
  • Ab 12.30 Uhr fange ich diesen Beitrag an

Jetzt ist er fertig.

Und Frank läuft immer noch.

Frank, du bist mein Held. Nächstes Mal halte ich länger durch.

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12 Kommentare
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comicfreak
comicfreak
5. September, 2021 14:57

Richtige Entscheidung

Dietmar
5. September, 2021 16:19

Sehr cool! Die Bundeswehr-Märsche im Kopf habend denke ich spontan: "20 Kilometer?!" Dann denke ich an unser Alter: "20 Kilometer!!!" Vor allem für jemanden, der von quasi Null auf Hundert da mitmacht, ist das echt ordentlich.

OnkelFilmi
5. September, 2021 19:26

Du könntest 2022 natürlich auch mit mir beim Tough Mudder mitmachen 😉

sergej
sergej
5. September, 2021 22:25

Also habe ich die alten Sportklamotten aus dem Keller geholt und mich reingepresst wie die Wurst in die Pelle.

Wie war das noch vor wenigen Tagen:

Dein Modestil ist egal, aber passen müssen die Klamotten

… Passform schlägt jeden Modetrend.

Und wenn bayrische Bordelle nicht dem eigenen Geschmack entsprechen, wie wäre es mit Gruppensex an der Nordsee?
https://www.zeit.de/news/2021-09/05/paarung-der-inselgaeste-der-fruchtbare-sommer-der-bienen

Magineer
Magineer
6. September, 2021 09:55

Spannend – und natürlich Kudos für die 20 Kilometer. Als Spontanleistung finde ich das beachtlich.

Aber ich kann mir nicht helfen – was nach dem Artikel am nachdrücklichsten hängengeblieben ist, war folgendes:

  • Um 23.00 Uhr gehen wir ins Bett
  • Um 9.30 Uhr stehe ich nach einer ruhigen Nacht wieder auf

Zehneinhalb Stunden? Entweder hast du vornehm ein paar Details ausgelassen, oder du hast wirklich den beneidenswertesten Schlaf, den man sich vorstellen kann. 🙂

Nikolai
Nikolai
6. September, 2021 14:30

"… aber sie sind nun mal die einzigen Schuhe, in denen ich mich richtig wohl fühle."

Das ist auch richtig so. Ich habe auf meiner letzten und bis heute einzigen 24h-Wanderung mehrfach zu hören bekommen, dass man einfach Schuhe anziehen soll, die bequem sind und in denen man sich einfach wohl fühlt.
Wenn sie dann noch so stabil sind, dass sie unterwegs nicht zerfleddern ist alles super.

Jake
Jake
6. September, 2021 15:47

Sieht nach einer netten Veranstaltung aus. Und 20 km aus dem Stand gehen doch voll klar. Welche Strecke hat denn Dein Kumpel runtergerissen?

Martin
Martin
6. September, 2021 23:33

20km? Das ist doch eine tolle Leistung. Wenn wir im Urlaub 10 – 13 km am Tag (über den Tag verteilt) schaffen, fühle ich mich wie ein König.