10
Okt 2020

My City, my Law: Marshal Wortvogel

Themen: Neues |

Ich berichte immer wieder darüber, dass ich mich auf Streits und Diskussionen mit Leuten einlasse, die es provozieren. Ich weiß, dass das weder für meinen Blutdruck noch für meine Reputation günstig ist. Aus diesem Grund versuche ich in letzter Zeit sehr bewusst, mich nicht in Sachen einzumischen, die mich zwar ärgern, aber nichts angehen.

Es gelingt mir eher so mittel.

Gerade komme ich vom Einkaufen und musste gleich dreimal korrigierend in den Tagesablauf meiner Umwelt eingreifen:

  • In der Metzgerei wollte eine Verkäuferin eine nicht sichtbar benachteiligte Kundin vorwinken, die sogar explizit darauf hinwies, dass eigentlich ich an der Reihe sei. Ich bestand darauf, nicht nach hinten verschoben zu werden und bemerkte zum Abschied süffisant, dass die Verkäuferin es beim nächsten Einkauf auch ruhig wieder mit einem Lächeln versuchen dürfe.
  • Vor dem Drogeriemarkt wartete ein Rentner in seinem Renault stur darauf, einen Parkplatz direkt vor dem Eingang zu bekommen – und blockierte damit einen Parkplatz direkt neben seinem Wagen. Nachdem drei Autos genervt vorbei gefahren waren, weil er nicht reagierte, klopfte ich an sein Fenster und forderte ihn recht ultimativ auf, entweder den vorhandenen Parkplatz zu nehmen oder die Durchfahrt freizugeben.
  • Im Drogeriemarkt lief eine Mutter mit ihrer ca. 6jährigen Tochter ohne Maske rum. Das konnte ich ignorieren, die war weit genug weg. Aber als mir der Typ an der Kasse hinter mir bis 5 Zentimeter auf die Pelle rückte, um seine Ware schon mal aufs Band zu legen, drehte ich mich dann doch um: “Hallo? Sozialer Abstand gilt auch für Sie”. Mangels Rechtfertigung grummelte er was Unverständliches, woraufhin ich noch einmal sehr deutlich wurde: “Abstand. Jetzt.”

Die Pointe: All das wollte ich gar nicht erzählen – es ist mir nur dazwischen gekommen. Erzählen wollte ich ein Erlebnis von gestern, als ich mit dem Roller auf der Bundesstraße 304 Richtung München unterwegs war. Ich auf der rechten Spur, ein Renault (?) auf der linken Spur. Wegen der ungünstigen Ampelschaltung hüpfen wir gemeinsam von Ampel zu Ampel. Dabei fällt mir auf: Der Fahrer hat die BILDzeitung auf sein Lenkrad gelegt, mit beiden Daumen fixiert und liest entspannt – während der Fahrt.

Der Typ. Liest. Im Auto. Zeitung. Während. Der Fahrt.

Kein Wunder, dass seine Spursicherheit so begrenzt ist wie seine Reaktionszeit an der Ampel. Freundlicherweise hat er aber das Beifahrer-Fenster auf, also erlaube ich mir beim nächsten Stopp einen jovialen Hinweis so von Verkehrsteilnehmer zu Verkehrsteilnehmer:

“Hey! Zeitung beim Fahren lesen? Geht’s noch?!”

Er fühlt sich sichtlich ertappt, schaut sich unsicher um, weist dann auf die Ampel:

“Ist doch rot.”

Verarschen kann ich mich selber, deshalb:

“Sie haben während der Fahrt Zeitung gelesen! Ich wiederhole mich: Geht’s noch?!”

Er tut – nichts. Er weiß nicht, was er tun soll. Ausrede hat er keine und ich bin ja kein Polizist, der ihm irgendwas könnte. Also starrt er nun stumm auf die Ampel, die BILD immer noch auf dem Lenkrad. Ich leiste Entscheidungshilfe:

“Ich denke, ich werde das mal fix protokollieren.”

Kaum ziehe ich mein Smartphone raus, fliegt die Zeitung eilends auf den Beifahrersitz.

Glaubt ihr nicht?

Im Flug erwischt.

Natürlich wird das nix ändern. Natürlich wird der Typ morgen wieder den gleichen Unsinn machen. Aber ich bin wenigstens kein Enabler und mache das Maul auf. Faust in der Tasche ist auch nicht gut für den Blutdruck.



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dermax
dermax
10. Oktober, 2020 14:05

I hear you, mir fallen aktuell vermehrt die Vollpfosten mit Handy aufm Radl auf…

Martzell
10. Oktober, 2020 14:14

Mal schauen wo sich das hin entwickelt: Leute anmachen die beim auto fahren in der Nase popeln, bei rot über die Ampel gehen, Handy ans Ohr halten beim fahrrad oder auto fahren, Kinder die auf dem Gepäckträger mitfahren (unter Strafe verboten [zumindest in Hannover]).

