08
Jan 2021

Des Brennmeisters Abschied

Themen: Film, TV & Presse |

Ich habe ja erst vor einem halben Jahr erzählt, wie ich über die Jahre meine Filmsammlungen von Videokassette zu CD, von CD zu DVD, und dann von DVD zu Festplatte konvertiert habe. Es ist eine Geschichte voller Übergangstechnologien, Normwandlungen und langer Abschiede.

In der Zeit zwischen 2000 und 2010 habe ich – den ersten wirklichen Breitbandanschlüssen und PayTV von Kabel Deutschland sei Dank – unfassbar viel aus dem Netz gezogen, aufgenommen und auf DVD gebrannt: Filme, Serien, Dokumentationen, aber auch Musik, Comics, private und öffentliche Archive. Einen Großteil habe ich nie wieder gebraucht – ich wollte nur sicherstellen, dass ich es habe. In dem Maße, in dem ich mein analoges Archiv entrümpelte, baute ich ein monströses digitales Archiv auf.

Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber "nach Diskette" und "vor externer Festplatte" war es so populär, Daten auf DVD zu brennen, dass man die Rohlinge in einer Art Milchkanne zu 200 Stück kaufen konnte:

Um die ganzen DVDs zu organisieren, kaufte man sich DVD-Koffer, die teilweise bis zu 1000 Scheiben aufnehmen konnten. Und man schrieb Listen. So viele Listen. Oder man nutzte Software, die die DVDs automatisch indexierte. Die Verwaltung der Sammlung fraß oft genug die Zeit, die man besser zum Konsum der Sammlung genutzt hätte.

Um 2010 herum habe ich aufgehört, DVDs zu brennen. Externe Festplatten mit über einem Terabyte Speicherplatz wurden immer günstiger – und brauchten vor allem immer weniger Platz. Die gesamte digitale Sammlung passte nun in eine Schublade.

Es hatte aber auch einen Haken: je größer die Festplatte, desto größer das Risiko des Datenverlusts. Eine kaputte DVD-R bedeutete damals knapp 5 Gigabyte Datenschrott, wenn sie rappelvoll war. Eine kaputte Festplatte nimmt schnell die hundertfache Menge mit ins Nirwana. Redundante Archive und Sicherheitskopien bekamen mehr Bedeutung.

Ich habe übrigens um 2010 nicht nur aufgehört, DVDs zu brennen. Ich habe auch aufgehört, die gebrannten DVDs zu brauchen. Die letzten fünf Umzüge habe ich drei DJ-Koffer, eine "Milchkanne" und ein Sammelmappe für 250 DVDs mitgeschleppt, die schließlich im Keller gelandet sind. Sicher verstaut, kompakt, aber dennoch ein "totes" Archiv.

Versteht mich nicht falsch: ich bin froh, die Sammlung zu haben, auch wenn ich sie nicht im täglichen Gebrauch habe. Das ist mein virtuelles Gedächtnis, das ist meine virtuelle Videothek. Vieles, was ich aufgenommen habe, gibt es auch in den hintersten Ecken des Internets nicht.

Umgekehrt wird natürlich auch ein Schuh draus: Vieles hat sich in den letzten zehn Jahren überholt. Filmchen unsagbar schlechter Bildqualität gibt es mittlerweile in HD auf YouTube, von vereinzelt kopierten Zeitschriften-Scans habe ich mittlerweile komplette Sets – und brauche ich wirklich alle Staffeln von SKETCHUP?

Es war Zeit, neu zu sichten, auszumisten, zu sortieren und zu indexieren. Also holte ich am Wochenende die DJ-Koffer aus dem Keller, stöpselte unsere letzten externen DVD-Laufwerke an mein Macbook und machte mich an die Arbeit. Ich fand CDs, DVD-R, DVD+R, DVD-RW von Dutzenden Herstellern, gekauft auf Dutzenden von Plastik-Spindeln in Kaufhäusern und später bei Amazon. Laut Amazon habe ich 2012 das letzte Mal Rohlinge bestellt.

Zuerst einmal war ich erstaunt, dass bis auf zwei oder drei Scheiben alle DVDs noch problemlos lauffähig waren. Zwar musste ich sie mitunter auf beiden Laufwerken testen oder die Unterseite kräftig an der Jeans sauber rubbeln, aber ihre Daten gaben sie am Ende doch preis.

