13
Aug 2021

Neusprech: Du, Sie, ihr mich auch

Themen: Neues |

Wir waren gestern mit einer lieben Freundin im Westend lecker essen. Statt wie üblich über 300 verschiedene Themen aus dem Bereich Privates, Berufliches, Historisches zu plaudern, verhedderten wir uns schnell in eine Diskussion über Sprache – primär, weil die liebe Freundin politisch völlig anders sozialisiert ist als ich. Es ging ums gendern, um den latenten Rassismus der Sprache, um Pronomen und um die Frage, ob man eine tolerante Sprache nicht nur fordern und fördern, sondern auch verlangen und verordnen darf.

Aber das soll gar nicht Thema sein, auch weil es ausufern würde. Ich möchte stattdessen auf einen Nebenaspekt eingehen, auf etwas, das eher beiläufig erwähnt wurde in dem Kontext, dass die englische Sprache zwei massive Vorteile hat: sie kennt kein grammatikalisches Geschlecht und unterscheidet nicht zwischen “Du” und “Sie”.

Du und Sie. Das ist der Knackpunkt.

Generell bin ich für eine Beibehaltung der Aufteilung, weil ich sie nicht nur (aber auch) als Abbildung von hierarchischen Strukturen sehe. Das “Sie” ist eine Respektbezeugung, ein bewusst gewählter Abstand, mit dem ich anzeige, dass ich keine engere Beziehung zu einer Person besitze oder behaupte.

Das “Sie” ist auch ein Puffer im Konfliktfall, denn wie heißt es so schön? Man sagt leichter “du Arschloch” als “Sie Arschloch”.

Das “Du” ist ebenfalls eine Respektbezeugung, denn es signalisiert (falls auf Gegenseitigkeit beruhend) eine Aufnahme in den “inner circle”, und damit auch den Anspruch auf meine Zeit, Hilfe und Sorge.

Lassen wir mal vor, dass nach den Punks und den Münchner Kellnern mittlerweile die Sozialen Medien dieses stille Einverständnis aufgelöst haben. Es ist mitunter wirklich unfassbar, welche Spacken sich bei Facebook anmaßen, mich ungefragt zu duzen – während sie mich lautstark beleidigen.

Aber auch das ist nicht Thema. Mir ist nur gestern plötzlich aufgefallen, dass die sozialen Konstrukte, nach denen wir “Du” und “Sie” zuordnen, seltsam unvollständig sind. Es gibt Wege rein, aber nicht raus. Es gibt Zu-, aber keine Abwendungen.

Fangen wir mit dem bekannteren Problem an: jemand steht vor dir und zieht die Phrase “sollen wir uns nicht einfach duzen?”. Es gibt kaum eine Möglichkeit, das abzulehnen, ohne der anderen Person vor den Kopf zu stoßen. Selbst ein “nett von Ihnen, aber nein danke” wäre ein Affront, der die brüchige Beziehung auf jeden Fall schädigt.

Sollte es dafür keine gesellschaftlich akzeptierte und weniger ehrverletzende Ablehnung geben? Sonst ist “sollen wir uns nicht einfach duzen?” doch nicht weniger als emotionale Erpressung. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen auf ein “Du” umgestiegen sind, die das genuin nicht wollten, aber aus der Zange nicht rauskamen.

Schlimmer ist aber: es gibt kein Zurück aus dem “Du”. Und als mir das klar wurde, war ich wirklich baff. Denkt mal selber drüber nach: das “Du” ist üblicherweise ein Ausdruck, dass man sich im Laufe der Zeit besser kennen gelernt hat und nun eine privatere Ansprache wählt.

Was aber, wenn man sich ein wenig auseinander gelebt hat, wenn der einst gute Freund nur noch ein entfernter Bekannter ist? Oder wenn der Kollege gar nicht mehr der Kollege ist, weil er mittlerweile bei einer anderen Firma, womöglich der Konkurrenz, arbeitet? Oder wenn der beste Kumpel einem die Freundin ausgespannt hat?

Du.

Es gibt kein Zurück.

So leicht man heutzutage ins “Du” rutscht, so unmöglich ist es, da wieder rauszukommen, Es ist schlicht im gesellschaftlichen Umgang nicht vorgesehen. Einmal “Du”, immer “Du”, auch wenn es längst ein “Du mich auch” ist.

