OK Boomer: Fragen an den BIPoC-Journalismus
Themen: Film, TV & Presse, Neues |So, heute machen wir den Deckel drauf – zumindest bis die meedia-Redaktion einen weiteren Beitrag der Journalisten-KiTa freischaltet.
Titel:
Ihr Medien-Entscheider*innen müsst BIPoC-Journalist*innen fördern!
Hatten wir das nicht letztes Mal schon? Können die sich nicht mal in den ersten vier Beiträgen so koordinieren, dass sie nicht redundant werden? Andererseits: da diese jungen Schreiberlinge nur die eigenen Befindlichkeiten als Themen kennen, ist die Bandbreite sowieso beschränkt.
Der Journalismus in Deutschland ist sehr weiß. Das zeigt auch die Berichterstattung über Rassismus.
Ich ahne mal vorab: Den kurzen Weg von der Behauptung zum Beleg wird die Autorin nicht gehen wollen, weil ihr die Steigung “Recherche” zu mühsam ist.
Was wir weißen Journalist*innen tun müssen, damit sich das verändert, schreibt Leonie Schlick.
Nein, und das sage ich ohne hellseherische Kräfte und ohne diesen Beitrag gelesen zu haben: Leonie Schlick wird uns belehren, was WIR tun müssen – sie und ihresgleichen ausgeschlossen. Denn da WIR die alleinige Verantwortung für die vage Misere haben, obliegt es auch ausschließlich uns, den Journalismus für den Nachwuchs noch mal kern zu sanieren, damit das hehre Haus auch WLAN hat und gut riecht.
Vielleicht wisst ihr, liebe weiße Boomer, noch nicht so lange, dass ihr weiß seid. Wir 15 weißen Nachwuchsjournalist*innen wussten es auf jeden Fall die meiste Zeit unseres Lebens nicht.
Ich mahne ja gerne an, dass der Nachwuchs seine eigenen Wissensdefizite nicht immer verallgemeinern soll. Das hier ist so ein Fall: Nur weil Leonie Schlick keine Ahnung hat, was meine Generation weiß oder wußte, urteilt sie von ihrer eigenen Warte aus. Überraschung: Themen wie “white privilege” sind nicht neu, hießen früher einfach nur gerne mal anders und wurden schon in studentischen Kreisen der 60er ausgiebig diskutiert. Die Idee, sie müsse uns darauf hinweisen, entlarvt nicht nur einen erschütternd mangelhaften Kenntnisstand, sondern auch die hier schon mehrfach erlebte Arroganz, dass die Vorurteile der eigenen, sehr kleinen Blase als Fakt angenommen werden.
Erst wenn der letzte Altredakteur entsorgt, der letzte Chefposten weiblich besetzt, und die letzten Redaktionsstatuten woke sind, werdet ihr begreifen, dass Gesinnung kein Journalismus ist.
(Weissagung der bento)
Sorry, ich konnte nicht anders.
Das ist leider normal.
Nein.
Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft.
Nein.
Dazu gehört, dass wir weiße Menschen es gewohnt sind, als Norm zu gelten.
Sie sind die Norm.
Schwarze Menschen, People of Color oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte sind das oft nicht.
Weil die Minderheit nicht die Norm ist.
Die Journalistin und Autorin Alice Hasters schreibt in ihrem Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten: „Weiße werden als Individuum gesehen, BIPoC als Stellvertreter*innen einer ganzen Gruppe.“
Wie in diesem Beitrag. Die BIPoC (don’t get me started) werden als pauschalisierte Minderheit in eine Gruppe gepackt, während die weißen Rassisten zumindest soweit individualisiert bleiben, dass Schlick sich selber nicht dazu rechnen muss.
Das macht auch etwas mit unserer Berichterstattung. (Falls Ihr es nicht wisst: BIPoC steht für Black, Indigenous, and People of Color)
Nein, das wusste ich nicht. Und mein Leben funktionierte bisher auch ganz gut ohne eine weitere krude Ansammlung von Buchstaben wie LGBTQ+ (mittlerweile übrigens auch LGBTG* oder LGBTQIA). Ich denke immer, an irgendeinem Punkt platzt die Bombe und alle werden sich schlagartig klar: “Das ist doch alberner Unfug, hier immer mehr Abkürzungen zu sammeln von Minderheiten, die sich teilweise nicht mal freundlich gesonnen sind”. Aber wird sind noch nicht so weit.
