Kino Kritik: BLACK WIDOW
Themen: Film, TV & Presse, Neues |USA 2020. Regie: Cate Shortland. Darsteller: Scarlett Johansson, Florence Pugh, Rachel Weisz, David Harbour, Ray Winstone, William Hurt u.a.
Story: Natasha Romanoff ist untergetaucht, nachdem die Avengers im Streit zerbrochen sind. Eigentlich will sie in Norwegen bessere Zeiten abwarten, aber ein Paket ihrer totgeglaubten Schwester und ein Besuch des "perfekten Fighters" Taskmaster zwingen sie, sich ihrer Vergangenheit als Teil einer Fake-Familie und ausgebildeten Killerin zu stellen. Wie es aussieht, gibt es eine ganze Einheit von Black Widows – und ihr Einsatz könnte die Machtverhältnisse auf der ganzen Welt verschieben.
Kritik: Whoa, der hier wird schwieriger zu besprechen, als ich dachte. Der lange versprochene und kaum wirklich erwartete Solo-Film von Black Widow tritt mit sehr hohem Anspruch, aber auch Ballast an: er soll nach CAPTAIN MARVEL erneut beweisen, dass das MCU weibliche Superhelden mit gleichem Ernst in die erste Reihe stellen kann wie das DCEU mit WONDER WOMAN. Er soll die Figur der russischen Ex-Killerin ausbauen und gleichzeitig desexualisieren – Scarlett Johansson hatte sich ja pressewirksam über die "male gaze"-Präsentation ihres Charakters ab IRON MAN 2 beschwert. Dazu sollte hier ein Superhelden-Blockbuster von ausgerechnet dem Charakter getragen werden, der als Einziger der Avengers keine Superkräfte besitzt. Und schließlich wird eine komplexe Backstory gebaut, die der Figur am Ende neue Perspektiven ermöglicht – wohl wissend, dass Black Widow im MCU kaum zwei Jahre später sterben wird.
Und genau so sieht BLACK WIDOW auch aus – es ist ein zwar unterhaltsamer, aber konzeptionell unsicherer und tonal schwankender Film, dessen Qualitäten der absoluten Professionalität von Cast & Crew zu verdanken sind, der sich aber daran überhebt, die bekannte Formel etwas ernster und bodenständiger umzusetzen.
Dabei fängt das alles gut an – Natasha Romanoff geht in den Untergrund, legt das Glamour-Image der Black Widow ab, weicht mehr aus, als die Konfrontation zu suchen. Introspektive. Durchatmen. Festen Boden finden. Dann das Paket ihrer Schwester. Zurück in die Arena. Keine Hilfe von Stark, Cap oder wenigstens Hawkeye. Hässliche Vergangenheit. Alte Gegner. Offene Rechnungen. Das ist schnittig inszeniert, erinnert an Jason Bourne und zeigt die täglichen Konflikte der "kleinen" Helden des MCU. Weil Natasha keinen Zugriff auf die Ressourcen der Avengers mehr hat, muss sie improvisieren – auch wenn das Skript es sich etwas einfach macht, in dem es eine Figur einführt, die für Natasha alles ranschafft.
Aber je weiter der Film voran schreitet, je mehr er aufdreht, weil er als MCU-Film halt aufdrehen muss, desto mehr verliert er die Bodenhaftung, setzt doch wieder auf gigantische Hardware-Schlachten, die ohne bunte Superkräfte mehr nach G.I. JOE aussehen als nach AVENGERS. Es explodiert überall was, Komparsen werden geschreddert, bei den Fights übernehmen die CGI-Modelle die Aufgabe der Stuntleute. Es ist ein Spektakel, das zu Captain America passt, aber eben nicht zu Black Widow, der man noch dazu nicht abnimmt, dass sie auch nur eine Minute in diesem Chaos überleben würde. She IS human, after all.
Hinzu kommt eine seltsam reduzierte Darstellung der Bösewichter: Taskmaster in potenziell ein wirklich toller Gegner, aber bis auf ein bisschen Avengers/X-Men-Posing wird wenig draus gemacht (zumal die Figur ja nur den Kampfstil, nicht aber die tatsächlichen Kräfte der Helden imitieren kann). Und Dreykov ist also skrupelloser Strippenzieher unfassbar generisch, erinnert an Brian Cox als Stryker in X-MEN 2. Wir erfahren nie wirklich, was diese Figuren antreibt oder ausmacht. Ihre Zeit auf der Leinwand ist beschränkt und ihr Ende letztlich unbefriedigend unspektakulär.