Ich hätte gerne die Möglichkeit, das “Du” sanft wieder zu entziehen, ohne der angesprochenen Person gleich vor den Kopf zu stoßen. Ich würde es dem zwischenmenschlichen Dialog für erheblich förderlicher halten, wenn wir uns solchen Defiziten der Sprache widmen würden, als über den Rassismus des Wortes Curry zu diskutieren.

Und ja, mit solchen Themen verbringe ich schöne Abende mit Freunden. Vielleicht der Grund, warum ich so wenig Freunde habe – und die so wenig schöne Abende mit mir.

Wie seht ihr das? Habe ich da nur wieder ein Non-Problem identifiziert oder ist das tatsächliche eine Auslassung, die einen zweiten Gedanken wert ist? Wie haltet ihr es mit dem “Du” und dem “Sie”?



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Wolf
Wolf
13. August, 2021 10:20

Interessantes Problem. Ich leiste mir allerdings die “Freiheit” ein Du-Angebot abzulehnen, wenn ich dieses engere Verhältnis mit dem Anbieter nicht möchte. Auch gehe ich wieder zum “Sie” zurück, wenn sich das Verhältnis verschlechtert (hatte ich gerade mit einem Kollegen in der Firma).

Martzell
13. August, 2021 11:00
Reply to  Torsten Dewi

Ein Bekannter legte Wert darauf geschäftlich beim professionelleren Sie zu bleiben und formulierte das auch perfekt so, leider bekomme ich die Formulierung nicht zusammen. Je nach Ansprechpartner und Situation kam darin “erwachsen” oder “professionell” vor.

Als mein cholerischer Arschloch-Chef mir das Du anbot, dachte ich mir: “Mist, ich will nicht, kann aber nicht ablehnen.”

Ein Bekannter machte sich lustig über einen Kollegen der den Chef weiter duzte, weil während eines Betriebsfestfußballspiels auf dem Platz dieser selbstverständlich geduzt hat, das Du erlischt aber außerhalb dieser speziellen Spielsituation.

Richtig schlimm ist mein jetziger Arbeitgeber, wo sich alle amerikanisch duzen (den Vorstand sollen wir auch mit Vornamen ansprechen aber siezen). Bereits beim Vorstellungsgespräch hieß es als erstes hier duzen sich alle, ich bin die Stefanie. Gar nicht so einfach bei den vielen Melanies, Thomasse. Tims, Stefans, Svens, Andreasse herauszufinden an wen man die E-Mail adressieren soll. Nachnamen sind eindeutiger.

Portugiesisch hat sogar 3 Ebenen. Das Sie (você) entspricht unserem Du. Tu nur gegenüber Kindern oder wenn man Streit will (in Portugal verwendet man es wohl noch im Gegensatz zu Brasilien in der Familie und unter engen Freunden). O Senhor (der Herr) entspricht unserem Sie. Brasilianisches portugiesisch ist einfacher, da wird die gesamte 2. Person mitsamt Verbformen nicht verwendet.

Martzell
13. August, 2021 11:26
Reply to  Martzell

Die Japaner verwenden sogar 4 Anredeformen: sama für Gäste, Kunden und Götter. san wie unser Herr / Frau. kun für Männer des gleichen oder niederen Ranges. chan für Mädchen, Tiere, Kinder und alles was niedlich ist. Im Geschäftsleben gibt es weitere 4 Titel und im schulischen Kontext weitere 3 Titel je nach Rang.

Der älteste Roman der Welt der noch erhalten ist kommt aus Japan und soll sehr schwer zu lesen sein, obwohl sich das alte Japanische kaum vom modernen japanisch unterscheidet. Weil damals aus Höflichkeitsgründen keine Personen mit Namen benannt wurden sondern über unzählige Rang-Grammatik, Verwandschaft oder bei Frauen die Kleidung beschrieben wurden und Dialoge Gedichtszitate enthalten die man kennen muss.

Rainbow Warrior
Rainbow Warrior
23. August, 2021 09:34
Reply to  Martzell

“Du nu, wenn man Streit will”.

Ich bin dann mal in Portugal, das gefällt mir.

Wolf
Wolf
13. August, 2021 11:29
Reply to  Torsten Dewi

“Danke für das Angebot. Für mich ist das “Du” allerdings das Symbol einer gewissen Vertrautheit. Sie kenne ich noch nicht gut genug und fühle mich noch nicht vertraut genug, um das Angebot anzunehmen.”

