Fantasy Filmfest 2019 Tag 5, Film 2: Little Joe
Themen: Fantasy Filmf. 19, Film, TV & Presse, Neues |GB/Österreich/Deutschland 2019. Regie: Jessica Hausner. Darsteller: Emily Beecham, Ben Whishaw, Kerry Fox, David Wilmot, Leanne Best, Lindsay Duncan, Sebastian Hülk, Goran Kostic, Yana Yanezic
Offizielle Synopsis (böser Schwall-Alarm voraus!): Als würde die in einer geheimen Forschungsstation gezüchtete Pflanze, die dem Film ihren Namen gibt und die bei sorgfältiger Pflege einen Duft versprüht, der die Menschen glücklich machen soll, durch die Leinwand in den Kinosaal hineinwirken. Jede Einstellung ist eine Warnung. Hinter den perfekten Bild- und Farbkompositionen, die an der Oberfläche so harmonisch aufeinander abgestimmt wirken, rumort und arbeitet es. Hausner erzeugt mit Bild und Ton eine eindringliche Bedrohung, wo es vermeintlich keine geben kann.
Kritik: Ach. Du. Scheiße.
Ich komme selten entgeistert aus dem Kino. Besonders dann nicht, wenn es um einen Film geht, den ich allenfalls mittelmäßig zu bewerten gedenke. Aber LITTLE JOE ist eine Arthouse-Horror-Mär, über die ich mich aufregen musste. Dazu später.
Die Österreicherin Jessica Hausner hat eine dieser Biographien, die ich nicht leiden kann – aus einer Künstlerfamilie (Maler größtenteils), primär auf Festivals unterwegs, dann und wann mal ein Film und ein Preis, ohne größere Breitenwirkung, aber Mitglied der Oscar-Akademie und mit LITTLE JOE zu den Filmfestspielen in Cannes eingeladen. Ein kultur-elitäres Leben, das mehr in Glamour und Prominenz investiert als in tatsächliche Arbeit am Kino. Es passt, dass sie hier im Saal mit dem Satz "Du lebst praktisch auf Festivals, oder?" vorgestellt wurde.
LITTLE JOE reflektiert das sehr gut. Jedes Bild fein komponiert, abgestimmte satte Farben, Emily Beecham im Londoner Townhouse, in jeder Szene neue, teure Luxuskleidung, deren Auswahl teilweise gewollter wirkt als die Handlung. Menschen in Reichtumsblasen, kein Gefühl für Natürlichkeit, Schmutz, Emotion.
Es passt dazu der absurde, atonale asiatische Soundtrack – KUNST!
Inhaltlich ist das – wie befürchtet – eher dünn. Eine absurde Überschätzung des Prinzips "nature finds a way" aus Crichtons JURASSIC PARK, mit null glaubwürdigem Background (wissenschaftliche Details oder Logik interessieren Hausner sichtlich nicht). Antagonist? Vage. Motivation? Vage. Bedrohung? Vage.
Die Themen des Films (echte gegen gespielte Gefühle, Glück als Illusion) mögen ehrbar sein, aber sie bleiben auch halbgar und unerzählt, weil außer "Heldin" Alice keine Figur diese Ansätze bedient. Überhaupt besteht der ganze Cast jenseits der steifen Protagonistin aus bestenfalls skizzierter Staffage.
Selbst das würde ich alles noch durchgehen lassen, weil man LITTLE JOE vielleicht als verkopftes Stil-Kino sehen SOLL, weil solche Menschen eben solche Filme drehen.
Was ich aber NICHT durchgehen lassen kann, ist die Kackfrechheit, mit der Kaufmans DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN hier einfach noch mal neu angepinselt wurde. LITTLE JOE ist nicht szenisch, aber strukturell eine Kopie, eine lustlose noch dazu. Jeder Beat, jeder Charakter, das Szenario von A bis Z – ich hätte es anhand der Vorlage präzise voraussagen können.
Nun ist es eine Sache, sich von einem Vorbild inspirieren zu lassen. Auch der folgende FREAKS hat seine filmischen Ahnen. Es ist eine andere Sache, einen guten Horrorfilm durchzupausen und sich in Cannes als Schöpferin eines genuin einzigartigen Werkes feiern zu lassen. Aber es passt in das Bild, das ich nach der Bio von Hausner hatte.
Diese Kaiserin hat keine Kleider.
