13
Okt 2019

Flashback: Andreas Franz, Julia Durant und ich (NACHTRAG)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Leser meines Blogs werden sich erinnern, dass ich im Bereich Drehbuch seit einigen Jahren gar nicht mehr unterwegs bin. Das ist fifty-fifty gewollt und gezwungen. Gewollt, weil ich meinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt nach Baden-Baden verlegt habe und wieder hauptberuflich journalistisch arbeite. Gezwungen, weil der Umzug auch die Netzwerke erst verdünnt und dann oft gänzlich aufgelöst hat. Ich bin in der Branche nicht mehr “drin”.

Das ist sicher auch der Grund, warum mir entgangen ist, dass am 14. Oktober schon die zweite Umsetzung eines Andreas Franz-Romans auf SAT.1 läuft. Es ist ein neuer Fall für die hartnäckige Kommissarin Julia Durant:

© Felix Holland SAT.1/Felix Holland
© Felix Holland SAT.1/Felix Holland

Oh, wow. Da purzelten auf einmal die Erinnerungen durch meinen Kopf und ich versuche mal, das irgendwie in einen Kontext zu bringen. Es gilt dabei wie immer: das hier ist MEINE Wahrheit. Andere Menschen werden eine andere haben.

Ich habe Andreas Franz um 2004/2005 kennengelernt. Damals suchte ich nach Autoren für die BÖSE NACHT GESCHICHTEN im Auftrag des Senders 13th Street. Es war der Natur des Projekts geschuldet, dass ich mit den meisten Beteiligten nur telefonischen oder epostalischen Kontakt hatte: Roger Willemsen, Andreas Eschbach, Rebecca Casati, Hera Lind, Burkhard Driest, Maxim Biller. Und eben auch Andreas Franz.

Andreas war kein glücklicher Mensch, das merkte ich bei unseren immer länger werdenden Telefonaten sehr schnell. Er war fahrig, ungeduldig, unsicher und immer seltsam frustriert – nicht gerade die Lebenseinstellung, die man von einem der erfolgreichsten Krimiautoren des Landes erwartet.

Wir hielten auch nach den Böse Nacht Geschichten Kontakt. Er erzählte mir von seiner Karriere als Studiomusiker, die mit dem Aufkommen von Drum Computern in den 80ern den Bach runtergegangen war. Vom Frust mit seinem Verlag. Von der Idee, das Land zu verlassen und irgendwo neu anzufangen.

So alle zwei, drei Monate telefonierten wir – was meistens bedeutete, dass Andreas irgendwas auf dem Herzen hatte und sich auskotzen wollte. Oder er brauchte einen Rat. Ich vermittelte ihm meinen Admin für seine Webseite, Gespräche mit meinem Agenten und beruhigte ihn, dass es völlig normal sei, wenn man als Autor manchmal stecken bliebe. Er schien das nicht zu wissen und ich bekam das Gefühl, dass es in seinem Leben nicht ausreichend Ohren und Schultern gab. Seltsam, sehr seltsam.

Da ich damals recht erfolgreich in Sachen Drehbuch unterwegs war und Andreas damit haderte, dass sich niemand die Mühe machte, seine Romane für eine TV-Film-Reihe zu lizensieren, schlossen wir uns (mit Hilfe meiner Agenten) zusammen: Ich schrieb einen Teaser und machte mich daran, die Kommissarin Julia Durant als Property für das deutsche Fernsehen aufzuhübschen. Der Deal: sollte es mir gelingen, mindestens einen TV-Film in Produktion zu hieven, würde ich die Drehbücher schreiben. Das war Andreas wichtig, denn er vertraute mir – und wenigen Menschen sonst.

Da ich ja wirklich alles aufhebe, habe ich auch den Entwurf für den Teaser noch auf meiner Festplatte gefunden:

Da ich die Möglichkeit in Betracht zog, dass es bereits ein Überangebot an weiblichen Kommissarinnen im deutschen Fernsehen gab, bot ich gleich noch Andreas’ männliche Ermittler im Paket mit an:

Das Anschreiben an die Produktionsfirmen war entsprechend des Erfolges der Romane von einem gewissen Selbstbewusstsein durchdrungen:

Ich war ziemlich sicher, dass wir das IRGENDWIE und IRGENDWO würden platzieren können. Ich machte das ja nicht zum ersten Mal und ich suchte mir gezielt zwei, drei Produktionsfirmen aus, die einen guten Ruf in Sachen Krimi und einen guten Leumund bei den Sendern hatten.

