09
Jun 2020

Wortvogel – grumpy old man (Folge umpfzich)

Themen: Neues |

Es ist mal wieder eines dieser Erlebnisse, bei denen ich mich hinterher frage: why me? Warum passiert immer mir das? Habe ich so schlechtes Karma? Ich will mich mit meinem Mitbürgern nicht streiten – warum wollen sie mit mir streiten?

Gestern vormittag. Es galt, den gigantomanen Karton meines neuen Fernsehsessels und ein paar alte Dosen mit Lacken und Ölen zu entsorgen. Ich also zum Wertstoffhof, der ist hier in Trudering ja gleich um die Ecke. Ein Mitarbeiter winkt mich rein, Kartons in den Container. Wohin mit den Lacken? Man deutet auf einen Raum neben der Einfahrt: “Da beim Kollegen.”

Da ist kein Kollege. Der Raum ist leer. Ich will das Zeug auch nicht einfach so abstellen, weil ich gehört habe, dass Gebühren zu entrichten sind. Also warte ich – und werde Zeuge eines verblüffenden, sich wiederholenden Vorgangs.

Der Mitarbeiter, der mich an der Einfahrt reingewunken hat, steht immer noch am Tor. Er hat genau drei Sätze in seinem Repertoire.

Satz 1: “Geradeaus und die erste freie Parklücke nehmen.”

Satz 2: “Rechts ab und die erste freie Parklücke nehmen.”

Ich weiß schon:

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Es ist Satz 3, der mich verblüfft – wann immer einer der Kunden auch nur einatmet, um dem Mitarbeiter eine Frage zu stellen, bellt er im Kasernenton:

“Ich beantworte keine Fragen.”

Das passiert nicht einmal. Das passiert innerhalb von zwei Minuten drei oder viermal. Weil Leute auf dem Wertstoffhof eben Fragen haben. Aber damit sind sie bei ihm an der falschen Adresse.

“Ich beantworte keine Fragen.”

Als eine Frau frecherweise trotzdem eine Frage äußert (es geht um die Regelung, dass an bestimmten Tagen nur Autos mit gerade oder ungeraden Nummernschildern Zugang haben), schnauzt er sie an:

“Das gibt’s schon seit drei Wochen nicht mehr, fahren Sie halt rein!”

Ich bin fasziniert. Der Typ ist wirklich selten unverschämt. Er dreht sich, sieht mich. Sieht, dass ich ihn ansehe. Grinst höhnisch und sagt:

“Unfassbar, oder?”

Es ist der Moment, in dem vernünftige Menschen abwinken würden. Vielleicht ansatzweise nicken, um ihm Recht zu geben und nicht mit ihm reden zu müssen. Oder einfach weg gucken. Geht mich ja alles nichts an.

“Unfassbar, oder?”

Ich höre den Schalter in meinem Kopf klicken. Vom ZARF (Zentrum für Angewandte Rhetorische Fingerfertigkeit) in meinem Gehirn kommt ein bittebittebitte rein. Der Sarkasmus und der Zynismus high fiven sich. Das Ego reibt sich die Hände und mein gesamtes Unterbewusstsein skandiert:

“Unfassbar, oder?”

Ich lächle ihn freundlich an. Nicke sogar. Und dann sage ich in einem sehr solidarischen Tonfall:

“Ja, unfassbar. Wie unverschämt Sie sind. Was bilden Sie sich eigentlich ein, wer Sie sind?”

Er meint, sich verhört zu haben, der Disconnect zwischen meiner Aussage und meinem Lächeln verwirrt ihn. Er kommt auf mich zu.

“Was is?”

Er will es wohl genauer wissen:

“Wenn die Leute hier ankommen und Fragen haben, dann können Sie sich ruhig mal eine freundlichere Phrase ausdenken als ICH BEANTWORTE KEINE FRAGEN, als wären Sie ein Reichsbürger bei der Verkehrskontrolle.”

Er baut sich vor mir auf:

“Ich beantworte aber keine Fragen. Das machen die Kollegen hinten.”

Damit hat er mich kalt erwischt – not:

“Abgesehen davon, dass Sie als Angestellter des Wertstoffhofs jenseits Ihres Aufgabenbereichs schon aus Höflichkeit Fragen Ihrer Kunden beantworten sollten, geht es nicht um das ob, sondern um das wie. Sie sind schlicht sensationell unhöflich.”