Ihr könnt euch jetzt persönlich hiervon ausnehmen. Ihr könnt sagen, dass ihr weder rassistisch denkt, noch handelt und dass man das eurer journalistischen Arbeit auch ansieht. Aber dann könnt ihr euch sicher sein, dass sich im Journalismus nichts verändern wird. Und das muss es.
Ganz im Gegensatz zu Schlick, die sich vermutlich auch davon ausnimmt, rassistisch zu sein, aber genau das für den Schlüssel zur Revolution hält.
Dass die Frage, warum sich etwas ändern muss, nicht beantwortet wird? Geschenkt.
Nicht-weiße Perspektiven finden viel zu wenig statt. Das zeigt sich in redaktionellen Entscheidungen und in der Berichterstattung. Beispielsweise, wenn die Redaktionen großer deutscher Talkshows denken, es sei eine gute Idee, zum Thema Rassismus nur weiße Menschen einzuladen.
Letzte Woche zum Thema “Streit um die Sprache” war bei Plasberg ein Schwarzer eingeladen. Ich hab’s genau gesehen. Tatsächlich greift der Vorwurf von Schlick erheblich zu kurz. Zuerst einmal sind es ja die Weißen, die an der Macht sitzen und denen Rassismus vorgeworfen wird (und Sexismus, und Ageismus, und Bodyshamus, und Ausländerrus). Es macht also durchaus Sinn, dass genau DIESE Leute darüber diskutieren. Und wenn man statt der üblichen Rassismus-Empörer von der Berliner Humboldt-Universität tatsächlich betroffene Minderheiten einlädt, fällt halt – wie bei Plasberg – dann leider oft auf, dass die sich entweder gar nicht so diskriminiert fühlen oder womöglich den Klischees der unterdrückten Minorität nicht entsprechen wollen. Ein Schwarzer, der das “weiße System” nicht für durch und durch rassistisch hält, erweist der guten Sache natürlich einen Bärendienst.
Wenn die Berichterstattung über die rassistischen Verbrechen des NSU die Opfer und Angehörigen kriminalisiert und rassistische Stereotype reproduziert.
Nun ja, ich habe lediglich erlebt, dass die Täter so ziemlich allen Stereotypen der Ossi-Nazis entsprechen. Weder die Opfer noch die Angehörigen wurden – abgesehen von der Nationalität, für die ja die Nazis verantwortlich sind – irgendwie in rassistische Stereotype gepackt. Vielleicht lese ich aber auch nur die falschen Medien.
Dafür seid oft ihr verantwortlich, vor allem die Entscheider*innen unter euch.
Ich sagte es ja: es ist nicht die Verantwortung der gesamten Branche, sondern der gesamten Branche jenseits von Schlick und ihren Kollegen*in*nen (?). Sie und die Mitschüler sind nämlich weißer als weiß – moralisch, nicht so von der Hautfarbe her. Obwohl: da anscheinend auch.
Denn ihr seid fast alle weiß.
Nicht vergessen, weil sie es augenscheinlich tut: Leonie Schlick ist weiß.
Eine kürzlich von den Neuen Deutschen Medienmachern herausgegebene Studie zeigt: Nur sechs Prozent der Chefredakteur*innen der reichweitenstärksten 122 Medien in Deutschland haben einen Migrationshintergrund.
Weil keine Branche repräsentativ sein muss, soll oder kann. Das ist so eine radikale Verirrung in der aktuellen Diskussion: Die Bedürfnisse aller sollen repräsentiert sein. Dafür ist aber keine repräsentative Arbeitsteilung vonnöten. Es verlangt auch niemand, dass Müllmänner, Anwälte oder TV-Moderatoren 5 Prozent schwul, 2 Prozent lesbisch, 8 Prozent schwarz, 12 Prozent behindert und 14 Prozent unter 12 Jahren sein sollte (weitgehend erfundene Zahlen – wenn die nicht recherchieren, tue ich es auch nicht).
