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Feb 2018

Unterwegs in Deutschland (unvollständig, unvollendet)

Themen: Neues |

Ich weiß, momentan ist nicht viel mit neuem Content, aber das ist leicht zu erklären: Vier der letzten fünf Tage war ich auf Reportage in Süddeutschland unterwegs, nächste Woche muss ich Artikel für unsere neue Ausgabe kloppen – und dann geht es nach Amerika für eine große Rundreise.

Vor ein paar Monaten hatte ich mal die Idee, mir eine große Deutschlandkarte zu kaufen, diese auf Kork zu ziehen und in alle Orte, die ich für meine Arbeit bereits besucht habe, eine Stecknadel zu pinnen. Aber dann dachte ich mir: “Das geht doch sicher auch und besser digital”. Gesagt getan:

Allein 190 Reportagen für die “Liebes Land”, bestimmt über 50 für die “LandIdee”. Wer es genauer wissen will, kann sich hier die Google Earth-Datei runterladen.

Ich habe in den letzten neun Jahren Holzschuhmacher und Votivgießer besucht, Essigdoktoren und Gäulschesmacher. Ich habe gelernt, wie man eine Ziege melkt und wie man ein altes Buch restauriert, wie aus Fensterläden Schranktüren entstehen und aus Hühnereiern Kunstwerke. Ich habe Grünkohl aus einem Kessel über offenem Feuer probiert und Himbeeren direkt vom Strauch. In der Steiermark bekam ich ein sensationelles Käsefondue vorgesetzt, in Bad Zwischenahn legendären Räucheraal. Ich weiß, was ein Wiener Geflecht ist und was Posamentenknöpfe sind. Ich habe Schatztruhen gebaut und bin durch Südtirol gewandert, auf den höchsten Leuchtturm an der Nordseeküste bin ich gestiegen und in einen Teich mit Seerosen. Ich bin im Schneesturm zu einer Brotalm hinauf gestapft und habe im strömenden Regen am Altrhein im Fischerboot ausgeharrt.

Von Stralsund bis Algund, von Berchtesgaden bis Brockscheid – Deutschland und ein gutes Stück drumherum kenne ich.

Der Preis? Viele Tage auf der Autobahn, viele Nächte in Hotels.

Das Ergebnis? Hochgerechnet 30.000 Bilder, 1.500 Seiten Reportage.

Ich habe in diesen Jahren mehr von meiner Heimat gesehen als in den 40 Jahren davor. Ich habe unfassbar viel gelernt – nicht nur über Land und Leute, sondern auch über meinen Beruf. Ich kann mich heute besser einlassen, kann auf Menschen zugehen, Interesse zeigen, spontan die Richtung wechseln, Verantwortung übernehmen. Vor Ort geht nie alles glatt und manchmal muss man auch bei einer lange und sorgfältig geplanten Reportage sagen können: “Das geht so nicht – wir müssen das komplett neu denken”. Wie ein befreundeter Fotograf zu sagen pflegt: “Einfach kann jeder”. Einatmen, Arschbacken zusammenkneifen und durch, auch wenn das Wetter oder die Location nicht mitspielen. Wir sind noch nie ohne schöne Bilder oder ohne Geschichte heimgekommen.

Der Käpt’n geht als Letzter von Bord:

Und weil ich glaube, dass mir diese neun Jahre und die 240 Reportagen eine gewisse Expertise verleihen, wollte ich euch einfach mal sagen, dass wir in einem tollen Land leben. Deutschland ist abwechslungsreich, spannend, bunt, alt und modern zugleich, mit großartigen kulinarischen, kulturellen und kunsthandwerklichen Traditionen. Wer genauer hinschaut, der sieht überall, woher wir kommen und wie wir hierher kamen. Deutschland ist mehr als Nord, Süd, West und Ost – es ist 3000 Jahre Geschichte, die in vielen Schichten und Ebenen mal mehr, mal weniger sichtbar ist.

