16
Sep 2020

Hotelgeschichten

Themen: Neues |

Ich habe – über den Daumen gepeilt – 300 Reportagen in den letzten zwölf Jahren produziert. Vor Ort, immer mit einem Fotografen, manchmal noch mit einer Stylistin (für Food & Deko), dazu mit einer Engelsgeduld und der Bereitschaft, spontan als Kamera-Assi oder Fahrer oder Caterer auszuhelfen. Schließlich habe ich on location den einfachsten Job, denn der Redakteur muss erst hinterher an der Tastatur schwitzen. Oder wie es die Nazis ausgedrückt hätten: Ich bin ein Arbeiter der Stirn und nicht der Faust.

Die Rumreiserei hatte zwangsläufig zur Folge, dass ich in vielen Mietwagen gesessen und in vielen Hotels geschlafen habe. Autotests liegen mir nicht, also kam ich auf die Idee, euch mal ein paar Abenteuer aus dem deutschen Hotel & Gaststättengewerbe zu erzählen. Ich anonymisiere die Häuser allerdings, weil ich Unterhaltung und keinen Streit suche.

Aus gegebenem Anlass verweise ich vorab noch mal auf dieses Hotel-Erlebnis in Osterwieck, das ich seinerzeit separat gewürdigt habe.

Grundsätzlich gilt: 95 Prozent der besuchten Hotels der letzten 12 Jahre waren okay bis sehr prima. Aber es gibt immer Ausnahmen. Reisen wir also zurück in die Zeit. Da war zum Beispiel das Hotel, das gar keins war. Ein Reportagepartner hatte uns nämlich großzügig Fremdenzimmer in seinem gemütlichen Bauernhof im Sauerland angeboten. Als wir zwei Monate später vor Ort ankamen, hatte sich die Situation allerdings drastisch verändert: Den Hof hatte er mittlerweile verpachtet, er lebte nun in einer stillgelegten Jugendherberge aus den 70ern, die er aus Kostengründen auch nicht heizen mochte. Es war Dezember. Grummelig (er hatte mittlerweile wohl jede Lust an der Reportage verloren) wies er uns Vierbett-Zimmer zu, deren Temperaturen locker unter dem Gefrierpunkt lagen und bei denen man zur Notdurft in eine Gemeinschaftsdusche gehen musste. Durch lange Flure, in denen es kein Licht gab.

Das konnte ich mir vielleicht zumuten – nicht aber meinem Fotografen, der als Freiberufler keinen Grund hatte, derart karg und kalt zu nächtigen. Ich bot ihm an, in der Nähe in einem gehobenen Landhotel einzukehren, das ich zufällig kannte. Er lehnte ab: "Das ziehen wir jetzt durch – ist ja nur eine Nacht". Es wurde sehr frostig, aber dank der Decken aus den anderen Stockbetten konnte ich mich bis auf die Nasenspitze einmümmeln. Und ich gestehe: ich habe lieber im Zimmer ins Waschbecken gepinkelt, als mitten in der Nacht durch die dunklen Gänge zu wandeln auf der Suche nach einer Toilette.

Die Reportage selbst verlief nur mäßig freundlich, wurde aber dennoch ganz gut.

Es ist ja nicht so, dass der Verlag nicht für anständige Hotels zahlen würde. Generell bevorzuge ich die großen Ketten wie Motel One und Ibis, weil ich da weiß, was mich erwartet – und das Vertraute wirkt gerade auf fremdem Territorium beruhigend. Aber mitunter ist man in der Provinz, wo nicht mal die Motelketten ansiedeln möchten, und muss sich behelfen. So war mal eine Reportage im tiefsten Winter in einem kleinen mittelalterlichen Städtchen an der ehemaligen Grenze zwischen BRD und DDR geplant. Ich fuhr am Vorabend mit dem Fotografen los, was schon eher suboptimal ablief: schwerer Schneefall verlängerte die Fahrtzeit von fünf auf über acht Stunden, teilweise ging es über Land, stecken gebliebene LKW blockierten die Straßen, die Laune tendierte eher zum Durchschnitt. Wir kamen irgendwann an einer Fabrik für Gartenzwerge vorbei.

