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Jun 2021

Fantasy Filmfest Nights XL 2021 (17): A QUIET PLACE 2

Themen: FF Nights XL 2021, Film, TV & Presse, Neues |

USA 2020. Regie: John Krasinski. Darsteller: Emily Blunt, John Krasinski, Millicent Simmonds, Noah Jupe, Cillian Murphy, Scoot McNairy, Okieriete Onaodowan, Zachary Golinger

Offizielle Synopsis: Nach dem dramatischen Finale des Vorgängers springt das Sequel zunächst einmal an Tag 1 der Apokalypse zurück – und liefert dabei direkt zum Auftakt eine der intensivsten Invasionsszenen der Filmgeschichte. Anschließend muss sich Evelyn Abbott mit ihren Kindern und dem Baby ein neues Zuhause suchen. Das Neugeborene muss die ganze Zeit in einem selbstgebastelten schallisolierten Kasten mit eigener Sauerstoffversorgung transportiert werden, denn auf Babygeschrei reagieren die Monster ganz besonders allergisch. Auf ihrer Flucht stoßen die Abbotts schließlich auf ein Rettung versprechendes Radiosignal sowie den mysteriösen Emmett, ein alter Bekannter von Evelyn. Aber wem oder was kann man in dieser erbarmungslosen Welt überhaupt noch trauen?

Kritik: Es mag als Malus gesehen werden, dass ich A QUIET PLACE nie gesehen habe. Allerdings habe ich nach dem Screening des Sequels nachgelesen: abgesehen von der Abwesenheit des Vaters der Familie sind keine wirklich großen Fragen offen. Man kann sich diesen Film also durchaus auch gönnen, wenn man den Vorgänger nicht gesehen hat.

Und damit: wow. A QUIET PLACE 2 ist die Sorte aufwändig produziertes Creature-Kino, die dieses Jahr dem Festival bisher so schmerzhaft gefehlt hat. Ein Genre-Film, der sich nicht entschuldigt, ein Genre-Film zu sein, und dem Paramount in Sachen Cast und Budget alles mitgegeben hat, um die große Leinwand auch zu füllen. Das hier ist TRAIN TO BUSAN und THE GIRL WITH ALL THE GIFTS, ODD THOMAS und IDENTITY.

Das fängt schon mit dem auf breiter Front gelobten Prolog an, der unfassbar rasant den Beginn der Alien-Apokalypse rekapituliert. Es ist unbestreitbar: John Krasinski, vor Jahren noch der sympathische Schluffi in der Sitcom THE OFFICE, hat sich in kürzester Zeit nicht nur zu einem veritablen Actiondarsteller entwickelt, sondern auch zu einem hochkarätigen Regisseur dynamischer Dramen. Ich bezweifle, dass man A QUITE PLACE 2 besser hätte inszenieren können. Der ganze Film ist eine Abfolge von hektischer Action und atemloser Suspense, die sich an keiner Stelle verstolpert.

Die Kehrseite der Medaille: er fehlt dem Film als Darsteller. Cillian Murphy ist natürlich auch gut und bringt ganz andere Spannungen in die Dynamik der Figuren, aber Krasinskis Lee etabliert sich im Prolog als Anker, der dann doch eine Leerstelle hinterlässt.

Im Grunde genommen erzählt A QUIET PLACE 2 in einem groß angelegten Szenario ein paar kleine Episoden – Stephen King war einst der Meister in so etwas, und ähnlich gelagertes Gerümpel wie THE CELL zeigen sehr schön, dass ein Generationswechsel stattgefunden hat.

Damit kommen wir auch schon zu dem, was Abzug bei der Punktevergabe gibt – dem Skript. Es mag in seiner Technik und seiner Dynamik fehlerlos sein, in seiner Logik hapert es dann aber doch ein wenig. Und ich bin ziemlich erschüttert, dass hier unnötig geschlampt wird – oft genug an den gleichen Stellen, an denen der SEHR ähnliche THE SILENCE offensichtliche Schwächen offenbarte.

Klar kann man argumentieren, dass man einen Film, der 97 Minuten hervorragend unterhält, nicht unters Mikroskop legen muss. Aber es liegt in der Natur der Sache, in meinem Wesen. Und darum kamen so viele Details auf die hässliche “häh?”-Liste. Hier nur einige:

  • Regan ist eine Figur, die keinen Meter allein gehen dürfte – als taubes Mädchen kann sie weder hören, wenn sie Lärm verursacht, noch kann sie die Aliens wahrnehmen
  • Emmett ist frustriert, dass Regan ihn nicht sprechen hören kann – während sie neben einem Schreibtisch hocken, auf dem Papier und Stift liegen
  • Regan besorgt für ihren verletzten Bruder einen Erste Hilfe-Kasten, der dann prompt vergessen wird
  • Nachdem Emmett sich entschieden hat, beim “Quest” zu helfen, gibt es keinen Grund, Regan weiter in Gefahr zu bringen

Das sind Details, klar. Aber auch beim ganzen Szenario hadere ich mit der inneren Logik: Wie exakt ist das Gehör der Aliens? Warum reagieren die Aliens nicht auf natürliche Geräusche? Haben die Aliens auch alle Tiere getötet? Warum versammeln die Menschen sich nicht an Orten mit natürlich hoher Lautstärke (Wasserfälle)? Was ist mit den anderen Inseln der Welt bis rauf nach Island? Können Aliens, die durchs All reisen, allen Ernstes keine Methode finden, kleinere Gewässer zu überwinden? Gibt es ernsthaft kein Armee-Labor in irgendeinem Bunker, in dem man sehr schnell drauf kommt, dass sich auf Sound verlassende Aliens mit bestimmten Ton-Frequenzen zu bekämpfen sind?

