Wahlplakate – Qualplakate?
Themen: Neues |Die Grünen haben heute Ihre Wahlplakate für den Herbst vorgestellt und werden erwartungsgemäß dafür erstmal kritisiert. Tatsächlich sind doofe Wahlplakate etwas, das mich ähnlich aufregt wie doofe Werbeplakate. Genau genommen SIND Wahlplakate ja auch Werbeplakate. Mit einem Unterschied: für Werbeplakate wird ein Haufen Geld ausgegeben, die Fotos machen Fotografen, das Layout machen Layouter, und die Werbesprüche kommen von Werbern. Bei den Parteien scheint oft genug noch die Meinung vorzuherrschen, man könne für die Kampagnen vom Praktikant irgendwas aus dem Handy-Speicher mit ein paar billigen Buzzwords kombinieren lassen. Konzept, Argument, Haltung? Fehlanzeige.
Es würde manchmal helfen, wenn die Kandidaten wenigstens nicht so aussähen, als wären sie mit vorgehaltener Pistole fotografiert worden:
Oder gerade aus der Geschlossenen entlassen:
Selfie in der Club-Toilette, nachdem man gerade eine Line gezogen und “ich bin so unfassbar geil!” in den Spiegel geflüstert hat? Ich rate ab.
Bild total unscharf? Kein Problem – ist der Kandidat ja auch. Der Biedermann für die Brandstifter:
Ganz selten sehe ich mal ein Plakat, bei dem ich denke “okay, das ist zumindest optisch in Ordnung” – und sei es nur, weil irgendjemand im Wahlkampfteam Instagram-Filter ein- und ausschalten kann:
Ein Fotograf hat mir mal erklärt, dass die Kandidaten immer behaupten, sie hätten keine Budgets für brauchbare Motive. Es habe der Bügermeisterkandidat einer mittelgroßen norddeutschen Stadt bei ihm angefragt, ob er eines der schönen Porträts verwenden könne, die der Fotograf für einen anderen Auftrag in der Woche davor geschossen hatte. Dem Fotograf war’s wurscht, darum setzte er lachhaft niedrige 250 Euro dafür an. Der Kandidat lehnte bedauernd ab – soviel Geld dürfe so etwas leider nicht kosten.
Aber das ist ja nur die Optik – was ist mit den Inhalten, höre ich euch rufen. Da ist mir schon vor 30 Jahren was aufgefallen, was sich bis heute als Faustregel bewährt hat. Aufpassen und mitschreiben, das hier ist “news to use”:
Ein Wahlkampfspruch entspricht nur dann einer tatsächlichen politischen Position, wenn das Gegenteil es auch tut.
Klingt nicht augenblicklich verständlich, darum erkläre ich es gerne. Der Großteil der Wahlkampfsprüche auf Plakaten besteht aus Phrasen: “Für mehr Sicherheit”, “Familien schützen!”, “Bildung und Forschung fördern”. Tatsächlich sagen diese hohlen Sprüche nichts über den Kandidaten oder seine Partei, denn sie lassen sich nicht plausibel umkehren. Keine Partei würde werben mit “Für weniger Sicherheit”, “Familien im Regen stehen lassen”, “Bildung und Forschung vernachlässigen”. Somit ist es keine politische Position, sondern ein wertloser Allgemeinplatz, eine Selbstverständlichkeit.
Die Parteien geben sich in dieser Sache alle nix, da ist keine besser als die andere. Der König der Plakatphrase war über 20 Jahre Helmut Kohl:
Man stelle sich den SPD-Gegenkandidaten vor, der tapfer verkündet: “Wir sind ganz klar gegen Freiheit, halten Wohlstand für eine kapitalistische Verschwörung und Sicherheit für Tierquälerei – außerdem will ich Kanzler für Legoland werden!”
