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Sep 2020

Fantasy Filmfest 2020 (20): THE RECKONING

Themen: Fantasy Filmf. 20, Film, TV & Presse, Neues |

GB 2020. Regie: Neil Marshall. Darsteller: Joe Anderson, Sean Pertwee, Ian Whyte, Steven Waddington, Cal MacAninch, Charlotte Kirk, Emma Holzer

Offizielle Synopsis: Das Jahr 1665. Die Pest wütet und reißt die schöne Grace ins Verderben. Als ihr Mann stirbt, macht ihr der Vermieter Haus und Hof streitig. Es sei denn – Nun, Grace wisse schon, wie sie ihn auch ohne Geld zufriedenstellen könne. Doch die jagt ihn zum Teufel! Als er mit einem sadistischen Inquisitor und dem Gerücht wiederkehrt, Grace sei eine Hexe, gibt es für die junge Frau keine Hoffnung mehr. Aber ihr Folter-Martyrium wird nicht so enden, wie es der Vertreter von Mutter Kirche und der rachsüchtige Landbesitzer erwarten. Schon allein, weil Satan höchst selbst auch noch ein Wörtchen mitzureden hat …

Kritik: Es ist nicht günstig, wenn bei einem historischen Drama alle Glaubwürdigkeit innerhalb der ersten fünf Minuten schnell, aber nachhaltig flöten geht. Bei THE RECKONING ist das der erste Auftritt von Grace, einer angeblich armen Bäuerin, die eine perfekt gestylte Wallewalle-Frisur spazieren trägt, gezupfte Augenbrauen und ein dezentes, aber hochwertiges Makeup. Im Jahr 1665. Dazu trägt sie edle Stoffe und man sieht gerne mal den Busen sich üppig heben und senken. Wenn sie mit dem Kerzenleuchter durch die Nacht streift, fühlt man sich an billige Gaslicht-Romanheftchen und historische Schwulst-Romanzen erinnert, in denen ein stolzer Highway-Räuber die älteste Tochter des verarmten Lords freit. Kein guter Look für einen Film über die Grausamkeiten der Hexenverfolgung…

Der vermutliche Grund für diese cineastische Weiberschau ist womöglich viel, VIEL krasser als der Film selbst: Es gab nämlich 2019/2020 einen saftigen Skandal, in den die Hauptdarstellerin verwickelt war – wie es aussieht, hat sich Charlotte Kirk sehr zielgerichtet in die Betten verschiedener Hollywood-Bosse geschlängelt, um als Schauspielerin Karriere zu machen. Mehr noch: es gehen Gerüchte, dass man THE RECKONING primär als Showcase-“Belohnung” für sie produziert hat, was durchaus glaubwürdig erscheint, wenn man sieht, wie sehr die Kamera ihr huldigt und auch die Regie immer bedacht ist, sie bestmöglich in den Mittelpunkt zu schieben. Da werden alle anderen Figuren zu Stichwortgebern degradiert. Neil Marshall bestreitet das, was kein Wunder ist: er ist mittlerweile mit Charlotte Kirk verlobt und soll angeblich versucht haben, einen ihrer mächtigen Ex-Liebhaber zu erpressen.

Mir tut Neil Marshall leid. Der Mann hat mit DOG SOLDIERS so grandios reüssiert. Und dann THE DESCENT. Tonnenweise großartige TV-Serien. Und jetzt das?!

Die ganze Angelegenheit ist umso bedauerlicher, da Charlotte Kirk in toto eine wirklich gute Performance abliefert, der mit etwas mehr erdigem Realismus durchaus gedient wäre. Der aufgedrängte Glamour-Look torpediert alles, was sie an Einsatz bringt.

Es lässt sich tatsächlich schwer bestreiten: Als Film ist THE RECKONING sehr dünn, als Drama gibt er den Charakteren zu wenig Platz, und als Historienschinken ist er so wenig authentisch, dass man sich eher in GAME OF THRONES als im realen England des Jahres 1665 wähnt.  Hier überzeugt wirklich gar nichts: alles ist erkennbar Kostüm, Set, Requisite – noch dazu historisch oft genug total daneben und zugekleistert mit einem aufdringlich bombastischen Score, der den kitschigen Ton der Inszenierung noch unterstreicht.