LITTLE JOE ist eine Mogelpackung, und nicht mal eine richtig gute. Oder anders gesagt: Die Verpackung ist teuer und schick, das Geschenk darin ist alt und haben wir schon.
Ich bin gegangen, bevor die Fragerunde mit Hausner anfing – hätte ich was gesagt, hätte ich was Böses gesagt. Und das ist hier nicht der Ort dafür.
Fazit: Eine visuell prächtige, aber auch leblose und sehr freche Kopie von Philip Kaufmans DIE KÖRPERFRESSER KOMMEN, die sich deutlich smarter findet, als sie ist. 7 von 10 Punkten, wenn man den Raubbau an Kaufmans ungleich besserem Film durchgehen lässt. Ansonsten 3 von 10.
Philipp sagt: "Der Soundtrack würde gerne Spannung verstärken – wenn denn welche da wäre. So unterstreicht er, wie bescheuert dieser Streifen ist."
Mhm, Du bist recht hart. Ich hab nachher gedacht, hey, eigentlich war doch die Frage des Films, was Menschen glücklich macht. Waren sie es vor oder durch Little Joe? War Emily Beecham nicht gar von Anfang im Dienst der Pflanze unterwegs?
Arthous, ja. Kunstverliebt, auch ja. Und selbst beim In-eigener-Suppe-kochen stimme ich Dir zu, denn die Schwester der Regisseurin fertigte die Klamotten.
Dennoch ist der Film beunruhigend genug.
Bei euch läuft Vivarium wohl später, in Berlin kam er vorher und dieses fiese Grün bekommt man einfach nicht mehr aus der Gruselzone.
In Berlin gab sich die Regisseurin als Nerd-Girl und ich hab es ihr auch abgenommen.
Ich bin in Berlin.
Wärst du zur Fragerunde geblieben wüsstest du das die Regisseurin Body Snatchers als Vorlage auch angibt, aber eben nur die erste Hälfte. Es bleibt bei ihrem Film offen ob die Pflanzen wirklich einen Effekt auf die Menschen haben oder alles nur Einbildung ist. Ich denke aber das macht den Film für dich auch nicht besser.
Nein, macht es absolut nicht. Im Gegenteil, dieses Drücken um eine konkrete Aussage ist genau die Arthouserei, die ich nicht leiden kann.
Soundtrack nervt wie Sau, Bilder ganz gut, und es hilft halt gar nicht, dass alle Figuren auch schon vor dem Auftauchen der Pflanze wie auf Valium agieren. Interessanter Ansatz, aber es. ist. halt. so. unfassbar. dröge. 4/10.
Hat mir auch nicht unbedingt gefallen. Stellenweise kam für mich mal sowas wie brauchbarer Suspense auf. Aber als Centerpiece fand ich das ganze sehr schwach.
Und der Soundtrack ging mir auch schwer auf den Kecks.
Hamburg, Tag 4, Film 2
Obwohl sich der Film alle Zeit der Welt lässt seine doch sehr übersichtliche Geschichte zu erzählen, bleibt er im dramatischen Zentrum völlig leer. Es wäre z.B. wichtig gewesen, dass man vorder Begegnung mit Little Joe ein Gespür für das Mutter-Sohn-Verhältnis bekommt, damit man die Veränderungen und damit einhergehende Besorgnis der Mutter nachvollziehen kann. Stattdessen scheint sein Verhalten nur einen Tick distanzierter zu sein als es eh schon war. Echte Anteilnahme am Geschehen kann da nur schwer aufkommen. Und der wirklich furchtbare Soundtrack – das fällt schon unter akustische Körperverletzung – hilft natürlich auch nicht dabei in den Film einzutauchen.
Wirklich fassungslos macht mich, dass die Hauptdarstellerin hierfür in Cannes ausgezeichnet wurde. Das muß ja ein richtig schwacher Wettbewerb gewesen sein. Klar gibt es das bei den Männern auch immer wieder, dass eine komplett in sich gekehrte Darstellung als besonders ausdrucksstark empfunden wird. Ich denke da z.B. an Heath Ledger in "Brokeback Mountain" oder Ryan Gosling in "Drive". Aber Emily Beecham wirkt den gesamten Film über wie eine milde besorgte Frau, die sich fragt ob sie zuhause das Licht angelassen hat. Da war wohl das Gießkannen-Prinzip bei der Preisverleihung am Werk.