Final Thoughts: LOVE, DEATH + ROBOTS Staffel 2
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Vorab: Ich führe ab heute (und hoffentlich konsequent) eine neue Sprachregelung ein, die nicht nur, aber auch dem Streaming und dem “golden age” des digitalen Fernsehens geschuldet ist. Wenn ich von einer neuen Serie nur die erste oder zweite Folge gesehen habe, werden die Reviews den klaren Vermerk “first look” tragen, was auch bedeutet, dass ich die Serie nicht vollumfänglich beurteile. Wenn ich eine komplette Staffel gesichtet habe, bekommt die Kritik den Vermerk “final thoughts” und gilt als abschließend.
Die erste Staffel LOVE, DEATH + ROBOTS, auf die Rampe geschoben von den Kult-Filmemachern David Fincher und Tim Miller, war vor zwei Jahren so etwas wie eine Blendgranate. Damit hatte niemand gerechnet. 18 kurze Science Fiction-Episoden ließen die Zuschauer ungläubig blinzelnd zurück, übersättigt von Licht, Farbe, Sound und Action:
Na klar war nicht alles Gold, was hier glänzte, und stilistisch konnte man sich mit einigen Episoden mehr anfreunden als mit anderen, aber die schiere kreative Potenz und die Bereitschaft, die ganze Bandbreite der SF im Stil des klassischen HEAVY METAL-Magazins, aber mit neusten technischen Mitteln umgesetzt darzustellen, war bahnbrechend. Mehr noch: LOVE, DEATH + ROBOTS war eine Produktion, die SO nur von einem Anbieter wie Netflix kommen konnte. Das hier hätte weder ins Formatfernsehen noch ins Kino gepasst. Das Konzept Serie wurde in seinen Möglichkeiten erweitert.
Ich war allerdings skeptisch, ob so etwas jenseits des “proof of concept” Bestand haben kann. War schon HEAVY METAL immer primär Nerd-Futter, so konnte diese sperrige, CGI-lastige Serie ohne durchgehende Figuren oder Plot sicher nicht dem Mainstream gefallen. Umso größer die Freude, als Netflix eine zweite Staffel in Auftrag gab. Der Haken: statt 18 diesmal nur 8 Folgen mit Laufzeiten zwischen netto 6 und 18 Minuten. Kann man an einem Abend weg-bingen oder sich als Betthupferl Folge für Folge gönnen. Ich freue mich auf Staffel 3, die bereits geordert wurde und vermutlich genau genommen einfach nur die zweite Hälfte der zweigeteilten Staffel 2 darstellt.
Gehen wir die aktuellen Episoden einfach mal kurz durch.
In “Automatisierter Kundenservice” muss eine reiche alte Dame in einer komplett von Robotern gewarteten Seniorenstadt feststellen, dass ihr Saughelfer nicht nur ein paar unangenehme Unterprogramme im Menü hat, sondern dass die telefonische Hotline-KI zu hämischem Zynismus neigt.
Eine Fingerübung im überdrehten Cartoon-Stil, in den Pointen überzeugend, aber als “Mensch vs. Maschine”-Plot natürlich steinalt.
In “Eis” wollen ein paar Halbstarke auf einem Alien-Planeten seltene Wale beobachten, was einen gefährlichen Trip über den zugefrorenen Ozean bedingt:
Statt auf Cartoon oder Hyperrealismus setzt “Eis” auf starke Anime-Stilisierung und bleibt trotz der extrem dynamischen Inszenierung inhaltlich unbefriedigend.
“Jäger und Gejagte” bemüht sich gar nicht erst, die Inspiration BLADE RUNNER zu verleugnen – nur werden hier statt Replikanten Kinder gejagt:
Ein teilweise schockierende, aber auch sehr emotional manipulative Episode, die sich schwer tut, der Vorlage etwas hinzu zu fügen.
