27
Mai 2020

In 15 Minuten schlau: Zeitzeichen

Themen: Film, TV & Presse |

You only know what you got ’til it’s gone.

Ich habe heute morgen online gelesen, dass der NDR sich nicht mehr an den Kosten der Radiosendung ZEITZEICHEN beteiligen will und das ganze Format wohl auch auf der Kippe steht, weil die Sender sparen wollen und müssen.

Das war für mich ein Grund, mir die Sendung mal genauer anzuschauen, denn ich konnte mich erinnern, sie im WDR als Kind öfter gehört zu haben – aber die Erinnerung, was genau das ZEITZEICHEN war, hatten die Jahre gefressen. Ich warf also die Audiothek-App an und gab “Zeitzeichen” als Suchbegriff ein.

Mein Nachmittag war damit gelaufen.

ZEITZEICHEN ist ein Phänomen: seit unfassbaren 48 Jahren wird jeden Tag ein kurzes Radio-Feature von 15 Minuten zu einem historischen Stichtag produziert. Das kann ein Geburts- oder Todestag sein, eine Kriegserklärung, eine historische Erfindung oder einfach eine Neuerung, die das Leben der Menschen veränderte. Es wird nicht einfach aus dem Lexikon kopiert und eingesprochen – ZEITZEICHEN enthält historische Tondokumente, Interviews und inszenatorische Effekte. Manchmal geht den Machern auch ein wenig der Gaul durch, dann werden Themen wie “Baron von Münchhausen” als manieriertes Mini-Hörspiel aufgezogen.

Man muss sich das vorstellen: es sind unglaubliche 16.000+ Ausgaben produziert worden, was einem historischen Lauschlexikon von 4000 Stunden entspricht. Würde man jeden Tag acht Stunden hören, bräuchte man satte 500 Tage dafür.

Hier nur mal eine Auswahl, um die Bandbreite zu verdeutlichen:

In der Audiothek findet man aktuell ca. 200 Sendungen. Ich habe mich heute u.a. durch Alfred Hitchcock, die Krönung von Beatrix, die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti, den ersten Reichstag zu Worms, den ersten Atlas, und die Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 gehört. Was für ein Spaß! Die Sendungen sind sorgsam produziert, leicht konsumierbar und dennoch extrem faktendicht. Man lernt wahrlich was fürs Leben. Die langen Fahrten auf Reportage-Reisen werden sich damit deutlich straffer anfühlen.

Es gibt dennoch zu denken, dass der NDR nur für die Wiederholungsrechte der Sendung 145.000 Euro im Jahr bezahlt hat. Was zur Hölle kosten die ZEITZEICHEN denn?! Das riecht förmlich nach Arbeitsbeschaffung für ein paar quasi-verbeamtete Redakteure beim WDR, die seit über 40 Jahren in einer bequemen Blase leben.

Mir soll’s letztlich egal sein, ich genieße die Sendung gerade und möchte Sie euch auf diesem Wege ans Herz legen. Für euch! Für eure Kinder! Für eure Eltern!

Aber gerade falls und wenn die ZEITZEICHEN in absehbarer Zeit eingestellt werden, sollten wir als Gebührenzahler uns nicht wünschen, sondern verlangen, dass der WDR nicht bloss die letzten paar Dutzend, sondern ALLE Episoden online zur Verfügung stellt. Es handelt sich hierbei um einen Wissensschatz, der den Hörern auf jeden Fall nicht verschlossen bleiben darf. Genau für so etwas sind Online-Archive da!



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Dietmar
27. Mai, 2020 22:45

Was?! Zeitzeichen habe ich oft gehört, als ich beruflich noch viel Auto fahren musste. War immer interessant.