Ich hatte den Fall, daß ein Vorgesetzter zwei Ebenen oberhalb meiner Position eine meiner E-Mail mit “Du” beantwortete. Nun lege ich Wert darauf, bei solchen Hierarchie-Unterschieden eine gewisse Distanz zu wahren, auch wenn in meinem Unternehmen nach der Übername durch einen amerikanischen Konzern das Duzen üblich wurde. Ich habe die E-Mail einfach mit Sie beantwortet.
Mag unhöflich sein, ich kann die betreffende Person aber auch persönlich nicht leiden, daher war mir das egal.

Geschäftlich bleibe ich gern beim Sie, nur mit sehr engen und meist langjährigen Kollegen habe ich ein Du-Verhältnis.

dermax
dermax
13. August, 2021 10:21

Kurze Antwort: für mich ein Non-Problem. Ja, man zerhackelt sich evtl. irgendwann mal mit jemandem, aber brauchts da wirklich die Rückkehr zum “sie”, um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen? Das lässt sich nicht durch den sonstigen (Nicht-)Umgang signalisieren?
Und ja, ich finde diese fehlende Unterscheidung im Englischen extrem angenehm: man muss nicht ständig klären, wer eigentlich wen wann duzen kann oder soll oder das schon mal gemacht hat. Die Einstellung, dass wir uns erstmal alle mögen und duzen, find ich gut.
Was nicht heisst, dass es für mich ok ist, wenn Fremde online oder in RL ungefragt mit Duzen anfangen.

Martzell
13. August, 2021 11:08
Reply to  Torsten Dewi

You ist war das majestätische Ihr das zum Standard für alle wurde und thou und thee gibt es nicht mehr. Schon komisch dass sich die Amis oft mit Vornamen ansprechen, statt distanziert höflicher Mr. Nachname zu sagen. Sprechen die Briten auch gerne so kumpelhaft oder mehr Mr (ohne Punkt) Nachname?

Last edited 2 Jahre zuvor by Martzell
Martzell
13. August, 2021 11:30
Reply to  Martzell

Andere Länder andere Sitten. In Russland sagt man nicht Herr Nachname sondern Vorname Vatersname ist die höfliche Anrede. Im Spanischen ist der Familienname der vorletzte Name da der Familienname der Frau eine Generation erhalten bleibt.

In Island und Thailand sind Telefonbücher nach dem Vornamen sortiert. Auch Dänemark und Nordniederdeutschland haben erst sehr spät Familiennamen gegen den Willen der Bevölkerung eingeführt wie in Thailand, wo Familiennamen sogar eindeutig sein mussten, also wer den gleichen Namen hat ist verwandt. Auch die langen vielsilbigen Vornamen sind in Thailand oft eindeutig, unabhängig vom Vornamen haben Thailänder noch einen Rufnamen für Familie und Freunde.

Last edited 2 Jahre zuvor by Martzell
Uli
Uli
13. August, 2021 10:54

Bei meiner Firma ist das Du/Sie ein heilloses Durcheinander aus “historischen” und hierarchischen Gründen. Ich halte es gerne beim “Sie” mit Vorgesetzten oder mit Menschen mit denen ich selten Kontakt habe. Viele drängen einem das “Du” aber geradezu auf und ja man kann da nicht nein sagen und auch nicht wieder zurück.

Andre
Andre
13. August, 2021 10:56

Auf Arbeit wurde ich nach der Ausbildung in eine Welt von fast reinem Du geworfen. Nur Chef-Chef und höher wurden überhaupt gesiezt. Eine Umorganisation mit Outsourcing später ist die Ansage der Firmenchefs, sie wollen geduzt werden.

Wobei die Annahme, so etwas gäbe es nicht in Englisch nicht stimmt: First Name Basis gibt es da (statt Thou). Damit geht dann ein Konstrukt wie „Du, Herr Maier“ oder „Silke, geben Sie mir bitte…“ nicht

Andre
Andre
13. August, 2021 13:08
Reply to  Torsten Dewi

Naja, da gab es früher mal You und thou. Dürfte nur nicht so gebräuchlich sein, als das man jetzt noch verstanden würde

Jake
Jake
13. August, 2021 11:40

Ehepaar, bei mir Kunde. Lockerer Umgang miteinander. Mit der Frau bin ich schon seit Jahren per Du. Ihr Mann und ich siezen uns, wobei er eine etwas ungewöhnliche Ansprache pflegt: Nach dem “Herr” lässt er nicht meinen Nachnamen, sondern meinen Vornamen folgen. Habe ihm dann neulich das Du angeboten, da ich annahm, er würde sich aus welchen Gründen auch immer nicht trauen, seinerseits diesen Schritt zu tun. Darauf hat er dann in kumpelhaftem Ton geantwortet: “Das machen wir, wenn wir mal ein Bier zusammen getrunken haben.” Das war eine Ablehnung durch die Blume, da er genauso gut wie ich weiß, dass wir nie ein Bier zusammen trinken werden. Fand ich gut gelöst, ich musste lachen. Hätte aber auch absolut kein Problem damit gehabt, wenn er mir direkt gesagt hätte, dass er lieber beim Sie bleibt. Zum “Du” gehören schließlich immer zwei.

