24
Aug 2017

Gastbeitrag: Le Orme – Footprints On The Moon

Themen: Film, TV & Presse |

Ich habe definitiv den falschen Freundeskreis. Jetzt hat der von mir als wissensstark, aber mitunter geschmacklich verwirrte John Wohlmacher einen Gast-Review geliefert – und es ist WIEDER ein Italiener! Allerdings weise ich darauf hin, dass hier mit erheblich mehr Zutaten gekocht wird als bei den üblichen Trash-Heulern. Sollte ich das böse K-Wort in den Mund nehmen? Was meint ihr?

Le Orme – Footprints On The Moon

Die letzten 12 Monate sahen eine regelrechte Flut an internationalen Veröffentlichung grundperverser Gialli auf Blu-Ray. Endlich kann der ewige Teenager in mir nun eine ganze Reihe von Filmen in vollem Farbglanz genießen, die man in Deutschland nur auf zerschossenen Videokassetten bekommen konnte. Nach kurzer Euphorie stellte sich bei mir jedoch die traurige Gewissheit ein, dass nicht alles Gold ist, was feucht-rot glänzt. Und doch bleibe ich bei dem Genre, kehre immer wieder zurück, getrieben von einer unerklärbaren Faszination. Auf diesen verschlungenen Wegen begegnete ich einem Film, den ich bereits seit zehn Jahren sehen wollte und der mich ratlos zurückließ.

LE ORME – FOOTPRINTS ON THE MOON von 1975 ist der letzte Spielfilm von Luigi Bazzoni, dessen wohl bekanntester Film MIT DJANGO KAM DER TOD (ein Italowestern, der in letzter Sekunde schnell den Django-Stempel im Titel bekam) ist und der danach nur noch ein paar TV-Dokus drehte. Mit Florinda Bolkan, der stets grimmig dreinblickenden Muse Lucio Fulcis’ Frühphase und dem stets geilen Klaus Kinski als Darsteller konnte Bazzoni zwei Veteranen des Genres gewinnen – soweit, so generisch. Doch die Synopsis verspricht ungewöhnlichere Kost: die Übersetzerin Alice (Bolkan) wird von blau-monochromen Albträumen gequält, in denen ein verrückter Wissenschaftler (Kinski – wer sonst) einen Astronauten auf dem Mond aussetzt. Nach einer Episode spontaner Kurzzeit-Amnesie beschließt sie der Sache auf den Grund zu gehen und folgt einer Reihe diffuser Hinweise. Und dann wirbt der Film auch noch mit Vittorio Storaro als Kameramann, der Argentos GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE, APOCALYPSE NOW! und sämtliche Bertoluccis filmte. Es kann praktisch nur geil werden!

Für eine Weile ist es das auch. Der atmosphärische Einstieg, der die blaugefärbten Mondsequenzen als Film im Film einführt, ist recht ungewöhnlich für das Genre. Bolkan schlafwandelt durch ihr modern-minimalistisch eingerichtetes Apartment wie eine mediterrane Marlene Dietrich. Storaro ist in Höchstform und nutzt vor allem Blau- und Gelbtöne um wunderschöne Bilder zu fotografieren. Doch dann bricht der Film plötzlich: Alice findet eine zerrissene Postkarte in ihrem Papierkorb und verlässt Rom für das ländliche Garma. Dem Mystery-Einstieg folgt die Hinwendung zu einer schwer verdaulichen Mischung aus Melodrama und Psychogramm. Das wirkt schwer prätentiös – trotzdem sagt LE ORME mehr über den Giallo und das italienische Kino aus, als viele seiner Artgenossen.

Anstelle eine kohärente Handlung zu erzählen, konzentriert sich der Film vor allem auf die Inszenierung von Details, die durch ihre Gegenüberstellung an Wirkungskraft erhalten. Die moderne Einrichtung von Alices Wohnung offenbart in ihrem wirkungsorientierten Minimalismus das fehlen jeglicher Seele und spiegelt in dieser leblosen Statik den menschenverlassenen Mond aus den Traumszenen. Das orientalisch angehauchte Garma wird zu einer Art Antithese des modernen Lebens – wo in Rom klar begrenzter Alltag zur Routine geworden ist, kann Alice sich inmitten von Arabesken dem Rollenspiel hingeben. Statt einer eindeutigen Realität präsentiert der Film aber auch hier nur Oberflächen. Kleider, Perücken, Touristen und Architektur suggerieren keine tatsächliche Bedeutung sondern formen bereits eine eigene Identität, die schon fast auf Fetischismus begründet wirkt. Insofern hat LE ORME weniger etwas mit dem abstrakten Kunstfilm der 60er Jahre zu tun, als mit dem krytpischen, pseudo-ambitionierten Italo-Trash Stimmungsfilm der frühen 80er Jahre. Er ist mehr MACUMBA SEXUAL als LETZTES JAHR IN MARIENBAD. Nur halt ohne den Sex. Leider.