Er stellt sich immer noch dümmer, als er vermutlich ist:

“Ich beantworte halt keine Fragen, das ist nicht meine Aufgabe.”

Ich so:

“Gerne nochmal: es geht nicht um das ob, sondern um das wie. Ich halte eine Aussage wie ‘Bei Fragen müssten Sie sich an einen meiner Kollegen wenden’ für nicht zu viel verlangt.”

Jetzt hat er langsam die Schnauze von mir voll – er wollte doch nur Recht haben:

“Haben Sie ein Problem?”

Ich lache halblaut und lächle weiter:

“Ich? Nein. Absolut nicht. Ich finde Sie nur unverschämt, wie ich bereits mehrfach ausgeführt habe.”

Nun meint er wieder, mich in der Ecke zu haben:

“Wenn Sie kein Problem haben, was reden Sie dann daher?”

Nicht nur sein Tonfall, auch seine Haltung und seine aufdringliche Nähe sollen mich einschüchtern. Aber er kann mir nix. Er kann mich nicht des Hofes verweisen, weil ich nichts getan habe. Er kann mich nicht anfassen. Er kann nicht mal wirklich laut werden, weil es seine Kollegen hören könnten.

Ich korrigiere ihn:

“SIE haben MICH angesprochen – weil Sie wollten, dass ich Ihnen zustimme. Und nun passt es Ihnen nicht, dass ich widerspreche.”

Zwei, drei Sekunden lang steht es auf der Kippe, dann knurrt er:

“Stellen’s Ihr Zeug ab und fahren’s heim.”

Er braucht mir das nicht zu erlauben:

“Das ist sowieso der Plan.”

Er dreht sich ohne ein weiteres Wort um und geht. Schicht im Schacht.

Noch ein paar retrospektive Gedanken: Es macht mich in der Tat immer wieder fassungslos, wie rücksichtslos sich Menschen verhalten und dann noch allen Ernstes Bestätigung dafür haben wollen. Wie sie ihre winzige Macht (reinwinken am Hoftor) ausnutzen, um die Kunden wie Bittsteller zu behandeln. Wie wenig sie begreifen, dass ein paar einfache Höflichkeitsfloskeln den Umgang erleichtern (und ja, es müssen wirklich nur Floskeln sein).

Bevor einer fragt: hätte der Mann mich am Tor mit “Ich beantworte keine Fragen!” beschieden, hätte ich entspannt den Motor ausgemacht und gesagt: “Dann wird das jetzt ein sehr langer Vormittag. Weil ich mich so nicht anpampen lasse und wir jetzt hier stehen, bis das mit Respekt geklärt ist.”

Klar kann es sein, dass der Mann einen scheiß Tag hatte. Oder angesichts von Corona ein paar scheiß Wochen. Aber das berechtigt ihn eben nicht, dieses miese Gefühl an andere weiter zu geben. Ich selber gebe mir immer extrem viel Mühe, grundsätzlich erstmal überschwänglich freundlich zu sein, vielleicht auch ein oder zwei launige Sätze zu sagen – weil mein Gegenüber KEINE Verantwortung für meinen beschissenen Gemütszustand hat. “Guten Tag, “Auf Wiedersehen”, “Danke”, “Bitte”, “Gern geschehen” – das sind keine Leistungen die ich einfordern muss. Die kann ich erwarten.

War das blöd von mir? Wie hättet ihr in der Situation reagiert?



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comicfreak
9. Juni, 2020 12:21

ich high five auch

Thorben
Thorben
9. Juni, 2020 12:24

Leider vermutlich nicht so wie Du…. Ich denke, es ist durchaus sinnvoll hier seine Meinung zu äußern, damit der andere wenigstens die Chance auf Selbstreflektion und Änderung hat. Finde ich gut.

dermax
dermax
9. Juni, 2020 13:23

Hätte mich umgedreht und um mein Zeug gekümmert, weil mir einfach der Mehrwert fehlt für das Investment an Zeit und Nerven, um so eine Diskussion zu führen.
So wie Dus beschreibst, war das meines Erachtens das beste zu erwartende Ergebnis, mag sein, dass er sich nach Eurem Diskurs Gedanken gemacht hat, ich halts für unwahrscheinlich. Im worst case kriegst eine aufs Maul, find ich auch nicht erstrebenswert.
Das Szenario “Sie haben recht, es tut mir leid, hatte nen scheiss Tag, werd mich jetzt zusammenreissen” tritt doch realistisch ned ein.
Andererseits kämpf ich in ähnlichen Situationen aber auch immer mit dem Drang, Kontra zu geben, hoffend, dass solche Menschen es auch von anderen kriegen, um dann evtl. langfristig zu verstehen, was da falsch läuft.

