06
Sep 2019

Fantasy Filmfest 2019 Tag 2, Film 5: Tone-deaf

Themen: Fantasy Filmf. 19, Film, TV & Presse, Neues |

USA 2019. Regie: Richard Bates Jr. Darsteller: Amanda Crew, Robert Patrick, Hayley Marie Norman, Johnny Pemberton

Offizielle Synopsis: Verfluchte Millennials! Diese von ihren Eltern gnadenlos verwöhnten Internetjunkies. Hippe Anti-Establishment-Liberale, denen die Welt offensteht. Witwer Harvey hasst sie bis aufs Blut. Da kommt ihm Olive, ein Prachtexemplar dieser Generation, gerade recht. Die leicht verpeilte junge Frau hat unlängst Job und Freund verloren und mietet sich für ein Entspannungswochenende in Harveys kalifornischer Villa ein. Wer rechnet schon damit, dass der Host ein reaktionärer, seniler Psychopath ist?

Kritik: Die Inhaltsangabe schafft es ausnahmsweise, den Kern des Films ganz gut zu umreißen: ein reaktionärer, eventuell schon leicht dementer Drecksack will sich an der ganzen verlotterten Spaß-Gesellschaft und damit beispielhaft an der jungen Olive abreagieren. Nicht nur Täter gegen Opfer – Vergangenheit gegen Moderne, alt gegen jung, konservativ gegen liberal. Eine hübsche Idee, so einem kleinen Terror-Streifen mal einen etwas größeren Kontext zu geben.

Aber natürlich fällt der Film damit komplett auf die Fresse.

Wo fange ich an? Vielleicht bei Olive, die zwar sehr niedlich ist, aber so widerlich LA, dass man ihr permanent eine schmieren möchte. Sie ist der Prototyp des “entitled california girl”, die weder mit sich selbst noch mit Konflikten umzugehen gelernt hat. Weder sie noch ihre Freundinnen sind erträglich, hinter der notorisch grinsenden Oberfläche sind sie “white scum”, vom Trailerpark Trash bestenfalls durch einen höheren Kontostand getrennt. Und Olive ist die “Heldin” des Films.

Und dann ist da Harvey, der immer wieder in die Kamera schaut und das Publikum als mieses Pack beschimpft, das nicht besser als Olive ist. Die “Millenials” sind hier der erklärte Gegner. Aber warum eigentlich? Harvey war 30 Jahre lang glücklich verheiratet, hat mit seiner Frau in einer fetten Villa gelebt, hat einen Sohn groß gezogen. Sein Hass ist so unbegründet wie der Verdacht, seine mörderischen Tendenzen könnten einer einsetzenden Demenz geschuldet sein (illustriert durch wiederkehrende, aber komplett sinnfreie Traumsequenzen).

Weil weder Olive noch Harvey sympathisch oder auch nur glaubwürdig sind, strapaziert auch ihr Zusammentreffen die Leichtgläubigkeit des Zuschauers: der technikfeindliche alte Sack hat seinen Villa demnach sauber fotografiert und bei AirBNB eingestellt – und die frustrierte Olive entscheidet sich, für ein Spaßwochenende allein eine teure, riesige, hundert Jahre alte Villa zu mieten. Kein Beachhaus, keine Hütte am See – eine riesige Villa im gottverlassenen Hinterland.

Wir glauben das nicht. Keine Sekunde.

Nun lasse ich Setup gerne Setup sein, wenn der Film danach wenigstens in Fahrt kommt. Aber TONE-DEAF kommt nicht in Fahrt. Statt Olive und Harvey sofort gegeneinander zu stellen, muss Harvey erst andernorts lernen, wie man überhaupt Leute killt. So arbeitet er sich an einer Nachbarin ab, an einem anderen Serienkiller, an dessen Opfer. Olive langweilt sich derweil bis in den dritten Akt in der Villa. Protagonist und Antagonist, die bis zum Finale nicht die Klingen kreuzen – was soll das?!

Und als das Finale dann kommt, ist es seltsam unterwältigend. War nicht der ganze Aufhänger, dass die verwöhnte und nur mässig lebenstüchtige Olive im Kampf gegen Harvey lernen muss, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen (siehe COME TO DADDY)? Leider nein. Jemand anders muss sie retten und der große Wendepunkt des Charakters ist, dass sie erkennt, dass sie gar nicht Klavier spielen kann.

I shit you not.

