Bring out your dead! Der Promi-Tod in der Boulevard-Presse
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Einer der seltenen Tage, an denen die Weltpresse ein einendes Thema hat:
In dem Statement, mit dem sich Philip 2017 von den öffentlichen Funktionen verabschiedete, sagte der damals 95jährige:
"I reckon I’ve done my bit… it’s better to get out before you reach your sell-by date."
Bei aller Ambivalenz, mit der man der Monarchie im Allgemeinen und der Person von Prince Philip im Speziellen begegnen kann – das ist unbestreitbar. Er war über 80 Jahre lang "der Mann hinter der Königin", ein rastloser Diener des Hochadels, Repräsentant nicht nur eines Landes, sondern auch einer Ära. Rule Britannia.
Ich kann über ihn nichts schreiben, was nicht andere besser und ausführlicher zu berichten wissen. Das ist auch sicher nichts, was meine Leser groß interessiert. Aber ich kann über etwas anderes schreiben, das in meine Lebenszeit fällt. Etwas, das ich zuerst nur von außen und dann auch von innen miterlebt habe: Der Umgang der Presse mit dem Phänomen Promi-Tod.
Als ein Todesfall der BILD 1967 diese ungewöhnlich textlastige und wenig marktschreierische Titelseite wert war, war ich noch gar nicht geboren:
Meine erste Erinnerung in dieser Richtung war der 16. August 1977:
Weniger als die Schlagzeilen und die Fernsehberichte berührte mich damals die Fassungslosigkeit meines Vaters. Er war Elvis-Fan durch und durch, sein bester Freund trat in Düsseldorf u.a. mit einer Elvis-Tribute-Show auf. Elvis war das Maximum an Coolness, das mein Vater sich vorstellen konnte und gerade mal sieben Jahre älter als er selbst.
Ich war acht Jahre alt und glaube, ich habe an diesem Tag das erste Mal verstanden, dass uns der Tod von Menschen berühren kann, die wir gar nicht persönlich kennen, sondern nur aus der Ferne bewundern. In den Monaten und Jahren danach lief diese Doppel-LP bei uns in Dauer-Rotation:
Ob ihr es glaubt oder nicht: Im letzten Jahr habe ich mir die Platte noch mal gekauft. Ich kenne sogar noch die Reihenfolge der Songs.
Die BILD erklärte 1977 gleich zum "schwarzen Jahr" – nicht zu Unrecht:
Andreas Baader und Bing Crosby gleichwertig in einer Trauerspalte – würde dem Blatt heute garantiert nicht mehr passieren.
1982 war dann auch so ein neuralgisches Jahr. Diesmal traf es weniger meinen Vater als meine Mutter. Mit Grace Kelly und Romy Schneider starben zwei Frauen, die sie tief bewunderte und die auch nur wenig älter waren als sie selber. Ich erinnere mich an BUNTE-Sonderhefte, die für unsere Verhältnisse sehr teuer waren und Monate lang auf dem Couchtisch lagen:
Mich selber hat der Tod von Prominenten damals relativ kalt gelassen, auch weil er praktisch nie jemanden betraf, für den ich wirklich Begeisterung aufbrachte. Nena, Shakin' Stevens, Jason Dark und Captain Kirk waren nicht an der Reihe – sind es bis heute nicht.
Eine Ausnahme war der 2. Oktober 1985:
Ich fand Rock Hudson immer toll. Ausgerechnet er war der erste prominente AIDS-Tote und die Berichterstattung über seine Erkrankung hatte das Virus aus der seriösen Presse auch in den Boulevard getragen. Schließlich hatte Hudson gerade noch im DENVER-CLAN mitgespielt – steckte er beim Kuss die arme Linda Evans womöglich mit der Schwulenpest an?!
Schwul – wer hätte das denn ahnen können?!
Es ist ja keine neue Geschichte, dass ich 1990 zum GONG ging und im Haus auch DIE AKTUELLE und DIE2 produziert wurden. Die Kollegen vom Boulevard saßen genau ein Stockwerk über mir. Über mein ambivalentes Verhältnis zu ihnen habe ich auch schon geschrieben.
Meine erste "Nahtoderfahrung" mit der Klatschpresse machte ich gleich in meinem ersten Jahr. Das war im Oktober 1990. Kurzer Background: das monegassische Königshaus hatte ein katastrophales Jahrzehnt hinter sich – Caroline hatte einen Playboy geheiratet (was der Papst selbst wundersamerweise zehn Jahre später annullierte), Stephanie scheiterte an Mode und Musik, Albert hatte eine beträchtliche Menge an Models und Bunnys in sein Schlafgemach geholt, und Grazia Patrizia war bei einem nie vollständig aufgeklärten Unfall ums Leben gekommen. Aber Anfang 1990 schien sich das ein wenig zu beruhigen.