Aber das ist lange her. Mich erschreckt, dass es keinerlei Erkenntnisgewinn in den Parteizentralen gibt, keine Besserung. Nehmen wir z.B. dieses Motiv, das aktuell überall in München hängt:
Würde die AfD, würden die Linken oder sogar die Rosa Liste mit “Der Schulweg muss wieder in die Vergangenheit führen – oder wenigstens in eine Sackgasse!” argumentieren? Natürlich nicht. Der Spruch der FDP-Dame ist komplett hohl, zumal nicht einmal klar ist, was dieses Wischiwaschi eigentlich heißen soll, bzw. welche konkreten politischen Ideen und Ansprüche dahinter stecken.
Hat man das erst mal verinnerlicht, dann wird es sehr schnell zum Automatismus, jeden Plakatspruch im Kopf erstmal umzukehren, um ihn als Position oder als Plattitüde einordnen zu können.
Ich selber bevorzuge klare Aussagen, die klare Entscheidungen ermöglichen:
Auch wenn ich dir gerade bei den Phrasen Recht gebe, das ist mir ein bisschen zu undifferenziert.
Natürlich sind Wahlplakate Werbung und klar steckt da ein Haufen Geld, Fotografen, Layouter und Werber hinter und nicht der Parteipraktikant. Die Unterstellung, dass das anders sei, finde ich ziemlich aus der Luft gegriffen. Jede der großen Parteien hat (mindestens eine) Agentur zur Seite, die das betreut und im Großen und Ganzen sieht man das auch.
Wie kommt es dann zu den schlimmen Beispielen? Gerade das Fotothema kaskadiert halt sehr schlecht runter. Du kannst nicht alle Kreiskandidaten zum Shooting nach Berlin karren, das muss lokal organisiert werden, Parteien sind stark selbstorganisierende Strukturen.
Zwei Piraten mit furchtbaren Fotos, einmal AfD katastrophal freigestellt – das sind lokal Kleinstorganisationen ohne Budget und vor allem ohne Erfolgsaussichten (die anderen Plakate finde ich jetzt nicht so schlimm). Dort hast du Recht: da ist auch mal der Praktikant am Werke sofern es überhaupt einen gibt. Aber das liegt eher nicht daran, dass die Parteien lernresistent sind. Das Layout sitzt ja überall (bis auf das zweite Piratenplakat), denn das kommt professionell von oben.
Bei den Wahlsprüchen geb ich dir in einer Richtung völlig Recht. Das sind alles völlig austauschbare Aussagen. Aber ich glaube, sie funktionieren so am Besten (gerade da Plakat vor allem ein Straßenverkehrsmedium ist, dass sehr flüchtig wahrgenommen wird). Es geht weniger darum, Aussagen zu treffen als Themen zu setzen. “Schule”. “Bildung”. “Sicherheit”. “Gesundheit”. “Klima”. Und so weiter. Einzubrennen, was wichtige Themen der Partei sind.
Ich würde aber tatsächlich abfeiern, wenn mal eine Partei konsequent Fußzeilen unter die Plakate setzen würde – zum Beispiel mit Auszügen aus dem Wahlprogramm – in denen jeder Spruch auch mit konkreten Aussagen untermauert wird. Damit jeder, der wirklich das Interesse hat, auch die Möglichkeit hat, informiert zu werden. Zumindest als Fußgänger.
“Natürlich sind Wahlplakate Werbung und klar steckt da ein Haufen Geld, Fotografen, Layouter und Werber hinter und nicht der Parteipraktikant. ” – muss der Begriff satirische Überspitzung echt explizit dazu geschrieben werden?!
“zum Beispiel mit Auszügen aus dem Wahlprogramm” – mir würden ein paar konkrete Zahlen reichen. “Wir wollen 3000 Lehrer einstellen”, “Wir erhöhen das Kindergeld um 5 Prozent” – Sachen, an denen man die Politiker hinterher messen kann.
In diesem Fall .. irgendwie .. ja. Ich mag deine Schreibe ja sonst sehr, aber die Satire sehe ich da auch beim dritten Lesen leider nicht. Zumal noch mit der Fotografen-Anekdote belegt.