Übrigens muss man mit Saisonkennzeichen Punkt 24 Uhr das Auto wechseln. Das bedeutet Nachtschicht wenn das Auto weit weg untergestellt ist. Das Schild „Inliner erlaubt“ am Maschsee Hannover bedeutet man darf nirgends in der Stadt inliner fahren, nur da wo das Schild aufgestellt ist. Das unterscheidet das obrigkeitshörige Deutschland von anderen Nationen: alles verboten es sei denn explizit erlaubt. Sicherheitshalber sollte man nachfragen ob erlaubt. Sicherheitshalber wird es einem daraufhin nicht erlaubt, wenn keine Regelung vorhanden.

Galaktika
Galaktika
10. Oktober, 2020 15:46
Reply to  Martzell

Die Mär vom “obrigkeitshörigen Deutschland” und den gar so anderen anderen ist dermaßen ermüdend.

Nur mal aus Interesse: Du findest es also o.k., wenn jemand im Straßenverkehr sein Handy ans Ohr hält oder wie in diesem Fall eine Zeitung liest?

Und, als Denkanstoß: Inlinerfahren ist fast überall erlaubt. Ich weiß das, bin Speedskater. Nur kommt es manchmal darüber zu Diskussionen, und da find ich so ein Schild, dass den Nicht-Speedskatern mitteilt, dass ich da tun darf, was ich tue, sehr nett. Daraus strickst du eine Story, die einfach nicht stimmt: Das heißt eben nicht, dass es überall sonst verboten ist.

Aber wenn es zu deiner Pose als cooler Outlaw gehört, das so zu sehen, dann hast du natürlich Recht.

Dietmar
11. Oktober, 2020 21:57
Reply to  Galaktika

Weil ich diesmal nicht betroffen bin: “Aber wenn es zu deiner Pose als cooler Outlaw gehört, das so zu sehen, dann hast du natürlich Recht.” Es kann durchaus sein, dass ein Diskussionspartner solche Einlassungen als unnötig provozierend auffasst.

Galaktika
Galaktika
11. Oktober, 2020 22:18
Reply to  Dietmar

Wenn du nicht betroffen bist: Warum lässt du mich dann meine Worte nicht so wählen, wie ich Sie wählen will?

Du hast etwas Mimosenhaftes an dir, was unangenehm wird, weil du selbst nicht allzu zimperlich bist beim Griff in die rhetorische Kiste.

Ignorier mich bitte einfach, ich tu es mir dir auch. Das mit uns wird nichts mehr.

Dietmar
11. Oktober, 2020 22:29
Reply to  Galaktika

Warum lässt du mich dann meine Worte nicht so wählen, wie ich Sie wählen will?” Lass´ ich doch. Wo verbiete ich es Dir denn?

“Du hast etwas Mimosenhaftes an dir” Eigentlich bist Du es ja, der sich ständig beklagt; war bei unserem letzten Disput auch so.

“weil du selbst nicht allzu zimperlich bist beim Griff in die rhetorische Kiste.” Ein Satz, Galaktika! Ein einziger Satz: Du könntest Dir ausmalen, wohin Du Dir Deine Enttäuschung über mich stecken könntest. Der ist es, über den Du stolperst.

“Ignorier mich bitte einfach” Aber gerne doch.

“Das mit uns wird nichts mehr.” Stimmt. Ich komme besser mit Menschen klar, die in der Lage sind, mit vorsichtig formulierter Kritik umzugehen.

Dietmar
11. Oktober, 2020 23:07
Reply to  Torsten Dewi

Das siehst Du falsch, meine ich, und ich verstehe nicht, was dieses Bild bei Dir erzeugt. Aber jedes weitere Wort wäre dann wohl zu viel, wenn Du es so siehst. Ist ja Dein Blog.

Galaktika
Galaktika
12. Oktober, 2020 10:12
Reply to  Torsten Dewi

Ich denke, die aktuelle Situation im Lande und drumherum geht so ziemlich jedem auf die eine andere Art und Weise an die Nieren. VIelleicht wäre es an der Zeit, die Goldwaage für eine Weile auf den Speicher zu bringen. Ich erneuere mein Friedensangebot von neulich und habe keine Lust auf Streit. Wenn streiten, dann mit jemandem, dessen Ansichten mir echt zuwider sind. Das ist bei dir, Dietmar, nicht ansatzweise der Fall. Von meiner Seite bedaure ich die Schärfe, die da reingekommen ist ebenso wie die Abkehr vom eigentlichen Thema – so es denn es denn überhaupt eine ist 😉

Dietmar
13. Oktober, 2020 12:34
Reply to  Torsten Dewi

Das Problem ist, dass es keine Möglichkeit gibt, diesem paradoxen Vorwurf zu entkommen: Antworte ich, ist es per default falsch, antworte ich nicht, habe ich verloren. Nichts an meiner Replik war irgendwie aggressiv, passiv-aggressiv, streitsüchtig oder sonst etwas. Meine Bemerkung @galaktika gegenüber war lediglich der Versuch, unabhängig von mir als Person und unserem Disput klarzumachen, was in meinen Augen unnötig provozierend ist.