Zweite Erkenntnis: ich habe wirklich ganz erstaunliche Dinge abgespeichert, die ich völlig vergessen hatte. So suchte ich seit Jahren nach einer Kopie der Schwarzweiß-Nacht auf 3Sat zum Geburtstag des Farbfernsehens – dabei hatte ich eine Doppel-DVD davon gezogen, die ich nun bequem auf Festplatte konvertieren konnte. Pilotepisoden von Serien, die außer mir hierzulande vermutlich niemand besitzt. Ein komplettes Archiv der Zeitschrift SIMPLICISSIMUS. Unfassbar alte digitalisierte Fotos meiner frühen Reisen in die USA. Lesungen von Robert Gernhard. Web-Serien, die heute nicht mal mehr einen Wikipedia-Eintrag haben.

Vieles, vieles konnte ich entsorgen, anderes habe ich auf Festplatten gerettet. Der große Teil bleibt, wie und wo er ist – auf Scheibe in den DJ-Koffern. Er ist eine Art Vermächtnis, von dem ich nun einen neuen Index habe, über den ich alles relativ schnell finden kann, wenn ich es brauche.

Es zeigt sich wieder mal, wie sehr in der digitalen Ära die Explosion der Möglichkeiten mit einer Miniaturisierung des Platzbedarfs einher geht. Für meine Film-Sammlung habe ich in den 90ern noch maßgeschneiderte Regale gebraucht, um 2000 Videokassetten unterzubringen. In den 10er-Jahren war es schon nur noch ein "Billy" für DVDs, CDs und Disketten. Dann kamen die drei DJ-Koffer.

Heute? Heute passt auf das, was ich in den letzten Tagen aussortiert habe, auf den gerade mal daumengroßen USB-Stick, der auf diesem Bild vor den Scheiben liegt.

Ein Stick statt 120 DVD. Man darf ruhig mal beeindruckt sein. Zumal ich den Stick immer greifbar habe. Ich kann ihn mit in den Urlaub nehmen und auch an meine Tablets oder an mein Smartphone anschließen. Das Archiv in der Hosentasche. Und genau genommen ist selbst DAS schon ein veraltetes System, denn ich habe mittlerweile 1,5 Terabyte Cloudspeicher rappelvoll, damit ich Material schnell mit Freunden und der Welt teilen kann.

Um die 300 DVDs habe ich nun aussortiert, sie mit einem Küchenmesser unbrauchbar gemacht und zum Wertstoffhof gebracht. Sie sind dort den Weg allen Irdischen gegangen:

Die drei DJ-Koffer kommen wieder in den Keller. Ein paar Leckereien habe ich kopiert, die in den nächsten Wochen hier präsentiert werden.

Ich habe sogar noch einige leere DVD-Rohlinge gefunden. Ich wüsste aber nicht, was ich darauf abspeichern sollte.



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

14 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
heino
heino
8. Januar, 2021 19:50

Ich habe auch letztens die verbliebenen Rohlinge entsorgt, da ich eh nichts mehr brenne. Die nehmen nur Platz weg und niemand in meinem Umfeld wollte sie noch haben

Nummer Neun
8. Januar, 2021 23:07

Wenn es immer leichter wird, Unmengen an Daten zu sichern und zu archivieren, wird es um so schwerer, diese Daten danach auch zielgenau wieder zu finden.

Ich würde mich daher tatsächlich sehr über einen extra Beitrag zum Thema Indexierung freuen.

Lord Helmchen
Lord Helmchen
9. Januar, 2021 07:22
Reply to  Nummer Neun

Wenn es um Filme und/oder Serien geht, bieten sich Plex oder Emby an um den Überblick nicht zu verlieren.