Zu glauben, mehr Schwarze in den Redaktionen würde mehr schwarze Themen oder gar eine genauere Abbildung schwarzer Lebensrealitäten bedeuten, ist bestenfalls naiv. Ich will das hier mal annehmen, weil die Alternative “dumm” wäre – und Dummheit ist deutlich schwerer durch Erfahrung und Bildung auszumerzen als Naivität.
„Gruppen, die besonders von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, sind darunter nicht vertreten”, heißt es in der Studie. Das wird der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht.
Es wird der gesellschaftlichen Verteilung nicht gerecht. Ich fordere Leonie Schlick heraus, auch nur eine Berufssparte zu finden, deren Angehörige in der Aufteilung nach Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Alter und sexueller Orientierung dem Bevölkerungsspiegel auch nur nahe kommt.
Ihr Entscheider*innen müsst BIPoC-Journalist*innen nicht nur fördern, sondern auch in eure Positionen lassen.
Das hatten wir schon: gilt für alle, aber nicht für Leonie. Sie hat ihren Platz in der Journalistenschule ja auch nicht für eine*n BIPoC-Journalist*in geräumt.
Wir weiße Nachwuchsjournalist*innen fragen uns: Wie können wir es besser machen?
Nein nein, wir haben nun oft genug bewiesen, dass es heißen muss:
Wir weiße Nachwuchsjournalist*innen fragen uns: Wie könnt ihr es besser machen?
So wird ein Schuh draus. Die #metoo-Bewegung ist eine #notme-Bewegung.
Ein wichtiger Schritt: Wir müssen uns mit unserem Weißsein auseinandersetzen und damit, was das für unsere journalistische Arbeit bedeutet. Verstehen, dass unser Weißsein die Perspektive ist, von der aus wir Journalismus betreiben. Diese Perspektive ist nicht neutral. Und es gibt Bereiche und Themen, die wir nicht nachempfinden können. Dessen müssen wir uns bewusst sein und das reflektieren. Menschen fragen, die es wissen könnten.
“Jemanden fragen, der sich damit auskennt” – eine journalistische Binsenweisheit, weshalb es mal wieder unglaublich klugscheisserisch ist zu behaupten, das wäre nicht längst Realität.
Medien dürfen nicht mehr darüber diskutieren, ob es Rassismus gibt. Wir müssen Rassismus als gesellschaftliche Realität anerkennen.
Wenn ich mich nicht irre, hat Berit Dießelkämper fast exakt das Gleiche neulich getwittert. Das zeigt, woher es kommt – nicht aber, dass es stimmt. Klar ist es verführerisch, nach jahrelangen schweren Diskussionen irgendwann zu sagen “das wird jetzt nicht mehr diskutiert, das ist jetzt einfach mal Realität”. Aber wir leben nicht in einer Zeit, in der das wünschen noch geholfen hat (um ausgerechnet die Toten Hosen zu zitieren). Wenn wir dieses Wespennest anstechen, wird “das muss man jetzt einfach mal anerkennen” das neue “das wird man ja wohl noch sagen dürfen”.
Dinge sind nicht ausdiskutiert, weil wir müde werden, sie zu diskutieren.
Es ist ein weißes Privileg, nicht über Rassismus sprechen zu müssen, weil er uns eben nicht betrifft.
Die elende Arroganz der Jugend. Als ob Rassismus mich nicht betrifft, weil ich weiß bin. Als ob ich nicht in einer Gesellschaft lebe, die in der Tat mit vielen rassistischen Einstellungen und Problemen kämpft, mit denen natürlich auch ich mich auseinander setzen muss. Als wäre “weiß sein” so ein bequemes Schutzschild gegen den Unbill der Welt – für mich, nicht für Leonie Schlick.
Dieses Privileg müssen wir ablegen. Wir müssen Rassismus sichtbar machen – auf allen Ebenen, auf denen er passiert: im Alltag, im Beruf, bei den Behörden, der Polizei – und in der journalistischen Berichterstattung.
