19
Sep 2020

Fantasy Filmfest 2020 (10): POSSESSOR

Themen: Fantasy Filmf. 20, Film, TV & Presse, Neues |

GB/Kanada 2020. Regie: Brandon Cronenberg. Darsteller: Andrea Riseborough, Christopher Abbott, Rossif Sutherland, Tuppence Middleton, Sean Bean, Jennifer Jason Leigh

Offizielle Synopsis: Eine neuartige Technologie ermöglicht Tasya Vos, Körper und Geist anderer Menschen in Besitz zu nehmen und zu steuern. Eine Technik also, die nicht in falsche Hände geraten sollte! Aber Tasya ist eine eiskalte Auftragskillerin. Ihre perfide Methode: Sie infiltriert Personen, die den ausgewählten Opfern auf ihrer Abschussliste nahestehen, und ermordet sie in deren Körper. Absolut keine Spur führt so zu ihr oder ihren Auftraggebern. Mit der Zeit hinterlässt das ständige Body-Hopping allerdings Spuren bei Tasya: Sie läuft Gefahr, selbst den Verstand zu verlieren. Und schon ihr nächster Auftrag – die Invasion des Schwiegersohns eines bedeutenden Finanziers – ist nicht mehr nur ein simpler Körpertausch-Mord.

Kritik: Ich bin mit den Filmen von David Cronenberg aufgewachsen, der Mann war ein GOTT in den 80ern. RABID, SCANNERS, VIDEODROME, THE FLY, DEAD RINGERS – hier war ein “auteur” am Werk, kein Handwerker, mit einer genuinen Weltsicht vom “neuen Fleisch”, das viele seiner Filme in einen immer komplexer werdenden Kontext stellte. Cronenberg war unverwechselbar, einzigartig – und das ist er heute umso mehr, da sein Sohn mit ANTIVIRAL und POSSESSOR sehr offensichtlich versucht, in seine Fußstapfen zu treten und sich dabei deutlich überhebt. Genius ist augenscheinlich nicht vererbbar.

Mir ist klar, dass man Brandon Cronenberg nicht verbieten kann, die Filme zu drehen, die er drehen möchte – und wenn die halt im selben Themenkomplex spielen wie die seines Vaters, dann ist das halt so. Aber er öffnet sich zwangsläufig den Vergleichen, bei denen er dann doch letztlich wie eine Light-Variante des Originals wirkt. Er ist trotz des Namens eben nicht Cronenberg, sondern Cronenberg Junior.

Die Grundidee von POSSESSOR ist dabei nicht schlecht und die nur sehr vage Erläuterung der ganzen Technologie auch typisch für die Herangehensweise in Cronenberg-Filmen. Die in dickes, fast fleischig wirkendes Leder eingepackten Fernsteuerungen der Implantate sind eine klare Referenz an das “neue Fleisch”, ebenso diverse analoge Maschinen und die teilweise bizarre Gestaltung von Geräten. Der Gedanke, dass wir andere Menschen “übernehmen” können und im Versuch, sie möglichst genau zu simulieren, uns selbst verlieren, hat ebenfalls das Potenzial einer vertrauten Vision.

Aber da, wo der alte Cronenberg dem Zuschauer immer das Gefühl gibt, relevanten Background auszulassen, um uns zu verunsichern, scheint Cronenberg Junior eher desinteressiert, sich zu sehr erklären zu müssen. Der Mann hinter dem Vorhang hat keine Kleider an.

Und so müht sich POSSESSOR schwer daran, uns Tasya Vos (bizarre Figurennamen, auch so ein Cronenberg-Trademark) näher zu bringen, weil wir weder ihre Motivation verstehen noch die Struktur, in der sie ihre Missionen übernimmt. Sinn und Zweck scheint die Erlangung von Macht durch gezielte Tötungen zu sein. Aber Macht über wen? Und für wen? Was ist der Einsatz für Tasya selbst? Und als sie mit dem Geist ihres neusten Opfers zu verschmelzen droht – was genau wäre die Konsequenz? Es ist keine Überraschung, dass der Film diese Frage am Ende relativ folgenlos in den Hintergrund verschiebt. Er ist nur interessiert daran, was passiert – nicht warum. Er beantwortet die Fragen nicht deshalb nicht, weil jeder sich eigene Gedanken machen soll – er hat einfach selber keine.

Inszenatorisch ist das recht gefällig und durchaus an der spröden Ästhetik des Vaters orientiert. Spannender als die meisten der aktuellen kanadischen „Thriller“ ist es sowieso. Es ist nur für etwas, wo der Name „Cronenberg“ draufklebt, etwas dünn. Ist das unfair? Hätte ich POSSESSOR anders besprochen, wenn der Regisseur Brandon Cramer heißen würde? Das ist fast unmöglich zu beantworten. Ich glaube aber, im Kern wäre das Urteil auch wieder gewesen: netter Versuch, „so was wie Cronenberg“ zu machen – aber das hat Cronenberg selber ausreichend und besser geliefert.

Schön immerhin, Jennifer Jason Leigh mal wieder zu sehen. Auch wenn ich eine Weile gebraucht habe, um sie zu erkennen.

Fazit: Mind/Body-Horror im Cronenberg-Stil von Cronenberg Junior, der so etwas vielleicht lieber seinen Papa überlassen sollte. Visuell und erzählerisch interessant, aber insgesamt nicht annähernd so raffiniert, wie er sein möchte. Schwache 7 von 10 Punkten.

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Matts
Matts
20. September, 2020 10:21

Ich fand, es war eine interessante Prämisse, die solide umgesetzt war. Allerdings hat mich das Ende auch ein bisschen unbefriedigt zurückgelassen. Dass es im Vergleich mit den Werken von Cronenberg senior noch mehr verliert, will ich gern glauben. Ich bin mit dessen Filmographie lange nicht so vertraut wie der Wortvogel.
Das mit Jennifer Jason Leigh ging mir lustigerweise ähnlich – den ganzen Film dachte ich: “Verfilxt, die kenn ich doch!” Dabei hab ich vor nicht allzulanger Zeit erst ANNIHILATION gesehen, und da sah sie auch schon so aus.