Andreas und ich hatten viel über das Thema Besetzung diskutiert. Er wollte Martina Gedeck als Julia Durant sehen, unbedingt. Er meinte sogar, sie habe das Bild der Ermittlerin in seinen Romanen geprägt. Ich selber war nie ein großer Fan von Martina Gedeck und dachte eher an Schauspielerinnen, die etwas mehr Farbe und Leidenschaft einbringen würden: Christiane Paul, Gesine Cukrowski, Sophie von Kessel, Muriel Baumeister. Aber wir stritten nicht. Letztlich ist es eine Entscheidung des Senders und der Produktionsfirma, wer die Hauptrolle in so einer Prestige-Produktion bekommt.

In der zweiten Jahreshälfte 2007 kam es zu (wenn ich mich recht erinnere) drei oder vier Terminen mit den Top-Leuten der besseren deutschen Produktionsfirmen: belegbar sind zumindest Hofmann & Voges, Pro GmbH, tv60. Ich konnte Interesse für Julia Durant wecken und eine Email aus meinem Archiv beweist, dass zumindest eine der Firmen ein konkretes Angebot für die Rechte an den Romanen abgegeben hat.

Und dann… ist es irgendwie versuppt. Das ist nicht selten der Fall in dieser Branche, aber es ärgert mich, dass ich trotz meines guten Gedächtnisses und trotz meines digitalen Archivs nicht mehr rekonstruieren kann, WARUM es versuppt ist. Zwischen 2008 und 2010 lief sich die Sache einfach tot. Vielleicht konnten sich der Verlag und die Produktionsfirmen nicht einigen, vielleicht konnten die Produktionsfirmen bei den Sendern keine offenen Türen einrennen – ich weiß es schlicht nicht. Und ich hatte mit DR. HOPE, den MÄRCHENSTUNDEN und LOST CITY RAIDERS auch wahrlich genug andere Projekte auf der Rampe. JULIA DURANT war spannend, aber nachrangig.

Als alles in trockenen Tüchern war und ich um 2010 herum mal wieder etwas Zeit hatte, besprach ich mit Andreas und meinen Agenten, dass wir einen neuen Versuch unternehmen sollten, JULIA DURANT als TV Film-Reihe zu etablieren. Vielleicht mit einem weiblichen Star “attached”? Oder einem “spec script” für den ersten Film?  Andreas und ich spielten außerdem mit der Idee, ein gemeinsames Buchprojekt zu stemmen, entweder als direkte Kollaboration oder als Spinoff von DURANT, den ich eigenständig schreiben sollte.

Ich weiß es genau, weil es mich in ein so bizarres Fegefeuer aus Gefühlen schubste: ich stand auf einem Flughafen, vielleicht auf den Flieger für eine Reportage wartend, als ich am 14.3.2011 eine Email meines Admins bekam: “du hast gehört, dass Andreas tot ist?!”

Andreas Franz war am 13.3.2011 an einem Herzinfarkt verstorben. An seinem Schreibtisch, wie mir zugetragen wurde. Gerade mal 57 Jahre alt.

Natürlich war ich erschüttert. So erschüttert, dass ich aus Respekt vor Andreas auf meinem Blog nicht darüber schreiben wollte. Es war auch keine gute Zeit: ein nahes Familienmitglied war schwer erkrankt und ich befand mich mitten im Umzug.

Die Idee, JULIA DURANT für das Fernsehen umzusetzen, legte ich damit ad acta. Ohne Andreas schien mir das sinnlos und langweilig. Und ehrlich – Krimi war eh nicht mein Thema. Ich sah mich eher bei den Genre-Stoffen.

Dennoch meldeten sich meine Autoren-Instinkte. Ich rief ein paar Leute an, die von Andreas’ Tod erfahren mussten – und als ich meinen Agenten dran hatte, bat ich ihn, nach der angemessenen Wartezeit beim Verlag von Andreas Franz die etwaige Fertigstellung noch nicht vollendeter Romane anzubieten. Ich wusste, dass Andreas immer ein paar Entwürfe in der Schublade hatte – und Droemer Knaur würde die Franchise JULIA DURANT sicher nicht einfach sterben lassen.

Es gibt wenig, das ich beruflich im Nachhinein mehr bedauert habe als dieses Gespräch mit meinem Agenten – denn er redete mir die Idee aus. Ich hätte doch gerade mit der Nibelungen-Trilogie einen sehr guten Start in den Markt gehabt, es sei sicher besser, jetzt auf meinen eigenen Namen zu setzen, als sich an einen verstorbenen Bestseller-Autor zu hängen, etc. Ich weiß noch, dass ich das sehr widerwillig hingenommen habe.