Okay! Venceremos! Auf in den Kampf! Her mit den Belegen, Beweisen, Beispielen!
Ääähhh… ach so? Da kommen jetzt gar keine? Aufruf ja, aber Arbeitsleistung nein?
Es darf nicht sein, dass nicht-weiße Menschen ständig über ihre schmerzhaften Rassismus-Erfahrungen sprechen müssen, um zu zeigen, dass es sie gibt.
Ich war zugegebenermaßen etwas verwirrt: nun sollen nicht-weiße Menschen uns also NICHT verstärkt den Rassismus der Gesellschaft vor Augen halten? Dann dämmerte mir: das hängt wieder mit der “Rasssimus isso”-Nummer zusammen. Wenn wir alle stillschweigend hinnehmen, dass wir eine zutiefst rassistische Gesellschaft sind, dann brauchen wir darüber endlich nicht mehr zu reden. Schämen reicht.
Es ist vielleicht eine gute Stelle, um mal wieder generell zu werden und meine eigene Meinung zu dem Thema zu erklären. Ich glaube, dass gerade die Soziologie sich gerne von den USA (besonders Kalifornien) vor sich her treiben lässt. Die meisten neuen Trends in Sachen Feminismus und Minderheitenrechte kommen von dort. #metoo, black lives matter, rape culture, etc. Dabei wird übersehen, dass wir nicht nur eine andere Geschichte, sondern auch andere gesellschaftliche Strukturen haben. Dass die USA mit ihrem Rassismus hadern, ist der Sklaverei und dem daraus resultierenden hohen Anteil an BIPoC zu “verdanken”.
Die Unterdrückung in der deutschen Geschichte war nach meinem Empfinden immer weniger ein Problem der Vertreibung indigener Völker oder des Rassismus, sondern ein Klassenkampf auf politischer wie auf religiöser Ebene. Das schändliche Erbe Europas ist nicht der Rassismus (wobei Kolonialismus wieder ein ganz anderes Thema ist), sondern Adel und Kirche. Diese beiden Institutionen sind in meinen Augen für 2000 Jahre Machtmissbrauch, Unterdrückung und Ungerechtigkeit verantwortlich. Ihnen sind Millionen Tote zu zu schreiben und die Verschiebung einer möglichen Aufklärung um Jahrhunderte. Und damit sind SIE meine Gegner. Weil ich Europäer bin, und Deutscher. Black lives matter? Sicher. Aber da hierzulande die Gefängnisse nicht übervoll sind mit Schwarzen und man als PoC-Teenager nicht fürchten muss, von einem Streifencop 15 mal in den Rücken geschossen zu werden, halte ich jede deutsche BLM-Demo ehrlich gesagt für kindischen Unsinn, der sich den wirklichen Themen verweigert.
Wir 15 weißen Journalistenschüler*innen sind dabei zu lernen.
Ja. Und was ihr bisher daraus macht, erschreckt mich.
Ihr habt uns bisher nicht dabei geholfen, im Gegenteil.
Ist nicht meine Aufgabe. Aber ich tue, was ich kann. Mich würde auch mal die Struktur eures Lehrkörpers interessieren. Wie viel lernt der weiße Nachwuchs über das Leiden des schwarzen Mannes von weißen Dozenten? Care to share? Kann es sein, dass die Rassismus-Debatte in Deutschland in weiten Teilen von, mit und gegen Weiße geführt wird und die tatsächliche Belange der PoC euch so wenig scheren wie uns? Dass es nur um einen beliebigen Hebel geht, den ihr bei dem Feindbild Boomer ansetzen wollt? Dass man mit minimalen Änderungen diese Kolumne statt auf Schwarze auf Frauen, Schwule oder Übergewichtige hätte umschreiben können? Weil das Thema wurscht ist, wenn die Diskussion nur woke genug ist und euer Gefühl von Selbstherrlichkeit gestreichelt wird?
Wir wollen es anders machen als ihr.
Das höre ich immer wieder. Aber außer flammenden (na ja) Kolumnen merke ich nix.
