19
Sep 2020

Fantasy Filmfest 2020 (9): RELIC

Themen: Fantasy Filmf. 20, Film, TV & Presse, Neues |

USA/Australien 2020. Regie: Natalie Erika James. Darsteller: Emily Mortimer, Robyn Nevin, Bella Heathcote, Chris Bunton, Jeremy Stanford u.a.

Offizielle Synopsis: Das Wasser beginnt aus der Badewanne überzulaufen und umspült die Füße einer nackten, alten Frau. Doch als die sich sorgende Tochter Kay und Enkelin Sam im Haus eintreffen, ist Großmutter Edna spurlos verschwunden. Während Kay bei der örtlichen Polizei eine Vermisstenanzeige aufgibt, durchstöbert Sam die bis an die Decke mit altem Plunder vollgestellten Zimmer. Ein Geruch von Staub und Verwesung liegt in der Luft, als hätte das Leben diesen Ort schon vor langer Zeit verlassen. Unerklärliche Geräusche, ein Wandschrank mit einem ungewöhnlichen Riegelschloss, Kay und Sam stolpern über vieles, das sie nicht verstehen. Als Edna eines Morgens plötzlich wieder in der Küche steht, tut sie als sei nichts gewesen. Doch die alte Frau ist sichtlich gezeichnet.

Kritik: Lest euch noch mal meine Kritik zu AMULET durch. Die Sache mit den Metaphern. Filme, bei denen das Thema die Story erdrückt, die Message das Entertainment. Wo das Genre (in diesem Fall Horror) brav auf der letzten Bank sitzt, während Klassenstreber “Anspruch” weit vorne immer die Hand hebt und sich vom Lehrer loben lässt. RELIC ist so einer – vom Veranstalter als “Knaller” angekündigt und im Programmheft als “brillant” beschrieben.

I beg to differ.

In vielerlei Beziehung ist RELIC eine Variation von AMULET: die Vorgänge im Haus sind weniger das Ergebnis konkreter okkulter Mächte, sondern die Manifestierung verinnerlichter Konflikte der Figuren. Geht es bei AMULET um Schuld & Sühne, ist hier das Thema Vergänglichkeit und Verantwortung. Großmutter Edna wird ihrer Tochter Kay und Enkelin Sam immer fremder – die scheinbare Besessenheit durch eine fremde Macht ist sehr augenscheinlich nur eine Versinnbildlichung von Alzheimer, bzw. Demenz. Das größer werdende Haus betrifft primär Enkelin Sam, die hier immer noch Kind ist und hinter vielen Türen Geheimnisse wahrnimmt. Und Kay, nach unten Sam und nach oben Edna verpflichtet, ist die Brücke – noch zu jung für die Warteschleife bis zum Tod, aber zu alt für den selbstbestimmten Weg weg von den Eltern.

Es geht um Generationen, um die Verpflichtung, für einander da zu sein, weil wir uns heute um die kümmern müssen, die wir morgen selber sein werden. Enkelin, Tochter, Mutter – sie sind aneinander gekettet wie Staffelläufer, die nicht aus dem Rennen ausbrechen können.

Was RELIC von AMULET unterscheidet: Es gelingt ihm nicht, aus diesem Thema auch genügend Saft für den Horror-Teil des Horrorfilms zu generieren. Eine endlos lange Stunde verbringen wir mit drei Frauen, die sich in ihren Rollen unwohl fühlen und nicht ausreichend miteinander kommunizieren. Die bleierne Schwere zieht uns runter, ohne im Gegenzug ausreichend Neugier zu erzeugen, was das Haus an Geheimnissen birgt. Regisseurin Natalie Erika James ist augenscheinlich nicht sehr interessiert daran, das Genre zu bedienen. Ihr geht es – wie bereits erwähnt – um das Thema, nicht um die Geschichte.

Im letzten Akt werden dann tatsächlich noch ein paar “echte” Spannungsmomente offeriert, und ich will nicht verheimlichen, dass diese durchaus effektiv und creepy sind. Aber bis dahin dauert es zu lange, bis dahin ist RELIC zu sehr auf dem Horrorauge blind. Kein Wunder, dass das letzte Bild nichts mit einer wie auch immer gestalteten Mythologie zu tun hat, sondern lediglich die Beziehung der drei Frauen neu zementiert. Das Thema wird bedient, nicht die Geschichte beendet.

Fazit: Ein über weite Strecken zu traniger und mehr an seinen Frauenbeziehungen interessierter Pseudo-Geisterhaus-Film, der erst auf der Zielgerade stockend versucht, sich in das konkrete Genre Horror zu retten, das ihm bis dahin sichtlich egal war. 3 von 10 Punkten.

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2 Kommentare
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Christian Siegel
20. September, 2020 13:28

Ah, schön, endlich mal was, wo ich heftig widersprechen muss (wär ja sonst auch fad geworden 😉 ). Den fand ich einfach nur phantastisch. Zwar ein bisschen ein slow burn, aber praktisch von Anfang an mit netter Atmosphäre, und sich dann zu einem echt gelungenen Finale steigernd. Auch als Analogie auf das Älter werden (sowohl aus Sicht der betroffenen Person, als auch der Angehörigen) hat der für mich prima funktioniert. Vor allem aber hatte er einige Momente, die mir echt ordentlich unter die Haut gegangen sind. Für mich ein toller, starker (psychologischer) Horror-Streifen, und vor allem als Langfilmdebüt wirklich beachtlich.

Matts
Matts
20. September, 2020 21:31

Ich muss sagen, hier bin ich auch eher bei Christian: Auch wenn der Anfang ziemlich langsam ist, fand ich den Spannungs- und Stimmungsaufbau durchweg effektvoll. Und beim Finale – gerade der Mind-Fuck-Szene in den Gängen – war ich dann wirklich angenehm gegruselt.