Mich stört auch, dass eigentlich eine sehr brutale und zynische Geschichte erzählt wird, die aber immer wieder von "lustigen" Sprüchen aufgebrochen wird. Klar sollen sich auch 13jährige amüsieren, aber es hätte BLACK WIDOW gut getan, eine gewisse Lebensmüdigkeit beizubehalten.
Alles in allem ist das durchaus unterhaltsam, wie so viele Blockbuster dieser Tage, aber es wäre vernünftiger gewesen, beim Bourne-Ansatz zu bleiben, statt am Ende doch wieder die dicken CGI-Eier baumeln zu lassen. So gesehen hätte BLACK WIDOW als Marvel-Serie für Disney+ sicher besser funktioniert, weil man den Mechanismen des Blockbuster-Kinos nicht so verpflichtet gewesen wäre. Andererseits hätte man damit zugeben müssen, was man nicht zugeben kann: dass Black Widow solo keinen Film tragen kann.
Damit kommen wir zu den Themen und Tropen. BLACK WIDOW sollte ja auch wieder einer dieser feministischen oder wenigstens "empowering" Superheldenfilme sein, wie sie aktuell en vogue sind. Das funktioniert tatsächlich, weil Black Widow ein interessanter Charakter und Scarlett Johansson eine tolle Schauspielerin ist. Vor allem aber, weil man die Message sorgsam in den Plot integriert hat, statt sie mit einem Dampfhammer drauf zu dengeln. Im Grunde geht es um die toxische Männlichkeit des Systems, repräsentiert von Dreykov und Thaddeus Ross (William Hurt sieht mittlerweile wie seine eigene, schon leicht mitgenommene Wachsfigur aus). Die Frauen werden von ihnen unterdrückt, programmiert, des eigenen Willens beraubt. Die nach außen stark wirkenden Black Widows sind letztlich auch nur Werkzeuge, Marionetten, die Gewalt gegen alles einsetzen können – außer gegen die Männer, denen sie hörig sind. Die Befreiung kann nur von den Frauen selber kommen und wird den Sturz des männlichen Systems zur Folge haben. Und die Familie ist letztlich keine Frage des Verwandtschaftsgrads, sondern der Liebe und Loyalität (siehe auch SHAZAM).
Wem das bekannt vorkommt – im Grunde erzählt RED SPARROW mit Jennifer Lawrence eine erstaunlich ähnliche Geschichte, aber konsequenter dunkel:
Und was ist nun mit der Desexualisierung von Black Widow? Die wird relativ konsequent durchgezogen. Die Kostüme sind weniger brustbetont, Kostümwechsel passieren offscreen, Scarlett zeigt sich weitgehend ohne Makeup, es wird keine Liebesgeschichte angedeutet und Natashas Schwester macht sich sogar über das "sexy posing" in den bisherigen Filmen lustig. Dennoch fällt auf, dass die Kamera in diversen Szenen eher dem Hintern als dem Kopf von Scarlett Johansson folgt. Dass die Figur wie die Darstellerin sexy bleibt, auch wenn man es nicht plakativ inszeniert, ist unbestreitbar.
UPDATE: Das ist nicht nur mir aufgefallen – es wurde schon ein Meme draus:
So freut es mich für Scarlett Johansson, dass sie mit BLACK WIDOW beweisen darf, dass Natasha Romanoff mehr ist als Eyecandy – und dass die Figur und die Darstellerin auch einen großen MCU-Film (halbwegs) stemmen können. Good for her. Aber gänzlich erfolgreich ist es nicht, und wenn sich die Gemüter beruhigt haben, kann man sich vielleicht darauf konzentrieren, solche Filme mit weniger bemühten Botschaften auszustatten. Ein Action-Superheldenfilm darf auch gerne nur genau das sein – ein Action-Superheldenfilm. No extras necessary.
Fazit: Eine über weite Strecken gut konstruierte Backstory, die als Solo-Film besser funktioniert als z.B. X-MEN ORIGINS: WOLVERINE, aber in der zweiten Hälfte etwas zu sehr in hirntote CGI-Action abdriftet und bei den Bösewichten zu dünn bleibt. Als MCU-Film definitiv zweite Reihe, aber immer noch unterhaltsam.