Diese Divergenz, dass große Kunst angestrebt wird und dabei am Ende nur Trash rauskommt, zieht sich durch das italienische Genre-Kino. Immer wieder kreisen Handlungen um entfremdete Individuen, die sich aus einer meist Lebensfeindlichen Großstadt in vorgeblich idyllischere Kleinstädte begeben, nur um dort Zeugen noch tiefer sitzender Verschwörungen und Perversionen zu werden. Knapp 20 Jahre nach dem Ende der Ära Mussolini werden Trauma individuell wie auch gesellschaftlich unterdrückt und übermalt – die Rückkehr aufs Land ist also auch eine in die eigene Vergangenheit, in der sich Monster und Morbiditäten aller Art verstecken. LE ORME entscheidet sich dann aber gegen den Gore von ANTHROPOPHAGUS, den kosmischen Horror von EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL und den blutigen Suspense von DAS HAUS DER LACHENDEN FENSTER. Obwohl der Giallo als Genre immer gerne mit dem Melodrama spielt, scheint es für LE ORME unmöglich, begründeten Platz für den Giallo im Melodrama zu finden. Also wird er angedeutet, großes Gewese um eine Doppelgängerin gemacht und dann doch kein Versprechen so richtig gehalten. In den Momenten des Schwelgens, in denen Alice immer wieder aufgeht, bleibt bis zum Ende ungeklärt, worauf ihr Trauma eigentlich beruht und was das alles mit dem Kinski-Film im Film zu tun hat. Diese Momente, die den stärksten Eindruck hinterlassen, werden teilweise komplett fallen gelassen, nur um dann Dreh- und Angelpunkt eines überhasteten Schlusstwists zu werden.

Grade dort wird LE ORME aber wieder interessant, denn für mich wird hier das große Missverständnis des Euro Trashs sichtbar. Der italienische Genrefilm definiert sich nicht unbedingt durch das Talent von Autoren, sondern durch die Handwerker hinter der Kamera. Im Endeffekt konnte in dem ungefähren Zeitraum von 1965 bis 1983 jeder dahergelaufene Taugenichts großartige Filme machen, weil Ausstattung, Kamera, Schnitt, Licht, Maske usw. von einer überschwänglichen Euphorie und hemmungslosem Stilbewusstsein profitierten. Er versucht immer wieder an die großen Meisterwerke der Vergangenheit anzuschließen, an Bava und Antonioni ranzukommen und irgendwo auch die Pose eines politisch bewussten Kinos einzunehmen, hat aber doch nicht viel zu sagen. Wann immer einzelne Protagonisten zurück aufs Land gehen, bezieht sich das italienische Kino damit auch auf seine eigene Vergangenheit, die dann aber nur Oberfläche ist. Er will unterhalten, aber auch belehren, Geld machen und in Museen beklatscht werden.

Obwohl LE ORME als krude Mischung aus Melodrama, Meta-Sci-Fi und Giallo einzigartig bleibt, wird er somit fast zu einem Fallbeispiel. Er dreht sich um sich selbst und präsentiert keine Antworten, aber in seinem Plot bringt er den Zustand des italienischen Genrefilms der 70er Jahre auf den Punkt. Es bleibt nur diffuse Obsession und Fetischisierung. Doch hier offenbart sich, warum das italienische Genrekino so viele Verehrer hat: weil es eben so verdammt gut aussieht, so verdammt detailverliebt ist, so verdammt hohle Drehbücher mit so verdammt viel Ambition verfilmt. Und so ratlos einen diese Filme zurücklassen, umso schöner ist es, dass sie nun endlich die Politur digitaler Restauration erhalten, denn nur in dieser oberflächlichen Schönheit technischer Perfektion kann man das Gesehene wirklich genießen. Eine vergilbte VHS-Kopie von LE ORME muss die Hölle sein, weil jenseits der Politur nur die Reflektion selbiger zelebriert wird.

FAZIT: Ob der Film empfehlenswert ist bleibt für mich fraglich – wer Bolkan als Diva versteht, wird an ihm sicher so viel Freude haben, wie jeder Liebhaber ausschweifend ästhetischer Stimmungsfilme. Für den Giallo-Fan bleibt er aber zu unterkühlt und für ein überzeugendes Melodrama ist er zu rational. Es geht LE ORME um ein Gefühl – und mehr kommuniziert er auch nicht. Er will mehr, aber definiert dieses „mehr“ über das Problem, aber auch den Charme, seiner Gattung. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut ist. Aber wie die lächerlichen Drehbücher jedes Argento Films muss man das entweder vollkommen akzeptieren oder vollkommen ablehnen.

John Wohlmacher

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3 Kommentare
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Thomas Hortian
24. August, 2017 12:07

Diffus trifft es schon ganz gut, obwohl ich eher dazu tendiere, den Film (wie seine Figur) entrückt zu nennen. Selbst als Alice noch in Rom verweilt, ist sie eigentlich schon ganz woanders. Und im ganzen entzieht er sich die meiste Zeit der Konventionen des Giallo-Thrillers, muss aber am Ende wieder darauf zurückkommen, da es sich doch “nur” um einen Unterhaltungsfilm handelt, der folglich ein Ende braucht. Dazwischen steht ja die Suche nach einer undefinierten Sehnsucht, einem Puzzleteil, einem Mehrwert; Alice wird von ihrer Unvollständigkeit (dem Aussetzer, dem fehlenden Wissen) getrieben. Und so passt das Ende, das einem da wieder so sehr rausreißt, wieder ganz gut. Man ist wieder im grauen Alltag angekommen. Das mag dann mitunter recht holprig sein, ist, denke ich, von Bazzoni aber tatsächlich intendiert, es weist alles darauf hin: die zunehmende Inkompatibilität mit dem Alltagsleben, der versuchte Ausbruch und am Ende die Erkenntnis, dass man schlichtweg zusammengebrochen ist. Die Suche nach dem “Mehr” erweist sich am Ende als das schlichte Aufräumen der Scherben, die von einem geblieben sind. Also, wie Du schon schrobst, eine Bestandsaufnahme. Aber eine sehr träumerische, schöne, auch wenn das Ende dann sehr deprimierend ist.

Mencken
Mencken
25. August, 2017 13:41

Ich halte den schon für einen klassischen Giallo (und sehenswert), gab ja auch eine ganze Reihe von Filmen, die eher in diese Richtung gingen.

Peroy
Peroy
23. Mai, 2018 18:53

Giallo-Gehalt: 0%.