Ihr ahnt es – das war nicht das Ende der Geschichte. Lange nicht. Ein paar Monate (?) später hatte ich einen unverbindlichen Termin mit Droemer Knaur. Einfach mal freundlich plaudern, wie der Buchmarkt aussieht und was aktuell gesucht wird. Ein Arbeitsessen. Ich konnte es mir nicht verkneifen und brachte das Gespräch irgendwann auf Andreas Franz und meine Idee, etwaige Romanfragmente auszuarbeiten. Schließlich war ich mit dem Autor nicht nur befreundet gewesen – ich war auch ziemlich sicher, dass ich Andreas’ Schreibstil sehr perfekt würde imitieren können. Die Leser würden kaum einen Bruch bemerken.

Die Redakteurin des Verlags war sichtlich baff und ich gebe sie hier aus dem Gedächtnis wieder: “Warum haben Sie uns das denn nicht früher gesagt? Die Kollegin hat sehr lange nach einem möglichen Nachfolger für Andreas Franz gesucht und soweit ich weiß, sind letzte Woche die Verträge unterschrieben worden.”

Herzlichen Glückwunsch, Daniel Holbe.

Eigentlich habe ich meinen Frieden mit der Sache gemacht. Es war eine großartige Chance, ich habe sie verpasst. Und dann habe ich eine andere Chance ergriffen. Ich bin ja nicht besoffen in der Gosse gelandet und gröle buddelschwenkend “ich hätte ein ganz Großer sein, ein GANZ GROSSER!”. Ich bin in meinem Leben und in meiner Karriere oft richtig abgebogen – hier bin ich halt falsch abgebogen.

Ich geb’s jedoch zu: wenn ich – wie erst letzte Woche wieder – im Supermarkt an der Kasse ein riesiges Display mit einem neuen Julia Durant-Roman von Daniel Holbe sehe, sticht es. Das hätte ich sein können. Sein müssen.

Und es wird nicht besser.

Wie gesagt: SAT.1 hat – zehn Jahre nach meinen ersten Gesprächen zu dem Thema – JULIA DURANT tatsächlich als lose Reihe produzieren lassen. Nicht mit Martina Gedeck, aber auch nicht mit Christiane Paul. Sandra Borgmann ist es geworden. Ich will der Schauspielerin nichts vorwerfen, sie ist sicher kompetent und auch der Beschreibung nach nicht falsch für die Rolle – aber sie ist genau der Typ “generische blonde Kommissarin”, die Andreas und ich eigentlich verhindern wollten. Aber er ist tot und ich habe nichts zu sagen, also was soll ich mäkeln?

Ich werde mir den neuen Film nicht ansehen. Da ist nichts dran, was mich interessiert. Ist er schlecht, würde ich denken “das hätte ich besser gemacht”. Ist er gut, würde ich neidisch sein, dass ich ihn nicht geschrieben habe. Ich kann nicht gewinnen.

Dennoch war ich neugierig, weil ich wissen wollte, wer denn nun den Sprung ins kalte Wasser gewagt hat, welcher Produktionsfirma es gelungen ist, den Verlag und den Sender von dem Projekt zu überzeugen. Wer hat geschafft, was Hofmann & Voges, Pro GmbH und tv60 nicht vermocht hatten?

Die Antwort überraschte mich: tv60. Die Firma, bei der ich JULIA DURANT am 28.9.2007 um 10.00 Uhr vorgestellt hatte. Der Produzent der TV-Filme? Ist der Produzent, mit dem ich damals das Gespräch geführt hatte.

Das ist nicht illegal. Nicht mal hinterhältig. Ich finde es nur… unfein.

Andreas? Du hast es geschafft, Alter. Nicht wir. Du. Freut mich. Ehrlich.

NACHTRAG 15.10.: Der Film ist bös gefloppt – kein Grund zur Häme.



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2 Kommentare
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Dietmar
13. Oktober, 2019 16:44

Das ist ergreifend und spannend!

Die Ähnlichkeit zu meinen Erfahrungen in meiner ehemaligen kleinen künstlerischen Nische sind wieder so groß, dass ich denke, wir Menschen haben doch mehrere soziale Konstruktionsfehler.

Könnte daran liegen, dass uns niemand konstruiert hat.

takeshi
takeshi
14. Oktober, 2019 08:27

Unter anderem wegen diesen ebenso interessanten und erhellenden wie unterhaltsamen Hintergrundgeschichten lese ich dein Blog immer wieder gern.
Wenn es deine Zeit und die Umstände erlauben, zögere bitte nie, sie mit uns zu teilen.