P.S.: Man sollte ein Moratorium auf gewisse Drehorte ausrufen können. Die osteuropäischen Locations in BLACK WIDOW haben wir derart oft gesehen, dass man sich wundert. dass Natasha im Treppenhaus nicht John McClane über die Füße läuft oder sich auf dem Dach bei Ethan Hunt Munition leiht.
P.P.S.: Nichts gegen Florence Pugh, aber dass Natashas Schwester nicht von Grace Chloé "Hitgirl" Moretz gespielt wird, erscheint mir als böser Lapsus.
In einer anderen Kritik heißt es der Film wäre ein Buddymovie. Stimmt das?
Dass der ein weibliches Buddy Movie ist, kann man behaupten – sehe ich aber nicht als maßgeblichen Faktor an.
Taskmaster? Ist das nicht die britische Comedy-Gameshow, in der absurde Aufgaben erledigt werden müssen?
Überraschenderweise nein:
https://marvel-filme.fandom.com/de/wiki/Taskmaster
Black Widow als einziger Avenger ohne Superkräfte ? Was ist mit Hawkeye ? Und Iron Man / Falcon haben streng genommen auch keine Superkräfte, sondern nur viel Hightech unter dem Allerwertesten.
Ja, und genau so meine ich das auch.
"Er soll die Figur der russischen Ex-Killerin ausbauen und gleichzeitig desexualisieren…" Und schon fühle ich mich vom Film verarscht: Ist es nicht gerade der Witz, der Trick, die Finesse der Figur, dass sie sexuell hoch attraktiv ist und Männer sie deshalb nicht nur als Lustobjekt haben wollen sondern auch massiv unterschätzen? War nicht genau das der Witz bei ihrem ersten Auftritt? Ich hatte keine Ahnung davon, wen Johansson darstellen sollte und wer das ist. Da kommt diese umwerfende Frau rein, wird als umwerfende Frau wahrgenommen, von Happy unterschätzt und dieser dann von ihr auf die Bretter geknallt. Großartig!
Sind übrigens die Superhelden-Männer nicht ebenso sexualisiert dargestellt? Ist es nicht auch das, warum man solche Superhelden-Filme sieht? Also schöne Über-Menschen, die Übermenschliches tun? Ich jedenfalls tue das. Tolle Frauen sind toll, Scarlett Johansson ist umwerfend und Black Widow ist genau dies aus guten Gründen. Was ist ihr Problem?
"Seht doch: Ich bin viel mehr als eine sexy Frau!" Ach was… Wäre mir nie aufgefallen, als Du reihenweise Spacken vermöbelt und die Welt gerettet hast. Dein großartiges Schauspiel, Deine bewegende Charakterisierung, Dein selbstloses, herzzerreißendes Opfer für alle habe ich nicht bemerkt. Denn ich habe nur auf Deine Möpse und Deinen Arsch gestarrt.
Du musst ganz dringend desexualisiert werden!
Meine Fresse, wie mich dieser Schwachsinn nervt! Ich lese Deinen Artikel später. Jetzt bin ich von der Idee des Films und Johanssons Erklärung zu angefressen.
Die tonalen Dissonanzen haben auch mich dabei gestört mit dem Film warm zu werden. Da werden im Vorspann weinende Kinder in Käfigen gehalten und auch später immer wieder düstere Töne angeschlagen und danach dann die übliche Actionszene mit umherfliegenden Autos und flapsigen Sprüchen der Beteiligten gebracht. Das passt nicht ganz zusammen. Die Backstory mit der falschen Familie und die psychischen Abgründe der programierten Widows hätten einen Thriller im Stil von "Manchurian Candidate" verdient gehabt. Die immer überdrehter werdende Action und der als Trottel mit Superkräften dargestellte Red Guardian verweisen mehr auf den Film den sich Natasha zwischendurch auf dem Laptop ansieht: "Moonraker". Unterm Strich ist das immer noch unterhaltsam genug um bei Laune zu halten und die After Credits-Szene macht auch wieder Appetit auf mehr. Aber eine runde Sache sieht anders aus.
P.S. Als der Taskmaster eingeführt wurde fühlte ich mich an das Outfit von Daft Punk erinnert. Deshalb haben sie sich also aufgelöst: one of them turned evil.
Im Fazit ist ein "o" hinter’m "als" und vorm "Solo" zuviel…
Korrigiert, danke.
