19
Jun 2021

Fantasy Filmfest Nights XL 2021 (4): THE NIGHT

Themen: FF Nights XL 2021, Film, TV & Presse, Neues |

USA, Iran 2020. Regie: Kourosh Ahari. Darsteller: Shahab Hosseini, Niousha Noor, George Maguire, Michael Graham, Armin Amiri, Lily V.K.

Offizielle Synopsis: Babak hat starke Zahnschmerzen, die er den Abend über mit Alkohol zu ertränken versucht. Als Neda und er sich mit ihrem Baby endlich von Babaks Bruder verabschieden und auf den Heimweg machen, ist die Stimmung unter den Eheleuten schon reichlich angespannt. Dann spielt das GPS verrückt, sie fahren im Kreis, die Kleine beginnt zu schreien und Babak baut fast einen Unfall. Auf Nedas Drängen hin checken sie in einem nahegelegenen Hotel ein. Doch den ersehnten Schlaf wird ihnen die Nacht nicht bringen. Zu unheilvoll sind die Vorzeichen, zu bedrängend die unerklärlichen Ereignisse im Hotel, die der seltsam aus der Zeit gefallene Portier lakonisch kommentiert. Scheinbar hat sich ein Fluch auf das Paar gelegt, ein unendlicher Fiebertraum, aus dem es kein Entkommen gibt.

Kritik: Man erlaube mir einen erneuten Abstecher: Es gibt Chuck Norris-Filme und Filme mit Chuck Norris. So ist MCQUADE – DER WOLF in meinen Augen der beste Chuck Norris-Film, CUSACK DER SCHWEIGSAME aber der beste Film mit Chuck Norris. Nach dem gleichen Prinzip gibt es auch Filme, die auf Festivals laufen, und Festival-Filme. Man muss den Unterschied kennen und sich auf ihn einlassen. Filme, die auf Festivals laufen, können alles sein: Komödie, Splatter, Drama, Kunst. Ihre einzige einende Eigenschaft ist die Anwesenheit auf dem Festival. Festival-Filme hingegen ziehen ihre Existenzberechtigung aus den Festivals, auf denen sie laufen. So wie Festivals Filme brauchen, brauchen diese Filme Festivals. Es ist eine Symbiose, die oft genug Streifen hervor bringt, die man sich außerhalb dieses Kontexts kaum vorstellen kann.

THE NIGHT ist ein absoluter Festival-Film. Er ist von Scheibe oder gar im Fernsehprogramm kaum vorstellbar, wäre dort vielleicht sogar unerträglich. Aber in seinem vorgesehenen Umfeld entfaltet er seine ganz besondere Kraft.

Es ist erfreulich, einen solchen Film am Tag nach CONJURING 3 zu sehen. Als direkter Kontrast aus dem gleichen Genre setzt er die Maßstäbe wieder gerade und belegt eindrucksvoll, dass ein moderner Spukfilm sich eben nicht durch ein Update in Sachen Schnitt, Effekte und Sounddesign auszeichnet, sondern durch seine sorgsame Neuinterpretation der Tropen des Genres.

Babak und Neda sind ein modernes arabisches Ehepaar in den USA, eine Welt, die beiden irgendwie fremd scheint und von der sie sich auch durch ihre Sprache abgrenzen. Der Besuch bei Freunden, der Alkohol, Babaks Zahnschmerzen, ein kleiner Unfall, das quengelnde Baby – alles scheint die Risse in der Beziehung des Paares freizulegen, und der Zwischenstopp in einem Hotel verstärkt das Gefühl der Entfremdung. Dazu eine unendliche Müdigkeit, und schon sind Babak und Neda gefangen in einem Irrgarten aus Illusionen, Geistern, Erinnerungen und Angstträumen. Bricht sich eine alte Schuld Bahn? Verlangt ein Katzendämon Reue? Repräsentiert ein mystisches Tattoo einen Fluch? Oder geht es doch nur um Schmerzphantasien, genährt durch Schlafentzug und Dentalprobleme?

Das ist langsam, schleichend inszeniert, aber man kann sich dem Gefühl heran kriechenden Unheils und giftiger Verunsicherung nicht entziehen. So wenig wir erkennen, WAS vor sich geht, so deutlich ist doch, DASS etwas vor sich geht. Die Nacht wird endlos, das Hotel feindselig und menschenleer. Und wie mehrfach angedeutet: manchmal gibt es keinen Ausweg.

Wer konkrete Antworten oder ein bequemes Ende sucht, der ist hier falsch. Wer aber gerne versucht, Inhalte und Figuren zu verbinden und seine eigenen Interpretationen zu finden, der dürfte mit THE NIGHT einen passenden Kandidaten finden.

Mir ist klar, dass das nicht jedem gefallen wird oder kann. THE NIGHT macht es dem Zuschauer nicht einfach, macht seine Figuren nicht zu Helden, die ein Rätsel zu lösen haben. Stattdessen verlässt er sich auf die Kraft des Ominösen, des Schauerhaften. Muss man mögen. Ich mag’s.

Fazit: Ein in Farsi gedrehter Gruselfilm über die Gespenster, die uns verfolgen und die Verantwortung, die wir für sie übernehmen. Extrem reduziert in seiner Machart, aber dennoch effektiv, auch wenn er Gorehounds und Actionfans kaum befriedigen wird. 7 von 10 Punkten.

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Matts
Matts
19. Juni, 2021 19:06

Bei mir konnte der Funke hier leider nicht wirklich überspringen. Zeitweise fand ich, dass die Spannung gut aufgebaut wurde, aber dann durch Leerlaufmomente wieder abgesackt ist. Ich will nicht ausschließen, dass ich für diese Art Film gestern einfach nicht in Form war (wenn man bedenkt, dass mir in besagten Leerlaufmomenten fast die Augen zugefallen sind).
Mir war er am Ende dann auch eine Spur zu vage. Es hat mich fast wütend gemacht, dass auf das Geheimnis eines Ehepartners haarklein erklärt wird, während das des anderen nur angedeuted wird.

Perser sind übrigens keine Araber ; )