“Snow in der Wüste” erzählt die Geschichte eines klassischen Einzelgängers auf einem trostlosen und brutal heißen Planeten:
Hier wird es schon zur Herausforderung, die Charakter-CGI von echten Darstellern zu unterscheiden – inhaltlich und atmosphärisch könnte es ein Spinoff von THE MANDALORIAN sein. Bei der Szene in der Kneipe wähnt man sich nicht zufällig auf Tatooine.
“Im hohen” Gras ist ein Stilbruch, eine Horror-Episode, die in ihrer Ölgemälde-Ästhetik und der schlaksigen Hauptfigur sicher nicht ohne Grund an Lovecraft erinnert:
Bis dato die stärkste Geschichte der neuen Staffel, was nicht verwundet – sie ist von Joe R. Lansdale, dem Autor von COLD IN JULY.
“Bescherung” ist wieder eine Gimmick-Episode, die im Stil von Pixar ganz auf die Pointe hin inszeniert ist – was besser funktioniert, als man denken sollte:
Sympathisch, aber inhaltlich dünn und deshalb auch nur 6 Minuten lang. Passt.
“Rettungskapsel” ist die Kehrseite von “Automatisierter Kundenservice” – der Kampf “Mann gegen Maschine” in einer extrem begrenzten Lokalität:
Wieder hyperreal, mit ein paar hochkarätigen Weltraum-Dogfights, aber letztlich mehr konzeptionell als tatsächlich interessant. Harlan Ellisons Geschichte mag eher was für den Kopf als für den Bildschirm sein.
Der Darsteller ist übrigens erkennbar Michael B. Jordan – und hätte man mir gesagt, es wäre Realfilm statt CGI, ich hätte es auch geglaubt.
Zum Abschluss dann noch mit “Der ertrunkene Riese” ein echtes Highlight – an einem Strand wird… na ja… ein ertrunkener Riese gefunden:
Kein Drama, kein Konflikt, keine Katharsis – nur eine langsame Meditation über das Verblassen eines Wunders im Nachlassen des menschlichen Interesses. Basierend auf J.G. Ballard, hätte aber auch vom frühen Clive Barker sein können.
Und so muss das Urteil letzten Endes lauten wie bei Staffel 1: nicht alles Gold, ein paar etwas unausgegorene Schnappschüsse statt auserzählter Geschichten, aber in der Summe unheimlich herausfordernd, packend und abwechslungsreich. Eine Serie wie eine Schachtel Pralinen: man weiß nie, was man kriegt. Aber jeder findet was. Und das macht sie einzigartig.
Es liegt mir am Herzen, auf eine Kritik einzugehen, die vielerorts an L, D + R geäußert wurde: die Serie sei hypermaskulin und teilweise zu sehr auf Effekte, Action und Sex aus. Das stimmt. Und es ist gut so. Wer sich darüber wundert, hat sich nie wirklich mit der Geschichte und der Tradition der Science Fiction oder mit ihrer Zielgruppe auseinander gesetzt. Man greife einfach mal zu einer beliebigen Ausgabe HEAVY METAL oder zu einem alten Anthologie-Magazin:
Man kann Science Fiction immer auf den gerade aktuellen sozio-kulturellen Kontext beschränken, sie mit Gender-Problemen, LGBT-Storylines und erhobenem Zeigefinger zukleistern (wir kommen dieser Tage noch dazu). Wenn man aber ihren Ursprüngen und Entwicklungen huldigen will, dann kann nicht nur, sondern dann muss sogar so etwas wie bei LOVE, DEATH + ROBOTS herauskommen. Wer sich darüber aufregen will, hat das Prinzip Diversität nicht verstanden und soll doch bitteschön anderswo die wahrlich nicht mangelnden Angebote an vorsichtiger, ausgewogener und minderheitengerechter Genreware sichten.
https://youtu.be/Gj2iCJkp6Ko
Mich hat eher ein wenig die mangelnde stilistische Bandbreite enttäuscht. Fast ausschließlich foto-realistische CGI die halt doch in manchen Momenten zu uncanny wirkt. Hätte da gerne etwas mehr comic-haftes oder auch experimentelleres gesehen.