Olaf
Olaf
9. Juni, 2020 13:40

Du bist kein Wortvogel, du bist ein Wortheld. Thumbs up for you 👍🏻

Ulli Meier
Ulli Meier
9. Juni, 2020 13:54

Ob ich mir die Mühe des Streitgesprächs gegönnt hätte, läge wohl an der Tagesform. Meine bessere Hälfte, glaubt ja auch, dass ich eines Tages Mal richtig aufs Maul bekomme. Ab der hypothetischen Frage an der Einfahrt, teile ich allerdings deine Sturheit und hätte ebenfalls demonstrativ gewartet. Bin mir aber unsicher, ob es überhaupt dazu gekommen wäre, da auch ich normalerweise, den Menschen mit enormer Freundlichkeit Entgegenkommen und meistens auch durch ebensolche entlohnt werde. So etwas macht das Leben halt deutlich angenehmer und lebenswerter.

Halbblut
Halbblut
9. Juni, 2020 14:51

Wäre mir sowas bei uns im wilden Osten passiert, hätte ich (abhängig vom Alter des Mitarbeiters) mit einem freundlichen Lächeln sicher gefragt: “Sie hat man wohl vergessen, nach der Wende zu entlassen?!?”. Das Copyright darauf hat die Oma eines Freundes, mit der ich die zwergige Körpergrösse (schützt vor aufs Maul bekommen) und den Drang zum Anprangern von Unhöflichkeit (davon hatten wir hier echt genug) teile. Von daher: alles richtig gemacht und bitte auch beim nächsten Mal so schön schlagfertig reagieren.

tokra
tokra
9. Juni, 2020 15:13

Diese Geschichten sind immer wie eine Folge “Curb Your Enthusiasm”. Larry David versucht auch, die Welt zu verbessern indem er Missstände im Alltäglichen aufdeckt und dabei Leute aus Ihrer Komfortzone bringt. Natürlich wird er dabei von jedem missverstanden und steht am Ende als der Depp da.

moepinat0r
moepinat0r
9. Juni, 2020 20:55
Reply to  tokra

Genau an den hab ich nach den ersten paar Saetzen auch denken muessen, inklusive Titelmelodie. 🙂 Aber sieht man wieder, dass sich der Wortvogel, ganz anders als Larry, von seinen Mitmenschen nicht so schnell klein machen laesst!
Persoenlich haette ich in der Situation, zu meiner Schande, wahrscheinlich nix getan. Zum einen waer mir die Zeit zum streiten zu schade, zum anderen bin ich, obwohl nicht gerade schmaechtig (1,80m, 100+kg und nicht alles davon ist Fett), kein wirklich konfrontativer Mensch. Ich lasse mir zwar auch nicht alles gefallen, aber es dauert doch eine Weile, bis mein Fass voll ist.

Stefan
10. Juni, 2020 09:45
Reply to  moepinat0r
moepinat0r
moepinat0r
10. Juni, 2020 16:04
Reply to  Stefan

Lol, ein Klassiker! ^^

Dietmar
9. Juni, 2020 15:51

“ZARF” ist gut! 🙂 Von meiner Seite nur Lob und Anerkennung für das Zur-Rede-Stellen. Bei mir hängen meine Reaktionen stark von der Tagesform ab. Meistens überraschen mich solche Typen wie der auf dem falschen Fuß, weil ich zu langsam von meinem freundlichen Grundmodus auf Konfrontation umschalte. Mein Freund aus Abiturzeit ist da viel schneller; beneidenswert.

Tante Jay
Tante Jay
9. Juni, 2020 18:39

Perfekt reagiert.
 
Ist grad galoppierend und nein, du bist nicht alleine.^^
Ich war heute im Büro, Mörderaufgabe: Erstantrag HartzIV, Kindergeld, Elterngeld, Krankenkasse regeln – was halt so anfällt, wenn Leute neu anerkannt sind und von Asylbewerberleistungsgesetz (ausgezahlt von der Stadt) zum Jobcenter (Bund) wechseln.
 
Das ist ein Antragskonvolut von geschmeidigen 50 Seiten, das sollen die normal selbst ausfüllen. Können die nicht. Punkt.
 
ICH hatte mit über 20 Jahren Beamtentum Schwierigkeiten, alles korrekt zusammenzufassen.
 
