19
Sep 2020

Fantasy Filmfest 2020 (7): AMULET

Themen: Fantasy Filmf. 20, Film, TV & Presse, Neues |

GB/VAE 2020. Regie: Romola Garai. Darsteller: Carla Juri, Alec Secareanu, Imelda Staunton, Anah Ruddin, Angeliki Papoulia

Offizielle Synopsis: Thomas verdingt sich als Tagelöhner. Das überraschende Angebot, in dem kleinen Londoner Wohnhaus der jungen Magda und ihrer todkranken Mutter für freie Kost und Logis auszuhelfen, nimmt er nur zu gern an. Von Krieg und Armut gezeichnet, verspricht er sich hier einen sicheren Zufluchtsort. Bald fühlt er sich zu der naiven Magda sogar hingezogen. Doch die steinalte, monströse Hexe, die auf dem Dachboden haust, bereitet ihm Sorgen. Dazu der ganze Dreck und Schimmel in dem halb zerfallenen Haus, dessen Toilette mit einer entsetzlichen Kreatur verstopft ist, wie sie Thomas noch nie gesehen hat – etwas stinkt hier gewaltig. Es dauert nicht lange, bis der Terror ihn mit voller Wucht überkommt.

Kritik: Es wird niemanden überraschen, wenn ich davon abrate, den letzten vagen Satz der Inhaltsbeschreibung nicht allzu ernst zu nehmen. Der “Terror mit der vollen Wucht” ist eher Wunschvorstellung der Veranstalter.

Natürlich (und ihr werdet das im Laufe des Festivals von mir noch öfter hören) ist AMULET mal wieder eine Metapher. Es geht um Schuld, die wir auf uns laden, und die daraus resultierende Qual. Es geht um Sühne, um die harte Arbeit als Buße, im wahrsten Sinne die Hölle auf Erden. Thomas’ Verpflichtung gegenüber Magda und der alten Frau entspringt nicht nur dem Trauma seiner Kriegserfahrung (vermutlich im Kosovo, der Film bleibt vage), sondern auch der Schuld, die er in sich selbst vergraben hat.

Das klingt schnarchig und wieder mal nach einem Betroffenheits-Film, der den Horror nur als billigen Kleiderhaken nutzt, um seine Botschaft daran aufzuhängen. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die in der zweiten Hälfte eher widerwillig enthüllte Mythologie des Übernatürlichen vage und lückenhaft bleibt. Eine genaue Erklärung ist nicht notwendig, weil das Böse in diesem Film ja sowieso nur ein Stellvertreter des abstrakten Themas Schuld & Sühne ist. Mehr noch: würde man die okkulten Elemente tatsächlich plausibel auflösen, würden sie womöglich die Bedeutung des menschlichen Handelns relativieren.

Und trotzdem. Trotzdem funktioniert AMULET da, wo viele andere Horror-Dramen scheitern (ein weiteres sogar noch heute): Er ist virtuos erzählt, legt uns seine Figuren wirklich ans Herz und schafft über die gesamte Laufzeit eine beklemmende Stimmung, die an der Oberfläche nur zu kratzen braucht, um uns erschaudern zu lassen. Anders als z.B. im sehr ähnlich gelagerten GIRL ON THE THIRD FLOOR verstehen wir Thomas’ Dilemma, seine Verzweiflung, seine Introvertiertheit. Die Bindung, die er zu Magda aufbaut, fühlt sich echt und warm an, wie eine Rettungsleine in einem depressiven, wütenden Ozean. Doch ahnen wir – und dürfen nur ahnen -, dass hier kein Happy End wartet. Und sei es nur, weil wir eine kleine Geste am Anfang wahrgenommen haben, die auf ein böses Spiel im Hintergrund hindeutet…

Ein weiterer Pluspunkt ist das Haus selbst. Ich bewundere den Location Scout, der dieses authentisch verfallene Gebäude gefunden hat, in dem Schimmel und Rost regieren, das aber dennoch auf glaubwürdige Beweise bewohnt wirkt. Man akzeptiert augenblicklich, dass Menschen hier Jahrzehnte gelebt haben, ohne Geld, Zeit oder Interesse, es zu erhalten.

Ich gestehe, dass es AMULET besser getan hätte, wenn er – und sei es zum Nachteil seiner “Message” – etwas weniger Zeit an die Rückblenden verschwendet hätte, die uns immer wieder aus dem Haus heraus reißen. Oder wenn er sich ein paar Andeutung über magische Urkulte verkniffen hätte, die letzten Endes eine Erwartung an einen mythologischen Unterbau aufbauen, die der Film nicht einzulösen beabsichtigt. Aber wie schon gesagt: die Stimmung und die subkutane Ahnung des kommenden Unheils machen hier viel wett.

Fazit: Ein atmosphärisch und darstellerisch extrem dichter “haunted house”-Thriller, der trotz seiner gemächlichen Erzählweise über weite Strecken zu fesseln weiß und sich lediglich gegen Ende etwas zu sehr ins Abstrakte flüchtet, statt die Geschichte aufzulösen. 7 von 10 Punkten.

https://youtu.be/7peRCmvg3Kg

 



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

3 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Christian Siegel
22. September, 2020 12:45

Auch hier bin ich konträrer Ansicht (was umso spannender ist, als ich wiederum im Gegensatz zu dir “Relic” sehr mochte): Ich fand den einfach nur schnarchig, und zum Ende hin unfreiwillig komisch. Für mich der bisherige Tiefpunkt des heurigen /slash-Filmfestivals (allerdings sind wir noch nichtmal ganz bei der Hälfte, da kann also noch einiges – schlechteres – kommen).

boogiepop
boogiepop
25. September, 2020 07:52

Das Review hat mich durchaus auch überrascht. Hat Dich die feministische Message bei Birds of Prey noch getriggert, hast Du sie hier nicht einmal erwähnt/übersehen(?).
Denn es geht in diesem Film zwar um Gut gegen Böse, allerdings sind die Rollen hier eindeutig auf die Geschlechter verteilt. (SPOILER: Frauen sind die Guten)

Der Film hat ein tolles Setdesign, das Haus sieht schön heruntergekommen aus. Er ist edel gefilmt und auch die Musik fand ich sehr gut. Die Schauspielleistungen hingegen sind eher durchwachsen: Alec Secareanu bleibt blass und ein wenig steif (vielleicht, weil er nicht in seiner Muttersprache spielen konnte), Chemie mit Carla Juri ist nicht existent. Juris Spiel ist mir dagegen zu theaterhaft, zu arthousig (kann ich nicht besser beschreiben aber diese Art des Spiels findet man auch sehr oft in deutschen Filmen und es ist einfach nicht mein Fall). Einsames Highlight ist Imelda Staunton. Die hat sichtlich Spaß und reißt jede ihrer (viel zu wenigen) Szenen mühelos an sich. Die Spezialeffekte sind eher mittelklassig.
Alles in allem schließe ich mich Christian Siegel an: Schnarchig und in der Tat zum Ende hin unfreiwillig (?) komisch. Von der fragwürdigen und zu simplen Schwarz-Weiß-Moral ganz zu schweigen.