06
Aug 2021

Gerechter Zorn am Gemüseregal

Themen: Neues |

Meine Konfrontationen mit Mitmenschen in Supermärkten, Schnellrestaurants, Bauhäusern, Bäckereien und an Tankstellen sind legendär. Ich weiß nicht, wieso es immer mich trifft. Ich bin eigentlich ein Netter. Aber es gibt Situationen, da sagt mein Verstand so:

Dann winkt er ab und mein reptilisches Ur-Hirn drängelt sich vor mit den Worten: “Lass mich mal, ich erledige das kurz und schmerzhaft.”

Eben war ich einkaufen. Das macht bei uns Zuhause ja der Wortvogel – weil er es im Gegensatz zur LvA gerne macht. Da wir relativ spezifische Ansprüche haben, muss ich oft genug drei Supermärkte abfahren, bis ich genau das habe, was wir brauchen (oder zu brauchen meinen). Der Kaffee von der Metro, das Low Cal-Eis vom Aldi, das Mineralwasser aus dem Getränkemarkt. Aber darum geht es nicht.

Ich war also beim ALDI. Eine dieser schicken renovierten Filialen, die so gar nichts mehr vom “aus dem Karton grabbeln”-Discounter haben. Als ich bei einer meiner Runden am Kassenbereich vorbei komme, nehme ich aus dem Augenwinkel eine Kundin war, die gerade ihre Ware aus dem Wagen auf das Laufband legt. Dabei sind ihr augenscheinlich zwei mitgebrachte Einkaufstaschen runtergefallen und liegen nun zwischen Einkaufswagen und Kasse eingequetscht. Bevor ich etwas sagen kann, kommt mir ein netter älterer Herr zuvor:

Entschuldigung, Ihnen ist da was runtergefallen.

Sie schaut ihn nicht an, nur kurz runter auf die Taschen, dann wieder auf ihren Einkauf:

Habe ich gesehen.

Der Mann findet sich vielleicht etwas abgefertigt, er legt noch einmal nach:

Ich hab’s nur gesagt, falls Sie es nicht bemerkt haben.

Jetzt schaut sie ihn doch an und sagt:

Hätte man dem Anderen dann aber auch gleich aufheben können, gell?

Der ältere Herr trollt sich. Wahrscheinlich denkt er “hätte ich mal bloß nix gesagt” und “das mache ich auch nicht normal”. Beides ist genau die falsche Reaktion, denn es lässt die selten blöde Kuh – und genau das ist sie – in dem Glauben, SIE wäre in diesem Szenario die gewesen, der Ungerechtigkeit widerfahren ist. Und es bestraft alle netten Menschen, die er in Zukunft auf etwas hinweisen könnte, es aber nach dieser Erfahrung nicht tut.

Ich stehe dabei, staune und denke:

Zeit für einen Einsatz von Captain Einspruch, wie es scheint…

Ich lasse meinen Einkaufswagen stehen und drehe mich so augenfällig zu der Frau, dass sie mich nicht übersehen kann. Dann feuere ich die erste Salve:

Das war gerade eine maximale Unverschämtheit von ihnen.

Sie schaut mich überrascht an und hält sofort gegen:

Was geht Sie das denn an? 

Damit habe ich schon gerechnet:

Nix. Schert mich aber nicht. Es ist unfassbar, dass jemand Sie nett auf ihre herunter gefallenen Taschen hinweist und Sie ihn auch noch anpampen!

Sie ist pikiert, es ist ihr peinlich, also wird sie sauer:

Es interessiert mich nicht, was Sie sagen.

Ich atme tief ein:

Testen wir das doch mal: Sie sind eine selten blöde Kuh.

Ihre Augen über der Maske werden groß:

Ach, jetzt sind wir schon bei Beleidigungen?!

Ich nicke knapp:

Genau. Und fertig sind wir auch.

Damit drehe ich mich um und gehe. Mein emotionaler Haushalt? Etwas aufgewühlt, aber in Ordnung. Daheim hole ich mir noch die Bestätigung der LvA, dass die blöde Kuh es verdient hatte. Die LvA ist allerdings erschüttert, dass ich wieder mal der Einzige war, der den Mund aufgemacht hat.

 



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Martzell
6. August, 2021 14:10

Was hätte Marshall B. Rosenberg getan? Ernsthafte Frage an jemand der sich mit dessen Lehre auskennt.

Marshmallow-Man
Marshmallow-Man
6. August, 2021 15:20

Ich habe in Zeiten von Covid-Abstandsregeln, umständlichen Kassenschlangen, klar definierten EINGANG und AUSGANG Maßnahmen und Maskenpflicht mit VIEL mehr “Wortvogel vs Mitmenschen (negativer Teil)” gerechnet. 😀

Letztens bei C&A, wir stehen an der Kasse an. Im eigens abgetrennten Distanz-Wartebereich. Eine Frau vor uns an der Kasse, eine steht direkt hinter ihr an (natürlich!). Frau an Kasse is fertig, wir schreiten vor.

Frau die ansteht, sichtlich genervt: Ich stand aber zuerst an!

Ich: Aber in der falschen Schlange.