Zudem ist THE RECKONING auch noch das, was ich gerne “fake fantasy” nennen möchte – alle tatsächlichen Genre-Elemente, mit denen man das geneigte Publikum ködern will, sind auf erheblich zu viel Alpträume beschränkt. So kommt der Teufel zwar vor, aber nur in den Fieberphantasien von Grace. Das ist ein klassischer “cop out”, bei dem man zwar den Fantasy-Hunger bedienen möchte, aber doch tapfer weiter behauptet, einen “realistischen” Film gedreht zu haben.

Und so wechseln sich Visionen, Folter, ein bisschen Splatter und “burn the witch!” mit tränenreichen Beteuerungen und geschmackvoll inszenierten Sexszenen ab (unter der besonders eifrigen Teilnahme von Frau Kirks Hintern), während “England 1665” dabei ungefähr so authentisch wirkt wie das Rüttelskelett in der Geisterbahn. Das ist doppelt evident beim gerade mal akzeptablen digitalen Matte Painting des Dorfes, in dem ein Großteil der Handlung spielt.

Nun könntet ihr einwerfen: “Moment mal, der Dewi hat doch sonst nix gegen knackige Damen und ebensolche B-Action!”. Das ist richtig. Aber THE RECKONING ist in der Handlung zu vorhersehbar, in seinen Figuren zu blass – und leidet vor allem daran, dass ich am Vorabend FANNY LYE DELIVER’D gesehen habe, der viele der gleichen Themen und Motive vielleicht nicht ganz so mundfertig, aber deutlich glaubwürdiger darbietet. Gerade im direkten Vergleich stinkt THE RECKONING einfach furchtbar ab.

Fazit: B-Movie-Trash, näher an DER HEXENTÖTER VON BLACKMOOR als am WITCHFINDER GENERAL. Die verkitschte Inszenierung macht jede Möglichkeit, das an sich brutale und schockierende Geschehen ernst zu nehmen, nachhaltig zunichte. Nur für die Schauwerte gerade noch 4 von 10 Punkten.

Leider kein Trailer. Vielleicht hat das auch was mit dem Skandal zu tun.

 

 



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Matts
Matts
21. September, 2020 09:00

Jaaaa. Das war leider nicht der beste Film von Neil Marshall. Eine gute Zeit lang habe ich noch gedacht: Das hier soll wohl B-Movie-Trash in Anlehnung an die alten Hexenfilme sein. Das soll so billig aussehen. Auch dieser Orgel-Soundtrack, der so was von drüber war, hat mich zu der Schlussfolgerung verleitet.
Aber die Hintergründe, die der Wortvogel recherchiert hat, lassen das jetzt etwas weniger wahrscheinlich wirken. Auch wenn die Tatsache, dass hier im Gegensatz zu manch anderen Marshall-Filmen keine auch nur Ansatzweise bekannten Leute mitspielen, mich vemuten lässt, dass das Budget hier WIRKLICH schmal war. Ne schöne Belohnung war das. Und echt schade, dass Neil Marshall sich in so was hat reinziehen lassen…
Allerdings: Der Hintern war wirklich knackig…

Mencken
Mencken
23. September, 2020 15:58

Von dem Skandal hatte ich noch gar nichts gehört. Schade um Marshall, aber wenn die Vorwürfe stimmen sollten, hat er es auch nicht besser verdient.

Lars
Lars
25. September, 2020 13:56

Zu Kirk gab es gestern beim Hollywood Reporter einen langen Artikel mit neuen Details: https://www.hollywoodreporter.com/features/charlotte-kirk-kevin-tsujihara-and-a-non-consensual-sex-allegation-that-sparked-a-secret-legal-saga

Nach dem Artikel tue ich mich persönlich etwas schwer damit, die Sache nur als „Starlet schläft sich hoch“ einzuschätzen, insbesondere wenn man sich vor Augen führt, was bei MeToo alles rausgekommen ist.

Marcus
Marcus
10. Oktober, 2021 15:27

Der ist in der Tat ziemlicher Kappes. Mit extra Cheese.