Fand Eis auch fast ein wenig interessanter als den ertrunkenen Riesen. Der hat mir irgendwie nichts gegeben. Vlt. bin ich ja zu doof dafür oder einfach nicht im richtigen State of mind um was für mich raus zu ziehen. Ist da eigentlich ein Wal gestrandet und der Wissenschaftler vermenschlicht ihn in seinen Gedanken? Schützt die Wale?
Im hohen Gras war glaub ich mein Favorit.
Na ja, vier der acht Geschichten waren keine fotorealistische CGI. darum finde ich das in der Mischung okay, Für den Riesen braucht es vielleicht eine Affinität zur Fantasy der 70er, der es mehr um Zustandsbeschreibungen und Stimmungen geht als Stories. Ich würde dir meine Interpretation der Geschichte sagen, will hier aber nicht spoilern.
Eis und hohes Gras hatten was eigenes, Bescherung und Kundenservice waren dann schon Pixar-Stil wobei Kundenservice einen (zu) hyperrealistischen Einschlag hatte. Und ich glaube die andere Folgen hatten mehr Laufzeit und wirkten deswegen dominanter?
Man muss halt auch unterscheiden, ob die Folgen eine ganze Geschichte wie “Snow in der Wüste” und “Jäger und Gejagte” oder nur einen Ausschnitt wie “Schöne Bescherung” oder “Eis” erzählen. Handlung vs. Pointe. Beides ist bei Kurzgeschichten ja legitim (siehe auch Fredric Brown).
Setz doch nen Spoiler-Tag. Mich würd’s interessieren!
Nun denn:
Danke!
Ich liebe LOVE, DEATH + ROBOTS! Einige Folgen der ersten Staffel habe ich mehrmals geguckt. Letzten Freitag dann mit einem Kumpel die zweite Staffel durchgebinged. Bis auf “Eis” (der visuelle Stil erinnerte stark an “Zima Blue” aus der vorherigen Staffel) haben mir alle Episoden sehr gut gefallen. Tolle Mischung, aber leider nur mickrige 8 Folgen.
“Im hohen Gras” erinnerte mich an den gleichnamigen (nicht so tollen) Netflix-Film, der auf einer Novelle von Stephen King und seinem Sohn Joe Hill basiert.
Hi! Nur ein kleiner Tipp für Freunde des Formates “SF-Kurzstories: Bei Youtube gibt es genau sowas unter dem Namen “DUST”. Mittlerweile findet man dort über 600 Kurzfilme, zum Teil mit echten Schauspielern, aber auch animiert oder gezeichnet. Diese sind vielleicht in der Masse nicht ganz so hochklassig wie LD&R, aber dafür sorgt schon die pure Masse dafür, dass da schon das ein oder andere Feine dabei ist.
Werde ich mir am Wochenende gönnen, auch wenn diesmal leider nichts von Alastair Reynolds dabei ist.
Tatsächlich war die “Bescherung” mein persönliches Highlight. Habe sehr gelacht 😀 Heftig fand ich “Jäger und Gejagte”.
Beim Rest war es eher ein “hmm, ok… Nichts wirklich neues oder spannendes. Optisch nett.” Bin gespannt auf Staffel 3.
So, hab jetzt auch endlich alle Folgen gesehen. Find´s auch schade, dass es nur 8 statt 18 Folgen waren (vielleicht hat Michael B. Jordan so viel gekostet) – aber immerhin ist ja mehr in Aussicht.
Mein Highlight ist tatsächlich “Automatisierter Kundenservice” – der schwarze Humor sagt mir sehr zu! Auch “Im Hohen Gras” und “Bescherung” fand ich ziemich gut. Und der Rest ist immer noch von der Idee her nett, und optisch oft eine Augenweide.
Also für mich kein Totalausfall dabei.