Alles das, was ich gerade geschrieben habe, schrieb ich in besten Absichten, bester Gesinnung, oder wie man das bezeichnen kann. Und trotzdem habe ich das Gefühl, nur Munition geliefert zu haben. Das ist mir ehrlich unverständlich.

Ich mache an dieser Stelle dann mal einen Punkt dadrunter.

Nepomuk
Nepomuk
10. Oktober, 2020 14:57

Planst du grad Schlimmes,
gar Schandtat, bloß Mogel…
Blicke vorher gen Himmel.
Dort kreist er: Wutvogel!

Schöne Entwicklung. Fight the good fight!

Comicfreak
10. Oktober, 2020 17:55

.. Boah, ich fang auch schon so an.
Ich hab dem OB gesteckt, in welchen Geschäften das ordnungsamt doch bitte mal die Einstellung der Mitarbeiter zu Masken überprüfen soll

Baumi
11. Oktober, 2020 19:26

So, wie Du es beschreibst, kann ich alles nachvollziehen bis auf Eines:

bemerkte zum Abschied süffisant, dass die Verkäuferin es beim nächsten Einkauf auch ruhig wieder mit einem Lächeln versuchen dürfe.

Das klingt für mich wie unnötiges Nachtreten. Die Kunden in der richtigen Reihenfolge abzuarbeiten, gehört zu ihrem Job als Verkäuferin. Wenn sie das nicht korrekt macht, ist es völlig in Ordnung, sich zu beschweren. Ob sie dabei lächelt oder nicht, ist hingegen erstmal ihre Privatsache, oder maximal etwas, das sie mit ihrem Arbeitgeber auszumachen hat. Wäre sicher besser fürs Geschäft, ist aber trotzdem nichts, was die Kunden zu entscheiden haben.

Und vor allem, wenn der Tipp mit dem Lächeln “süffisant” kommt, hat er damit einen Subtext in Richtung “Bäh, ich hab’ gewonnen und du hast verloren”. Souveräner hätte ich es gefunden, wenn Du auf Deinem Recht bestanden, die Sache aber danach auf sich beruhen gelassen hättest.

(Es sei denn natürlich, die Verkäuferin hätte den Konflikt zwischendrin wiederum irgendwie eskaliert – aber das ging zumindest aus Deiner kurzen Beschreibung nicht hervor.)

Ist aber natürlich auch wieder nur meine Meinung – you do you.

Was den Rest der geschilderten Vorfälle angeht, kann ich mir nur den Doors anschließen: People are strange.

Baumi
12. Oktober, 2020 00:03
Reply to  Torsten Dewi

Stimmt. Das klingt nach unnötiger Eskalation durch die Verkäuferin, und da kann ich Deine Reaktion dann auch besser nachvollziehen.

Dietmar
11. Oktober, 2020 21:51

Eines der schönen Dinge meines nun geregelten Arbeitslebens und den damit verbunden Arbeitszeiten, die für Arbeitnehmer normal sind, ist, dass ich morgens einen Teil meiner Strecke mit meiner BEFva (“LvA” ist schon vergeben und ich bin Kishon-Fan) auf den Fahrrädern zurücklegen kann. Ich habe 11 km, meine BEFva 5, die wir gemeinsam plaudernd fahren; rosamunde-pilcheresque.

Jedenfalls fahren wir also zwischen dem malerischen Kloster und dem im Morgennebel liegenden Klostersee auf dem gemeinsamen Fuß- und Radweg. Eine Fußgängerin in gleicher Bewegungsrichtung wie wir vor uns. Ich lasse mich hinter BEFva zurückfallen, sie fährt an der Frau vorbei. Kaum ist sie vorbei, geht die Frau mit einem Ausfallschritt nach links. Zu spät zum Bremsen. Ich will nach links über die Wiese ausweichen. Der unter dem Gras verborgene Randstein ist dagegen. Wegen des spitzen Winkels nutzen auch die fetten Reifen nichts, Vorderrat bleibt hängen, rutscht nach rechts ab während sich meine träge Masse behende über den Lenker schwingend kopfüber in die Grasnarbe zu bohren versucht. Zwar wollten mich meine katzenhaften Reflexe abrollen lassen, was in der Regel auch ganz gut geht, aber der volle Rucksack beeinflusste sowohl die Flugeigenschaften negativ als auch die Abrollmöglichkeiten. Also schlug ich mit einem formvollendeten Hechtsprung kopfüber auf der Wiese auf.