Marko
13. August, 2021 13:15

“Und ja, mit solchen Themen verbringe ich schöne Abende mit Freunden. Vielleicht der Grund, warum ich so wenig Freunde habe – und die so wenig schöne Abende mit mir.”

Ich kenn das und nenne es meine “Sheldon-Momente”, weil normale Menschen sich mit sowas vermutlich nicht beschäftigen mögen. Ist für mich manchmal schwierig, das im Freundeskreis abzugrenzen, weil viele Leute von sowas schnell genervt sind (was ich nachvollziehen kann), aber inzwischen weiß ich, wem ich womit auf den Sack gehen kann… und die entzückenden Momente, in denen das gemeinsam Spaß macht, entschädigen mich für die stirnrunzelnden Gesichter derer, die sich nur über ihre Autos und/oder Kinder unterhalten wollen.

Rainbow Warrior
Rainbow Warrior
22. August, 2021 21:50
Reply to  Marko

Ich bin gerade sehr froh, keinen einzigen Freund und keine einzige Freundin zu haben, die sich mit mir über Kinder, Auto, und ganz schlimm, Haus unterhalten wollen.

Michbech
Michbech
13. August, 2021 13:32

Ich wurde beruflich in Firmen sozialisiert wo bis hinauf zum CEO geduzt wird. Wahrscheinlich habe ich deswegen kein Problem mit dem du.

Für mich persönlich bestimmt sich der “inner circle” anhand der möglichen Gesprächsthemen. Mit Menschen aus meinem inner circle bespreche ich persönliche Themen. Mit ganz engen Freunden auch sehr persönliche Themen. Und mit Kollegen halt eher Smalltalk und ansonsten auf der fachlichen Ebene. Obwohl da natürlich auch Freundschaften entstehen und die Gespräche persönlicher werden können. Der Übergang ist fließend und ich ziehe da keine feste Grenze. Das entwickelt sich halt oder nicht, je nachdem ob und wie gut man sich riechen kann.

Ich habe aber kein Problem damit, wenn jemand das Sie bevorzugt. Ich würde auch niemanden einfach so duzen. Für mich ist das eine Altersfrage. Bei Älteren verwende ich so lange das Sie bis mir das du angeboten wird und würde nicht von mir aus das du anbieten. Jüngeren biete ich i. d. R. sofort das du an. Mir macht das aber nix aus wenn das du nicht gewünscht ist, sowas kommt vor. Dann bleibt es halt beim Sie.

Last edited 2 Jahre zuvor by Michbech
Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
13. August, 2021 16:22
Reply to  Michbech

Schön zusammengefasst, so halte ich es auch (zumal tatsächlich bei uns in der alten Firma, die aber auch ein US-Unternehmen war, auch der Geschäftsführer geduzt wurde). Überhaupt ist die Branche, in der ich arbeite, eh sehr Duzlastig – da irritiert es eher, wenn man Kolleg*innen Siezt bzw es entsteht ein wunderbares Kuddelmuddel aus Du/Sie auf Großverteilern.
Das vom Hausherrn vorgeschlagene Zurücknehmen des Dus in Privatsituationen fände ich albern. Bei der ausgespannten Freundin flutscht das „Du Arschloch“ (respektive ihr Arschlöcher, gehören ja zwei dazu) besser und zu solchen Personen hält man wahrscheinlich eh keinen Kontakt mehr, daher wäre die Wahl der Anrede eh Wumpe.

Martin
Martin
13. August, 2021 13:35

Ich erinnere mich hin und wieder amüsiert zurück an frühere Bäckerbesuche in der Heimatkleinstadt im Alter von ca. 15-17 Jahren. Die Verkäuferin war mit meinen Eltern per Du, bei mir war sie sich scheinbar ob der Ansprache nicht sicher und wich auf ein konsequentes „Was will er denn?“, „Will er noch etwas?“ und „Grüßt er mal die Eltern!“ aus.