Bis Carolines zweiter Mann Stefano Casiraghi bei einem Schnellboot-Rennen in Monaco tödlich verunglückte. An einem Mittwoch im Oktober 1990.
Das mit dem Mittwoch ist wichtig. Ich war gerade Praktikant beim GONG, kam wie immer spät zur Arbeit – und rein in eine unfassbare Hektik. Die sonst eher sedierte Redaktion wirkte wie ein Bienenstock bei einem Wespenangriff. Was war passiert? Im Vorbeieilen bellte mir der Chefredakteur zu: "Der Mann von Caroline ist tot!"
Mittwoch. Ausgerechnet. Die meisten Hefte, für die das relevant war, waren gerade auf den Markt gekommen. Und fünf oder sechs Tage auf die nächste Nummer warten ging gar nicht. Es war die Zeit vor dem Internet und damit tatsächlich relevant, wie schnell man eine Ausgabe an den Kiosk bringen konnte. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Zumal niemand mit so etwas gerechnet hatte und für Casiraghi keine vorgeschriebenen Nachrufe in der Schublade lagen.
Also wurden Redakteure und Grafiker aus dem Urlaub geholt, Sonderschichten ge- und Drucktermine verschoben, Erscheinungsdaten vorgezogen. Agenturen aus aller Welt schickten per Blitzkurier, was sie an aktuellen Fotos hatten. Die Reaktion der Branche auf den Tod war ein breites "Huch! Nun aber an die Arbeit!"
Ich weiß, es klingt zynisch, aber man kann es nicht anders ausdrücken – für die Klatschpresse ist so eine "Tragödie" immer auch ein Segen. Die Verkaufszahlen schießen in die Höhe und man hat wochenlang etwas, aus dem man immer neue Geschichten drehen kann. Dazu gleich noch mehr.
Nun war Casiraghi "Ausländer" und für das deutsche Publikum sowieso nur als Mann von Caroline relevant. Aber fast auf den Tag genau ein Jahr später traf es wieder jemanden, mit dem niemand gerechnet hatte. Einen deutschen Star. Seit 20 Jahren Garant für Schlagzeilen. Nach langer Durststrecke wieder ganz oben. Und nun tot mit 48 Jahren:
Götterdämmerung und Gottesgeschenk zugleich. Aber an einem Mittwoch. Wie rücksichtslos von Herrn Höllerich.
Erneut machte sich die "Maschine Boulevard" an die Arbeit, wurden Sonderschichten geschoben und "Freunde" des Toten zu schnellen Aussagen genötigt, um die Deadline nicht zu reißen. Es war von großem Vorteil, dass Black mit EIN SCHLOSS AM WÖRTHERSEE gerade ein Karriere-High erlebt hatte und genügend Bildmaterial vorlag. Und ich war froh, mit dieser ganzen schmierigen Nummer nichts zu tun zu haben.
Auch wenn alle sich mühen, früh und schnell am Kiosk zu sein – ein Tod wie der von Black ist nicht nur Sprint, sondern auch Marathon. Davon zehrt der Boulevard Monate lang: wer heult am meisten? Wo sind die verheimlichten Kinder? Was macht das Testament? Welche Geheimnisse, verbotenen Leidenschaften und "bittere Wahrheiten" lassen sich noch aus der Geschichte pressen? In solchen Zeiten kann man die Skrupellosigkeit und den Erfindungsreichtum dieser Zeitschriften besonders gut in all ihren Facetten erleben.
Die BILD machte den Sarg sogar nach 20 Jahren noch mal auf:
Jedes dieser Erlebnisse bestärkte mich in meiner Entscheidung, niemals für diesen Teil der Printbranche schreiben zu wollen. Das ist nicht meine Welt.
Aber all das war nur ein Vorgeplänkel, eine Einstimmung auf den Urknall des öffentlichen Sterbens im Spiegel der Boulevardpresse. Über meine Experience mit Diana habe ich vor 14 Jahren schon geschrieben – lest es bei Interesse dort nach.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2021 und es sind viele weitere Prominente gestorben. Manche mehr, manche weniger überraschend. Manche mehr, manche weniger spektakulär. Manche mehr, manche weniger ausschlachtbar. Daniel Küblböck und Guido Westerwelle, Peter Alexander und Bernd Eichinger, Amy Winehouse und Steve Jobs.