Die Frau ergriff mein Fahrrad, um es hinzustellen. Ich bat sie freundlich mit brummendem Schädel, das zu lassen. Daraufhin empörte sie sich: “Ich will doch nur helfen! Was ist das denn?!” und so weiter. Sie sah sich nicht als Ursache meines Sturzes und trollte sich des Weges.

Nach einem normalen Arbeitstag meinte ich abends, mir würde der Schädel platzen. Also Krankenhaus. Schädel-Hirn-Trauma, Krankschreibung.

Ich hätte sie anmaulen sollen.

Last edited 3 Jahre zuvor by Dietmar
Jürgen
Jürgen
11. Oktober, 2020 22:12
Reply to  Dietmar

Du kommst mir manchmal wie der deutsche Larry David aus Curb your Enthusiasm vor.
Du stolperst in die absurdesten Alltagssituationen und musst deinen Senf dazugeben.
Am Schluss bist du aber immer der dumme.

Dietmar
11. Oktober, 2020 22:22
Reply to  Jürgen

Du kommst mir manchmal wie der deutsche Larry David aus Curb your Enthusiasm vor.” Sagt mir nichts, kenne ich nicht.

“Du stolperst in die absurdesten Alltagssituationen und musst deinen Senf dazugeben.” Welche sollten das denn sein? Dass eine Fußgängerin unvorhergesehen die Richtung wechselt und ein Fahrradfahrer dadurch stürzt ist ja nun nicht absurd zu nennen. Und wie gebe ich meinen Senf dazu, wenn ich selbst betroffen bin? Das Sprichwort hebt ja darauf ab, dass jemand etwas ungefragt und unbetroffen kommentiert. Habe ich ja nicht. Ich habe hier nur davon erzählt, weil es passt. Ich hätte auch von einem Mordversuch erzählen können, der kürzlich in meinem Arbeitsumfeld stattfand. Ist spannender – passt hier aber nicht.

“Am Schluss bist du aber immer der dumme.” Verstehe ich auch nicht so richtig. Ich bin immer (!) der Dumme? Im Alltag? Nein, kann ich nicht finden, entspricht nicht der Realität.

Schon spannend, was manchen Menschen so durch den Kopf geht.

comicfreak
11. Oktober, 2020 23:04
Reply to  Dietmar

Geht es dir wieder besser?
Falls nicht: *PUST*
Jetzt?
Fühl dich gedrückt.

Dietmar
11. Oktober, 2020 23:16
Reply to  comicfreak

Danke 🙂

Ist schon zwei Wochen her, aber erst jetzt passte die Geschichte so einigermaßen. Zwei Tage Ruhe, dann war es überstanden.

Und, ganz wichtig: LG

Last edited 3 Jahre zuvor by Dietmar
Jake
Jake
12. Oktober, 2020 15:44

Immer wieder eine Freude, Deine “Wutvogel”-Geschichten zu lesen. Ich hoffe inständig, dass Du nicht irgendwann mal an den Falschen gerätst, der Dir Dein Gefieder rupft!

Lothar
Lothar
14. Oktober, 2020 21:00

> Faust in der Tasche ist auch nicht gut für den Blutdruck.

Moped-Fahren mit Faust in der Tasche ist auch nicht die richtige Art am Straßenverkehr teilzunehmen.

Martin Däniken
Martin Däniken
25. Oktober, 2020 21:37

warum muss ich bei diesen Geschichten immer an unsere Vorfahren und das Treffen am Wasserloch denken…und das wir uns irgendswie öffentliche kopulieren und hals-um-drehen etwas modifiziert haben?!
Vince Ebert hatte mal sowas im Programm.
Heute braucht dem Gegenüber nur was zu “husten” um Situaritionen entgleisen lassen können (zu wollen)…
Die Frage ist generell ob und wie zivilisiert man stressige/gefährlich (wahrgenommene) Begegnungen angeht und/oder verarbeitet?

  1. Wir alle sind nicht perfekt aber mancheiner ein perfektes A….l….(was uns nich exkludiert, nur in unserer Wahrnehmung 😉
  2. Wir möchten denken das unsere Perspektive,die einzige richtige ist!
  3. Stress führt zum Tunnelblick
  4. Wir sind zeitweise ? übererfordert mit den Anforderungen an unsere Steinzeitgehirne!

Ob die Zukunft Möglichkeiten bereithält unsere Urtriebe im Zaum zuhalten…
Evtll zwangsweise weil menschliche Vernunft sonst nicht durchsetzbar ist?!