Matts
Matts
13. August, 2021 13:43

Ich hab mich tatsächlich ein paar Mal aus dem “Du” zurückgezogen. Mit den meisten Leuten auf der Arbeit rede ich Englisch – da ist das kein Problem. Aber wenn ich dann mal mit einem eher flüchtig bekannten Kollegen – vor allem einem, der älter und erfahrener ist als ich – aus Deutschland in Kontakt trete (per Email oder persönlich), dann komme ich wieder mit dem “Sie”. Selbst wenn wir uns das letzte Mal geduzt hatten. Einfach, weil ich nicht weiss, ob er/sie sich überhaupt noch an mich erinnert.

Dizoneros
Dizoneros
13. August, 2021 14:39

Schönes Thema. Ich musste meine fast 100-jährige Großmutter angeblich noch siezen (kein Scheiß, ging aber nur, bis ich vier war, dann ging sie) und bin erklärter Freund des “Sie”. In Firmenmilieus musste und muss ich bis auf bestimmte (ältere) Vorgesetzte jeden duzen, sonst herrscht munter das Du. Flache Hierarchien erfordern flache Manieren. Privat hätte ich kaum einen geduzt. Nicht, weil es schlechte Menschen wären, aber das Du ist für mich etwas Intimes. Menschen, an die man außerhalb des Firmengebäudes eigentlich nicht denkt, sind “Sie”.

Einen Spaß mache ich mir bei verschiedenen Cafés. Das junge, meist weibliche Personal duzt mich ausnahmslos völlig ungehemmt, ich sieze freundlich zurück. Irritiert sie immer wieder, und diesen Moment des kurzen Stutzens (Oh Gott, habe ich ihn beleidigt?) LIEBE ich.

Last edited 2 Jahre zuvor by Dizoneros
Gregor
Gregor
13. August, 2021 16:05

In der Arbeitswelt mit Kunden und Lieferanten sieze ich standhaft. Klar gibt es Ausnahamen wenn man sich besser kennenlernt oder bei “hippen” Startups, die fühlen dich ja beleidigt wenn man sie siezt. Wenn es aber Stress gibt, kehre ich schnell zum Sie zurück, da merkt der Gegenüber auch gleich, dass jetzt nicht mehr mit mir zu spaßen ist.
Was mich mit Kindern überrascht hat, war der wohl allgemeine Konsens, dass sich Eltern immer duzen, also wo die Kinder gemeinsam in die Schule gehen usw….
Wenn ich allerdings in einem lockeren Restaurant von eine Bedienung gesiezt werde fühle ich mich gleich älter.

Rainbow Warrior
Rainbow Warrior
23. August, 2021 09:25
Reply to  Gregor

Ich glaube, wenn sich bei einem “hippen” Startup jemand beleidigt fühlen würde, wenn ich ihn siezte, wäre das für mich ein Grund mehr, es zu tun.

Duzen aus Attitüde raus ohne Rücksicht auf ja durchaus noch bestehende Konventionen, das mir dann die Last auferlegt, gegen mein Empfinden zu sprechen, würde ich nicht auch noch belohnen.

S-Man
S-Man
13. August, 2021 16:28

Ich bin eher jemand der Sorte: “Sie” abschaffen.

Hier in Berlin siezt sich kaum jemand. Sogar in unserem großen internationalen Konzern werden durch alle, wirklich alle, Hierarchien Vornamen und das Du verwendet – zumindest in unserem Projekt. Ich habe noch nie in einem Unternehmen gearbeitet, in dem etwas anderes üblich war.

Nichtsdestotrotz sieze ich mir Unbekannte, vor allem deutlich Ältere, immer zu Beginn. Ich habe aber kein Problem damit, wenn sie direkt duzen, oder dazu übergehen. Auch käme mir nie in den Sinn, davon wieder zurück zu gehen. Auch bei Arschlöchern ist es ja praktisch, wie du schon geschrieben hast: “Du Arschloch” geht halt einfacher 😉 Ich sehe das als Vorteil.

Siezen ist eine Form der Kommunikation, die mich unnötig stresst. Immer aufpassen, wie man etwas formuliert; ich finde, das kann man sich getrost sparen. Ich respektiere mein Gegenüber ja nicht weniger, wenn ich in duze.