Martin
Martin
28. Mai, 2020 01:21

145.000 Euro klingt erstmal nach viel Geld, auf die einzelnen Folgen heruntergerechnet sind das aber nur knapp 400 Euro (oder knapp 1600 Euro für eine Stunde Sendezeit). Ohne jetzt die üblichen Programmkosten im Radio zu kennen, erscheint mir das nicht als besonders teuer. Bei einem Format dieser Qualität ist es ja nicht damit getan, dass ein oder zwei Redakteure die Sendung an einem Tag im Alleingang zusammenkloppen. Von daher bleibt nur zu hoffen, dass der WDR sich das Format trotz des Rückzugs des NDR und der damit wegbrechenden substanziellen Kostenbeteiligung weiterhin leisten kann und will. Das Publikumsinteresse ist ja offensichtlich vorhanden.

Trantor
Trantor
28. Mai, 2020 12:01
Reply to  Torsten Dewi

Von allen Anstalten sind es nur der NDR und der SR, die die vom WDR produkzierten Zeitzeichen in ihrem Programm wiederholen.

Wie Martin habe auch ich keine Ahnung, was übliche Kosten für eine produzierte Stunde Radio sind. Ich glaube allerdings, dass diese Sichtweise eh falsch ist, da es sich de fakto ja um “interne Verrrechnungspreise” handelt. Da kann man sich jetzt sicherlich drüber streiten, warum die ÖR-intern so hoch angesetzt werden, aber man kann eben nicht sagen, die Zeitzeichen kosten als “real money” die aufaddierten Rechtepreise.

Ich arbeite zum Beispiel in einem weltweiten Serviceunternehmen, wo wir genauso interne Verrechnungspreise für unsere geleisteten Stunden haben. Arbeite ich eine Stunde an einem Projekt für unser regionales Büro in Land Y, dann wird dem ein interner Tagesatz von mir berechnet, der um ein Viel-Viel-faches höher ist als etwa mein reines Gehalt. Weil da halt immer noch hunderte Blöcke mit drauf gepackt werden (Anteil Bürokosten, Anteil HR-Kosten, Anteil was auch immer). Und weil solche internen Verrechnungspreise halt nicht die reine Aufaddierung der angefallenen Ausgabe, geteilt durch 3, ist, sondern fast immer eine “marktübliche” Summe wiederspiegelt, also in der Höhe etwa da sein sollte, wo Kosten lägen, wenn man halt den gleichen Service eben nicht von einer anderen internen Einheit sondern von einem externen Dienstleister “einkauft”.

Alexander Freickmann
Alexander Freickmann
28. Mai, 2020 03:48

Oh, das Zeitzeichen kannte ich gar nicht, aber auch kein Wunder, habe WDR5 früher wie der Teufel das Weihwasser gemeidet. Um ehrlich zu sein auch zu Recht, denn normalerweise ist das Programm stinklangweilig. Inzwischen bin ich aber auch seit Jahren komplett auf Podcasts umgestiegen, dort habe ich das SWR Zeitwort abonniert, weil ich damals nach genau so einem Format gesucht hatte. Das SWR Zeitwort ist aber normalerweise eher radiogerechte 3-4 Minuten lang, was für die meisten Themen auch ausreicht um die wichtigsten Fakten unterzubringen. Wenn ich mal was interessantes gefunden habe, google ich nach mehr. Werde aber sicherlich auch hier reinhören.

Aber was es auch zeigt, die öffentlich Rechtlichen bieten ähnliche Formate an, die selbst produziert sind, anstatt, was ich erwarten würde bei solch einem Format, diese untereinander zu teilen. So ists dann auch kein Wunder, das die Sender inzwischen solche Geldgräber geworden sind.

plumtree
plumtree
28. Mai, 2020 21:50

Ich höre das Zeitzeichen seit 30 Jahren. Dadurch habe ich unglaublich viele DInge gelernt, bin neugierig gemacht worden und habe sie vertieft.

Die haben ja nicht nur über wichtige geschichtliche Themen geredet, sondern auch Nebenfiguren der Geschichte beleuchtet.

Ein unglaublich vielfältiges und spannendes Format würde ein Ende finden.

Es wäre sehr, sehr traurig!

Fake
Fake
29. Mai, 2020 08:00

Beim Deutschlanradio gibts eine ähnliche Sendung, die kürzeren Kalenderblätter. Leider hat deren Mediatek immer nur die letzten 7 Tage vorätig.