Kino Kritik: Once upon a time in Hollywood
Themen: Film, TV & Presse |USA 2019. Regie: Quentin Tarantino. Darsteller: Brad Pitt, Leonardo DiCaprio, Margot Robbie, Al Pacino, Timothy Olyphant, Bruce Dern, Dakota Fanning, Luke Perry, Kurt Russell, Emile Hirsch u.a.
Story: TV-Serienstar Rick Dalton befindet sich in einer Krise: die großen Angebote bleiben aus, immer häufiger wird er als Bösewicht für einzelne Folgen angeheuert und ein Agent schlägt ihm eine B-Karriere beim Spaghetti-Western in Italien vor. So tröpfeln die Tage dahin im heißen LA der Jahre 1968 und 1969, Rick vertreibt sich die Zeit mit seinem bezahlten Kumpel Cliff und träumt davon, eine Chance in einem Film seines Nachbarn Roman Polanski zu bekommen. An einem schwülen Abend laufen alle Fäden zusammen und die Schicksale der Figuren werden neu aufgestellt.
Kritik: Es ist schwer zu sagen, ob ONCE gut ist – weil man erstmal mit der Frage hadert, was ONCE eigentlich sein will. Eine tatsächliche Story erzählt er nicht. Seine Zeit verteilt er gleich auf drei Figuren, ohne sich auf einen Protagonisten wirklich festzulegen. Es gibt keine Zwangsläufigkeit der Handlung, keinen roten Faden, keinen Antrieb. Am Ende steht zwar ein Finale, aber keine Aufklärung, keine Er-Klärung.
ONCE ist ein Panorama, ein Ausschnitt, eine Liebeserklärung an die Schmierigkeit von Hollywood, LA und der kulturellen Blasen der späten 60er. Als solches schert er sich weder um die charakterliche Entwicklung seiner Figuren oder um so etwas wie ein Thema oder eine Botschaft. Es passieren Dinge. Tragische, lustige, überraschende Dinge. Das Setting: Hollywood, wie man es vom Dach eines Sightseeing-Busses kennt – Musso & Frank’s, Capitol Records, Graumans, Paramount, Mulholland Drive, Playboy Mansion. Seht mal – Steve McQueen! Wow – Bruce Lee!
In seiner Weigerung, tatsächlich etwas zu sagen oder zu bedeuten, erinnert ONCE an Leporellos mit Hollywood-Postkarten. Man kann sich an den bunten Motiven besaufen, an den schrägen Figuren, an den witzigen Details – Substanz oder gar ein tatsächlicher Blick hinter die Kulissen kann das aber nicht sein (wollen).
In dieser Fake-Welt sind Rick und Sharon exemplarisch, Figuren ohne Charakter, die jenseits der Leinwand trudeln, wenn sie mehr sein sollen als ein Image. Sharon hat sich selbst noch nicht gefunden und Rick ist dabei, sich zu verlieren. Einzig Cliff, der als Stuntman nie selbst im Mittelpunkt steht, ist in all seiner stoischen Marlboro-Männlichkeit authentisch. Er braucht keine Karriere, er braucht nur einen Scheck für die nächste Dose Hundefutter. Und so ist es auch kein Wunder, dass er (arbeitslos, pleite) letztlich der Fixer für all jene ist, denen es doch angeblich soviel besser geht. Dass er nebenher noch dem aufgeblasenen Bruce Lee eins auf die Fresse gibt? Bonus.
Damit ist ONCE gleichzeitig erschütternd und erfreulich. Erschütternd, weil man von einem der angeblich größten Filmemacher dieser Generation mehr erwarten sollte als eine aufwändig bebilderte, mit Geek-Wissen zugeballerte Zeitreise im Stil einer TV-Miniserie. Erfreulich, weil es schon ein Zeugnis von Tarantinos erzählerischem Talent ist, dass die fast drei Stunden Laufzeit nie langweilig werden, dass der Sprung von einer Vignette zur nächsten und der permanente Wechsel des Erzählfokus mehr als ausreichend Spannung generieren. Mag ONCE auch keine kohärente Fabel mit einer Message sein, so ist er doch eine Fundgrube grandioser Einzelszenen und Einfälle. Das gilt doppelt, wenn man als Filmfan die Milieus kennt.
Auch auf der Meta-Ebene ist ONCE für Tarantino sehr konsequent: nach zwei brillanten Frühwerken hat er in den letzten 20 Jahren fast ausschließlich Verbeugungen vor schrabbeligen B-Genres abgeliefert, von der Blaxploitation über das Eastern-Rachedrama bis zum Italo-Western. ONCE geht den letzten Schritt und handelt von Hollywood selbst. Der Weg vom Film zum FilmFilm ist mit dem FilmImFilmFilm zu Ende gegangen. Ich wundere mich nicht, dass Tarantino ans Aufhören denkt.
Noch ein paar Worte zu den Schauspielern: So sehr ich DiCaprios Wandlungsfähigkeit und Spielfreude bewundere, so sehr ist ONCE letztlich eine Visitenkarte für Brad Pitt, der seinen jugendlichen Charme hier in großartige Alters-Souveränität ummünzt. Sein Cliff ist ein "man’s man", die Sorte Biertrinker, die angeblich mit den 60ern ausgestorben ist. Man kann es durchaus für Absicht halten, dass DiCaprio zwar die Pointe des Finales bekommt, Pitt aber den Großteil der Screentime.