Fazit: Ich sieze meist Unbekannte (bestimmte Lebensbereiche sind davon ausgenommen, wie Hobbies, wo man auf neue Leute trifft), aber bin immer für das Du offen und auch dankbar für das Du. Das Du bedeutet für mich in erster Linie einfachere Kommunikation und erst deutlich danach das “Hineinlassen in den inner circle”.

kaio
kaio
14. August, 2021 13:32
Reply to  S-Man

Genau das.

Rainbow Warrior
Rainbow Warrior
23. August, 2021 09:27
Reply to  S-Man

Ich frage mich ja allen Ernstes, wie man auf die Idee verfallen kann, sprachliche Konstrukte einfach “abschaffen” zu wollen.

Und ich frage mich, wieso ein Muttersprachler (?) beim Siezen mehr aufpassen muss, wie er etwas formuliert. Ich muss das nicht.

Und selbst wenn: Wäre “auf etwas aufpassen müssen” nicht auch eben genau ein Zeichen dieses Respekts, von dem alle immer so viel reden?

Zeddi
Zeddi
13. August, 2021 16:42

Das ist auch glaub ich son bisschen ne süddeutsche und stadt-land sache, oder?

Hier ist das “du” außerhalb der Stadt eigentlich der Quasi standard und lt. meinen Großeltern zumindest auch schon recht lange gewesen.

Heino
Heino
14. August, 2021 09:46
Reply to  Torsten Dewi

Das ist in Kölner Brauhäusern und altmodischen Kneipen aber auch Usus

noyse
noyse
13. August, 2021 17:26

In meiner jetzigen Firma duzen sich alle. Beim Bund habe ich das Sie konsequent bei Leuten angewendet die ich nicht leiden konnte. Ansonsten ist es mir wurscht. Nur weil mich jemand duzt lasse ich nicht gleich eine intime Nähe zu. Das ist für andere oftmals irritierend.

Tante Jay
Tante Jay
13. August, 2021 18:02

Wenn ich mal soweit bin, das “du” zu entziehen, breche ich den Kontakt ab. Mir sind dann Dinge wie “vor den Kopf stoßen” egal – wer mich so ärgert, dass ich nicht mehr Duzen möchte, kann zum Donnergrummel gehen.

S-Man
S-Man
13. August, 2021 22:45
Reply to  Tante Jay

“Zum Donnergrummel gehen”. Wunderschön! 🙂

AlphaOrange
AlphaOrange
13. August, 2021 22:58

Interessant. Hätte gar nicht gedacht, dass der Anteil derjenigen hier, denen das Sie noch so wichtig und gewichtig ist, so groß ist. Da bin ich offenbar einfach anders sozialisiert.
Du ist für mich die Standardform, Sie die Ausnahme. Ich biete auch nie ein Du an. Entweder duze ich direkt oder wechsel einfach, sobald ich das Gefühl habe, dass das kein Drama gibt.
Ich mag das Sie nicht, es fühlt sich wie unnötige Distanz und eine Barriere in der Kommunikation an, als müsse man stets erinnern “Sie sind nicht mein Freund!”, “Ich bin alt, hab gefälligst Respekt!”, “Ich kenn Sie doch gar nicht und habe nicht vor, das zu ändern!” etc.

Habe auch nur in Unternehmen gearbeitet, in denen durchweg geduzt wurde bis hoch aufs C-Level. Das ist mir auch deutlich lieber. Wenn man “die da oben” siezen muss, würde sich das für mich als “die halten sich für was besseres und wollen unter sich bleiben” anfühlen. Nach unten genauso. Ich hatte mal einen neuen Mitarbeiter, der schlecht Deutsch sprach und mich ständig siezte (aber mit Vornamen ansprach) und es auch schlicht nicht lernte, das zu ändern. Kam mir immer intuitiv vor, als hätte ich als Chef irgendwas falsch gemacht, als würde ich unnahbar rüberkommen bei meinem Schützling.
Auch im Kontakt mit externen Dienstleistern in der Branche wird das Du meistens ungefragt als Norm verwendet. Gegenüber Kunden ist das natürlich anders, da mag man halt auch keine Irritation riskieren. Wobei dort bei längerer Geschäftsbeziehung auch üblich ist, fix aufs Du zu gehen.

