15
Jul 2019

Blinder Voyeurismus: Facebook und die nackten Fakten

Themen: Facebook, Film, TV & Presse |

Es ist bekannt, dass Facebook manuell und automatisch Inhalte filtert, die vom System als anstößig angesehen werden. Bisher hatte ich damit noch nie zu tun. Bisher.

Dass die Algorithmen, die die Drecksarbeit erledigen, ungefähr so kompetent sind wie die Algorithmen, die mir angeblich “passgenaue” Werbung einblenden (aktuell: indische Kredite und Modellbausätze von Nazi-Flugscheiben), war mir allerdings nicht bewußt.

Es trägt sich zu, dass ein Bekannter gestern dieses Cover eines alten Magazins zum allgemeinen Amüsement postet:

Großes Tennis, keine Frage – aber angesichts der unbestreitbar nackten Tatsachen ein klarer Fall für die Facebook-Auto-Zensur. Ich weise warnend darauf hin, der Kumpel zuckt mit den Schultern. Er behält Recht – das Bild steht aktuell immer noch online.

Heute morgen geht die Nachricht rum, dass das Horror-Meme “Momo” verfilmt werden soll. Da bietet sich für mich alten Sack natürlich ein Kalauer an und ich kommentiere:

“Ich bin schon der Meinung, dass man nach immerhin 33 Jahren ein Remake wagen kann. Aber wer spielt die Rolle von Radost Bokel?”

Klar, ich rede von der Michael Ende-Story “Momo”. Ein anderer Kommentator amüsiert sich und schlägt vor, die Bokel könne die Hauptrolle doch auch diesmal spielen. Ich erwidere, dass Radost Bokel kaum geeignet ist, eine Horrorfratze zu zeigen – und suche dazu das Cover des Playboy von 2013 heraus:

Ich denke einen Moment lang drüber nach, ob das okay ist. Aber untenrum trägt die Frau Bikini, obenrum lange Haare über dem Vorbau – passt schon.

Passt nicht.

Keine zwei Minuten später kommt die Meldung:

“Dein Beitrag verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards. Nur du kannst ihn sehen. Optionen anzeigen.”

Klar, das “Spontan”-Cover ist in Ordnung, das “Playboy”-Cover zu anstößig. Na schön, lösche ich es halt. War eh nicht so wichtig.

But wait – there’s more!!!

Ich verweise auf diesen Artikel hier natürlich auch auf Facebook. Leider greift sich mein zuständiges Plugin automatisch eins der Bilder und setzt es dazu. In diesem Fall wird klein das unbeanstandete “Spontan”-Cover eingeklinkt. Ich denke mir: kein Problem, gehste sofort zu Facebook und stellst das wieder ab.

Ich komme nicht dazu – fünf Sekunden nach dem Klick auf “posten”:

“Dein Beitrag verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards”

Nun wird mein Beitrag gesperrt, weil er als Vorschaubild das Cover zeigt, das anderswo seit 24 Stunden unbeanstandet auf Facebook zu finden ist. Und noch besser: Ich selber werde gleich für 24 Stunden komplett von Facebook verbannt.

Die haben doch alle Lack gesoffen.

Und an meine Facebook-Freunde: Wir sehen uns morgen.



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Mr. D
Mr. D
15. Juli, 2019 16:21

Naja, also du hast schließlich 2012 eine Kritik zu “Iron Sky” geschrieben also scheint der Algorythmus doch perfekt zu funktionieren….
Aber ich habe diese Dinger auch schon vorgeschlagen bekommen.
Bei mir liegt das daran dass ich in ein paar Gruppen zu den Themen “Modellbau” und “Science Fiction” bin und das dann wohl irgendwie zusammenpasst.
Liegt vielleicht wirklich an den Gruppen in denen du dich rumtreibst.
Das mit den indischen Krediten ist mir aber jetzt auch schleierhaft.

Dr. Acula
15. Juli, 2019 17:03

Jaja, der Porno-Graf hat wieder zugeschlagen 🙂

Wortvogel
Wortvogel
15. Juli, 2019 17:05
Reply to  Dr. Acula

Dass ich das poste, ist keine Überraschung – dass natürlich ICH dafür verknackt werde, leider auch nicht 🙁

Tante Jay
15. Juli, 2019 17:14

hehe.
Kenn ich. Wenn du über bestimmte Themen postest, landest du auch gerne mal im Facebook-Knast, weil ein paar Meldemuschis darüber nicht so happy sind.

Als Frau gegen Beschneidung? Zu weit links? Nicht links genug?

MEEEEEEEEEEEEEELDEEEEEEEEEEEEN!

Und natürlich bin ich einmal gesperrt worden, weil ich ein Meme geteilt habe, dass Hitler mit nackten Titten zeigte.

Hitler war in Ordnung übrigens….

Dietmar
15. Juli, 2019 21:36

Moment mal, ich kann gerade nicht weiterlesen: Das (!) ist Radost Bokel! Heiliges Kanonenrohr! Umwerfend.

Dietmar
15. Juli, 2019 21:45

So, jetzt konnte ich weiterlesen und mir fällt auch etwas ein: Ich habe mal vor meiner Klasse von den Grauen Männern und Momo gesprochen wegen Zeitstehlen etc. Dann kamen komische Fragen von einem der auffälligeren Schülern (sieht nachts unbeeinflusst von elterlichen Erziehungsversuchen – weil diese fehlen – YouTube-Videos). Irgendwann, ich schalte im Alter immer langsamer, wurde mir klar, dass er von etwas ganz Anderem redete als ich, und dann musste ich zuhause erst mal nachsehen.

Echt: Früher reichte es Pokémon ein bisschen zu kennen, jetzt braucht man solch einen Müll.

Jedenfalls darf ich sagen, dass ich dank dieses Schülers die Momo-Scherze verstanden und lustig gefunden hätte. Und tue.

Die haben doch alle Lack gesoffen.

Exakt.

Michael
Michael
16. Juli, 2019 12:18

Ich war gerade nicht ganz sicher, ob der Kommentar Henryk M. Broder wirklich zum Heft gehört, oder von einer aktuellen Zeitschrift stammt, die quer drüber liegt. Und nach kurzer Recherche sehe ich, dass Broder erst durch die „Pardon“ und „Spontan“ bekannt wurde. Unglaublich.

Lars
Lars
21. Juli, 2019 11:06

Das Hauptproblem an der Sache ist in meinen Augen, dass hier die US Moralvorstellungen in alle Welt exportiert werden, obwohl diese weltweit unterschiedlich sind. “Free Speech” ist somit weit über dem erlaubt, was in Deutschland erlaubt ist, und eine weibliche Brust (bzw. nur die Brustwarze) ist der Untergang des Abendlandes.

Dietmar
21. Juli, 2019 14:52
Reply to  Lars

Letztens sah ich eine Werbung für irgendein Duschgel oder so (Ton ist bei Werbung immer aus und wir gucken da nicht richtig hin) und da war tatsächlich der Hintern der Darstellerin durch zufälliges Kondensat an der richtigen Stelle nur verwaschen zu sehen. Als hätte es die sexuelle Revolution nie gegeben.

Ich vermisse die alte Fa-Werbung.

Ich glaube David Bowie sagte mal, dass man wohl bald auf Konzerten die Beine des Flügels verhüllen müsse.

trackback

[…] vor drei Monaten wurde ich das erste Mal auf Facebook gesperrt, weil der Algorithmus auf einem geposteten Bild einen Nippel identifiziert hatte. Sowas muss […]