05
Jul 2021

Eine Geschichte. Kein Bild.

Themen: Neues |

Abtlg.: Die kleinen Dramen der Vorstadt (ich könnte bebildern, werde aber nicht).

Wir sitzen auf der Terrasse, ich höre ein dumpf klopfendes Geräusch. “Da verdrischt jemand eifrig seinen Teppich”, sage ich zur Gattin. Als wir mit den Katzen einen Spaziergang um die umlaufende Terrasse machen, höre ich das Geräusch wieder und sehe die Ursache: auf der anderen Straßenseite ist eine Taube mit dem Kopf zwischen den Paneelen einer Dach-Solaranlage stecken geblieben. Sie zappelt noch ein paar Mal, dann liegt sie still.

Die Solaranlage war früher “Tauben-City”, darunter haben die Vögel gebrütet und gebalzt. Vor drei Monaten hat der Vermieter alles taubendicht absichern lassen, weil im Haus nun auch ein kleines Baby geboren wurde und man wegen der Keime aufpassen muss. Die meisten Tauben haben mittlerweile verstanden, dass die alte Heimstatt abgeriegelt ist. Die meisten. Diese hier nicht.

Mir wird fast körperlich übel, als ich das Elend sehe. Ich gehe rüber, klingle. Die Nachbarin mit dem Baby macht auf. Sie ist erschüttert, kann aber auch nicht helfen. Aufs Dach kann nur der Vermieter und der wohnt am anderen Ende der Stadt. Was bleibt? Hoffen, dass das Tier sich mittlerweile den Hals gebrochen hat beim Versuch, sich aus der Solaranlage zu befreien. Hoffen, dass ich heute Nacht nicht das Geräusch eines Teppichs höre, der ausgeklopft wird…

Eine Stunde später schlägt sie wieder mit den Flügeln. Eine zweite Taube sitzt verwirrt daneben. Ich rufe die Feuerwehr. Während des Anrufs taucht wohl der Sohn des Vermieters auf, den die Mieterin mit dem Baby nach meiner Meldung alarmiert hat. Er kraxelt aufs Dach. Ich sage den Notruf ab, aber die Feuerwehr versichert, dass sie im Zweifelsfall natürlich kommen werden.

Nach zehn Minuten ist klar: jetzt ist die Taube tatsächlich tot – es ist eine Gnade, dass sie sich bei der Ruckelei das Genick gebrochen hat. Mit etwas Mühe kann sie aus den Solarpaneelen gezogen werden. Ab in die Bio-Tonne, denke ich.

Was für ein Drecks-Erlebnis.



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2 Kommentare
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Dizoneros
Dizoneros
5. Juli, 2021 16:00

Das Dasein schreibt ein gleichgültiger Algorithmus fort. Umso wichtiger, solchen Momenten emotional wach zu begegnen und sie zu würdigen. Das ist die Macht der Lebenden. Flamme in der Nacht.

Olaf
Olaf
5. Juli, 2021 17:38

😢