Frau: guckt entgeistert, nuschelt irgendwas negatives, aber trollt sich wenigstens

Herrlich.

Last edited 2 Jahre zuvor by Marshmallow-Man
Martzell
6. August, 2021 16:10

“Falsche Schlange” kann ich leiden wie Rückenschmerzen. Wer zuerst wartet sollte zuerst bedient werden. In Brasilien konnte man in jedem Bäcker eine Nummer ziehen. Schlange stehen unnötig. Ist es denn so schwer zu schauen oder zu fragen wer der letzte ist? Dann merkt man sich nach welcher Person man dran kommt. Einmal wollte einer vor mir bedient werden und auf mein freundliches “Entschuldigung, ich war vor Ihnen” meinte die Person, nö, ich wäre nicht richtig gestanden. An dem bin ich gleich mal vorbeigegangen und habe mich bedienen lassen. Kommt nach mir an und will vor mir dran kommen, ganz schön unverschämt.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
7. August, 2021 05:57
Reply to  Martzell

Aber manchmal ist das Wartesystem wirklich nicht so einsichtlich, grade aktuell in der Corona Situation kann es vorkommen, dass man in der Schnelle das System nicht korrekt überblickt und dann eben falsch ansteht. Und wenn man dann eben drauf hingewiesen wird, würde ich auch erstmal sauer sein, nur um dann später einzusehen, dass ich falsch stand. Das ist normal.

Was ich aber zB hasse sind dann Leute, die einfach absolut nicht drauf achten. zB bei langen Warteschlangen im Supermarkt lasse ich den Gang normalerweise frei, so dass die Kunden normal herumgehen können. Das merken dann aber einige (bevorzugt Damen) nicht und stellen sich dann einfach vor mich. Hatte es jetzt mindestens einmal, dass eine Dame mich dann auch noch zornig angemacht hatte ala Pech gehbat. Da hätte ich mir zu gern ein Beil herbeigewünscht.

noyse
noyse
9. August, 2021 09:48
Reply to  Martzell

in spanien gab es in den supermärkten nur eine schlange vor einem bildschirm auf dem dann die Kassenummer draufstand zu der man sich dann begeben musste. im Prinzip hat man ja dann an allen kassen gleichzeitig angestanden – das ging auch bei langen Kassenschlangen richtig flott und natürlich waren von 8 Kassen auch 8 besetzt.

Heino
Heino
9. August, 2021 17:36
Reply to  noyse

Das gibt es hier im Saturn auch und ich finde das eine wirklich gute Lösung

Jake
Jake
6. August, 2021 16:07

Was für eine Bitch. Ich bin normalerweise eher zurückhaltend, aber in dieser Situation wäre mir vermutlich auch der Kragen geplatzt. Da bekomme ich schon beim Lesen ‘ne Hasskappe. Eine Anstandsschelle hätte die Dame für diese Frechheit verdient gehabt.

Bärbel
Bärbel
6. August, 2021 23:13
Reply to  Jake

ich feiere ja das wort ‘anstandsschelle’ 🤣

Marcus
Marcus
6. August, 2021 18:18

Du hast in der Aufzählung “Züge” vergessen. 😉

Dizoneros
Dizoneros
6. August, 2021 21:36

Da mag auch eine bemerkenswerte Form von weiblichem Pseudo-Vorrecht mitschwingen. Mir unlängst passiert, als ich mittags gegenüber im Park essen wollte. Saß auf einer Bank, genoss in der Sonne mein Essen, als sich unangemessen nah vor mir eine Blondine Mitte/Ende 30 aufbaute. Neben ihr eine vielleicht fünfjährige Tochter. Sie standen da etwa 15 Sekunden schweigend/ und sahen mich anklagend an. Ich, stets schuldbewusst, blickte auf und fragte “Ja bitte?” – böser Fehler.

“Wir möchten sitzen.”

Im Park hier sind bestimmt 30 Bänke, von denen einige frei waren. Mein Hirn ging Terminator-mäßig mehrere nette Ratschläge durch, bis eine kleine Lampe anging und ich begriff. “Sie… möchten hier sitzen? Wo ich gerade sitze? Und esse?”

“Ja?” Mit genervtem “Dumme Frage”-Unterton.

Ich verschluckte mich fast, was in einer hässlichen Mischung aus Lachkrampf und Erstickungstod geendet hätte. Der Bissen glitt aber runter. Hoch ging der Hut – meiner. “10 Meter neben uns ist eine leere Bank. Da. Den Weg schaffen Sie.”

“Wir sitzen aber immer hier.”

“Ja? Heute nicht. Heute sitze ich hier. Und esse.”

“Ich bin eine Frau.”

Mein Hirn ging wieder die Terminator-Ratschlagliste durch, die sich den markigen Originaltexten aus dem Film bedrohlich annäherte.

Ich riss mich zusammen, ignorierte ihren Gender-Joker, bot ihr gerade noch restfreundlich an, sich mit Kind auf die andere Bankhälfte zu setzen – ich würde mich aber keinen Millimeter bewegen und das sei mein letztes Wort.