Nun gut, ist ja jetzt klar, wie’s gemeint war.
Was die konkreten Zahlen angeht, muss man glaube ich oft viel weiter vorne ansetzen, beim Wahlprogramm. Was da nicht drin ist, kann auch schwer aufs Plakat. Und die so verkürzten Aussagen sind eh gefährlich, da meistens mit nem Dutzend “wenn”, “aber” und “falls” verbunden und du machst dich direkt angreifbar. Das will ja, wie man im aktuellen Wahlkampf sieht, jeder tunlichst vermeiden.
Die Wahlsprüche sind daher in meinen Augen vielmehr das Symptom von Parteienpolitik, die sich grundsätzlich auf nichts festlegen will, sich nicht messbar und nicht angreifbar machen will. Totale Defensive. Und leider funktioniert das recht gut.
Seufz. Es ist keine Satire – es ist eine satirische Überspitzung. Ich glaube ja auch nicht, dass Hamburger Genosse tatsächlich ein zugekokstes Selfie von der Club-Toilette verwendet hat. Sollte eigentlich recht klar sein.
“Totale Defensive. Und leider funktioniert das recht gut.” – wo? Den traditionellen Parteien bröckeln die Wähler weg und die Wahlbeteiligung ist miserabel. Noch nie war die Wählerschaft so politikmüde.
Gysi warb mit “Reichtum für Alle!” und “COOL!” und “GEIL!”. Die besten Wahlplakate macht Die PARTEI, weil die einzig relevante Einteilung der Postmoderne lautet: Witzig oder nicht witzig.
Selbst das ist nicht umkehrbar – wer würde mit “Reichtum für niemanden!” werben?
Interessanterweise ist das ein Claim, den ich mir auf einem Wahlplaket der heutigen Linken unter der Führung von Frau Wissler durchaus vorstellen kann (es gab da letztes Jahr bei denen ja auch schon mal so ‘nen Ausrutscher auf dieser berühmt gewordenen “Strategiekonferenz”). Man kann da auch die offizielle Position der Linksfraktion (https://www.linksfraktion.de/themen/a-z/detailansicht/reichtum/) ohne weiteres in diese Richtung verstehen.
<kann man Posts nicht mehr löschen?>
Aktuell nicht. Aber wir lassen uns was einfallen.
Wo wir gerade dabei sind: Geht das nur mir so oder ist das auch ein Bug? Neuerdings lande ich bei Aufruf deiner Seite immer ganz unten (komplett runter gescrollt), also bei einem alten Post anstatt beim aktuellsten.
Das sollte so nicht sein – bei mir ist es auch nicht so. Jemand anders?
Kann ich auch nicht bestätigen. Alles funzt wie immer, sowohl auf meinem iPhone, als auch am pc mit Firefox.
Hab das Problem wohl endlich gefunden.
Die Webseite hat einen dieser unsäglichen Cookie-Fenster versucht aufzumachen. Allerdings nicht als Dialog, sondern am Ende der Seite hinter dem Footer. Die Seite wurde aber nur bis zum Footer gescrollt und nicht weiter, sodass man diesen Cookie Kram gar nicht gesehen hat. Und das hat er eben jedes Mal gemacht, weil ich noch nix bestätigt (bzw. abgelehnt) habe. Jetzt habe ich zufällig mal nach unten gescrollt und das Ding eben gesehen. Seit ich da alles eingestellt hab, taucht der Dialog nicht mehr auf und alles ist wieder schick.
Keine Ahnung, ob das an deiner Webseite oder an einem meiner FF Werbeblocker/Cookieblocker liegt.
Danke für diese Erkenntnis der Umkehrung! Großartige Idee.
Jawohl, Rico for Kanzler! Nieder mit den Käfern und Bürgerschaft nur gegen verdienst fürs Vaterland!