Eine einzige Mitarbeiterin hatten wir damals im 1000-Personen-Unternehmen, die auf dem Sie bestand. Das wusste jeder und jeder hat es ungefragt respektiert. Man wollte es sich aber auch nicht mit ihr verscherzen, denn die gute Frau war dafür zuständig, wenn man für irgendwas Geld brauchte ^^

Dizoneros
Dizoneros
14. August, 2021 00:44
Reply to  AlphaOrange

“Ich mag das Sie nicht, es fühlt sich wie unnötige Distanz und eine Barriere in der Kommunikation an, als müsse man stets erinnern “Sie sind nicht mein Freund!”, “Ich bin alt, hab gefälligst Respekt!”, “Ich kenn Sie doch gar nicht und habe nicht vor, das zu ändern!” etc.”

Interessant, mal die Binnenansicht eines Duzers zu lesen.

S-Man
S-Man
14. August, 2021 11:54
Reply to  Dizoneros

Die ich uneingeschränkt teile. Sehr gut formuliert, danke! 🙂

Dizoneros
Dizoneros
14. August, 2021 15:49
Reply to  S-Man

Uneingeschränkt teilen?

Das “Sie” als dauerhaften Angriff und bösartige Minderung zu interpretieren – ja, das kann man doch teilen.

S-Man
S-Man
14. August, 2021 22:34
Reply to  Dizoneros

Ich kenne sehr viele Situationen, wo genau das der Fall war oder ist. Das Sie nur als Abwertung genutzt von Mächtigen. Ja, in der Tat, man kann das sehr wohl genau so interpretieren.

Das Du zeigt zumindest: Ich bin vordergründig nicht mehr wert als du. Lass uns auf Augenhöhe reden.

AlphaOrange
AlphaOrange
15. August, 2021 16:23
Reply to  Dizoneros

Na, so hab ich das aber auch nicht geschrieben!
Es ist eine Ebene, die dabei mitschwingt, ich unterstelle sicherlich nicht jedem Siezer Bösartigkeit. Ich sieze ja, wie beschrieben, auch. Das finde ich auch nicht böse. Aber oft hinderlich.

Dizoneros
Dizoneros
15. August, 2021 17:03
Reply to  AlphaOrange

“Es ist eine Ebene, die dabei mitschwingt” – Nein. Du meinst das wahrzunehmen. Macht es nicht zum pauschalen Fakt, aus dem dann z.B. eine krude passiv-aggressive Attitüde erwachsen kann.

Was soll ein Zwangs-Du auch bringen?

Was ist, wenn jemand tatsächlich nicht mit dir befreundet sein möchte? Dein Du wird die Sympathie für dich nicht steigern.

Alte Menschen verdienen Respekt. Junge auch. Das Sie ist ein guter Anfang, diesen zu demonstrieren. Plumpes Du, um den anderen von einem Podest zu holen, auf dem derjenige sich vermutlich nicht mal gewähnt hat? Uncool. Anmaßend. Wutbürgerlich.

Ein “Sie” als hinderlich anzusehen halte ich allerdings für eine kommunikative Schwäche. Fakt ist: Per Sie lässt sich höchst filigrane Kommunikation gestalten. Erfordert vielleicht etwas mehr Arbeit. Aber das kann nie ein Grund sein, den leichteren Weg zu wählen, der es manchen schwerer machen dürfte.

Verstehen Sie? Freut mich für dich.

Dizoneros
Dizoneros
15. August, 2021 17:05
Reply to  Dizoneros

Und weil ich Smileys nicht verwende – alles nicht gallig gemeint. Jeder wie er mag. Ein “Sie” bringt aber niemanden um.

takeshi
takeshi
14. August, 2021 11:34

“ohne der anderen Person vor den Kopf zu stoßen” sollte sicher heißen “ohne die andere Person vor den Kopf zu stoßen”

Leif is Leif
Leif is Leif
15. August, 2021 01:35

Du und sie ist tatsächlich spannend in der Anwendung. In meiner Karriere als Physio ist mir das Problem direkt als Berufseinsteiger vor die Nase gesetzt worden. Mein erster Chef war in Fragen der Kommunikation sehr speziell und es war mir nen knappes Jahr nicht klar wie ich ihn anreden soll. Nachdem es mir zu anstrengend wurde beständig Formulierungen ohne Anrede zu nutzen, hab ich ihn einfach geduzt.