Kurz bei der Hotline angerufen, wurde sofort abgewürgt: “Ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie brauchen, ich kenne den Fall nicht”
 
“Den kann ich Ihnen eben Schi….”
 
“Ich kann Ihnen das nicht sagen, ist das so schwer zu verstehen? Die Leute müssen selber anrufen”
 
“Die können kein Deu….”
 
“ICH KANN IHNEN DAS NICHT SAGEN! HERRGOTTSAKRA”
 
“Äh, Herr XXX, so…”
 
“Mein Name ist YYY”
 
Beschwerde an die Chefetage ging raus – via Sozialdezernenten, dem ich vorher noch publikumswirksam eins vorgeheult habe.
 
Die nächste Dame, die ich am Telefon hatte, war *deutlich* freundlicher, hat sich gefreut, dass denen jemand die Arbeit abnimmt und alles konnte zeitnah und recht unbürokratisch geregelt werden.
 
Aber Herr YYY hatte wahrscheinlich nicht so eine gute Zeit. ^^

Gerrit
Gerrit
9. Juni, 2020 22:15
Reply to  Tante Jay

An einem guten Tag: “Wenn Sie zu dumm sind, um Fragen zu beantworten, wäre es freundlich von Ihnen, wenn Sie auf die Schlaueren hier hinweisen. Kommen Sie, das kriegen Sie hin. Man kann das üben.”
An einem schlechten: Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen.

Dietmar
10. Juni, 2020 06:11
Reply to  Gerrit

“Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen.”
Schöne Metapher!
[Aha: Blockquote gibt´s nicht mehr. O tempora o mores!]

Tante Jay
Tante Jay
10. Juni, 2020 13:54
Reply to  Torsten Dewi

Ich nenne die Leute, mit denen ich zu tun habe, *NIE* “dumm”. Erstens ist das hochgradig unprofessionell und ich habe mir im Flüchtlingshilfebüro einen gewissen Ruf erarbeitet. Wenn ich den wegen einem Beleidigungsschnellschuß aufs Spiel setze, ist keinem geholfen – schon gar nicht den Leuten, für die ich was zu erreichen hoffe.
 
Ich krieg inzwischen viel geregelt, was andere nicht hinkriegen, da kann man schon mal mit Idioten umgehen.
 
Ich bin “alte Beamtin”. Ich kenne Dienstwege. Wer mir SO quer kommt wie Kollege Turnschuh da oben, wird recht schnell lernen müssen, dass “Verwaltung” für mich kein Fremdwort ist und ich ziemlich gut weiß, wie man das Leben von Leuten zur Hölle machen kann ohne, dass die einem was können 😉

Halbblut
Halbblut
10. Juni, 2020 14:22
Reply to  Tante Jay

Ich kenne Dich nicht, aber ich mag Dich instant. Sowas bräuchte es hier auch 😉

Klaus
Klaus
10. Juni, 2020 23:36

Ich verabscheue diese Menschen, die totalen Bockmist bauen und sich dann dümmlich selbstgerecht grinsend zum “Publikum” umdrehen, um Beifall zu erheischen.
Ich hatte mal einen Dachdecker vor mir in der Tankstelle, der die Tankfüllung für sein Dachdeckerauto und eine Bildzeitung mit einem 500-€-Schein zahlen wollte und keinerlei Verständnis dafür aufbringen konnte, dass das jetzt nicht geht. Natürlich hat er die Aufkleber an der Tür und an der Kasse ignoriert, die klipp und klar gesagt haben “Ne, hier keine 500 €, wir sind eine verkackte Tankstelle und kein Casino”. Er hat dann so Sprüche gebracht wie “Aber 500 € sind ja trotzdem Geld, oder nicht?” und sich wie oben beschrieben zum immer größer werdenden Publikum umgedreht. Mir Argumenten kam man da natürlich nicht weiter. Blärgh.
 
Zum Thema an sich: Ich bin in solchen Situationen mit Fremden immer total fasziniert und fassungslos, wie dreist oder ungehobelt Menschen sein können. Ich lächel also in mich rein und weide die Situation erst nachher aus. Im Freundeskreis oder auf der Arbeit sieht das wahrlich anders aus.
Meine Ex-Freundin ist da immer die passiv aggressive Route gegangen, hat also im Vorbeigehen irgendwelche Sticheleien gemurmelt. Lernerfolge oder Konfrontationen sind daraus allerdings nie erwachsen.