Wie immer super Rezi. (Mein Lieblingssatz: „Komparsen werden geschreddert.“ 😄) Streng genommen haben ja mehrere Avengers keine Superkräfte: Hawkeye, Falcon, eigentlich nutzen auch Iron Man, Ant-Man und Wasp letztlich nur Gagdets…
Sorry, hab den anderen entsprechenden Kommentar erst nachträglich entdeckt. Ich lass es trotzdem mal stehen. 🙂
Inklusive der „Gagdets“. 🙈
Komme eben aus dem Kino (irre, dass etwas so normales wie ein Kinobesuch sich so ungewohnt anfühlen kann) und stimme dir weitgehend zu. Schlimmer als die tonalen Schwankungen fand ich aber die mal wieder vorhandenen Längen, die der überdimensionierten Laufzeit und der insgesamt recht dünnen Handlung geschuldet sind. Das ist schade, denn es gibt viele gute BW-Comics, die beweisen, dass ein wirklich guter Film mit ihr in der Hauptrolle möglich wäre. Dafür ist die Besetzung toll und es gibt viele gute Action-Sequenzen. In Sachen Feministenagenda ist mir nur das Ende sauer aufgestoßen, da wurde das ebenso kitschig wie in "Endgame" umgesetzt. Und "Red Sparrow" hat sich eindeutig bei der Backstory der Widow bedient, deren Film nur einfach viel zu spät kommt.
"P.P.S.: Nichts gegen Florence Pugh, aber dass Natashas Schwester nicht von Grace Chloé "Hitgirl" Moretz gespielt wird, erscheint mir als böser Lapsus."
*Klugscheißer-Modus aus"
Ihre wirklich guten Freunde dürfen die Vornamen tauschen.
Lustig, an den madigen „Red Sparrow“ musste ich beim Lesen des Reviews auch direkt denken 😀 Solange „Black Widow“ den überbietet, ist ja alles im Lot. Jetzt muss ich nur ein Kino finden, was den auch zeigt – anscheinend zeigt sich Disney hier gegenüber den Kinobetreibern wieder besonders gierig…
Ich fand "Red Sparrow" besser – und immer noch deutlich schlechter als "Atomic Blonde". Dessen Nonchalance fand ich ansprechend. Das war ’ne um sich schlagende, lesbische Red-Bull-Dose – solche Filme will ich sehen.
Es sieht auch einfach hübscher aus, wenn keine 1.56-Meter-Gnome herumturnen, sondern ranke Ellenbogenelfen. Wenn die Halblinge dann noch dramatisch laufen sollen, kann das kein Actionfilmer dieser Welt cool aussehen lassen (das Hobbit-Geflitze über die Hausdächer in Budapescht ist eher humorig). Merke: der einzige coole Actiongnom der Geschichte ist und bleibt Tom Cruise.
Black Widow war mäßig. Loki banal. Wimmer Soldier scheiße.
Tja. Phase 4 stottert.
Nachdem ich ihn jetzt auch gesehen habe, stimme ich in den allgemeinen Tenor mit ein: Der überraschend düstere Ton zu Anfang hat mich echt angesprochen, und der Film hätte mir sicher deutlich besser gefallen, wenn er das konsequent durchgezogen hätte, anstatt zum Ende hin wieder Dienst nach Vorschrift abzuliefern. Aber trotzdem machen alle Beteiligten vor und hinter der Kamera einen ziemlich guten Job. Darum war ich war ich gut unterhalten, und kehre für solche Filme gern ins Kino zurück.
Eine Sache, die mir doch echt negativ aufgefallen ist: Einige der Actionszenen (gerade in Kampf Frau gegen Frau) waren teilweise so grauenhaft gefilmt und geschnitten, dass ich nicht mitgekriegt habe, was grade passiert. Das war tatsächlich noch schlimmer als BOURNE.
Der Vergleich mit RED SPARROW war auch wirklich "on point" – besonders im Kombination mit dem späteren Punkt über ausgelutschte Drehorte. Ich glaube, dass war tatsächlich die exakt selbe Wohnung in Budapest.
Bei den Kampfszenen wurde halt schmerzhaft klar, dass Johansson und Pugh keine Stuntfighter sind und Cate Shortland keine Action-Regisseurin ist. Und erst JETZT wird mir klar, dass Shortland den interessanten BERLIN SYNDROME gedreht hat.