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Jan 2018

Fantasy Filmfest White Nights 2018: Cold Skin

Themen: FF White Nights 2018, Neues |

Regie: Xavier Gens. Darsteller: David Oakes, Aura Garrido, Ray Stevenson, John Benfield, Iván González, Ben Temple u.a.

Offizielle Synopsis: Die nie namentlich genannte Hauptfigur kommt 1914 als Wetteroffizier an den gottverlassensten Ort der Welt: eine zerklüftete Insel am Südlichen Polarkreis. Die Hütte, die der Brite beziehen soll, ist verwahrlost, sein Vorgänger verschwunden. Einziges weiteres Zeugnis menschlicher Existenz auf dem Eiland ist ein Leuchtturm – bewährt mit unzähligen zugespitzten Stämmen. Weshalb, erfährt der Neuling in der ersten Nacht, als es an der Tür rüttelt. Doch den Eindringlingen geht es eindeutig nicht um einen nachbarlichen Begrüßungsumtrunk … und die Ablösung erfolgt erst in einem Jahr. Ein langer Kampf ums Überleben steht bevor!

Kritik: Xavier Gens ist auf dem Festival immer mal wieder präsent. “Divide” fand ich seinerzeit total dämlich, “The Crucifixion” letztes Jahr zumindest nur blah. Das hätte meine Erwartungen an “Cold Skin” sicher geschmälert, aber es zahlt sich aus, vorher keinerlei Informationen einzuholen. Da die Credits hier erst zum Nachspann kommen, wusste ich 108 Minuten lang nicht, dass es sich um einen Gens-Film handelt. Vielleicht besser so.

“Cold Skin” basiert übrigens auf dem 2008 in Deutschland erschienenen Roman “Im Rausch der Stille” von Albert Sánchez Piñol .

Auch wenn die knarzige Ausstattung und die knitterigen Gesichter der Beteiligten klassisches Abenteuerkino signalisieren (der Film spielt wohl 1913/14), geht Gens erstaunlich schnell in medias res: nach 15 Minuten ist klar, dass auf der Vulkaninsel Wesen leben, die keine Eindringlinge dulden – und dass die einzige Chance auf Überleben in der Verbrüderung mit dem unsäglichen Leuchtturmwärter Gruner liegt. Ab diesem Moment läuft der Film zweigleisig: Während Gruner und unser namenloser Held nächtens in mühsamen Schlachten den Turm vor den Fischmenschen verteidigen, lernt unser Protagonist vom “Haustier” (einer Fischfrau) über die Natur der Wesen.

Das alles ist erstaunlich schnell, straff, packend inszeniert, nutzt die Vulkaninsel als grandiose Kulisse für spektakuläre Bilder und baut daraus einen Monster-Horror im “Revenant”-Look. Sämtliche Darsteller sind herausragend, spielen klassische Archetypen des Frontier-Romans mit viel Schmackes. Die Verwendung von CGI (primär für Schiffe, größere Gebäude und die Horden von Fischmenschen) ist unaufdringlich genug, um den naturalistischen Eindruck nicht nachhaltig zu stören.

Natürlich ist die Geschichte nicht neu und nicht einmal sonderlich gebunden – den gleichen Plot hätte man auch auf einem anderen Planeten oder im Regenwald spielen lassen können. Zivilisationsmensch betritt terra incognita, trifft die Wilden, es gibt Krieg, mit der Liebe zur “Fremden” kommt die Erkenntnis, es wird ein brüchiger Frieden geschlossen – nur der, der sich dem Wandel verweigert, muss sterben. Nicht neu. Aber es liegt in der Natur des Geschichtenerzählens, dass eine Geschichte nicht neu sein muss, wenn sie nur neu und spannend erzählt wird. Und das ist hier eindeutig der Fall.

Wer in seiner Jugend immer schon gerne “Moby Dick” und “Lockruf des Goldes” gelesen hat, der findet hier den perfekten Lovecraft-Monsterfilm für sein Fernweh.

Fazit: “Jack London’s Avatar” – eine klassische Abenteuergeschichte mit Anleihen bei John Carpenter, “Der Seewolf”, “Dagon”, “Die Insel des Dr. Moreau” und “I am legend”. Prächtig authentisch inszeniert, mit absolut glaubwürdigem Zeitkolorit. Mag inhaltlich keine Bäume ausreißen, ist für sich genommen aber eine starke Rehabilitation eines bisher meist schwachen Regisseurs. 9 von 10 Punkten.

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Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
22. Januar, 2018 14:21

Mh, die Nights schienen ja insgesamt sehr schwach gewesen zu sein :/
Bei dem hier sah aber immerhin der Trailer ganz nett aus und die Kritik liest sich gut. Kommt dann auf die Prime-Watchlist.

Heino
Heino
22. Januar, 2018 14:57

Den fand ich auch recht gut, nur ab und an etwas zu lang. Der hätte leicht gestrafft werden müssen.

Marcus
Marcus
22. Januar, 2018 15:01

Genau so. 9/10.

Thies
Thies
30. Januar, 2018 22:20

Ich hatte den Namen Xavier Gens sofort bemerkt und bin mit entsprechend geringen Erwartungen in den Film gegangen. Sein Debut “Frontier(s)” war ein hoch gehandelter Titel bei den FFF-Nights 2007 und entpuppte sich als überwürzte Blut- und Schweinekotsuppe. Danach sah ich nur noch seinen Beitrag zu “The ABCs of Death” und hatte ihn endgültig als Regisseur abgeheftet, der sich bei allem handwerklichen Können bevorzugt auf billige Schocks verlässt.

“Cold skin” hatte mich daher ähnlich kalt – no pun intended – erwischt. Nach der ersten Attacke der Fischwesen hatte ich noch gedacht, dass der Rest des FIlms dann wohl auf immer extremer ausfallende Action-Szenen á la Michael Bay oder Takashi Miike hinaus laufen würde. Der stattdessen herausgearbeitete emotionale Aspekt kam nicht nur sehr unerwartet; er wurde dann auch auf ein befriedigendes Ende hin durchgezogen. So wurde aus dem Aussenseiter des Programms der Film dem ich am meisten einen Kinostart wünschen würde.