Du sprichst da aber ein interessantes Thema an. Gibt es etwa ein Gesetz oder anderen Grund, dass die Plakate immer gleich aussehen? Kann doch nicht so schwer sein, ein informatives und trotzdem ansprechendes Plakat zu gestalten, auch wenn die Kohle knapp ist. 🤔
Super sind auch die beiden Herren die zum BÜRGERINNENDIALOG laden.
Ist das nun ein Binnen-I unter Großbuchstaben oder sind wirklich nur Frauen angesprochen?
Wenigstens höre ich Politiker weniger von Gerechtigkeit faseln. Die hohlste Phrase von allen. Sich als Politiker klar zu positionieren ist gefährlich für die Karriere. Die müssen wie Teflon sein. Alle Aussagen müssen vage genug bleiben dass man ihnen keinen Strick daraus drehen kann. Man darf auch nicht den Fehler machen sich auf “Gespräche“ mit denen einzulassen. Die sind rhetorisch dermaßen überlegen, alles was sie sagen ist einer Agenda geschuldet und losgelöst vom aktuellen Gesprächspunkt. Fridays for Future und Rezo haben es glücklicherweise geschafft sich nicht in Einladungen zu öffentlichen Diskussionen seitens der Parteien oder von Konzernen vorführen zu lassen. Die junge Generation scheint äußerst medienkompetent zu sein. Sehr gut.
“Man darf auch nicht den Fehler machen sich auf “Gespräche“ mit denen einzulassen.” – das halte ich für unbegründeten Defätismus.
Meiner Meinung nach eine sehr gewagte These. Ich würde behaupten, dass auf die Mehrheit der jungen Menschen leider das genaue Gegenteil zutrifft.
Komplexes Thema. Sehe die Kompetenz da auf beiden Seiten. Beide scheuen es, sich auf dem Territorium des jeweils anderen vorführen zu lassen, weil sie ziemlich genau wissen, was sie erwartet.
Öffentliche Diskussionen, konservatives Publikum, Altherrenrunden – ja, da wirst du als jugendlicher Aktivist nonchalant in die Irrelevanz belächelt und alle gehen mit, weil weder Teilnehmer noch Moderation bereit sind, in den Konflikt zu gehen und das Publikum lässt sich einlullen.
Aber genauso scheut doch jeder etablierte Politiker das Auswärtsspiel. Wer schaut denn mal auf YouTube vorbei und lässt sich da grillen? Da kommst du auch als Teflon-Kandidat nicht weit. Das macht keiner mit, wenn er nicht vorher genau die Regeln bestimmen darf.
Resultat ist leider ein ziemlicher Mangel an Diskussion zwischen zwei ziemlich wichtigen Gesellschaftsgruppen.
Ich finde die Aussage, wenn etwas aus deiner Sicht nicht gelungen ist, der “Praktikant” habe es gemacht, tausendmal abgedroschener als jede der von dir angeprangerten Phrasen.
Und “der Schulweg muss in die Zukunft führen” heißt für mich:
Inhalte, für die ich gerne mein Kreuz mache.
Und doch, die anderen (Regierungs-)Parteien stehen geradezu exemplarisch für eine Bildungspolitik, die eben nicht in die Zukunft führt.
“Inhalte, für die ich gerne mein Kreuz mache”, “für eine Bildungspolitik, die eben nicht in die Zukunft führt” – wow, den Phrasensprech haben Sie aber auch gut drauf.
Alle weiteren Kommentare wegen ekelhafter Menschenfeindlichkeit (Lewitscharoff) gesperrt.
Der logische Gipfel der vollkommen abgeschliffenen Wahlplakataussage war dann 1994 diese hier.
(Grafik war nach Fehlerkorrektur weg, desw. hier wiederholt)
Ehrlich? Das finde ich okay. Weil keine Aussage besser ist als eine leere. Da fühle ich mich nicht verarscht. Hier wird gesagt “Mögen Sie diese beiden? Hätten Sie den Mann gerne als Ministerpräsidenten?”. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.