Deshalb müssen wir weiterlernen, zuhören und Platz machen.
Aber nur in der Theorie, gelle?
Und ihr müsst das auch.
Nein. Platz mache ich, wenn ich in die verdiente Rente gehe.
Okay, Abschlussgedanken: Das hier ist letztlich auch wieder substanzfreie Selbstbeweihräucherung eines Nachwuchses, der noch nix gemacht hat, aber alles besser machen wird. Ich schwör! Es ist immer schön, wenn die “reine Lehre” sich noch nicht an den Ecken und Kanten der Realität die ersten Flecken und Schrammen geholt hat. Ich war auch mal so naiv. Mit 14. Wenn Menschen heute mit Mitte 20 noch so denken, dann liegt das vielleicht an einer gewissen Infantilisierung der Gesellschaft, der es zunehmend schwerfällt, aus den Mechanismen des Kindergartens heraus zu wachsen und nicht proklamierend, sondern faktisch Verantwortung zu übernehmen – was eben auch bedeutet, nicht an den Worten, sondern den Taten gemessen zu werden. Und die Taten, damit wir uns nicht missverstehen, sind nicht die PoC-Quoten in den Redaktionen. Am Ende geht es nicht um die Frage, ob der Journalismus diverser und damit “gerechter” wird. Es geht darum, ob er besser wird. Das sagte ich zwar schon, aber nachdem ihr auch immer nur die drei gleichen Thema umgrabt, fühle ich mich zur Wiederholung berechtigt.
Es mag sein, dass meine Generation nicht alles richtig gemacht hat. Vielleicht haben wir Themen verschlafen, gesellschaftliche Realitäten ignoriert und uns generell zu sehr auf der Speckschwarte der Konzerngewinne ausgeruht. Fangt deswegen keinen Streit mit uns an. Den werdet ihr verlieren. Es ist nun eure Zeit. Macht es einfach besser. Schade nur, dass ich normalerweise damit abschließen würde, dass die Betonung auf “besser” liegt. Angesichts dieser vier Kolumnen müssen wir aber wohl erstmal mit dem “macht” anfangen.
Ein kleiner Einwurf der vielleicht auch meinen nicht ganz perfekten Kenntnissen der englischen Sprache geschuldet ist:
“indigenous” bezieht sich in den USA beispielsweise auf die amerikanischen Ureinwohner (“Indianer”) in Australien auf die Aborigines…worauf würde sich dieser Begriff denn in unseren Breitengraden beziehen?
Oder wird das “I” in “BIPoC” dann ingnoriert weil “weiss” gewichtiger eingestuft wird?
Das I steht bei uns selbstverständlich für die Germanen.
Romani ite domum!!!
DEKLINIERE!
Ich habe mal versucht, mir das zusammenzureimen.
Der Begriff bezieht sich vermutlich auf die UN-Definition der indigenen Völker und weniger auf unser Alltagsverständnis von Ureinwohnerschaft. Ich zitiere an dieser Stelle:
Eingeführt wurde er in den 1980ern, um das Verhältnis zwischen “Ureinwohnern” und “Kolonialisten” einzufangen und sich innerhalb der UN mit Diskriminierung, etc., zwischen diesen Gruppen auseinandersetzen zu können.
In Europa sind es wohl die Samen, die die Kriterien dieser Definition noch am wahrscheinlichsten erfüllen würden, da sie a.) (im historischen Sinne) ureingeboren sind, b.) sich merklich von den dominanten Bevölkerungsgruppen unterscheiden, und c.) wohl relativ stark diskriminiert werden.
Wow, bin sprachlos. Vielen Dank!
Hipsthor: Danke für die Einordnung.
Ich weiß bei diesen Artikeln immer nicht wie ich drauf reagieren soll. Einserseits amüsiere ich mich durch deine Kommentare köstlich, andererseits wird mir von den Zitaten aus dem Originalartikel auch schlecht.
Mal rein von der Logik her.