Aris
Aris
9. Januar, 2021 00:45

Mein Vater (80) hat mir Weihnachten (was selbstverständlich unter Corona Bedingungen statt fand (das ist kein Witz, die Großfamilie wurde auf drei Häuser geteilt und über Skype versucht zu verbinden, was angesichts der Bandbreite auf dem Dorf nur ruckelig passierte)) eine Tasche mit VHS und VHS-C Kassetten mitgegeben. Ich hab mir vor 15 Jahren mal einen Grabber und vor 3 Jahren mal für 3 Euro einen VHS Recorder gekauft. Also probiert man, ob es geht.
Es geht in der Tat. Aber was mir auffällt, ist, wie mühsam man einen VHS Recorder bedienen muss. Allein, dass man ein Band spulen muss. Sowas war früher normal, heute versteht das keiner. Und VHS Kassetten haben keinen Kult wie Schallplatten, die wieder verkauft werden.
Ich werde es für meine Eltern auf DVD brennen. Sie haben zwar einen Rechner, der Internet hat, aber ihnen einen USB Stick zu geben, mit dem sie dann vom Laptop auf den Fernseher streamen können, wäre eventuell zu viel verlangt.
Es geht manchmal nicht um die Archivierung, es geht manchmal auch darum, den Leuten, die es möchten, einen Zugang zu geben.
Hat zugegebenermaßen keinen Kontakt zu deiner Geschichte, wollte ich nur erzählen.

Andreas
Andreas
9. Januar, 2021 09:27

Ich hatte immer Angst, das alle meine Daten die ich auf einer externen SSD lagere, eines Tages mit einem Schlag alle weg sind.
Ich nutze seit längerem daher eine solche Dockingstation https://www.amazon.de/dp/B07D8S7RN7/?coliid=I17T5XXV5ZLFPT&colid=11F4Y7VKJYH3L&psc=1&ref_=lv_ov_lig_dp_it
Habe jetzt immer einen Clone der eigentlichen Platte, das lässt mich ruhiger schlafen. Mit der Zeit werden nur die Platen gegen welche mit mehr Speicher eingetauscht.

Thomas G. Liesner
Thomas G. Liesner
10. Januar, 2021 04:20

Ich brauche für meine Filmsammlung was Haptisches – sprich DVDs/Blu-rays. Und diverse Serien für mich und meine Kinder (Anime uä) mag ich auch lieber im Regal (6 DVDs in einer normal breiten Hülle mit jeweils >3 Stunden Inhalt) mit einem netten Menü pro DVD als in einem Verzeichnis auf Platte – wo die MP4s und die Skripte und Bilder für die DVDs und die Hüllen als Backup vorliegen.

Auf dem PC schaue ich nebenbei Fernsehaufnahmen, Netflix, YouTube & Co, aber wenn ich was ernsthaft geniessen will, nutze ich lieber Couch, Fernseher und Blu-ray-Player.

Aber ich bin mit meinen 50 Jahren eh ein alter Sack…

Thomas G. Liesner
Thomas G. Liesner
10. Januar, 2021 11:28
Reply to  Torsten Dewi

Habe ich schon verstanden – aber da kommt eben das Haptische hinzu, das Durchgehen von physikalischen Medien im Regal statt Browsen im Dateisystem. Bei Musik und Büchern (zumindest wenn das Layout nicht höhere Ansprüche stellt) habe ich dagegen nichts gegen die platzsparende Lösung.

Nummer Neun
10. Januar, 2021 11:48

Interessant, dass du explizit Musik als Gegenbeispiel erwähnst. Ich war sehr lange sehr stolz auf meine CD-Sammlung, die Silberscheiben blockieren hier immer noch einen größeren Teil meines Wohnzimmerschrankes. Musik höre ich mittlerweile allerdings mehr oder weniger ausschließlich über Sonos und mein Netzwerklaufwerk, wo die CDs digitalisiert abliegen. Wenn ich eine Inspiration brauche, was ich hören möchte, stelle ich mich aber immer noch vor die haptischen CDs und wähle dann das entsprechende digital aus. Würde ich nur digital suchen, wüsste ich meist gar nicht, wonach ich suchen sollte. Dann bin ich genauso überfordert, wie wenn ich ohne Ziel Netflix durchsuche.

DVDs und BRs sind mir dagegen völlig egal, die wenigstens Sachen schaue ich mehr als einmal.

Insgesamt aber spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Mediennutzung doch sein kann.

Thomas G. Liesner
Thomas G. Liesner
10. Januar, 2021 20:51
Reply to  Torsten Dewi

Wenn ich Musik höre, dann meistens Radio oder Zufallsauswahl aus dem MP3-Vorrat auf der Festplatte. Dann muss ich nicht gross entscheiden.