Ich möchte nicht ausschließen, dass der Film an nachträglichen Justierungen im Schneideraum gelitten hat – ähnlich wie in MAKING MONSTERS gibt es Elemente, die eingeführt, aber dann komplett fallen gelassen werden. So hat Harveys Sohn exakt drei Szenen, die man (zusammen mit der ganzen Figur) folgenlos aus dem Film hätte streichen können. Man kratzt sich am Kopf.

So verpufft das gesamte dramatische Potenzial des Aufeinandertreffens von liberal und reaktionär und TONE-DEAF bringt seine knappe Laufzeit zwar bunt und launig, aber auch so substanzfrei wie koffeinfreies Red Bull rum. Schade um die Location, die schönen Bilder, die Darsteller – sie alle hätten ein besseres Skript verdient.

Es sei angemerkt, dass es für den Begriff “tone-deaf” (ursprünglich “unmusikalisch) in seiner erweiterten Definition keine wirkliche Übersetzung gibt. Das Wort wird mittlerweile auch verwandt, um Reaktionen auf Ereignisse und Aussagen zu werten, die jedes Gespür für den tatsächlichen sozio-kulturellen Kontext vermissen lassen. Wenn z.B. ein Schwuler von Skinheads zusammen geschlagen wird und ich darauf verweise, dass er ja nur ein paar Kratzer und blaue Flecken wie Jungs nach einem Fußballspiel davon getragen hat, dann ist das klassisch “tone-deaf” – ich habe den Schuss nicht gehört. Es ist in dem Kontext drollig, wie “tone-deaf” der Film TONE-DEAF ist.

Schade. Vom Regisseur von EXCISION, SUBURBAN GOTHIC und TRASH FIRE hatte ich mir wirklich mehr erwartet.

Fazit: Ein Film, der leider so gar nicht in die Puschen kommt und genau die gegenteilige Botschaft dessen vermittelt, was er vermutlich sagen wollte. 6 von 10 Punkten.

Philipp sagt: Sehr betulich und die wesentliche Spannung besteht in der Frage, wann es endlich spannend wird.

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Goran
Goran
6. September, 2019 14:11

Tone-deaf in allem irgendwie, besonders der Soundtrack passte so voll zum Titel in seiner schmerzauslösenden Beschissenhaftigkeit.

Aber auch wie jede These dieses Films irgendwie daneben geht, ohne weit genug zu gehen, um den Titel zynisch zuzuspitzen.

Das vergurkte Gespiele von Olive ist wirklich bezeichnend für diesen Film. Man erkennt, was es sein sollte, aber es ist zu schlecht, um dass zu würdigen und nicht schlecht genug, als dass man das dann wieder bemerkenswert finden könnte.

Marcus
Marcus
21. September, 2019 15:12

Warum willst du eigentlich permanent Frauen eine schmieren? Magst du uns was sagen? 😉

Ich würde insofern widersprechen, als ich Olive auf ihre verspulte Art und Weise ungeheuer sympathisch fand.

Leider ist sie aber der einzige Aktivposten im ersten richtigen Fehltritt von Richard Bates, Jr. (glaub ich – TRASH FIRE liegt hier noch ungeguckt rum) – ein so dermaßen lieblos hingeschmissenes One-Trick-Pony, dass ich zwischendurch Flashbacks an Kevin Smith’s TUSK hatte – die gleiche “im Suff Idee gehabt und noch im Kater verfilmt”-Attitüde.

Es ist bezeichnend, dass ich nicht sagen kann, ob dieser Film eine platte Polemik gegen Millenials sein will oder eine platte Polemik gegen alte Säcke, die ständig über die ach so schlimmen Millenials rumjammern und dabei mehr nerven, als es die Millenials jemals könnten. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich für beides letztlich keine Verwendung habe. 6/10, davon einer für Olive.

Matts
Matts
21. September, 2019 19:08

Es ist wirklich zum Mäusemelken! Ich bin ja erklärter Fan von Richard Bates Jr´s Debut “Excision”. Leider hat er es irgendwie seitdem geschafft, sich mit jedem Film zu verschlechtern. Von “Suburban Gothic” (den ich auch noch sehr nett fand) bis zu dieser halbgaren Nummer.
Naja. Wenn er weiterhin mit der Frequenz Filme macht, besteht wohl die Hoffnung, dass es irgendwann wieder bergauf geht. Aber vielleicht sollte er sich auch mal ne Pause gönnen (hoffentlich in einer Villa ohne mörderische Boomer).