04
Mrz 2021

Literarische Leichenfledderei: Das zu Recht vergessene Frühwerk des Wortvogels

Themen: Film, TV & Presse |

Vor nun auch schon 11 Jahren habe ich euch anlässlich der Ausgrabung eines Koffers aus meiner Teenager-Zeit von meinen ersten schriftstellerischen Ambitionen berichtet, die inspiriert waren vom ungesunden Konsum der Horrorheftchen à la JOHN SINCLAIR.

Doch das war gar nicht mein erster Gehversuch in Sachen Belletristik. Für Kunst und Kommerz geschrieben habe ich schon vorher – und es wurde veröffentlicht! Um diesen Blog zu einem möglichst umfassenden Archiv des vogel’schen Werkes zu machen, sehe ich mich genötigt, die Geschichte nun zu erzählen.

Ich weiß nicht mehr genau, wie es anfing. Sehr vage meine ich mich zu erinnern, dass unser Deutschlehrer Herr Schlemminger (später Schlemminger-Fichtler, dann Fichtler) anregte, die Klasse 7.1 solle an einem Schreibwettbewerb teilnehmen, der von einem Buchverlag veranstaltet wurde. In Gruppen machten wir uns an die Aufgabe, eine Kurzgeschichte zu einem der vorgegebenen Themen zu schreiben – zusammen mit meinen Kumpeln Stefan Klose und René Kau wählten wir das Thema Fussball und reichten ein paar handgeschriebene Seiten ein.

Das war es eigentlich auch schon. Ein paar Monate später erwähnte Herr Schlemminger beiläufig, unsere Geschichte sei ausgewählt und in einem kleinen Buch veröffentlicht worden. Preisgeld? Keins. Honorar? Keins. Belegexemplar? Keins. Heutzutage könnte ich so ein Prozedere von hier nach Finnland verklagen, die hatten ja nicht mal die Abdruckrechte für unsere Geschichte.

Ich vergass über die Jahre diese Episode, es blieb lediglich der Titel des Buches und der Name des Verlages hängen: “Schüler schreiben für Schüler” von Metzler.

Um 2005 oder 2006 habe ich mal versucht, den Band antiquarisch zu bekommen. Dabei stellte sich heraus, dass es eine Reihe mit drei Büchern war – und die aufgerufenen Preise bei ZVAB waren mir doch zu happig. Ich bot einem Händler an, die Ausgabe zu kaufen, in der mein Name steht, aber er war nicht mal bereit, das Buch aufzuschlagen um nachzuschauen. So kam der Deal nicht zustande.

Und wie das manchmal so ist: letzte Woche kam mir diese Geschichte wieder in den Sinn und ich entschied mich, erneut zu googlen. Bei Ebay fand ich eine junge Dame, die alle drei Bücher für 14 Euro anbot. Das fand ich angemessen, um diese Bildungslücke zu schließen und daraus einen Beitrag zu stricken.

Gestern kam das Päckchen und in der Tat – Band 2 enthielt die Sportgeschichten:

Ich habe die beiden entsprechenden Seiten auf den Scanner gelegt und erstmals die “als lesbares PDF scannen”-Funktion aktiviert. Es war zwar noch ein wenig Nacharbeit notwendig, aber nun ist der Text den analogen Klauen entrissen und in die digitale Zeitlosigkeit gerettet.

Eine Fußball-“Satire”. 40 Jahre alt. Ich vermute, unser Humor-Vorbild war Otto Waalkes rasender Reporter “Harry Hirsch”. Ich schäme mich ein bisschen.

Vorab: Ich weiß nicht mehr genau, wie der Text zustande gekommen ist. Der Erfahrung nach habe ich vermutlich fast alles alleine geschrieben und die Kumpel haben in der Nase gebohrt. Aber ich möchte Stefan und René auch nicht Unrecht tun – vielleicht war es doch Kollaboration. In dem Fall könnte ich die qualitativen Defizite auf sie abschieben.