Sie fordert mehr Schwarze in den Redaktionen, um mehr über schwarze Themen zu schreiben. Ist es nicht letzenendes beinahe rassistisch, wenn Leonie Schlick dementsprechend von Schwarzen verlangt, zuallererst übers Schwarzsein zu schreiben, anstatt über die Corona-Krise und ihre Folgen für die Weltwirtschaft, den Tod von Herbert Feuerstein oder die Schönheiten der Altmark (oder von mir aus die Schönheit von Herbert Feuerstein und den Tod der Altmark)?
Werden aus Schwarzen (ich verwende den Begriff als Pars pro toto) nicht genau dann wieder “Merkmalsträger” anstatt gleichberechtigte Kollegen?
Und wie soll das überhaupt gehen? Was könnte ein in Zülpich geborener und aufgewachsener Schwarzer, der besser Deutsch kann eine der durchschnittliche Journalistenschüler, über eine gerade aus Syrien gekommene junge Mutter und deren Situation schreiben, was nicht z.B. Leonie Schlick auch schreiben könnte?
Vielleicht ist es ganz gut, dass diese Serie hier erstmal endet. Es gibt dieses Bild von der Taube, die übers Schachbrett stolziert, nachdem sie die Figuren alle umgeworfen hat. Du weißt, dass du gegen eine Taube spielst, spielst aber trotzdem immer einen ausgefeilten Panow-Angriff.
“Wenn die Berichterstattung über die rassistischen Verbrechen des NSU die Opfer und Angehörigen kriminalisiert und rassistische Stereotype reproduziert.”
Da hat sie leider recht. Schon vergessen, daß die NSU-Morde lange nicht als Nazi-Terror sondern als “Döner-Morde” fungierten und Polizei und Presse die Täter in ominösen Mafia-Strukturen aus der Türkei/Kurdistan oder sonst woher suchten? Und daß in diesem Zusammenhang zunächst einmal die Opfer und ihre Angehörigen die Verdächtigen waren.
Ahhh, so war das gemeint. Ich hatte den Satz so interpretiert, dass in der Berichterstattung über den NSU rassistische Merkmale bedient wurden, also nach deren Verhaftung. Vor der Verhaftung gebe ich dir (und damit der Autorin der Kolumne) Recht: die Mordserie wurde mit unangenehmen Klischees boulevardisiert. Ich tue mich aber trotzdem schwer damit, das als Zeichen einer rassistischen Gesellschaft zu sehen.
Tatsächlich sind Frauen, Behinderte und Minderheiten unterrepräsentiert und sollten mehr inkludiert werden in relevanten Positionen. “Erst wenn eine völlig inkompetente Frau in hoher Führungsposition tätig ist, ist die Gleichstellung erreicht.”
Die Berichterstattung über Araberklans und Shishabars erschafft ein dermaßen widerliches Zerrbild. Unter anderem deswegen haben bereits rechtsextreme Amokläufer Menschen mit Migrationshintergrund ermordet. 9 Tote in und vor Shishabars in Hanau Anfang des Jahres und als vor einem Jahr die Tür der Synagoge dem Attentäter standhielt, sagte dieser in seinem Helmkamera-Livestream der Tat bei der Suche nach einem neuen Ziel: “Döner nehme’r”.
“Tatsächlich sind Frauen, Behinderte und Minderheiten unterrepräsentiert und sollten mehr inkludiert werden in relevanten Positionen.” – eine Aussage, der niemand widersprochen hat.
Ich unterstelle diesen angehenden Journalist*innen, deren Werke Gegenstand der Boomer-Reihe waren, wohlwollend, dass sie das Herz am rechten Fleck haben – aber gegenwärtig noch mehr Eifer als Verstand.
Ich würde das gerne unterstellen, aber mit der Sorge um die Minderheiten schleicht sich da derart viel Hass auf “die da oben” ein, dass man sich fast schon wieder bei einer Studenten-Hipster-Version von PEGIDA wähnt.
Was mich an dieser Beitragsreihe am meisten schockiert, ist dass solche Gedanken aus der Journalismus-Schule kommen; d.h., das junge Menschen, in ihrer geringeren Lebenserfahrung die Welt verändern wollen, haben wir seit Anbeginn der Menschheit, aber sollte eine Schule nicht diese Gedanken formen und ihnen die nötigen Werkzeuge mit auf den Weg geben, um diese Gedanken stringend ausformulieren zu können?