Die letzte Frage berührt zugleich Stärke und Schwäche von A QUIET PLACE 2: er zeigt nur den Ausschnitt, fokussiert sich komplett auf die Familie Abbott. Was das Militär, die Politik, die Wissenschaft versucht, um der Invasion Herr zu werden, ist außerhalb unseres Blickfelds. Damit kann sich der Film gut konzentrieren, verzettelt sich nicht in übergroßen Szenarien mit Dutzenden Figuren – aber er bleibt eben auch isoliert und lässt uns so verwirrt wie die Abbotts zurück. Und man wird das Gefühl nicht los, dass die Macher sehr zufrieden damit sind, genauere Fragen gar nicht erst beantworten zu müssen.

So entwickelt sich A QUIET PLACE 2 weniger wie ein Blockbuster im Stil von INDEPENDENCE DAY (dem er inhaltlich sehr ähnelt, auch wenn es nicht so scheint), sondern wie eine epische TV-Serie à la WALKING DEAD. Charaktere wandern durch eine apokalyptische Landschaft, erfüllen Quests, verlieren Freunde, treffen Feinde, suchen Vorräte, Das ist im Grunde genommen keine Story, sondern ein Setting, das man endlos in die Länge ziehen könnte (und vermutlich wird). Hat man das erstmal verinnerlicht, dann wird auch deutlich, dass AQP2 genau so gut eine Miniserie von Netflix sein könnte.

Trotzdem bleibt unter dem Strich ein verdammt spannendes und unterhaltsames Stück Mainstream-Genrekino übrig, von dem mir erst jetzt auffällt, wie sehr ich es vermisst und gebraucht habe.

Fazit: Großartiges Suspense-Creature-Kino, premium auf allen Ebenen, auch wenn es zeitweilig an der Logik und der erzählerischen Breite hapert. Ein versöhnlicher “Rauswerfer” eines schwachen Jahres. 8 von 10 Punkten.

Und damit heißt es in Sachen Fantasy Filmfest Nights XL 2021:

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P.S.: Nur für’s Protokoll: Wie bei CONJURING 3 ist das Plakat mal wieder richtig beschissen. Wie ist es möglich, dass große Studios bei ihren Veröffentlichungen mittlerweile Photoshop-Praktikanten ranlassen?



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13 Kommentare
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AlphaOrange
AlphaOrange
21. Juni, 2021 10:10

Hey Torsten, falls noch nicht aufgefallen: Da scheint die letzten Tage was mit deinen Artikel-URLs nicht mehr zu stimmen, z. B. von diesem:
https://wortvogel.de/2021/06/copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy-copy/

DSFARGEG
DSFARGEG
21. Juni, 2021 11:49

Bezüglich des “schwachen Jahres”: Ich hab spaßeshalber mal gerade den Punktedurchschnitt ausgerechnet und komme auf okaye 6,5. Das scheint mir eigentlich nicht deutlich schwächer gewesen zu sein als auf den FFFs, die ich selbst erlebt habe – ein Drittel der Filme so lala, ein Drittel sensationell, eines komplett für die Füße.

Gast
Gast
22. Juni, 2021 00:47

Dringende Empfehlung, Teil 1 nachzuholen. Fand ich viel besser: konzentrierter, klischeeärmer, atemloser.

Christian Siegel
22. Juni, 2021 13:05
Reply to  Gast

Kann den Vergleich zum 2. Teil noch nicht ziehen (sehe ihn vermutlich übermorgen), schließe mich aber der unbedingten Empfehlung zum ersten Teil an.

Matts
Matts
23. Juni, 2021 11:57

Hab in jetzt auch gesehen (außerhalb des FFF), und ich stimme zu: Ein sehr schöner postapokalyptischer Monsterfilm und eine gelungene Fortsetzung! John Krasinski scheint als Regisseur sehr schnell dazu zu lernen. Er packt eine gute Schippe Action drauf, und erweitert das World-Building (wenn auch nur ein kleines bisschen – vielleicht lernen wir im 3. Teil noch mehr über die Aliens).
Ein paar Plotholes muss man wie im ersten Teil verschmerzen. Dort war meiner Meinung nach das übelste: Was Henker denken sich Abbotts dabei, ein Kind – eine der schlimmsten Geräuschquellen überhaupt – in diese Welt zu setzen??

Jake
Jake
23. Juni, 2021 16:43
Reply to  Torsten Dewi

Das hat mich auch nicht gestört. Zumal die Frau ja erst schwanger wurde, als die Familie sich schon längere Zeit auf der verlassenen Farm niedergelassen hatte und wieder eine gewisse Alltagsroutine, ein den Umständen entsprechendes, “normales” Familienleben Einzug hielt. Prinzip Hoffnung, wie Torsten schreibt. Und muss ja zudem auch keine gewollte Schwangerschaft gewesen sein.

Christian Siegel
25. Juni, 2021 12:32
Reply to  Jake

Stimme zu. Darüber hinaus kommt die Motivation für das Kind im ersten durch den Verlust ihres zweiten Sohnes IMO schön heraus.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
26. Juni, 2021 06:41

Der Erstling hatte auch schon Logiklücken, da bleibt man sich also treu 😀

John
John
6. Juli, 2021 13:02

Am allernervigsten fand ich allerdings die offene Frage (Achtung, kleiner Spoiler): Warum, zum Teufel, spielt das Inselradio “Somewhere over the sea” und gibt damit seinen Hörern ein völlig überflüssiges Rätsel auf, statt einfach durchzusagen: Kommt auf die scheiß Insel, die Monster können nicht schwimmen?!