Die Redaktion hatte zwei Zimmer in einer kleinen Pension gebucht und ich bin erfahren genug um zu wissen, dass solche Häuser oft keine nächtens besetzte Rezeption bieten. Weil ich mich bei der Fahrt schwer konzentrieren musste, ließ ich den Fotografin bei der Chefin anrufen (aka LvA), damit sie vor Ort Sorge trage, dass wir auch in die Zimmer kämen. Die Rückmeldung: nach 20.00 Uhr sei alles zu, aber an der Tür hinge ein Zettel mit einer Telefonnummer, die wir anrufen könnten.

Irgendwann um 23.00 Uhr kamen wir endlich und ziemlich gerädert in dem durchaus pittoresken Ort an und fanden die "Pension Gabriela" (Name von der Redaktion leicht geändert) wie angekündigt verschlossen und verzettelt vor. Einen kurzen Anruf später hieß es wie bei einer Hotline: bitte warten. Irgendwann tauchte dann eine junge Frau auf, die sich offensichtlich nur schnell einen Mantel über die bequemen Feierabend-Klamotten gezogen hatte. Sie händigte uns die Schlüssel für die Haustür und die Zimmer aus. Gegen Mitternacht konnten wir endlich die spartanischen, aber ausreichenden und beheizten Zimmer beziehen.

Die Reportage wurde zwar kein Highlight, füllte aber ausreichend Seiten im Heft.

Mein Besuch bei Strohhutmacher in der Schweiz lief ähnlich, aber unter anderen Vorzeichen ab. Es gibt eine softe Obergrenze für das, was unsere Hotels kosten dürfen. Gerne weniger, nur nach Rücksprache mehr. Die Teamassistentinnen, die Teile unserer Reportagen planen, wissen das und suchen die Hotels entsprechend aus. Was aber wohl nicht hinlänglich bekannt war: in der Schweiz ist alles teurer als in Deutschland. Das bedeutet im Umkehrschluss: ein Hotel, das in der Schweiz für unser Budget zu haben ist, entspricht voraussichtlich nicht ganz dem deutschen Standard.

Und so dachte ich erst, der Navi wäre falsch programmiert, als er uns vor einen ca. 12stöckigen, versifften Plattenbau aus den 60ern steuerte, in dessen Erdgeschoss sich eine Pizzeria befand. Mangels Alternativen fragte ich in dem Restaurant nach, wo denn hier in der Nähe das Hotel sei. Ich wurde beschieden, dass ich – doch doch – an der richtigen Adresse wäre. Der Mietbunker war wohl vor Jahren zu einem (für schweizer Verhältnisse) sehr preiswerten Handwerker/Trucker-Hotel umgerüstet worden. Man händigte uns schrabbelige Schlüssel aus und wir fanden uns in einer Absteige, die mit "einfach" noch überbewertet beschrieben wäre. Der Rest der Gäste; vornehmlich Handwerker und Schwarzarbeiter aus Osteuropa, die mit 5 Kilo-Eimern Kartoffelsalat in ihren Zimmern verschwanden. Internet? Nicht in diesem Etablissement. Als die LvA später versuchte, mich anzurufen, nahm der "Rezeptionist" (also der Kellner der Pizzeria) das schnurlose Telefon und klopfte einfach an alle Zimmertüren, bis er mich fand.

Selbstredend, dass es an diesem Tag über 30 Grad hatte und das Zimmer keine Möglichkeit zur Kühlung bot. Das Frühstück am nächsten Tag war es auch echt wert, stehen gelassen zu werden.