Das wird jetzt sehr schmerzhaft – man entschuldige es damit, dass ich 12 war…

Fußball ist unser Leben (Leben? Na ja…)

Klasse 7.1 (Schj.81/82) Städtische Gesamtschule Kikweg in Düsseldorf
Torsten Dewi, René Kau, Stefan Klose

Meine Damen und Herren, wir melden uns life aus dem Lynchener Olympiastadion zum Spitzenspiel Alemannia Aasgeier gegen Borussia Bluthund. Auf die Nennung der Mannschaftsaufstellungen kann ich verzichten, da ich zum einen die Kämpfer oft nenne, zum andern kennen Sie Ihre Aasgeier und Bluthunde als kampferprobte Fans ja. Als Schiedsrichter fungiert Pierre Pfeifé aus Frankreich, ihm stehen Fritz Fahne und Karl Karte aus der Schweiz zur Seite. Das Stadion ist voll besetzt, 95 000 wollen das zu erwartende Massaker sehen, das Schlachtfeld ist gut bespielbar, und 35 Fernsehanstalten übertragen direkt. Ein Pfeifkonzert beginnt, die Mannschaften laufen ein. Jetzt stellt sich heraus, wer Publikumsliebling ist. „Borussia forever” wird mehrtausendstimmig gebrüllt — eine wunderbare Stimmung herrscht.

Pfeifé pfeift. Anstoß. Doch halt! Eben sehe ich, daß am Rande des Spielfeldes nur 16 Krankenwagen bereitstehen — man erwartet also ein faires Spiel. Es beruhigt, daß sich die Mannschaften dies vorgenommen haben. Alemannia setzt alles auf eine Karte, und zwar auf ihr As im Ärmel: das japanische Schießwunder Osakio Ohschiessdoch. Der Manager der Alemannen, Rudi Ramsch, hat ihn für die günstige Ablösesumme von 26 Reisstäbchen bei einer Auslandstournee gewinnen können.

Doch nun kommt Leben ins Spiel: Rudi Renner paßt zu Wüst, doch Bruno Blocker geht dazwischen. Trainer Diddi Drill schreit: „Schneid doch den Ball an!” Bruno Blocker scheint das falsch zu verstehen, denn dem Ball geht die Luft aus. Blocker löst das Problem, indem er eine vom Publikum geworfene angefaulte Tomate auf das gegnerische Tor schießt. Das scheint allerdings keine Patentlösung zu sein, denn sie versperrt dem Benno Ballermann minutenlang die Sicht. Doch bevor sich der erhoffte Streit entwickelt, hat ein hilfsbereiter Sanitäter vom Supermarkt nebenan einen Plastikball besorgt, das Spiel geht weiter.

Jetzt ist wieder die Alemannia mit ihren Geiern im Ansturm, dabei benutzen sie dressierte Klein-Tornados, welch eine köstliche Idee, mit denen sie die Bluthunde erbarmungslos in die Höhe heben und dann fallen lassen. Doch die Borussia gibt nicht auf. Sie kontert mit einer gesicherten Verteidigungsstellung; soweit ich das überblicke, buddeln sie nun 13, nein 14 Tellerminen in Strafraumhöhe ein, sperren den Elfmeterpunkt mit drei Selbstschußanlagen. Jaaaa, so verteidigt man sich geschickt gegen allzu ungestüme Angreifer. Der Torhüter Fritz Fangdenball hebt in rasender Geschwindigkeit im 5-Meter-Raum ein Schlammloch aus, göttlich, wenn er so einen Gegner eliminieren könnte — der Junge ist sein Geld wert.

Doch Alemannia gibt nicht auf: Mit drei Antiterroreinheiten fegen sie über den Platz, alles überrollend, was sich in den Weg stellt. Lustig sieht es aus, wie sich einige der niedergewalzten Gegner vor Ärger brüllend im Gras wälzen, na, die vertragen aber auch gar nichts! Dem Schiedsrichter wird es jetzt allerdings zu bunt, er räumt das Spielfeld bis auf dreizehn Mann jeder Mannschaft, da werden wohl einige gemeckert haben, diese Hinausstellungen sind sonst nicht erklärbar.

Wir schreiben die 37. Spielminute. Sensationell, da läuft eine textilfreie Gruppe über den Platz und fordert auf Spruchbändern „Enthüllt das Geheimnis Aggression im Sport.” Liebe Zuhörer, auch dies wieder ein Beispiel, wie sinnlos junge Leute Worte aneinanderreihen, wie egoistisch hier die Stimmung von Tausenden von Menschen zerstört wird. Doch dieser Spuk ist schon vorbei, Alemannia stürmt mit Rudi Renner, er hinterläßt eine Spur von Schwer- und Leichtverletzten, er dringt in den Strafraum ein, geschickt alle explosiven Hindernisse umgehend, vermutlich schlecht getarnt, rast auf das unbesetzte Tor zu. Fangdenball hat sich bereits in die Pause begeben, hebt den Fuß, um eine Bombe, nein, eine Granate anzusetzen, doch nein, nein, der ausländische Pfeifenmann zerstört alle Hoffnungen — Pause.