Hier und heute – das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Wer mit dem Zustand des Landes hadert, der sollte es bereisen, sollte sich klar machen, dass es weder den Pegida-Plärrern noch den G20-Steinewerfern gehört. Deutschland ist nicht die GroKo, ist nicht die BILD, es definiert sich nicht über die Frage, wer Germany’s Next Top Model wird. Es gibt so viel zu entdecken, nicht nur im Allgäu und an der Nordsee. Ich habe gestaunt über die Uckermark ebenso wie über Unterammergau.

Wenn dieser seltsam richtungslose und aus dem Ruder gelaufene Artikel eine Botschaft hat, dann vielleicht diese: Deutschland ist ein großartiges Land, ganz egal, welche Generation sich gerade auf ihm die Füße platt tritt. Ich möchte euch einladen, dass ihr es euch mal genauer anschaut, dass ihr statt nach Malle vielleicht mal nach Mecklenburg reist, statt nach London vielleicht mal nach Leipzig. Übernachtet nicht im Motel One, sondern “Zum Goldenen Hirschen”, esst nicht bei Burgerking, sondern in der Bürgerstube. Euer Heimatland könnte euch überraschen.

Klingt das stolz auf Deutschland? Absolut. Hier ist so viel geschaffen worden, hier hat so viel seinen Anfang genommen. Aber wenn ich das für “mein Land” in Anspruch nehme, muss ich bereit sein, mich in gleichem Maße dafür zu schämen. Weil auch so viel vernichtet wurde, so viel Leid nicht nur in Kauf genommen, sondern genüsslich zelebriert wurde. Geschichte ist keine Schuld, aber sie ist Verantwortung.

Ich bin nicht stolz darauf, Deutscher zu sein. Aber ich bin dafür sehr dankbar.



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Spandauer
Spandauer
10. Februar, 2018 19:22

Volle Zustimmung!
Es gibt so viel Schönes und Tolles im Deutschland zu entdecken.

Dietmar
10. Februar, 2018 20:51

Unterschreibe ich.

Nummer Neun
12. Februar, 2018 12:29

Würde ich auch so unterschreiben, Deutschland hat so viele schöne und unterschiedliche Ecken. Tolle Städte und tolle Landschaften. Zwei Tage an einem der bayerischen Seen ist Erholung pur.

Nur an einer Stelle möchte ich widersprechen: Die große Karte zum anfassen halte ich dann doch für eindrucksvoller 🙂

Patrick
Patrick
13. Februar, 2018 08:33

Du warst gar nicht in Rheinhessen? Na dann wird es aber mal Zeit! Ich lade dich auch gerne mal ein in das Dreieck Mainz, Worms und Bingen um nicht nur die besten Weinanbaugebiete in Deutschland kennenzulernen, sondern auch den wirtschaftsstärksten Landkreis mit seinen trotzdem kleinen Dörfern.

gummipunkt
13. Februar, 2018 11:18
Reply to  Torsten Dewi

“Leider nicht”, denn Wehrheim ist Hessen. Anders als der Name Rheinhessen vermuten lässt, befinden wir uns komplett in Rheinland-Pfalz. 🙂

Friesische Bergwacht
Friesische Bergwacht
13. Februar, 2018 16:52

Ein wundervoller Text, der genau das Maß an Heimatliebe beinhaltet, auf dem Weltoffenheit und Gastfreundschaft gedeihen können und keine Engstirnigkeit und Feindseligkeit.

Wir haben uns für unsere Entdeckungen im Kleinen zwar nicht Deutschland, sondern die Niederlande ausgewählt, genießen da aber dasselbe: unglaubliche Vielfalt, unfassbarer kultureller Reichtum, Naturschönheiten, liebenswerte Menschen und ihre Bräuche. Es lässt sich so vieles so nah bei uns entdecken – da fällt der Verzicht auf Flugreisen um die halbe Welt nicht schwer.

moepinat0r
moepinat0r
14. Februar, 2018 00:01

https://www.youtube.com/watch?v=bOjBkzYuybA
Aber im ernst, Deutschland ist wirklich toll!