Wenigstens für diese Reportage hatte es sich gelohnt – saucoole Nummer:

(Copyright Liebes Land 2014. Foto: Johannes Geyer)

Sprach ich eben übrigens von Absteige? Der Begriff ist ja eher rotlichtig besetzt und auch da gibt es eine Anekdote. Wir reisten 2018 durch die Heimat von Harald Schmidt auf der Suche nach einer Dame mit Schokoladenexpertise. Das Sekretariat hatte uns wieder eine Pension gebucht, die nach außen nicht so aussah, als könne man hier die Nacht in Ruhe verbringen. Aber doch doch – im zugehörigen Restaurant erwartete man uns bereits und wies uns an, den vor der Tür geparkten Firmenwagen im Hof des Hauses zu parken. Da sei "um diese Uhrzeit vermutlich noch Platz".

Warum um diese Uhrzeit? Das zeigte sich kaum zwei Minuten später, als wir im Hinterhof ankamen. Der lag etwas niedriger als die Vorderfront des Hauses und damit an einer Seite in der Höhe des Untergeschosses. In diesem Untergeschoss befand sich, was nach bester Auslegung der Fakten ein fragwürdiger Strip-Club war, eventuell aber auch der Dorfpuff. Neben dem kuschelig dekorierten Eingang gab es einen Glaskasten mit den momentan verfügbaren Damen des Hauses:

Nun gut, das war mir eher wurscht, so lange es zur Nacht nicht laut zu werden drohte. Die LvA mahnte mich, mir in dem Schuppen kein Bier zu holen, was ich dergestalt beantwortete:

"In dieser Sorte Lokal bringt man mir das Bier aufs Zimmer – und die liefernde Dame kann ich gleich auch da behalten."

Tatsächlich alles Schall und Rauch – es blieb ruhig und außerhalb der Lokalität züchtig. Wir konnten am nächsten Tag eine schöne Reportage eintüten und dank verfügbarer Restzeit sogar spontan noch eine zweite. I am a beast.

Das klingt nun alles sehr gruselig. Aber wie sagt man so schön: es war ja nicht alles schlecht. Und so will ich enden mit einer Geschichte, die nicht unter, sondern über den Erwartungen blieb. Wir hatten nämlich 2019 den Auftrag, im hessischen Hinterland eine sehr schöne Mühle zu besuchen, die in ein edles Event-Gasthaus umgebaut worden war. Das versprach schon mal lecker Essen für alle Beteiligten. Mehr noch: man teilte uns mit, dass der Besitzer auch noch ein Hotel im Ort betreibe und uns zwei Zimmer zur Übernachtung stellen könne. Da lehnten wir nicht ab, zumal es unsere journalistische Freiheit in keinster Weise beeinträchtigte.

Nach einem SEHR langen und sehr harten Tag machten wir uns gegen 21.00 Uhr auf den Weg zur Übernachtung – und stellten fest, dass es sich dabei um ein echtes Luxus-Hotel in einem mittelalterlichen Dorfkern handelte. Die Rezeptionistin schaute in ihren Computer und sagte: "Oh, die Suite ist frei – das wird ihnen gefallen". Ich fuhr mit dem Aufzug in den obersten Stock und fand mich in einem Penthouse von ca. 70 Quadratmetern wieder, mit eigener Bar, Whirlpool, Sonnendach und Balkon auf den Kirchplatz hinaus. Die Sorte Unterkunft, die man keinesfalls wieder verlässt, bevor man nicht muss – aber ich ließ mich dennoch hinreißen, mit meinem Fotografen in der schicken Hotelbar zwei bis drei Cocktails zu versenken. Einer der Abende, an denen man sich auch mal im Lifestyle suhlen darf. Wir arbeiten dafür schwer genug.

So, das waren die Highlights, die mir spontan einfallen. Vier "Ausfälle" bei insgesamt fast 300 Reportagen – das verbuche ich unter "gutes Karma". Und danke dafür wieder mal der Motel One-Kette, die mich sicher immer wieder mal vor vergleichbaren Dramen bewahrt hat.

Auf die nächsten 300!



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3 Kommentare
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sergej
sergej
16. September, 2020 10:03

Könnte es sein das die Mühle und das Luxushotel im hessischen Hinterland ca. 35 km von Marburg entfernt liegen?

Dietmar
18. September, 2020 21:00

Gutes Karma und sicher eine sorgsame Redaktion, die auf ihre Mitarbeiter Wert legt, oder?