Wir schalten jetzt zurück ins Funkhaus und bringen zur Entspannung Marschmusik, lassen Sie sich Ihr Bier schmecken. Denken Sie immer daran: Ist erst einmal der Kasten leer, trägt sich die Niederlange nur halb so schwer. Tschüss!

Hier meldet sich wieder Gerd Gibdensenfdazu aus dem Lynchener Stadion. Die 2. Halbzeit hat eben begonnen. Schorschi Schuß zieht vom Anstoß weg nach vorn, ja warum hält ihn denn keiner, keiner tritt ihn, keiner legt ihn, keiner säbelt ihn um, oh Gott, er hat wieder, wie bereits im Spiel gegen die Aggressis aus Kugelfeld, links und rechts verwechselt und schießt in diesem Augenblick ein Tor — ein Eigentor. Na, das darf auch einem schlechtbezahlten Stürmer nicht passieren. Schorschi hat nämlich auf Grund dieser Schwäche bereits eine Gehaltskürzung von 50% auf nunmehr 60 000 DM pro Monat hinnehmen müssen. Wie die Borussia das wohl verkraftet? Na, bitte, Bernd Ballermann faßt sich ein Herz und überwindet die noch jubelnden Verteidiger mit einem Weitschuß. TOOOOOR, TOOOOR — ist das eine Spannung.

Auf der gegnerischen Seite bereits die nächste Torszene: Achmed Xfcxerg schiebt nach einem Preßschlag und einem geschickt angesetzten Ellenbogenhieb in den Bauch des Verteidigers Wüst dem Torwart den Ball durch die Beine. Doch der Schiedsrichter erkennt diesen Treffer nicht an. Er zeigt Abseits an. Andi Anstopp hält nun Pfeifé ein Messer unter die Nase, na, endlich kommt Stimmung in die Bude. Leo Läufer streckt Andi mit einem gekonnten Schwinger nieder. Zwischenzeitlich haben sich die Trainer geeinigt, ihre beiden Schußkanonen zu tauschen, Steiger gegen Taucher, letzterer ist, so meine ich, der bessere Catcher. Didi Drill lacht, was sich Hermann Hetze da wohl bei gedacht hat? Die Alemannis ziehen sich nun in die Verteidigung zurück, sie bilden aus 50 Sandsäcken eine Mauer. Auf diese stürmt gerade der Ballermann zu, der aber von Bruno Brutalos mit einem gekonnten Messerstich niedergestreckt wird. Der Schiedsrichter zeigt Balli wegen Simulierens die rote Karte. Völlig korrekt, meine Herren. Das Spiel hat nichts an Spannung verloren, leider nähert es sich schon dem Ende. Der Schwarzkittel pfeift ab.

Das Ergebnis ist erfreulich, meine Damen und Herren, noch nicht einmal die vorhandenen Krankenwagen wurden ausgenützt, wobei allerdings die nun entstehenden Schlägereien auf den Rängen noch zu einigen Hoffnungen berechtigen. Tore fielen auch, doch ist dies im Augenblick nicht so wichtig. Ich schalte zu einer Direktreportage in die Feuerleitstelle der Stadionpolizei um.

Theo Faust, bitte melden!



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Jake
Jake
4. März, 2021 15:03

Also für einen 12-Jährigen ist das doch ein sehr respektabler Text wie in finde. Beim Lesen musste ich direkt an SHAOLIN KICKERS denken, da geht’s auf dem Spielfeld ja ähnlich martialisch zu.
 

Eben sehe ich, daß am Rande des Spielfeldes nur 16 Krankenwagen

bereitstehen – man erwartet also ein faires Spiel.

Bester Satz! Da ist mir glatt ein Lacher entfleucht.

Andreas
Andreas
4. März, 2021 15:09

Ich finde nicht das du dich dafür schämen musst was du mit 12 geschrieben hast.
Erinnert mich ein wenig an Werner Beinhart.

Kuhbaert
Kuhbaert
4. März, 2021 15:35
Reply to  Andreas

Ja das kam mir auch direkt in den Sinn.

Die Frage wer zuerst war wird spannend. Das Comic “Werner- Alles klar!” in dem das Fußballspiel vorkommt ist von 1982.

Last edited 3 Jahre zuvor by Kuhbaert
Mick Briem
Mick Briem
5. März, 2021 15:02

Ich finde das durchaus charmant. Musst du dich null für schämen.

Insbesondere “Alemannia Aasgeier” ist mir sofort ans Herz gewachsen, ich komm ja von da her. Aus Bad Aasgeier. 😊

Thomas Bunzenthal
Thomas Bunzenthal
5. März, 2021 19:00

Ich erkenne einen gewissen Hang zu telling names…