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Feb 2021

Mein Haus wird kein Haus: Das Ende

Themen: Neues |

Ich habe von dem kleinen Häuschen in Bramel, das meiner Oma gehörte und in dem ich oft die Ferien verbrachte, schon erzählt. Auch davon, dass es nach mehreren Besitzerwechseln so aussah, als würde es herrenlos verfallen.

Ich erinnere mich gut, wie das Haus zu seinen besten Zeiten aussah – das war in den 80er Jahren, als Oma ebenso noch lebte wie ihr Schäferhund Lux.

Aber schon damals war es kein “schönes” Haus. Es war ein Einfachbau ohne Keller und mit verrottetem Dachboden, wo immer nur notdürftig geflickt worden war, wenn meine Oma das Geld hatte. Es haperte an allem, auch wenn mir das als Kind absolut nichts ausmachte.

Vor ein paar Tagen kam ich auf die Idee, mal nach Bramel zu googeln – vielleicht war ja irgendeine News zum Haus zu finden? Und siehe da:

“Altimmobilie… nicht bewohnbar”. Ich gestehe, dass das fast 20 Jahre nach dem Verkauf des Hauses noch schmerzt. Ich habe da gewohnt. Ich habe es geliebt.

Auf den beiden Fotos ist zu sehen, dass irgendjemand zumindest versucht haben muss, was zu retten. Die erstaunlich gut gepflegte Hecke z.B. gab es früher nicht.

Tatsache ist aber auch: Das Haus war 1980 schon ein Außenseiter im traditionell hübschen Ortskern, und nach diversen Verschönerungsaktionen (Straße, Laternen) wirkt es noch mehr wie aus der Zeit gefallen. Es ist, und ich sage das erneut mit Schmerz, ein Schandfleck. Es ist an der Zeit, dass es abgerissen wird.

Interessant finde ich die Wertentwicklung. Ich habe das Haus 2002 für 67.490 Euro verkauft. Kein üppiger Preis, aber genau das Eigenkapital für mein Haus in München. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit vergangen ist, dann wundert man sich schon, dass das fast 800 Quadratmeter große Grundstück mitten im malerischen Ortskern gerade mal 49.000 Euro wert sein soll. Würde ich das Haus und das Grundstück heute kaufen, hätte ich um die 18.000 Euro Gewinn gemacht.

Die LvA hat gemerkt, dass mich die Entdeckung dieser Online-Anzeige etwas betroffen gemacht hat. Sie hat gefragt, ob wir das Grundstück kaufen sollen. Vielleicht ein Ferienhaus bauen? Aber das ist Unfug – von München nach Bremerhaven sind es 800 Kilometer und wenn ich mir ein Ferienhaus bauen will, suche ich mir einen schöneren Ort dafür aus.

Nein, Bramel ist nicht der Ort meines Herzen – es WAR der Ort meines Herzen. Ein Zuhause war es für den kleinen Torsten, weil dort die Oma wohnte, weil dort immer Ferien waren, weil ich meine Tage mit Enten, Katzen und Kühen verbracht habe und abends Kartoffeln fürs Essen ausbuddeln durfte. Ich habe dort Erbsen aus Schoten gepult und engelsgleich in Daunenbettwäsche aus eigener Produktion geschlafen. Die besten Bratkartoffeln der Welt. Einmal habe ich eine ganze Ausgabe der SIEHSTE auf einen Kassettenrekorder gesprochen und damit quasi das Hörbuch erfunden. Ostern war immer besonders toll.

The rain was never cold when I was young – und heute sehe ich zum ersten Mal die Ohrenspitzen von Lux hinter dem Tisch in die Höhe ragen:

Ich hoffe, sie reißen es bald ab. Man lässt Leichen ja auch nicht liegen, sondern begräbt sie irgendwann. So ist der Lauf der Welt und der Zeit.



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Spandauer
Spandauer
1. Februar, 2021 18:13

Absolut OT: Aber Erbsen sind Hülsenfrüchte, daher werden die Erbsen aus Hülsen gepult, Schoten hat z. B. der Raps.

Dietmar
1. Februar, 2021 20:46
Reply to  Spandauer

Ich bin auf einem kleinen Selbstversorgerhof aufgewachsen (meine Mutter lebt dort 92-jährig heute noch; die Wirtschaft gibt es nicht mehr). Wir haben Kartoffeln gesetzt, Kleinvieh, Kirschen, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Erdbeeren und so weiter. Ich habe es wirklich geliebt. Und wir nannten die Erbsenschoten auch Schoten. Immer diese Botaniker…tststs. 🙂

Die Sommernächte, in denen ich bis die Augen zugefallen sind “Unser Kosmos” oder so gelesen und dabei die aus dem Garten geklauten Jungerbsen verzehrt habe, sind so paradiesgleiche Jugenderinnerungen, die mich beim dran Denken glücklich machen.

Dietmar
1. Februar, 2021 22:05
Reply to  Torsten Dewi

Ja! Ich auch! Das und “Querschnitte”.

Spandauer
Spandauer
1. Februar, 2021 21:41
Reply to  Dietmar

Ich bin nur Agrarier, aber das war damals Prüfungsfrage, auch 25 Jahre später unvergessen

Dinozeros
Dinozeros
1. Februar, 2021 20:41

Ähnliches unlängst erlebt. Schon Konfuzius sagte: Häuser sind wie Nasen. Kleine Korrektur, große Wirkung. Ein Ferienhaus für Geeks. Tada! Tür auf ins Überraschungspaket. All die verstaubenden Schätze an einem Ort, den man mieten kann. Erleben kann. Wo man kuratiert abheben kann. Ein Haus wie ‘ne Rakete. Anschnallen! Und: ein Hoch auf die Erinnerungen.

Comicfreak
Comicfreak
1. Februar, 2021 21:42

Sowas von aus dem Herzen gesprochen…
<3

comicfreak
2. Februar, 2021 10:32

PS: wahrscheinlich ist der Preis so niedrig, weil der Käufer ja noch Abriss und Entsorgung tragen muss, das läppert sich

Selle
Selle
2. Februar, 2021 20:53

Immer wieder beeindruckend, wie du es schaffst ein Gefühl in Worte zu kleiden.

Durch das “Inaktiv” auf deinem Screenshot hab ich spaßeshalber mal bei archive.org geschaut, Bild und Angebot scheinen aus dem Mai 2018 zu sein

trackback
1. September, 2022 09:40

[…] wir die letzten zwei Wochen. Erinnern wir uns daran. Und an Bramel. An Belgien. An Mallorca. An Salzburg. An deinen 75. und meinen 50. Geburtstag. An deine erste […]