Kurz gesagt, was macht der Lehrkörper dieser Schule? Die Lehrer scheinen mir keine gute Arbeit zu leiten, oder ihrer eigenen ideologischen Verblendung zu folgen. Dass Torheit der Fehler der Jugend ist, ist verständlich. Der Mangel diesen Menschen allerdings Rhetorik, Recherche, Rationalität beizubringen, ist mir nicht verständlich.
Es ist erschreckend, was heutzutage als Journalismus durchkommt. So wenig ich von der taz halte, die Habibi-Kolumnen wären vor fünfzehn Jahren noch unmöglich gewesen.
Und da eine kleine Kritik an deinen, im großen und ganzen, guten Repliken zu den Beiträgen der Journalismus-Schule: In gewisser Weise mag ich es nicht, dass du den “Bait” aufnimmst und deren Narrative von Generationskonflikt aufnimmst. Ich kenne eine große schweigende Mehrheit junger Leute, die bei den typischen wokefaseln die Augen rollt.
Es ist kein Generationskonflikt , sondern ein Ideologiekonflikt. Dass eine versimplifizierte, infantile Gut-Böse Rhetorik, eine tribalisierende In-Group/Out-Group-Denke so um sich greifen konnte, das sie als übergreifend für “Generationskonflikt” verkauft werden kann ist erschreckend. Vielleicht aber auch verständlich in einer Welt, in der Baseballkappen an erwachsenen Männern, und Superheldenhaudrauf das cineastische Geschehen beherrscht. Eine einfaches Schwarz-Weiß-Weltbild scheint also sehr grob gesagt, medial überpräsent zu sein. Wokeness erscheint mir nur als eines der Auswüchse dieses gesamten gesellschaftlichen Problems zu sein.
Es auf Generationen zu schieben ist nicht förderlich. Man könnte sagen, die älteren Generationen haben versagt, eine nuancierte Weltsicht zu vermitteln. Das ist die eigentliche Aufgabe der Lehrer. Das Händereichen, damit wir weiterhin auf den Schultern von Giganten stehen können. Jede Generation braucht die Hilfe der anderen Generationen, niemand steht alleine da. Die holprig-ausgedrückte Wut darüber, dass die jüngeren Generationen verbrannte Erde vorfindet, wohin sie auch gehen, sehe ich als berechtigt an. Als kleine Anekdote dazu, wenn du schreibst, dass du als Praktikant des Gongs 2000 Mark bekommen hast – das halte ich in unserer heutigen Welt für ein Privileg, dass heutzutage nicht mehr Gang und Gäbe wäre. Da ist von Praktikanten volle Leistung gefordert, ohne viel mitzugeben – sei es finanziell, oder in stilistischen Ratschlägen.
Daher wünsche ich mir etwas mehr Verständnis, dass die Welt der 90er eine etwas andere war, eine Dankbarkeit dafür, dass viele Tore, die früher den mutigen Wanderer offenstanden, heute verschlossen sind.
Zurück zum Ideologiekonflikt. In der woken Ideologie steckt soviel naiver Rassismus, dass es mir weh tut. Der Begriff PoC _ist_ rassistisch.
Fragt man einen Tamazight was er von einem Araber hält, einen Hindu, was er von einem Moslem hält, oder einen Kurden, was er so über Türken hält und man bekommt tausend verschiedene Ansichten und Lebenswelten, die sich alle unterscheiden. Nur um ein Feindbild aufzubauen, des bösen Weißen, ohne Verständnis für die Kämpfe und Probleme, derjenigen, die man glaubt zu unterstützen. Es ist naiv, blauäugig und gefährlich. Jedes Mal wenn ich wokeness lese, denke ich an folgendes.
Wokeness ist das “white man’s burden” des frühen 21 Jahrhunderts.