Die Branche hat sich verändert. Natürlich will man immer noch als Erster am Kiosk sein, aber das ist gleichzeitig einfacher und weniger relevant. Einfacher, weil im digitalen Zeitalter Layouts, Bilder, Texte und Cover innerhalb von Minuten zusammen gestellt werden können. Man braucht nicht mal groß was vorzubereiten. Redakteure können ihre Schlagzeilen auch vom anderen Ende der Welt liefern. Weniger relevant ist diese Beschleunigung des Boulevards, weil die Storys keinen Neuigkeitswert mehr haben können – liegt das Heft am Kiosk, haben die Online-Medien längst schon jeden Fetzen Fleisch von der Leiche genagt. Was es zu wissen gibt, ist bekannt.
Und nun also Prince Philip. Auch wenn die Medien die nächsten Tage schwer rotieren, werden und können sie das mit erheblich mehr Ruhe als in anderen Fällen. Ich bin sicher, dass die Nachrufe auf Philip seit 20 Jahren geschrieben waren und nur noch aufgefrischt werden mussten. Seit seinem letzten Krankenhaus-Aufenthalt hat man in den Redaktionen mit den Füßen geschart. Foto-Agenturen haben präventiv "best of"-Sets zusammen gestellt. Der "Tag X" war längst keine Frage des ob, sondern des wann. Man wartete nur noch auf den Startschuss in Form der Meldung aus dem Palast.
Auf die Plätze, fertig, los:
Wenigstens sind die diese Cover der letzten zehn Jahre – veröffentlicht von TOPF VOLL GOLD – nun keine Lügen mehr, oder zumindest nachträglich fast wahr:
Die Promi-Tode von 1977 habe ich damals registriert; mit den weit Meisten kann und konnte ich damals auch etwas anfangen, die waren mir bekannt. Henry Vahl z. B. hat mich auch betroffen gemacht, weil ich den im Ohnsorg-Theater so liebenswert und lustig fand. Richtig tief getroffen hat mich Lennons Tod. Das weiß ich noch wie heute. Im Streckverband im Krankenhaus hatte ich keinen Schlafrhythmus mehr und hörte nachts ganz leise Radio Bremen (hörten wir damals, denn das kam aus Bremen! So weit weg! Muss man sich mal vorstellen! Technische Wunder!) Dann wurde darüber berichtet und ich war fassungslos, tief traurig und wütend auf den Attentäter. Das hat mich voll vereinnahmt und half mir, kruder Weise, mit meinem eigenen Problem umzugehen.
Bunte Blätter lagen bei uns immer rum, und so lange ich zuhause wohnte, litt ich mit meiner Mutter und dem Schicksal der Reichen und Schönen mit. Waren ja auch echte Schicksale dabei wie z. B. der Tod Romy Schneiders Sohn und ihr Leiden. Wie so etwas ausgeschlachtet und dargestellt wurde, fand ich immer ekelhaft.
Ja, Lennon war bei uns in der Schule auch ein großes Thema. Plötzlich rannten alle mit IMAGINE-T-Shirts und und GIVE PEACE A CHANCE-Krakeleien auf der Schultasche rum.
Gibt es tatsächlich Leute, die einzig durch den Blick auf das jeweilige "aktuelle"-Cover zum Impulsivkauf der Zeitschrift animiert werden?
Also weil sie aufgrund der Fake-Headlines ernsthaft denken: "Oh, der Mann der Queen ist anscheinend gestorben. Kam zwar nichts im Fernsehen drüber und in allen anderen Zeitungen stand auch nichts, aber wenn die monatlich (?) erscheinende Illustrierte das schreibt, wird das ja wohl stimmen."
Ich hoffe jedenfalls inständig, dass solche Gazetten eher rein aus Gewohnheit der liebgewonnenen Rätsel, Backrezepte und meinetwegen auch der bunten Bilder wegen mitgenommen werden.
Ohne auch nur einen Geschäftsbericht der fraglichen Publikation gesehen zu haben, kann ich dir versichern, dass diese Fake-Überschriften einen positiven Verkaufseffekt haben. Hätten sie es nicht, gäbe es sie nicht.
Das ist die Erkenntnis der letzten 60 Jahre, ja.
Der erste "Promi"-Tote, an den ich mich erinnere ist tatsächlich der da: https://de.wikipedia.org/wiki/Luis_Carrero_Blanco
Ich war 5 Jahre alt und tief beeindruckt (Bilder im Stern) von dem Krater, den die Bombe gerissen hat. Elvis habe ich schlicht verpennt, hat bei uns zuhause keine Rolle gespielt. Selbst Lennon (Was? Der ist tot?) tauchte in meinem Universum nicht auf. Ich habe lieber Pink Floyd gehört. 🙂
Letzt ist der Tag X aber ja nie eine Frage des ob, sondern des wann.
Man muss Prinz Philipp dankbar sein. Dankbar wie jedem, der einem zumindest mal ein bisschen Berichterstattung jenseits jedes Pupses rund um die Pandemie schenkt.