Aber auch bei Patienten ist das gar nicht so einfach. Anweisungen von denen ich möchte das befolgt werden, auch wenn der Muskel langsam Unbehagen signalisiert und der Kopf den Körper vor Anstrengungen mittels Das-geht-nicht-Haltung schützen will, lassen sich deutlich besser per du adressieren. Lob, Durchhalteparolen, Korrektur ebenfalls.
Hat man dagegen mit Nebenschauspielplätzen zu tun, wie Störfeuer aus dem sozialen Umfeld, Verluste, Traumata, etc. brauche ich meist das Sie für eine professionelle Distanz.
Also wechsel ich munter zwischen Du und Sie teilweise in der selben Behandlung¯\_(ツ)_/¯.

Zum Schluss noch etwas zum Entduzen.
Eine soziale Gruppe die das Du wie selbstverständlich auf einen selbst ausweiten, sind Schwiegereltern. Wenn dann im Falle von Differenzen das Sie Anwendung findet, einfach damit man sich nicht im Ton vergreift, hat man sich sich irgendwie schon im Ton vergriffen.

Selle
Selle
15. August, 2021 19:32

Eine relativ elegante Lösung für die “Sollen wir uns nicht duzen?”-Frage ist noch das Tages-Du. Im Prinzip wie das meist implizite Sportler-Du (man duzt den Chef wenn man mit ihm Fußball oder Golf spielt und wechselt dann im geschäftlichen Kontext wieder auf Sie zurück), nur dass es explizit ausgesprochen wird. Ich kenne das z.B. von Konferenzen wo man dadurch die unangenehme Situation vermeidet dass ggfs. die eigenen Mitarbeiter gesiezt werden und externe geduzt. Bietet also die zusätzliche Antwort-Option “Ja gerne, für/solange <Anlass>”. Entduzen bei flüchtigeren Kontakten funktioniert i.d.R. recht subtil, wenn A meint sich zu erinnern, B zu duzen und eine Mail entsprechend formuliert (bzw. eingeschränkt auch im Gespräch), und B dann aber mit Sie antwortet ist das ziemlich eindeutig, auch ohne das auszusprechen und damit jemanden vor den Kopf zu stoßen. Bei engen Kontakten ist das schwieriger, da müsste aber gleichzeitig schon etwas mehr vorgefallen sein um wieder Siezen zu wollen.

Rainbow Warrior
Rainbow Warrior
23. August, 2021 09:22

Sehr interessante Fragestellung, gerade das mit der “Einbahnstraße” vom Siezen zum Duzen.

Ich bekenne mich dazu, diesbezüglich altmodisch zu sein. Ich schätze die Möglichkeit, zwischen Sie und Du zu wählen, und ich schätze sie vor allem, weil sie dazu neigt das schnell zu entlarven, was ich verabscheue wie wenig anderes: plumpe Vertraulichkeit.

Ich halte mich für einen freundlichen, offenen Menschen. Ich duze auch durchaus viele Menschen, weniger im Berufsumfeld (da Einzelunternehmer), umso mehr im Privaten, auch weil ich Mitglied in einigen Vereinen bin. Leute, die mit mir mein Hobby teilen, dürfen mich gerne duzen, das ist so üblich und wird dem Rahmen des gemeinsam ausgeübten Sports oder Schachspiels gerecht.

Da hört es dann aber auch auf. Personal in Hotels oder Restaurants oder Geschäften braucht mich nicht zu duzen, das verweigere ich konsequent. Da nützt es auch nichts, wenn sich der Duzende noch so “hip” fühlt, ich fühle mich nicht “hip” und ich als Kunde darf da etwas Distanz erwarten.

Nicht, dass ich rausginge, wenn ich geduzt werde. Ich sieze nur konsequent weiter. Daran, wie der oder die andere dann reagiert, entscheide ich, wie es weitergeht. Viele wechseln dann aufs Sie, und das weiß ich durchaus zu schätzen. Andere bleiben beim Du, da bleib ich dann lieber in Zukunft fern.

Wobei ich da auch bereit bin, situativ anders zu urteilen: letztens bei einem kleinen, sehr kleinen Italiener in einem der weniger guten Stadtteile einer deutschen Mittelstadt, einfache Leute, einfaches Publikum. Natürlich lass ich mich da duzen und duze auch zurück. Weil das da nicht Teil eines hippen Selbstverständnisses ist, sondern eher Distanzlosigkeit. Auch das darf es mal geben.

Ich mag es nur nicht, wenn da Kalkül und/oder Attitüde hinterstehen.

Dietmar
3. September, 2021 19:28

Boah, ne, da halte ich mich zurück. Blutdruck and stuff. Bei uns an der Schule wird gegendert, dass der Putz bröckelt. Geht-das-auf-den-Puffer!