So sollte man auch mit diesen, stets von anderen amerikanischen Schriftstellern, nie selbst erdachten “Gedankengängen” umgehen. Einer der wenigen Fälle, wo freudianische Psychoanalyse noch aktuell ist. Projektion vom feinsten. In Industrial Society and It’s Future schrieb Ted Kaczinsky (das ist keine Gutheißung seiner Taten, falls dies jemand falsch verstehen möchte) über den Inferiority Complex der Weltverbesserer. Es wäre zu weit alles zu zitieren, aber ich glaube diese Absätze treffen das Problem sehr gut:
When someone interprets as derogatory almost anything that is said about him (or about groups with whom he identifies) we conclude that he has inferiority feelings or low self-esteem. This tendency is pronounced among minority rights activists, whether or not they belong to the minority groups whose rights they defend. They are hypersensitive about the words used to designate minorities and about anything that is said concerning minorities. The terms “negro,” “oriental,” “handicapped” or “chick” for an African, an Asian, a disabled person or a woman originally had no derogatory connotation. “Broad” and “chick” were merely the feminine equivalents of “guy,” “dude” or “fellow.” The negative connotations have been attached to these terms by the activists themselves. Some animal rights activists have gone so far as to reject the word “pet” and insist on its replacement by “animal companion.” Leftish anthropologists go to great lengths to avoid saying anything about primitive peoples that could conceivably be interpreted as negative. They want to replace the world “primitive” by “nonliterate.” They seem almost paranoid about anything that might suggest that any primitive culture is inferior to our own. (We do not mean to imply that primitive cultures ARE inferior to ours. We merely point out the hypersensitivity of leftish anthropologists.)
12. Those who are most sensitive about “politically incorrect” terminology are not the average black ghetto- dweller, Asian immigrant, abused woman or disabled person, but a minority of activists, many of whom do not even belong to any “oppressed” group but come from privileged strata of society. Political correctness has its stronghold among university professors, who have secure employment with comfortable salaries, and the majority of whom are heterosexual white males from middle- to upper-middle-class families.
13. Many leftists have an intense identification with the problems of groups that have an image of being weak (women), defeated (American Indians), repellent (homosexuals) or otherwise inferior. The leftists themselves feel that these groups are inferior. They would never admit to themselves that they have such feelings, but it is precisely because they do see these groups as inferior that they identify with their problems. (We do not mean to suggest that women, Indians, etc. ARE inferior; we are only making a point about leftist psychology.)
Das ist alles gut und richtig, auch die Beobachtungen von Kaczynski. Ich habe in anderen Kommentaren bereits geschrieben, dass ich die strikte Einordnung als Generationenproblem ebenfalls ablehne. Allerdings scheint es zumindest tendenziell ein solches zu sein – vergleichbar mit dem Zusammenstoß der Jugend und der Kriegs/Eltern-Generation Ende der 60er. Das war damals auch nur eine Minderheit der jungen Leuten (meine Eltern z.B. haben davon nix mitbekommen), aber dennoch standen/stehen sie für einen Zeitgeist.
Mich schockiert an diesem Nachwuchs vorallem mit welcher Selbstverständlichkeit sie gleichzeitig an dem Ast sägen auf dem sie sitzen und die Hand beissen, die sie füttert. Die müssen ja gut situierte Eltern haben…wohl auch kein allzu erwähnenswertes Privileg, wobei vom “Privilegien checken” hab ich jetzt schon ein paar Wochen nichts mehr gelesen
Ich könnte jetzt schon nicht mehr sagen, worin sich die vorherigen Texte von diesen hier unterschieden. Weil es so furchtbar unkret ist.
Wir finden, die Branche muss sich ändern. Warum, das wissen wir selber nicht so richtig. Aber Wir machen das. Fangt ihr bitte an!
Mich erinnert das so sehr an die Feminismus- und PoC-Kolumnen von Axel Schmitt auf Serienjunkies vor einigen Jahren. Der lieferte dann irgendwann sein Highlight, indem er drei Seiten lang polterte, Männer sollten beim Thema Feminismus doch einfach den Mund halten und die Frauen reden lassen. Das hätte ein Niveau von Realsatire, da müssen die weißen privilegierten Jungjournalisten hier noch etwas üben, aber sie sind auf nem guten Weg.