Was gelogen war. Als Sie empört wegstapfte und hörbar “dummes Arschloch” sagte, könnte mir – leise und für Kinderohren nicht hörbar – etwas entfleucht sein, das sich auf “Vermiss dich, Glotze” reimt. Was mich dann doch erstaunte.

Die traurige Wahrheit ist übrigens, dass ich diese Bank seitdem meide. Gerade vorhin saß ich zwei Bänke weiter. Jene welche war leer, She-Man nicht zu sehen.

Dennoch, dort zu sitzen macht mir keinen Spaß mehr.

Marko
7. August, 2021 02:23

Mich wundert die allgemeine Bereitschaft zur Kommunikation. Mein Tipp: Niemals ohne In-Ears unterwegs sein. Egal, ob Gemüseregal, C&A-Filiale oder Parkbank – der omnipräsente Pöbel lässt sich so erfolgreich ignorieren.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
7. August, 2021 05:52
Reply to  Marko

Ohne In-Ears und Podcasts wäre ich schon längst in so mancher Schlange Amok gelaufen. Meine persönliche Hölle ist eine nie endende Warteschlange.

S-Man
S-Man
8. August, 2021 09:51
Reply to  Marko

Genau so ist es. Ich gehe inzwischen zu 99% nicht mehr ohne Kopfhörer aus dem Haus. Seit ich das tue, hat sich mein Stresslevel auch einigermaßen reguliert.

Vergesse ich sie jedoch mal, dann merke ich sofort – egal wo man auf Menschen trifft – das Facepalming-Level steigt rasant und Arschlöcher gibt es einfach überall. So manches Mal hab ich dem Ärger auch Luft gemacht. Aber ich komme nicht damit klar, dass die Adressaten sich einfach nen scheiß um irgendwas (und damit auch dem Gesagten) scheren.

Bärbel
Bärbel
8. August, 2021 23:16
Reply to  Torsten Dewi

geht mir genauso. die welt derartig ausblenden ist mir zu viel ausklinken aus der gesellschaft und dem unvermeindlichen miteinader, ohne das es niemanden von uns gäbe.

wir leben alle zusammen auf dieser welt.

dazu gehört auch, leute aufmerksam zu machen, wenn sie was fallen lassen und wiederum leuten den spiegel vor halten, wenn sie sich unangemessen verhalten

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
10. August, 2021 08:31
Reply to  Torsten Dewi

Man muss sich ja nicht gleich komplett von der Welt abkoppeln, das mag ich auch nicht. Habe die Lautstärke meist auf nem Level, dass ich auch mit beiden Stöpseln drin noch fast alles mitbekomme. Falls ich mehr Aufmerksamkeit der Außenwelt zukommen lassen will, zB Straßenverkehr, an der Kasse beim bezahlen etc habe ich normalerweise nur einen Stöpsel im Ohr. Funktioniert auch noch wunderbar.

dermax
dermax
10. August, 2021 08:30
Reply to  Marko

Bin zwar auch ständig am Podcasthören, wenn ich unterwegs bin, aber wenns hohe Wahrscheinlichkeit menschlicher Interaktion gibt, dann sind die aus. Supermärkte gehören dazu, denn man kann ja auch mal blöd im Weg stehen oder jemand fragt was etc.

Marko
10. August, 2021 14:49
Reply to  dermax

Naja, die “hohe Wahrscheinlichkeit menschlicher Interaktion” ist es ja, die mir die Inears in die Ohren treibt. Dabei stehe ich nicht blöd im Weg rum und für Fragen sind ja die Mitarbeiter da, die da deutlich mehr Kompetenz haben als ich.

Und hey, stellt euch mal vor, jeder Kunde im Supermarkt hätte Kopfhörer auf – ein Traum! Es ist mir tatsächlich ein Rätsel, wie man die Interaktion mit wildfremden Menschen dulden oder gar suchen kann. Aber zugegeben: An der Kasse hab ich den Player dann auch aus, um mit dem Kassierer vernünftig sprechen zu können. Die Menschen an der Kasse sind die einzigen, die da mein Mitgefühl haben und denen ich dann auch ein Lächeln und ein bisschen Smalltalk spendiere. Da all die Menschen, die ohne Kopfhörer im Supermarkt sind, in der Regel diejenigen sind, die die Kassierer anmotzen und schäbig behandeln, erscheint mir das nur fair und richtig.

Bärbel
Bärbel
10. August, 2021 16:10
Reply to  Marko

nur schon allein um Leute / Geräusche wahrzunehmen brauche ich offene Ohren. Nebengeräusche (die künstlich durch andere Quellen, als die Umwelt an sich, dazugemischt werden) sind Gift für meine Orientierung. Ich bin nicht blind, aber ich orientiere mich nicht nur ausschließlich mit den Augen… mit Kopfhörern wäre ich quasi halb blind unterwegs

Last edited 2 Jahre zuvor by Bärbel
Marko
10. August, 2021 16:36
Reply to  Bärbel

Spannend. Für mich ist gute Musik auf den Ohren eine echte Bereicherung der (Um)welt, eine Art Lebenssoundtrack, eine akkustische Aufwertung. Und im Supermarkt brauch ich tatsächlich nur meine Augen…