Und Margot Robbie? Ich weiß, es gibt die heftige Diskussion, ob sie als Sharon Tate zu wenig Text hat. Und ob das einen tieferliegenden Frauenhass Tarantinos impliziert. I call Bullshit. Zuerst einmal ist im filmischen Kontext absolut verständlich, dass es sich bei Tate maximal um ein McGuffin handelt – sie ist nur der scheinbare Katalysator der Handlung. Außerdem empfand ich die distanzierte, ätherische und bewusst rehäugige Darstellung als korrekten Spiegel der Sharon Tate, wie die Welt sie wahrnahm – eine authentischere Sharon Tate hat sich nie entwickeln können, ist der Welt durch ihr frühes Ableben vorenthalten worden. Sharon Tate in ONCE ist wenig – weil sie nie mehr sein durfte. Damit habe ich kein Problem.
So gilt – wie bei Tarantino eigentlich immer – die Maxime: your mileage may vary. Wer einen konsequent erzählten Handlungsbogen sucht und vollends entwickelte Charaktere, der sollte den Film meiden wie der Teufel das Weihwasser. Wer aber einen brillanten Sack voller Ideen, Dialoge und Performances sucht, bei dem die Summe weniger ist als die Einzelteile, der darf sich an ONCE förmlich besaufen. Ich für meinen Teil hatte mehr Spaß als bei den letzten fünf Tarantino-Filmen.
Fazit: Der zu erwartende Liebesbrief eines erzählerisch begnadeten Hollywood-Junkies – inhaltlich leer, aber trotz fast drei Stunden Laufzeit hochgradig unterhaltsam.
Dieser Trailer verkauft eine straighte Actionstory, die der Film nicht einlöst:
P.S.: Und ja, man kann Tage damit verbringen, die ganzen Cameos und Nebenrollen nach bekannten Gesichter abzuklopfen.
In der Tat hat Tarantino mal wieder die filmische Wundertüte für den Herren gedreht, aber daraus gleich Frauenfeindlichkeit herauslesen zu wollen, sagt doch mehr über den Beurteiler aus, als über das Werk. Im Kontext seiner übrigen Filme ignoriert man mit diesem Vorwurf alle starken Frauen die vieler seiner Filme bisher ausmachten: von Patricia Arquette in "True Romance" über Uma Thurman in Kill Bill bis Jennifer Jason Leigh in "The Hateful 8". Als Charakter ist Sharon Tate natürlich wesentlich oberflächlicher gezeichnet als ihre Umgebung. Das hat sie mit den anderen Personen der Zeitgeschichte gemein, die z.T, nur als Name-Dropping mit Bild-Untermalung auftauchen. Aber die Darstellung von Margot Robbie lässt sie dann doch lebendiger erscheinen als eine Fußnote der Geschichte von Hollywood. Wie sie im Kino sitzt und sich an dem bunten Unsinn auf der Leinwand und den Reaktionen des Publikums erfreut ist auf eine Weise ansteckend, die sich zum Glück auch auf den FIlm überträgt, denn mit seinem weit gesponnenen Netz an Figuren und Verweisen ist er nie frei von Leerlauf.
"Dass er nebenher noch dem aufgeblasenen Bruce Lee …"
Hälst du von Bruce Lee insgesamt wenig oder beziehst du dich auf seine Darstellung in diesem Film?
Ansonsten werde ich mir den Film alleine der Vollständigkeit halber auf Dauer sicher auf DVD holen, die Bandbreite der Kritiken weckt durchaus Interesse, nachdem mir seine letzten drei nur begrenzt gefallen haben…
Ich beziehe mich auf den Film – überraschenderweise kannte ich Bruce Lee gar nicht persönlich. Für mich ist ONCE auch DEUTLICH besser als die letzten drei Tarantinos.
Ich ging nicht davon aus, dass du ihn persönlich kennst, aber man neigt dazu, auch über fremde Leute Meinungen zu haben, wenn man genug hört/liest. Wird also auf jeden Fall später geholt nach der Empfehlung. Ach ja – "Captain Marvel" inzwischen nachgeholt, ist für mich wie erwartet "meh", meiner Tochter hat selbst "Venom" deutlich besser gefallen, den ich auch für eher durchschnittlich halte.
Ich habe Daniel mit "Pulp Fiction" angefixt. Jetzt freut er sich wie Bolle auf diesen Film.
Großartig. Einzige Schwäche IMHO: es wird zwar viel geredet, aber keine Zeile wird wirklich häften bleiben.
Eine schöne Kritik, der ich zustimmen kann. Ich muss sagen, was immer Tarantino auch gemacht hat – gelangweilt hat er mich nie (naja, vielleicht ein kleines bisschen in Deathproof). Und das tut er auch hier nicht. Was ziemlich bemerkenswert ist bei einem Film, der augenscheinlich fast zweieinhalb Stunden nur vor sich hinplätschert.
Ich hatte höchstens erwartet, dass die Geschichte mit Cliff´s Frau am Ende noch eine Rolle spielen wird. Aber wie schon richtig geschrieben wurde, ist das nicht die Intention des Films.
Aber ich muss auch gerrit rechtgeben: Im Gegensatz zu Pulp Fiction werden die Dialoge wohl nicht in die Annalen der Filmgeschichte eingehen. Sie sind gewohnt funny-and-witty, aber so etwas die Viertelpfünderszene oder die Pumpkin-and-Honneybunny-Szene sucht man vegebens.